Heute wird Kurt Felix begraben. Ich werde nicht hingehen, denn heute ist auch die Vernissage des Buchs von meinem Vater, meinem Bruder und mir. So ist das Leben – hier der Tod, dort die Geburt, dazwischen kollidieren Termine.
Kurt Felix habe ich am TV kaum je gesehen. Und persönlich nie. Umso überraschender war, dass die zwei einzigen Fernbegegnungen beide unvergesslich verliefen.
Beim ersten Mal wurde mir Sex mit seiner Frau Paola in Aussicht gestellt. Und beim zweiten Mal fragte meine Mutter danach, ob unsere Familie jetzt das Land verlassen müsse.
Ich kann nicht leugnen, von Kurt Felix viel über Medien gelernt zu haben. Erst lernte ich etwas über Interviewtechnik. Dann etwas über Macht. Und schliesslich das Fürchten.
Die dümmste Frage der Welt
St. Gallen, 1987. Irgendjemand ganz oben im Verlag hatte den Befehl gegeben, Kurt Felix zu interviewen. Niemand wollte es tun. Also sickerte der Befehl der Hierarchie entlang abwärts und landete schliesslich ganz unten. Und zwar bei mir. Denn ich war der letzte in der Hackordung: 21 Jahre alt und für zwei Monate Frühlingsferien-Volontär im «St. Galler Tagblatt».
Mein erstes Problem war, dass ich noch nie jemanden interviewt hatte. Mein zweites Problem, dass ich Kurt Felix fast nie am Fernsehen gesehen hatte. Geschweige denn seine aktuelle Sendung, den «Supertreffer».
«Mach dir keine Sorgen», sagte der Redakteur. «Der Felix redet wie ein Buch.»
Und so war es auch. Felix rief aus Stuttgart an. Auf meinem Block standen nur wenige dürre Fragen. Aber Felix brauchte sie nicht. Er redete zwei Stunden fast ohne Pause, hochkonzentriert und hingerissen von den Gesetzen der Samstagabendshow. Er erklärte sie in allen Details. Ich war zunehmend betäubt.
Und plötzlich, nach eineinhalb Stunden zuhören, stellte ich ihm die dümmste Frage, die ich je jemandem gestellt hatte.
«Glauben Sie, dass das, was Sie machen, die Welt besser macht?»
Kurt Felix schwieg zum ersten Mal und ich verschmolz aus Scham vor meiner Plattheit mit dem Boden.
Dann sagte er: «Ja, genau so ist es! Denn das ist, was ich auch immer denke. Man muss den Leuten auch die positiven Lebensinhalte vermitteln! Ich bin da fast missionarisch!»
Und mit plötzlich aufflackerndem Zorn in der Stimme fuhr er fort:
Leider wird die ganze Arbeit durch die brutalen Bilder, die in der Tagesschau gezeigt werden, wieder kaputt gemacht. Ich will das nicht kritisieren. Sicher sind das auch wichtige Bilder. Aber es gibt auch eine positive Wirklichkeit! Und ich sorge für ein garantiert positives, sicheres, freundliches Fernsehereignis, bei dem es für jeden Rosinen zum Herauspicken gibt.
Ich war schlagartig wach. Plötzlich wusste ich, wer Kurt Felix in seinem Herzen war. Kein Entertainer. Sondern ein Mann auf einem Kreuzzug.
Ich verbrachte eine schlaflose Nacht mit dem Tonband: Abtippen, kürzen, abtippen, wieder kürzen. Zum ersten Mal packte mich die Faszination des Journalisten, einen vollkommen fremdartigen Menschen Wort für Wort beim Schreiben kennen zu lernen. Eine Nacht lang schien mir Kurt Felix nah wie ein Bruder. Ein Kontrollmensch, der alles in ein auf Sekunden berechnetes Korsett zwang: Gespräche, Musik, ja selbst seine sorgfältig inszenierten Überraschungen. Und bei dem auftretende Kinder, Hunde, die eigene Frau, sämtliche Gags und Gäste, sogar er selber nur Rädchen waren in einem wahnwitzigen Ingenieurprojekt: in einer 90 Minuten lang drehenden Spieluhr des Heils.
