Eigentlich will man als politischer Journalist Wirkung erzielen. Das passiert nur selten. Und wenn, ist es auch kein Vergnügen.
Anfang Februar stimmte die Schweiz über die Initiative gegen Masseneinwanderung ab. Das Ergebnis war knapp: 50,3 Prozent nahmen an. Die Konsequenzen sind aber alles andere als knapp: Statt offener Grenzen zu Europa installiert die Schweiz wieder Kontingente. Wirtschaftlich bedeutet das milliardenteuren Ärger mit der EU. Innenpolitisch triumphiert die harte Rechte. Das Land ist auf Jahre hinaus gelähmt.
Ich fürchte, ich habe als Journalist meinen Beitrag zu diesem Resultat geleistet. Deshalb, weil ich im Zweifel immer eines getan habe: Zweifel zu säen an der Kompetenz der Leute in den Teppichetagen.
Das ist zwar keine schlechte Faustregel. Erstens ist die Kritik der Macht seit jeher der Job der Presse. Zweitens wird tatsächlich viel Unfug geredet und gebaut. Und es ist guter Stil, Unfug Unfug zu nennen.
Und trotzdem, fürchte ich, ist die zuverlässige Lieferung von Kritik eine Haltung, die nicht mehr wirklich zeitgemäss ist. Als ich aufwuchs, herrschte noch Kalter Krieg. Die Welt war in Beton gegossen. Bürgertum, Banken, Armee, die Lehrer in der Kantonsschule schienen für die Ewigkeit gebaut. Wer sich nicht eine Atombombe auf die Schweiz wünschte, hatte kein Herz.
Heute existiert diese Welt nicht mehr. Das Bürgertum ist durch Skandale aufgerieben; die Banker sind reich, aber entehrt; die Armee wird stückweise von Sparprogrammen abgeschafft. Die Politik bietet so gut wie keine Alternativen: Sie wird zur Darstellung von Politik. Kaum eine Autorität, die sich nicht selbst demontiert. Der Wind hat den Beton ersetzt.
Damit hat sich die Lage für den Journalismus geändert. Zweifel säen ist heute ein Geschäft, das nur wenig Mut und Ideen braucht. Thesen, die 2001 noch linksaussen waren – etwa, dass hohe Managersaläre falsche Entscheidungen hervorbringen, dass das Bankgeheimnis ein Auslaufmodell ist, dass das, was für die Wirtschaft gut ist, nicht unbedingt für dich gut sein muss –, sind längst Allgemeinplätze der breiten Mitte.
Nur dass diese Mitte dadurch nicht nach links gerutscht ist. Sondern nach rechts. Es waren die bürgerlichen Banken-, Konzern-, Globalisierungsskeptiker (40 Prozent der Wirtschaftspartei FDP), die der Masseneinwanderungsinitiative zur Mehrheit verhalfen. Sie haben nicht Banken, Konzerne oder Manager reguliert. Sondern die Grenzen für Ausländer geschlossen.
Misstrauen, en gros
Es gibt ein Mass an Misstrauen, das politisch zerstört. Denn jedes soziale Gebilde basiert auf Vertrauen: die Ehe, die Firma, der Staat. Deshalb liegen die Leute auch falsch, die sagen, dass das Schleifen von Regeln automatisch mehr Freiheit bringt. Denn Sicherheit, nicht Unsicherheit, ermöglicht Menschen, mutig zu sein. Freiheit ist im Kern Freiheit von Furcht.
Die Globalisierung hat ideologische und geografische Grenzen niedergerissen, aber auch den Kern aller Sicherheit angegriffen: die Klarheit des Überblicks. Niemand erscheint mehr wirklich kompetent, niemand hat einen Plan. Alle wursteln.
Folge Nummer 1: Respektlosigkeit ist keine Exklusivität von Dandys oder Rebellen mehr, sondern Allerweltsware. Jeder, egal ob Politiker, Professor, Priester, Sportler, Firmenchef, steht unter dem Verdacht, wahlweise Betrüger, Weichbeutel, Schwätzer, Profiteur zu sein.
