Das Telefon ist nicht tot
Vergesst den ganzen neumodischen Kommunikationsfirlefanz: Nehmt das gute alte Telefon, rät der «Poller»-Kolumnist Markus Dütschler.

Wenn beim Feuerwehrkommandanten das rote Telefon klingelt, wusste er, dass es brennt. Egal, ob es früh um acht, mittags um eins oder nachts um halb drei war. Alle anderen, die keine Feuerwehrkommandanten waren, blieben beim Klingeln des (schwarzen) PTT-Apparats ganz entspannt. Ausser natürlich, sie warteten auf den Bericht nach einer Operation bei einem Angehörigen im Spital. Oder jemand rief nach 21 Uhr an. Dann galt zwar wieder der günstigere Tarif, aber zumindest in der Schweiz traute sich fast niemand, selbst Verwandte oder Freunde «so spät» zu behelligen. Und dies, obwohl die Angerufenen meist vor dem Fernseher sassen.
Aber sonst war telefonieren immer o.k. Es gab ja fast nichts anderes. Das hat sich geändert. Man schreibt sich SMS, was inzwischen selber auch schon mit einem Schiefertafel-Image belegt ist. Man tippt Whatsapp-Nachrichten, schickt sich Voice-Nachrichten oder töggelt Mails. Dann geht das hin und her. Mögliche Sitzungstermine oder Treffpunkte werden vorgeschlagen, erörtert, verworfen, Alternativen erwogen. Manchmal reisst mir der Geduldsfaden. Ich rufe an, die gute alte Papieragenda links neben mir, und dann soll das Gegenüber bitte in seiner Agenda simultan und synchron prüfen, wann wir beide eine übereinstimmende Lücke finden. Warum nicht gleich so?
In der Corona-Krise kommt das gute alte Telefon wieder vermehrt zum Einsatz. Sogar das Fixnetz, das früher keinen besonderen Namen trug, weil es nur das gab. Ich habe mir angewöhnt, ältere Herrschaften in meiner Verwandtschaft etwa alle zwei Wochen anzurufen. Einfach so. Wahrscheinlich sehen die auf ihrem Display nicht einmal, wer anruft. Das merken sie früh genug, wenn sie abheben.
Mir gefällt das. Ich vernehme, ob einer betagten Verwandten, die allein lebt, die Decke auf den Kopf fällt. Man freut sich mit einer anderen, dass sie endlich den Termin für die Operation der schmerzenden Hüfte bekommen hat, die im März hätte stattfinden sollen. Die nahezu erblindete Schlummermutter aus Lehr- und Wanderjahren bedankt sich und sagt, der Anruf habe den tödlich langweiligen Tag im Seniorenheim aufgehellt, wo sonst nur vermummte Schwestern täglich dreimal einen Teller mit Essen auf den Tisch stellen.
Wie würden diese Menschen leben, wenn es das Telefon nicht gäbe? Man mag es sich fast nicht ausmalen. Auf deutschen Fernsprechzellen, bei uns Telefonkabinen genannt, prangte früher der Slogan: «Ruf doch mal an.» Die Bundespost verdient heute nichts mehr am Telefonieren, denn das ist privatisiert, und Kabinen gibt es auch nicht mehr. Der Spruch ist aber weiterhin gültig und richtig. Das Klingeln eines Telefongeräts kann wirklich eine freudige Überraschung sein. Wir sind ja schliesslich keine Feuerwehrkommandanten.
Der «Bund»-Redaktor hat zwar ein Fixnetz-Telefon mit Tasten. Er könnte aber zur Not auch eine Wählscheibe bedienen. Da staunen Sie.
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