Als der Morgen dämmerte, hatte ich ein ziemlich gutes Interview. Und etwas für mein ganzes Berufsleben gelernt: Die dümmsten Fragen sind manchmal die besten. Als Profi kannst nie naiv genug sein.
Doch das war nur der Anfang.
Im Bett mit Paola
Tags darauf rief mich die Sekretärin an. Kurt Felix hätte das Interview gelesen und würde Paola am Nachmittag vorbei schicken, um mit mir über die Korrekturen zu verhandeln.
An diesem Tag arbeitete ich im Sportressort. Der Sportchef schenkte mir ein breites Haifischächeln: «Weisst du, was jetzt passiert?», fragte er. Und sagte: «Paola wird mit dir in ein Einzelbüro gehen. Dann wird sie dich ganz lang ansehen. Und dann legt sie die Hand auf deine Schenkel. Und dann redet sie mit dir, was sie im Text haben will, während …»
Ich räusperte mich nervös. Nicht, weil ich ihm glaubte. Sondern, weil ich mir vornahm, mein Interview mit allen Mitteln zu verteidigen. Ich wusste, es war gut.
Kurz nach zwei Uhr rief die Sekretärin am Empfang an: Paola sei eingetroffen. Ich hetzte die Treppe vier Stockwerke herunter. Aber Paola war schon weg. Sie hatte direkt den Lift in den fünften Stock genommen: in die Chefredaktion.
Ich hetzte die Treppen zurück ins Sportbüro. Dort wartete ich. Paola kam hinein, den Chefredaktor hinter sich. Der Chefredaktor trug einen grau schimmernden Anzug. Er blieb in der Tür stehen, und lehnte sich in den Rahmen, elegant wie ein sehr teurer Auftragskiller.
Paola schritt lächelnd auf mich zu, Papier in der Hand. «Wir haben ein paar Korrekturen gemacht.»
«Aber …», sagte ich.
«Ich denke doch, Sie werden die alle übernehmen», sagte Paola, nicht zu mir, sondern über die Schulter Richtung Chefredakteur.
Der Chefredaktor lächelte ein unergründliches Lächeln.
Paola gab mir die Hand und ging. Ich sah auf die Papiere. Es gab nur kleine Korrekturen. Ausser in dem Teil, wo es um Kurt Felix’ Mission ging. Hier waren sämtliche Fragen komplett gestrichen.
Die dritte Lektion von Kurt Felix lernte ich viele Jahre später. Sie kostete meine Familie ein Jahreseinkommen. Wie es dazu kam, ist eine längere Geschichte. Sie lesen sie eines Morgens hier. Falls Sie weiter diesen Blog lesen.
Heute, am Tag der offiziellen Abdankung, nur so viel: Leb wohl, Kurt Felix. Möge die Erde Dir leicht sein.
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Upps … wer die Macht hat …
«Glauben Sie, dass das, was Sie machen, die Welt besser macht?»
Das ist nicht “die dümmste Frage”, sondern in etwa die einzig wichtige Frage überhaupt. Man sollte sie sich täglich selbst stellen!
Glaubt denn Herr Seibt selber, dass das, was er macht, die Welt besser macht?
Etwas schöner und klarer, zuweilen. Aber nicht viel besser, nein.
«Heute wird Kurt Felix begraben.» Sie scheinen ja richtig gut informiert zu sein! http://www.blick.ch/people-tv/schweiz/hier-ruht-kurt-felix-id1895651.html
hmm…, wurde aber auch verdammt noch mal zeit! seit “dallas” nicht mehr läuft, ist die kunst des “cliff hangers” zu einer pseudo-dramatischen stimme aus dem off am ende von “desperate housewifes” verkommen. felixens oder die ewings ist ja wurscht – hauptsache: glamour, spiele, sex, intrigen, tod und millionen (jahressalär), die den bach runter gingen – ich halts kaum aus vor spannung.
grmpfl…, den Cliffhanger klassischer Prägung gibt’s seit 1985 jeweils sonntags Abend vor dem Weltspiegel in der ARD.
das Buch von meinem Vater. Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod..
