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Kurt Felix, die Pudelfrisur, ein Jahresgehalt und andere bösartige Nebeneffekte

Constantin Seibt am Freitag den 15. März 2013

 

In meinem Nachruf zum Showmaster Kurt Felix schrieb ich letztes Jahr, dass ich in nur zwei Begegnungen gleich drei Dinge von ihm lernte: Beim ersten Mal etwas über Interviews und Macht. Und beim zweiten Mal das Fürchten.

Jedenfalls kostete das Ganze meine Familie wahrscheinlich ein paar Hunderttausend Franken.

Es begann mit einem grossen Foto von mir in der «Schweizer Illustrierten» im Januar 1998. Das Foto zeigte mich mit einer peinlichen Pudelfrisur. Die Schlagzeile darüber lautete: «Ethisch und moralisch verwerflich».

Das war auf Kurt Felix’ Fernsehkritik-Seite. Sie begann:

Ursula Hürzeler hat am letzten Dienstag in «10 vor 10» die Horrormeldung verlesen, dass in Algerien wieder Hunderte von Menschen massakriert wurden. Kehlen durchgeschnitten. Köpfe abgetrennt. Bäuche aufgeschlitzt. Der blanke Hass.

Hass dann auch in der nachfolgenden Sendung, dem «Zischtigsclub». Hass, verbreitet von Diskussionsteilnehmer Constantin Seibt. Nach einer polemischen Hasstirade gegen Schweizer Wirtschaftsführer und Banker griff er zum ideologischen Vorschlaghammer: «Ich hasse Leute mit positiver Lebenseinstellung. (…) Diese ganzen verdammten Affen (gemeint sind die Fernsehzuschauer). (…) Mein Ziel ist, im Lehnstuhl zu sitzen in einem Garten mit ein paar Bäumen. Vielleicht würde in einem der Bäume Herr Cabiallavetta an einem Seil hängen.»

Was war passiert?

Zunächst ein ziemliches Desaster. Ich hatte, nachdem ich ein paar Jahre in der WoZ eine Punk-Kolumne über Politik geschrieben hatte, eine Einladung ins Fernsehen erhalten: in eine typische Januarloch-Debatte über Schweizer Humor.

Wie der Teufel wollte, kollidierte das Datum der Sendung mit den Abgabeterminen von drei Artikeln. Ich arbeitete zwei Nächte durch. Als ich fertig war, blieben noch drei Stunden bis zum Start. Mir blieb nur die Entscheidung zwischen zwei Stunden Schlaf und einem Haarschnitt. Ich entschied mich für letzteren und hoffte auf ein paar Minuten Dösen bei Coiffeur. Unglücklicherweise sprach die Dame im Salon nur Spanisch. Weiss Gott, was ich ihr sagte. Weiss Gott, was sie verstand. Ich schloss die Augen. Als sie wieder aufmachte, hatte ich  den Kopf kurz rasiert mit einem grossen Stück Flausch obendrauf. Die Pudelfrisur.

Im Bus zum Fernsehstudio fühle ich mich wie eine Flüssigkeit. Dort traf ich auf die anderen Gäste. Darunter waren der Komiker Peach Weber, ein sehr nervöser Bestsellerautor Charles Levinsky und ein furchtbarer Unterhaltungsglatzkopf namens Hans Gmür. In der Aufwärmrunde hätte man mir die Zähne mit einem Messer aufhebeln können. Ich war zu müde für jeden Satz.

In der Sendung verhaspelte ich mich bei der Einstiegsfrage, wer ich sei. Dann passierte etwas Schreckliches: Mein Sportsgeist erwachte. Ich entdeckte, dass eine Talk-Runde wie American Football war. Wer den Ball hatte, redete, bis er von den Beinen geholt wurde. Meine Technik war, ganz weit draussen auszuholen, so dass niemand wissen konnte, wovon ich sprach, bis ich zum Ende gekommen war. Ich warf mir quasi selber einen 30-Meter-Pass.

