Wie man im Homeoffice zum Taugenichts wird
Manchmal brauche ich beim morgendlichen Erwachen einen Moment, um mir den Wochentag in Erinnerung zu rufen. Fast schneller durchzuckt mich der Gedanke: «Ist die Corona-Krise immer noch?» Wie akkurat doch sonst die Woche strukturiert ist. Da hat ein Kind an einem Tag Frühstunde. Da ist an einem anderen abends Chorprobe oder über Mittag Pilates. Es gibt den jour fixe mit einem früheren Arbeitskollegen. Oder die Putzfrau kommt. Jetzt ist alles weniger strukturiert. Es wäre jedoch übertrieben, mit Joseph Eichendorffs «Taugenichts» glückselig zu seufzen: «Mir war es wie ein ewiger Sonntag im Gemüte.» So locker ist Homeoffice dann doch nicht. Denn auch jetzt gilt, was der fröhliche Jüngling, der frohgemut in die Welt hinauszog, verständnislos über seinen Vater zu berichten wusste: Er habe schon «seit Tagesanbruch in der Mühle rumort».
In der Tat rumoren die Mühlen weiter, wo sie nicht behördlich abgeschaltet wurden. Aber vieles geschieht vom heimischen Schreibtisch aus. Hier spielt dann, anders als im Büro, das Radio. Oder die Katze streicht einem fordernd um die Beine, von einem Ausnahmezustand nichts wissen wollend («wenn ihr schon einmal alle hier seid»). Zwischendurch wirkt eine Spazierrunde oft Wunder, damit das Formulier-Tool im Hirn wieder auf Touren kommt. Das hat zweifellos seine angenehmen Seiten.
Es gibt echte Taugenichtse, die diese «herrliche Entschleunigung» besingen. So reden nur jene, die ihre wohlgenährte Schäfchenherde längst im Trockenen haben. Und nicht jene Jungunternehmer, deren lange ersehnte Selbstständigkeit in Form eines unlängst eröffneten Coiffeursalons gegen die Wand fährt.
Heute durfte ich das sanitarisch verfügte Verlies für zwei Stunden verlassen, um beruflich eine Person zu besuchen – natürlich mit dem erforderlichen Abstand. Ich nahm den Bus, der wie meistens in diesen Zeiten fast leer verkehrte. Die vorderste Sitzreihe ist durch ein Band abgesperrt – Social Distancing gegenüber dem Fahrpersonal. In dieser Reihe sitzt auf dieser Buslinie sonst fast immer ein Mann, immer auf dem gleichen Sitz. Fast scheint es, als gehöre er zum Inventar. Doch nun ist er weg. Was er wohl macht? Irgendwann wird das Absperrband fallen. Dann wird man sehen, ob der notorische Buspassagier seinen Stammplatz wieder einnimmt. Ich werde es als Zeichen begrüssen, dass sich die Dinge normalisieren. Es wird aber auch Sitze geben, die für immer leer bleiben.
Beim Aufwachen war dem «Bund»-Redaktor gestern klar, dass Dienstag ist: Eine Kolumne strukturiert den Homeoffice-Brei.
Ein Kommentar zu «Wie man im Homeoffice zum Taugenichts wird»
Guten Morgen Herr Dütschler. Im Sinne der aktuell allgemeinen „Nächstenhilfe“: Heute ist Donnerstag. Freundliche Grüsse, E. Voisin