Ja, Bitta, der Seibt ist zwar ein guter Prosa-Drechsler, hat aber nie behauptet, ein ebensolcher Grammatikalist zu sein. Ich behaupte mal — auch auf Grund meiner Korrektorenerfahrung –, seit der Festsetzung der aktuellen Rechtschreibereform interessiert das auch niemanden mehr besonders.
Und damit wir uns recht verstehen, für die gedruckte Version seiner Beiträge (wie auch derer aller andern Journis) würde ich zwingend auf eine(r) Korrektur (vorab natürlich!) bestehen, online ist es aber mit Ausnahme von Namen u.ä. egal — ich weiss nicht, warum, aber mein Sprachgefühl flüstert mir das zu.
Jetzt hab ich geguckt, wo der Fehler geschehen ist, und muss noch hinzufügen: Laut neuer Rechtschreibg. ist es zwecks Leserlichkeit und Verständlichkeit erlaubt, den zweiten von mehreren aufeinander folgenden Genetiven mit einem von + Dativ zu ersetzen, zumindest in der Schweiz. D.h., der Seibt hat gar keinen Fehler gemacht, auch wenn die Genitiv-Sequenz uns Sprachverliebten lieber gewesen wäre, nicht wahr, Bitta?
Als Journalist sollte man aber wissen, dass Kurt Felix heute nicht beerdigt wird, sondern lediglich eine Trauerfeier stattfindet.
Sie haben recht. Habe das Wort offiziell im ersten Satz vergessen. Mea culpa.
Und wieso “Leb wohl” im Titel, wenn jemand gestorben ist?
Dass Kurt Felix selber nicht sonderlich viel Spass verstand, wenn der Spass auf seine Kosten ging, konnte frau deutlich sehen in einer Fernsehsendung , als er im Stil von “Verstehen sie Spass” reingelegt wurde- am Zoll. Und den missionarischen Eifer für eine positive Wirklichkeit nehme ich ihm nicht ab. Ich denke eher, es hat ihn gestört, dass er trotz seiner härteren Arbeit nicht so ernst genommen wurde wie die Leute von der Tagesschau. Es schien mir, Kurt Felix wollte in erster Linie ERNST genommen werden, und das ist kein einfaches unterfangen mit einer Sendung wie “Verstehen Sie Spass “.
Später Nachtrag zu diesem Thema, seis drum. Ich möchte richtig wetten, dass jeder Streich, der Herrn Felix selber “mit versteckter Kamera” gespielt wurde, peinlichst genau vorbereitet und inszeniert war. Von ihm uns seinem Team. Freundlich, seriös, präzis. Ob missioniarischer Eifer oder was auch immer: Sein “Werk” war gefragt, er hatte mit seiner Art Erfolg, gönnen wir es ihm und zollen Respekt. Heute ist eh eine andere Zeit, die 70er und 80er und 90er Jahre sind längst vorbei.
Aber in diesem Dilemma sehe ich auch seinen unschätzbaren Wert als Menschen in dieser Gesellschaft. Es wäre sehr wichtig, dass sich die Menschen nicht zu ernst nehmen, dass sie auch über sich Lachen können. Das ist ein grosser wunder Punkt in der Schweiz und wohl auch in Deutschland, die Leute nehmen sich einfach zu ernst, was viele wichtige positive Entwicklungen be- und verhindert. Und Kurt Felix hat sich verdient gemacht darin, diesen wunden Punkt zu bearbeiten. Und in dieser Mission steht er in wesentlicher Ernsthaftigkeit im Gegensatz zum Infotainment der Tagesschau.
Die Tagesschau erscheint ernsthaft, beschränkt sich aber nur auf oberflächliche Information , und “Verstehen Sie Spass” erschien oberflächliche Unterhaltung, vermittelte, BELEHRTE die Menschen aber in einer grossen Kunst: Nimm Dich nicht zu ernst. Und Kurt Felix hat Recht, wenn er dafür Respekt eingefordert hat.;-)
“Er blieb in der Tür stehen, und lehnte sich in den Rahmen, elegant wie ein sehr teurer Auftragskiller.”