Folge Nummer 2: Ein einziger grosser Brei aus Verdächtigen entsteht. Die Verantwortung wird verteilt wie ein Stück Butter. Am Ende haben alle fettige Hände. Aber die Butter ist weg.
Folge Nummer 3: Sind die Verantwortlichkeiten unklar, muss von Zeit zu Zeit ein Kopf rollen. Statt etwa die Banken zu regulieren, werden die Bankchefs aus dem Amt gejagt. Sie sterben dann den sozialen Tod. Aber nicht ihre Ideen und Praktiken.
Folge Nummer 4: Alle, nicht zuletzt die Chefs, haben Angst, einen Fehler zu machen. Selbst wer das Sagen hat, sagt nichts. Berater, Anwälte, Presseleute haben blendende Berufsaussichten, grösstenteils, um ihre Klienten durch Langweile abzusichern.
Folge Nummer 5: Das Mittelmass dominiert. Als Schutz. Und dadurch unvermeidlich als Haltung.
Kurz: Misstrauen ist heute keine ausreichende Haltung mehr. Weder politisch noch künstlerisch. Das Problem ist, dass sich die Macht aufgespalten hat: in eine Elite, deren Verdienst nicht auf der Höhe ihres Gehalts ist. Und eine Anti-Elite, die versucht, klein zu machen, was zu kriegen ist. Zwei Lager, zu denen man nicht gehören will.
Wachhunde, im Rudel, im Druck
Wie bei jeder Entwicklung ist die Presse daran nicht schuld. Und nicht unschuldig. Journalisten sind die Wachhunde der Demokratie – ein edler Job. Und ein heikler. Denn auch Wachhunde haben die Instinkte aller Rudeltiere. Wer je in einer Redaktion gearbeitet hat, kennt das belebende Fieber, das ausbricht, wenn irgendein Prominenter angeschossen ist. Alle sind plötzlich sehr wach, fröhlich, und tatendurstig.
Das Belebende daran ist, glaube ich: das Gefühl der Macht. Denn in der Regel ist Journalismus deprimierend wirkungslos. Selbst dem cleversten Artikel gelingt es kaum je, die Meinung auch nur eines Lesers zu kehren, geschweige denn die öffentliche Meinung. Aber die Karriere einer einzelnen Person zu beenden, das funktioniert, immer wieder. Köpfe sind einfacher zu ändern als Gehirne.
Das ist nichts Neues. Jörg Fauser beschrieb es 1985 in einem Dialog in seinem Krimi «Das Schlangenmaul». Der Detektiv, ein Ex-Boulevard-Reporter, unterhält sich mit einem Freund:
«Evelyn darf man nicht so ernst nehmen», sagte ich, «Sie glaubt immer noch, dass Journalismus aus Fragen und Antworten besteht.»
«Und woraus besteht er deiner Ansicht nach?»
«Wenn einer hinfällt, ihm in die Fresse treten», sagte ich und trank meinen Jasmintee aus.
So läuft das Spiel seit Erfindung der Rotationsdruckmaschine, vor allem im Boulevard. Neu ist, dass es heute mit fast der gleichen Wucht in der seriösen Presse läuft. Die Gründe dafür sind die Sparprogramme, die Leser, die gesteigerte Geschwindigkeit:
- Je schmaler die Redaktion, je höher das Tempo, desto stärker konzentriert sich die Redaktion auf die kleinen Geschichten. Grosse Skandale sind oft komplex, juristisch wie als Geschichte: etwa Steuergesetze, die den Konzernen Milliarden bringen. Kleine Storys, etwa eine 1000-Franken-Spesenrechnung eines Abgeordneten, ein dummer Nebensatz oder eine schwarz arbeitende Putzfrau sind dagegen klare, überschaubare Geschichten.
- Moral ist eine günstig produzierbare Ware. Sie ist jederzeit herstellbar. Kein Wunder, werden täglich Zeigefinger geschwenkt, wenn man schon an jeder Hand einen hat.