Das tat ich auch bei dem, was dann als Mordaufruf in der Zeitung stand. Wenn ich mich richtig erinnere, sollte ich auf die Frage antworten, ob ich den Schweizer Humor zu harmlos finde. Nach meiner Erinnerung sagte ich:

Überhaupt nicht. Denn Satire ist pubertär. All diese Gemeinheiten gegen Politiker, Prominente, Wirtschaftsführer, das ist doch kein Beruf für erwachsene Menschen. Mein Ziel ist, ein weiser Mensch zu werden. Wenn ich alt bin, dann will ich ein Haus im Grünen haben, dort auf der Veranda sitzen,  einen Enkel auf den Knien schaukeln, Gitarre spielen und in den Garten hinaussehen – und wenn dann dort an einem Baum noch der Chef der UBS, Herr Cabiavalletta, an einem Seil hängt, will ich zufrieden sein.

Ich fand das ziemlich lustig: eine nette Parodie auf die Satiriker mit ihrem Verfolgerwahn. Es war auch die einzige Aussage in der Sendung, die ich vorbereitet hatte. Die Pointe hatte ich bei Heinrich Heine geklaut, der dasselbe eleganter sagte:

Friedliche Gesinnung. Wünsche: bescheidene Hütte, Strohdach, aber gutes Bett, gutes Essen, Milch und Butter, sehr frisch, vor dem Fenster Blumen, vor der Türe einige schöne Bäume, und wenn der liebe Gott mich ganz glücklich machen will, läßt er mir die Freude erleben, daß an diesen Bäumen etwa sechs bis sieben meiner Feinde aufgehängt werden.

Kurt Felix verstand jedoch keinen Spass. Er empfahl dem UBS-Chef, vor Gericht zu gehen:

Strafrechtlich ist der Tatbestand der Ehrverletzung zu prüfen. Zivilrechtlich steht eine Persönlichkeitsverletzung in Frage. Wie nun Matthis Cabiallavetta auf diese menschenverachtende Verunglimpfung reagiert, weiss ich nicht. Die Chancen, einen Prozess in dieser Angelegenheit zu gewinnen, wären gross.

Wahrscheinlich erfährt Herr Cabiallavetta durch diese Kolumne zum ersten Mal, dass ihm jemand den gewaltsamen Tod wünscht. Niemand im Talk-Club hat nämlich aufgemuckt und gegen die perfide Ungeheuerlichkeit protestiert. Die Moderatorin hätte den selbsternannten Satiriker Seibt unmissverständlich aus dem Studio weisen müssen.

Als ich die «Schweizer Illustrierte» zum ersten Mal las, knirschte ich anerkennend mit den Zähnen. Das hatte ich dem Samstagabendsoftie Kurt Felix nicht zugetraut. Es war eine ziemlich gekonnte Verdrehung meiner Worte. Plus eine entschlossene Denunziation. Doch richtig übel konnte ich sie ihm nicht nehmen. Wir hatten verschiedene Ästhetiken. Er war für das Positive. Ich nicht. Und wie ich aus der Literaturgeschichte wusste: Verschiedene Ästhetiken, darauf stand Todfeindschaft. Kein Wunder, ging er mit der Schrotflinte los. Das einzige, was ich wirklich einzuwenden hatte, war, dass Hass hier nicht mein Problem war. Sondern seins.

Sonst ärgerte mich vor allem die Doppelung im Titel: «Ethisch und moralisch» – ging es noch hochtrabender? Und dann, dass er mich «selbsternannter Satiriker» nannte. Erstens hatte ich mich nie so genannt. Und zweitens, selbst wenn, wie sonst sollte man Satiriker werden – durch ein Diplom?

Das wäre es eigentlich gewesen. Ich hatte mich am Fernsehen blamiert, er hatte mir eins auf den Pelz gebrannt.

Es war es aber nicht. Als ich meine Mutter am Wochenende besuchte, hatte sie von ihren Freundinnen bereits einen ganzen Stapel von sechs oder sieben «Schweizer Illustrierten» erhalten. Sie fragte mich, ob wir jetzt das Land verlassen müssten.

Wirklich gefährlich wurde es zwei Wochen später, als mein Bruder mir sagte, dass mein Vater, ein selbstständiger Unternehmensberater, einen fast unterschriebenen Vertrag mit einer Bank verloren hatte.

Ich nahm meinen Mut zusammen und besuchte sein Büro.

«Sag mal», sagte ich, «der Auftrag von der XY-Bank…»

«Mmmh», sagte mein Vater.

