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Der Chef und sein Vize

Constantin Seibt am Freitag den 6. Juli 2012

Hier ein kleiner Trick, auf den ich stolz bin. Denn ich hatte dabei eine Idee. Und das passiert mir selten.

Die Lage war die die: Jemand hatte gehört, dass bei einer Vermögensverwaltung angeblich eine Hausdurchsuchung stattgefunden hatte. Und dieser Jemand hatte auch gewusst, warum. Weil über eine Unterfirma betrügerische Aktienkäufe in Japan stattgefunden haben sollten.

Ich setzte mich hin und recherchierte. Und hatte zunächst drei Mal Glück.

Glücksfall Nummer 1: Die Protagonisten waren farbig. Normalerweise lesen sich Geschichten über Betrugsfälle so spannend wie ein Telefonbuch. Irgendwelche Leute mit mehreren Namen schieben Gelder zwischen Dutzenden Firmen mit Dutzenden Namen hin und her. Doch diesmal nicht. Der Angeklagte hiess Takafumi Horie, genannt «der Teufel mit dem Engelsgesicht». Er war der Rebell unter Japans Unternehmern: immer im T-Shirt, immer im Fernsehen und immer voller Pläne: von einer politischen Karriere über den Aufbau eines Medien-Imperiums bis zu privater Raumfahrt. Und der Fall war gross. Nach Hories Anklage gab es derart viele Verkaufsorder, dass der Computer der japanischen Börse zusammenbrach.

Glücksfall Nummer 2: Der Betrug war elegant. Zwar komplex, aber nicht so komplex, dass er unerklärbar war. Horie hatte, laut Staatsanwaltschaft, den eigenen Aktienkurs höchst kunstvoll gepusht: Er hatte sich auf Aktien seines eigenen Unternehmens Geld geliehen. Dieses Geld in scheinbar unabhängigen Investmentfonds versteckt. Damit Firmen gekauft. Und diese Firmen dann mit der eigenen Firma fusioniert. Worauf der eigene Aktienkurs stieg. Und Horie sich auf seine immer wertvolleren Aktien noch mehr Geld leihen konnte. Es war ein wunderschönes Perpetuum mobile.

Glücksfall Nummer 3: Der Chef der Schweizer Firma redete. Die in den japanischen Medien erwähnte Aktiengesellschaft, durch die Takafumi Horie angeblich seine Gelder leitete, gehörte einem ziemlichen Brocken unter den Schweizer Vermögensverwaltern, der Firma K. Ich rief dort an und wurde mit dem Chef verbunden. Dieser, Dr. R., begrüsste mich zu meiner Verblüffung höchst zuvorkommend: Ja, es gäbe eine Untersuchung und man arbeite eng mit den Behörden zusammen. Aber ich solle mit seinem Vize reden, dem Japan-Verantwortlichen, Herrn E. Dieser kenne die Details.

Aber als ich dort anrief, war es mit den Glücksfällen zu Ende. Ich bekam Ärger.

Das Doppel-Aussage-Mail

Der Vize, Herr E., war weniger freundlich. Er sagte mir: Nein, es gäbe keine Verbindungen zwischen seiner Firma und dem Fall Horie. Und man arbeite auch nicht mit irgendwelchen Behörden zusammen. Ich erwiderte, dass sein Chef das pure Gegenteil mitgeteilt hatte. Darauf wiederholte Herr E., was er gesagt hatte. Und liess durchblicken, dass, wenn ich etwas anderes schriebe, die Anwälte tätig werden könnten.

Am nächsten Morgen rief Dr. R. an: Er sagte, dass nur die Version seines Vizes gelte. Und dass er alle direkten und indirekten Zitate seinerseits vor der Publikation gegenlesen wolle.

Ich versank in Verzweiflung. Ohne die Bestätigung von Dr. R., dass eine Untersuchung laufe, waren alle Recherchen höchstens die Hälfte wert. Aber wie konnte ich beweisen, dass er erst das Eine, dann das Andere gesagt hatte? Ich hatte nur eine A5-Seite mit krakeligen Notizen. Und Anwälte können sehr ungläubig sein.

Wie also kam ich zu einem Beleg? Ich brütete einen Vormittag lang. Und dann hatte ich etwas Seltenes: eine Idee.

Ich schrieb eine Mail, indem ich Dr. R. das schrieb, was er in der Zeitung lesen wollte, aber auch das, was er nicht in der Zeitung lesen wollte. Würde er das Mail ohne Protest, Verblüffung oder Dementi beantworten, hätte ich den Beweis, dass er zuvor etwas anderes gesagt hatte.

Abgefasst war das Mail im bürokratischen Ton, der klassischen Sprache der Verschleierung. Es lautete wie folgt:

Sehr geehrter Herr Doktor R.,

wenn ich unsere zwei kurzen Gespräche nach meinen Notizen zusammenfasse, dann wie folgt: Am Montag sagten Sie mir, ja, ein Verfahren laufe. Sie hätten einen Anwalt eingeschaltet und arbeiteten eng mit den Behörden zusammen. Sie seinen in den Fall aber persönlich nicht involviert. Deshalb solle man über alle Details mit Herrn E. sprechen.

Am Dienstag präzisierten Sie noch einmal, dass sie persönlich nie mit dem Fall zu tun gehabt hätten: Zu diesem Thema seien nur Herrn E.s Aussagen gültig.