Herr Seibt, woher wissen Sie um Himmelswillen, wie ein sehr teurer Auftragskiller ausschaut.:-(
Alles Gute heute für Ihre Buchpräsentation. 🙂
Und, wurden die gestrichenen Fragen publiziert oder haben Sie klein beigegeben?
Nun. Die Machtverhältnisse waren klar. Aber ich habe das ursprüngliche Interview zu meiner Überraschung in den Papierstössen im Keller gefunden.
Tja, so läuft das wenn man einen Auftragskiller als Chefredaktor hat. Immer schön den Ball flach halten, sonst wirds finster.
Wieso haben sie sich denn nicht gewehrt? Oder hat der Interviewte immer das Recht, die Schlussredaktion zu machen?
K. Felix war ein erfolgreicher Entertainer und im Vergleich zu heutigen Big-Brother-Zeit hatte er sicher auch mehr Klasse.Aber macht bitte aus ihm kein Heilige.Er war kein Nelson Mandela oder Gandhi.Heutige Medien machen aus jedem Schauspieler und Entertainer,der stirbt,plötzlich einen Messiah.Es gibt Leute,die jahrzehnte für Freiheit kämpfen und im Gefängnis sterben und man vergisst sie schnell.Wenn Elvis oder Lady Di sterben,wird die Welt mit Bildern bombardiert.Aber eben: Meine Beileidwünsche an Familie von Kurt Felix und alle Familien,die ein Mitglied verloren haben
Gratuiere, Herr Seibt, absolut brillante Story. Hab bis jetzt nie sowas Treffendes zum Thema gelesen. Sagt viel über das Tandem Felix und die Funktionsweise gewisser Medien aus. Ich freue mich auf Ihr Buch.
Diese Geschichte geht unter die Haut. Stimmt sie? Falls ja, dann frag ich mich immer mehr, für was ich überhaupt noch irgendwo Gebühren, Steuern, Abgaben usw zahle. Wenn das Leben nur eine billig inszenierte Show ist, um die dreckig-primitive Realität zu kaschieren, dann müsste man mit Felix dem Unglücklichen auch die Restwelt bei lebendigem Leibe verbuddeln.
Danke für die Geschichte. Schade nur, dass sie wahrscheinlich stimmt.
PS. Bitte werter Hr. Seibt schieben sie das volle Interview hier ein. Ich will ihren dark room- Keller unbedingt lesen!!!
Ich konnte nie viel anfangen mit Kurt Felix, obwohl ich seine riesigen Verdienste um das Fernsehen voll und ganz respektiere. Doch mit seinem schweizerisch-biederen Saubermann-Image hatte ich meine liebe Mühe.
Das was der Autor hier schreibt, passt in etwa in meine Ansicht über ihn.
Ich wünsche ihm eine gute letzte Reise.
Neid sieht nur das Blumenbeet, aber nie den Spaten.
In einem englischen Magazin gabs mal ein Story “the fall and rise of Tom Jones”. Ueber einen, der als Entertainer auszog, um die Welt zu erobern und erst in hohem Alter plötzlich zu seinem wahren Ich zurück findet… eine grossartiges Drama wie aus dem richtigen Leben und nirgends wahrer als im Entertainment.
Leider fehlt hier in der Schweizer Version der dritte Teil und Journalisten müssen sich nun mal mit Anekdoten begnügen. Aber die sind wenigsten sehr unterhaltsam!
Ich bin gespannt darauf, bald zu lesen, welche Lektion von Kurt Felix die Familie Seibt ein Jahreseinkommen gekostet hat. Lag es am Auftritt vom Constantin Seibt im Club, irgendwann in den 90er Jahren? Wenn ich mich recht erinnere, hat Kurt Felix nicht gefallen, was Constantin Seibt dort über Mathis Cabiallavetta gesagt hat. Dieses Missfallen tat er, soweit ich mich besinne, in der Schweizer Illustrierten kund.
Das mit den dummen Fragen find ich interessant, ich interviewe auch und ich dachte darüber nach. Die “dummen” Fragen sind naiv und die naiven Fragen sind meist ziemlich grundsätzlich und deswegen wohl auch unerwartet. Das Schöne und Schwierige ist, dass man die naiven Fragen nicht wirklich planen kann.