«Alexander sagt, die Sache sei unterschriftsreif gewesen und jetzt hast du…»

«Habe nichts mehr von ihnen gehört», sagte er.

«Geht es um viel Geld?»

Mein Vater zuckte die Schultern. «Um ein Jahresgehalt. Oder eineinhalb.»

Ich wusste, dass er lang um den Auftrag gekämpft hatte. Mir wurde schlecht.

«Hör mal», sagte mein Vater, «es ist verdammt viel Geld. Aber wenn sie mir den Job tatsächlich nicht gegeben haben wegen dem, was du gesagt hast, dann zur Hölle mit ihnen. Die Summe ist es mir wert, dass mein Sohn seine Meinung sagen kann.»

Ich ging, ziemlich beeindruckt von meinem Vater. Nur wäre ich wesentlich glücklicher gewesen, wenn es sich überhaupt um meine Meinung gehandelt hätte. Und nicht um die von Kurt Felix.

Zuhause versank ich in Finsternis und kam auf vier Punkte:

  1. In der Öffentlichkeit scheitert man meistens wie bei Al Capone, der nicht wegen Mord, sondern wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde. Man wird selten wegen seiner wirklichen Kühnheiten gehängt, sondern wegen irgendwelcher Nebenbemerkungen. (Das deshalb, weil man bei seinen Kühnheiten aufpasst, bei den Nebenbemerkungen aber nicht.)
  2. Man sollte nur in Medien etwas riskieren, von denen man was versteht. Ich musste die Finger vom Fernsehen lassen.
  3. Ich nahm mir vor, als Reporter künftig bei Auslassungen (…) fair zu sein. Oder es zumindest zu versuchen.
  4. Zuvor hatte ich sehr über gefallene Manager und Politiker gespottet, wenn sie auf die Frage, wie es ihnen geht, mit dem Satz antworteten: «Ich kann mit den Vorwürfen leben, aber meine Familie leidet.» Als ob sie ihre Gefühle an Frau und Kinder delegiert hätten. Heute spotte ich milder darüber.

Einen Monat nach der Sendung kam eine handgeschriebene Karte der Moderatorin per Post. Sie schrieb, ich hätte die Zuschauer polarisiert, und das sei auch gut so, denn genau aus diesem Grund sei ich auch eingeladen worden. Die Karte endete mit dem Satz: «Ich wünsche Ihnen alles Gute auf Ihrem weiteren Lebensweg.»

Jedenfalls hoffe ich, dass ich dabei Kurt Felix so schnell nicht wieder begegne. Denn dann bin ich auch tot.

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20 Kommentare zu “Kurt Felix, die Pudelfrisur, ein Jahresgehalt und andere bösartige Nebeneffekte”

  1. Hans Kohler sagt:

    Wundervoll. Dieser unterhaltsame Artikel hat meinen Tageseinstieg verschönert. Ich denke, heute würden solch pointierte Äusserungen kaum mehr wahrgenommen. Die Beiträge in den Foren sind mittlerweile weitaus kontroverser. Die Zeiten ändern sich …

  2. Hans Petersen sagt:

    Sehr geehrter Herr Seibt, ich mag mich erinnern, dass der letzte zur Veröffentlichung geplante Artikel noch nicht genug gereift gewesen war, um ihn zu veröffentlichen. Handelte es sich dabei um den vorliegenden Artikel? Besten Dank und freundliche Grüsse, H. Petersen

    • Constantin Seibt sagt:

      Nein, da gibt es noch ganz andere Trümmer, warzig, hässlich, augenlos, so wie das Gewürm, das zu Recht unter der Erde lebt.

  3. tommaso sagt:

    Schweizer Promis sind allesamt Mimosen. In Deutschland oder noch viel mehr in Österreich wird ganz anders ausgeteilt.

  4. Den mir als Deutschem völlig unbekannten Knut Felix würde ich in meinem Sprachgebrauch vermutlich zur Gruppe der leidigen ‘Trikotgeraderücker’ zählen. Gemeint sind jene Ethik-Figuranten, die wie die Jagdhunde ewig hinter einer extra flach gehaltenen Moral herstürmen. Jedweder Humor nimmt bei solchem Anblick die Beine in die Hand und macht, dass er vom Spielfeld kommt. Schließlich könnte eine dazwischen gegrätschte Lebensäußerung ihn – statt einer bloßen gelben Karte – immer gleich eine Klage wegen fluchwürdiger Verstöße gegen deren Sitte und Anstand kosten.