Ich tippe, der letzte Satz ist Ihnen der Wichtigste. Ist das das korrekt?

Worauf Dr. R. erleichtert zurückschrieb: Ja, das sei der wichtige Satz. Sein Vize, Herr E., sei mit dieser Angelegenheit betraut. Alles andere falle nicht in seine Kompetenz.

So hatte ich meinen Beweis. Ich war wirklich stolz auf mich.

Wie nach vielen Recherchen, bei denen man Blut schwitzt, blieb auch der daraus entstandene Artikel völlig ohne Echo. Nichts passierte. Keine Anwälte, keine Folgeartikel, nicht einmal Leserbriefe.

Und sonst? Takafumi Horie wurde als einer der wenigen bei Kursmanipulationen ertappten japanischen Manager zu 2 1/2 Jahren Gefängnis verurteilt. Wie man sagte, bestand sein wirkliches Verbrechen nicht in den Manipulationen selbst, sondern dass er dabei T-Shirts getragen hatte. Das japanische Parlament gab eine Insidergesetzgebung in Auftrag. Das Gesetz brauchte sechs Jahre bis zu seiner Verabschiedung und ist vollkommen zahnlos. Zwei Jahre nach dem Artikel rief eine österreichische Journalistin an und sagte, dass die Tarnfirma, durch die Horie sein Geld geschleust hatte, auch in den Akten im Skandal um die Hypo-Alpe-Adria-Bank auftauchte. Ich wickelte gerade das Baby und sagte, sie solle in einer Stunde zurück rufen.

Sie tat es nie.

 

 


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8 Kommentare zu “Der Chef und sein Vize”

  1. Robert Franz Reichmuth sagt:

    Beim genüsslichen (schon wieder!) Lesen der “Seibt’schen Idee” stosse ich im zweitletzten Satz auf den Namen – “Hypo-Alpe-Adria-Bank” – und den Begriff “Skandal”. In den Untiefen meines Un(ge)wissens zuckt irgendeine meiner schwindsüchtigen Synapsen.
    .
    Alle Göttinnen und Götter mögen mir gnädig sein – stiess man damals in Zusammenhang mit dieser, auch von “DER ZEIT” so betitelte, Skandalbank – nicht auch auf den Namen unserer ehrwürdigen, leider staatlich arg verunsicherten, verebnerten und verblocherten – ZKB?
    .
    Ich habe gerade “kein Baby zu wickeln”. Umso mehr danke für DIE IDEE …

  2. Adriano Granello sagt:

    So muss es gewesen sein:
    X ist zu 100% Eigentümer einer Firma (eigenfinanziert). Dann verpfändet er seine Beteiligung der Bank und erhält einen Kredit. Mit diesem Kredit kauft X über Umwege eine weitere Firma (fremdfinanziert). Die Bank weiss allerdings nicht, dass dieses weitere Unternehmen von ihr selbst finanziert wurde und akzeptiert die Aktien der neuen Firma als Sicherheit für einen zusätzlichen Kredit. Mit diesem Kredit kauft X ein weiteres Unternehmen…
    .
    Müsste da nicht in erster LInie die Kredit gebende Bank wegen Verletzung aller Sorgfaltspflichten vor dem Richter antreten?

    • Adriano Granello sagt:

      Das Thema von Chefs und Vizechefs scheint auch diesmal niemanden wirklich zu interessieren, schon gar nicht, wenn die Story im fernen Japan und im Aargau spielt. Wirtschaft ist mehrheitlich eine trockene Angelegenheit, das Volk liebt Themen, wo Flüssigkeiten fliessen (vom Frucht- bis zum Leichenwasser das ganze Spektrum).
      .
      Und was mir auch noch so in den Sinn kam, als ich mir diese Gedanken machte: Journalisten brauchen gewiss ein gewaltiges Potential an Selbstmotivation, ist es nicht gar wie bei Sisyphos, kaum ist ein Bericht geschrieben, rollt er zu Tale und ein nächster, neuer muss her!

      • Hansueli Koch sagt:

        @A Granello: Ganz interessant Ihre Säfte-Hypothese, man müsste sie mal wissenschaftlich überprüfen (und zwar nicht nur durch Germanisten). Vielleicht erlebt ja wegen dieses Hintergrunds die alte medizinisch-philosophische Säftelehre immer mal wieder einen (wissenschaftlich unbegründeten) Hype?!

        🙂

        • Adriano Granello sagt:

          @H.U. Koch: Noch vor den Säften dachte ich an den Fluss, und da ganz besonders an den Geld-Fluss aus der Sicht des eigenen Portemonnaies 😉

  3. Katharina sagt:

    Statt hier auf Wisecrack zu machen und allerlei Tricks, um selber auf die Schultern klopfen, zu präsentieren, welche übrigens Ihren Beruf in übelster Weise diskreditieren, sollten Sie vielleicht das wesentliche ansprechen: nämlich die Manipulation und Zensur in diesem Haus, um die Meinung zu beeinflussen. Alles interne Faktoren.

  4. Gloria sagt:

    Ach, Herr Seibt… Ich fürchte, ich bin mit Katharina teilweise einer Meinung – aber nur teilweise. Siehe auch meine Kommentare unter: Der Ein-Wochen-Chefredaktor. 🙂 Und warum “passieren Ihnen” die Ideen so selten?

  5. visu sagt:

    _das_ Mail? Seit wann?