Commissioner Reagan, übernehmen Sie!
Keine Bange: Im «Poller» gibt es keine Publibike-Serie. Gestatten Sie mir nur eine kleine Fortsetzungsgeschichte, danach ist das Thema unwiderruflich vom Tisch – bis zum nächsten Mal. Ich fahre also mit dem E-Bike der Postauto-Tochter die Thunstrasse hoch, als ich vor mir einen eleganten Herrn im Anzug bemerke, der ebenfalls Velo fährt. Man ahnt es: der Stapi. Dank Stromantrieb hole ich ihn mit seinem normalen Velo locker ein. Er erkundigt sich, weshalb ich immer noch Velo führe, die Kolumne («Bund» vom 9. Juli 2019) hätte ich ja geschrieben. Was sagt man dazu? Offenbar glauben Grüne und Rote, dass Radler ausserhalb der Öko-Blase das Velo nur scherzeshalber benützen – oder als blosse Provokation. Dem ist nicht so.
In diesem Augenblick dringt aus einem Lautsprecher eine Stimme an unser Ohr. Zwei Polizisten im Streifenwagen am Strassenrand gegenüber haben bemerkt, dass der Stapi während der Fahrt kurz sein Mobiltelefon aus der Hosentasche gezogen hat, um etwas zu checken. Prompt kommt die mündliche Rüge. Alec von Graffenried steht unter Beobachtung, seit er als Velofahrer ein Rotlicht versehentlich überfahren hat. Es macht wohl auch ein wenig Spass, den Stadtpräsidenten höchstpersönlich zu ermahnen.
Ich weiss nicht, ob die Polizei von New York mit ihrem Bürgermeister auch so verfahren würde. Abgesehen davon, dass dieser wohl kaum mit dem Radel unterwegs sein dürfte. Ich kenne mich da ein wenig aus, weil ich manchmal frühmorgens – von seniler Bettflucht gepeinigt – eine Folge der Fernsehserie «Blue Bloods» schaue. Dort lässt der Bürgermeister oder in späteren Staffeln die Bürgermeisterin den New York City Police Commissioner regelmässig bei sich antanzen. Frank Reagan, als administrativer Polizeichef direkt dem Bürgermeister unterstellt, wird verkörpert von Tom Selleck («Magnum»). Die ganze Reagan-Familie, ein irischstämmiger Clan, war und ist auf verschiedenen Hierarchiestufen für das NYPD tätig oder arbeitet in der Staatsanwaltschaft. Sonntags isst die Familie zu Hause an einer langen Tafel, wobei das Tischgebet nicht fehlen darf, denn man ist gutkatholisch. Bei Tisch kommen Vorgänge aus Justiz und Polizei zur Sprache, selbstverständlich aus den unterschiedlichen Perspektiven – und die kritischen Kinder im Jugendalter diskutieren mit.
Die Familien-Sage erscheint etwas gesucht, doch beeindrucken mich die Diskussionen. Oft geht es um die Frage, was richtig und angemessen ist, was nicht nur juristisch zulässig, sondern moralisch gerechtfertigt ist. Was der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger dient und was die Rechte von Minderheiten in Problemvierteln auf unzulässige Weise tangiert. In der Juristerei heisst das Rechtsgüterabwägung. Die Reagans leben nicht in einer heilen Welt. Sie geraten in Situationen, in denen reine Gesinnungsethik nicht weiterhilft, doch ringen sie um die verantwortungsethisch richtige Handlungsweise. Das ist zwar recht anstrengend, aber auch befriedigend.
Manchmal wünschte ich mir, dass in Bern über polizeiliches Handeln mit solch sittlichem Ernst debattiert würde wie an der Speisetafel der Reagans oder zwischen Bürgermeister und Commissioner. Die Arbeit der Polizei ist schwierig, weil oft innert Sekunden weitreichende Entscheidungen gefällt werden müssen, die man im Nachhinein unter Umständen als falsch bewerten muss. Bei einigen Angehörige der politischen Klasse in der Stadt Bern scheint ein problematisches Verhältnis zu den Ordnungshütern vorzuliegen, gerade so, als hätten sie ihre wilde Jugend noch nicht verarbeitet. Dabei ist öffentliche Sicherheit eine verflixt ernste Sache.
Macht kann missbräuchlich verwendet werden. Manchmal scheint es auch nur so. Wer soll das beurteilen? Eine Ombudsstelle wäre keine schlechte Idee. Denn oft geht es unzufriedenen Bürgerinnen und Bürgern nicht darum, die Justiz zu beüben. Sie würden es einfach schätzen, wenn sie von einer bürgernahen Person ausserhalb der Hierarchie angehört und ernst genommen würden. Weshalb der Grosse Rat die Idee bisher immer abgeschmettert hat, weiss ich auch nicht.
Übrigens: Die Herrin der Publibikes, Ursula Wyss, werde ich kaum in Bern antreffen. Laut BZ fährt sie derzeit Velo in Holland – und ist mit dem Flugzeug gereist. Der Nachtzug sei schon ausgebucht gewesen. Nein, so ein Pech aber auch.
Markus Dütschler
Der «Poller»-Kolumnist merkt, dass er dank (E-)Publibike weniger schnaufen muss und dafür unbeschwerter nachdenken kann.
2 Kommentare zu «Commissioner Reagan, übernehmen Sie!»
Warum gibt’s beim Poller keine Möglichkeit diesen zu bewerten?
Guten Tag Herr Rothenbühler, das Blogsystem ist ein anderes als unser gewöhnliches Redaktionssystem, deshalb lassen sich die Beiträge hier nicht gleich bewerten.
Sie dürfen Ihre Wertung aber selbsterständlich gerne hier in den Kommentaren abgeben!
x/100 Punkten?