    • Hans sagt:

      Herr Jarchow, erstens heisst der Mann Kurt Felix und zweitens dürfte er als ewiger “Verstehen Sie Spass”-Moderator auch vielen Deutschen bekannt sein.

      • Ach *flache Hand vor den Kopf schlag* – das ist also jener Herr, der vermutlich den Titel der eigenen Sendung mit einem herzhaften ‘Nein!’ beantworten würde? Nur gut, dass ihn niemand je fragte! Was ‘Knut’ betrifft – betrachten Sie die Anordnung der Tasten auf der Tastatur und sinnieren Sie …

        • Hans Peter Krähenbühl sagt:

          Ich war damals mehrere Male Statist in Sendungen des Herrn Felix im Schweizer Fernsehen. Wer dort arrogant mit den “Hilfstruppen” umgegangen ist und wer bei ihn betreffenden Spässchen beleidigt oder sauer reagiert hat, liegt wohl klar auf der Hand.
          Nein, dieser Mann hat mich weder vor, noch besonders hinter der Kamera beeindruckt, weil er eben dahinter den (schl)echten KF zeigen konnte.

  5. Constantin Seibt sagt:

    Eben, die lauern in der Öffentlichkeit wie Krokodile in Sümpfen. Da muss man schnell genug sein, sonst passiert, was man aus dem Tierfilm kennt.

    • Hansueli Koch sagt:

      Kryptisch, kryptisch – worauf beziehen Sie sich? Oder: Wer oder was lauert in der Öffentlichkeit? Vielen Dank für die Aufklärung.

      • Constantin Seibt sagt:

        So eine Art Türsteher der Moral, die bereit sind, dich bei der ersten, besten Übertretung der Vorschriften zu packen und zu beuteln, falls du ihn nicht elegant oder fundiert genug gemacht hast. (Wobei ich meine, dass man als Profi dann zurecht gebeutelt wird – es gehört zum Handwerk, sich bei riskanten Unternehmungen nicht erwischen zu lassen. Man sollte sich nicht beklagen. Nur sympathischer macht das die Türsteher auch nicht.)

  6. Peter Meier sagt:

    Sie sprachen damals von einem der am Seil hing. Ist aus heutiger Sicht völlig unmöglich. Bei 68 Milliarden, die der Bundesrat in einer unprotokollierten Sitzung vor Jahren unserer Hausbank “schenkte” – um Unruhen zu vermeiden. Nein, da ist ein Wald mit Hanfseilen. Sie hätten von einem Urwald sprechen sollen…

  7. Christian d'Heureuse sagt:

    Hat denn die Vorstellung des am Baum aufgehängten UBS-Chefs nichts mit Hass zu zun, wenn sie im Kontext der Satire geschildert wird?

    • Constantin Seibt sagt:

      Nope. Wenn Sie die Konstruktion des Scherzes ansehen ist er a) ein wenig zu verwickelt und eine Menge zu verspielt für Hass. Und b) macht er sich primär über den Job des Redenden selbst als bösartiger Kolumnist lustig. Würde ich Herrn Cabiallavetta hassen, würde ich weit direktere Formulierungen benutzen. Und nicht nicht so übertriebene. In diesem Fall ist der Name nur Spielmaterial.

    • Ludwig Börne schrieb einst (‘Briefe aus Paris’), dass es in Deutschland nicht besser werden könne, bevor nicht einige hundert Professoren von den Alleebäumen hingen. Dieses Bonmot wird gern zitiert, es ist ja schließlich ‘historisch’. Dabei kannte der Börne unsere Kultur unvermeidlicher Öchsperten und all der anderen Talkshow-Möbel doch noch gar nicht …

  8. Fasler Zeitung sagt:

    Hier wird alles gesagt, was es über Kurt Felix zu sagen gibt:
    http://www.youtube.com/watch?v=GLllrv4HgNk

  9. Andrea Glauser sagt:

    Der Stil dieses Artikel erinnert rundum an Ephraim Kishon.Und nein, das ist nicht etwa als Kompliment zu verstehen.