- Ein Jahrzehnt Online-Kommentare haben die Redaktionen – Print wie Online – nicht unberührt gelassen. Und das lauteste Echo liefern vor allem die Empörten. Auch wenn diese oft verachtet werden, ihr Echo ist die stärkste Reaktion auf den Journalismus. Und hat dadurch auf die Strategie der Zeitungen zurückgewirkt. So sucht man in der Redaktionskonferenz täglich den «Aufreger».
- Es gibt – nicht zuletzt bei von Oligarchen gekauften Blättern – das Fox-News-Prinzip: Aus einer Ecke zu schiessen. Meist gegen den sogenannten Mainstream. Mit dem Ziel, egal welches Thema – Folter, Rechtsstaat, Klimaerwärmung – als «umstritten» zu zeichnen: als Widerstreit zweier Meinungen.
- Dasselbe passiert auch in neutralen Blättern: Nur dass die Redaktion hier widersprechende Meinungen besorgt. Und die Schaukämpfe so inszeniert, als sei Meinung eine teure Ware. Obwohl sie so billig herstellbar ist wie Moral.
Kurz, bei der Optimierung von Produktion und Wirkung gilt das Rezept: Als gute Ware gilt schlechte Laune.
Deine Mutter, unter Schmerzen
Das Problem mit diesem Modell ist: Es ist zwar in der Herstellung billig, aber wir können es uns nicht leisten:
- Weil wir das falsche Publikum anziehen. Auf Websites gilt die Faustregel: Zehn Prozent der Leute generieren 90 Prozent der Klicks. Genannt werden diese «heavy users» oder manchmal: die Infoelite. Ich bezweifle Letzteres. Leute, die manisch auf News-Websites gehen, sind grösstenteils sicher keine glücklichen Leute, erfüllt in Privat- und Berufsleben: Es sind Verlierer. (Ich gehöre dazu, an meinen Verlierertagen.) Und die empörten Kommentarschreiber sind zu weiten Teilen Menschen, die sich ewig für übervorteilt halten. Das ist kein Club, zu dem irgendjemand von Gelassenheit oder Verstand dazugehören will. Und einen Hauch Clubatmosphäre brauchen wir, wenn wir Abonnenten wollen, da ein Abonnement heute keine Routineangelegenheit mehr ist, sondern ein Bekenntnis.
- Weil wir im grossen Stil die Wirklichkeit verzerren. In der Debatte zum deutschen Wahlkampf wurden zentral Themen besprochen wie: Autobahngebühren für Ausländer, die Haltung der Grünen zu Pädophilen in den 80er-Jahren, ein Vegetariertag, Steinbrücks Zeigefinger oder eine Koalition Linkspartei-SPD. Nur am Rand ging es um Eurokrise, Überwachung, die digitale Revolution oder die neue Rolle Deutschlands als dominierendes Land in Europa. Das heisst: Auch wenn alle Artikel akkurat waren, in ihrer Summe waren sie es nicht. Die kleinen Geschichten wurden gemacht, nicht die grossen. Und das spüren die Leser – Vertrauen verliert ein Medium weniger durch einzelne Fehler, sondern durch kontinuierliche Irrelevanz. Nur sehr einsame Leute bezahlen Tag für Tag dafür, dass ein Schwätzer sie besucht.
- Weil wir unser Leben verschwenden. Die Herstellung von Unfug ist fast genauso anstrengend wie die Herstellung von vernünftigem Zeug. Als Journalist verbringt man sein Leben so und so im Job. Und man wurde nicht von seiner Mutter unter Schmerzen geboren, um lebenslang Nippsachen zu produzieren – und nicht einmal solche, die Spass machen.
Haltung, eine Chefsache
Natürlich sind die einzelnen Artikel die Verantwortung ihres Autors. Also eine Frage von individuellem Können und Integrität. Doch ihre Summe ist das nicht.
Das Problem der Zeitungen – knappe Ressourcen, hohes Tempo – ist kein moralisches, sondern ein Management-Problem. Die meisten Zeitungen sind miserabel gemanagt. Das nicht zuletzt deshalb, weil in den Verlagen die Meinung herrscht, Journalismus sei ein People-Business. Wie ein Verleger an einem Kongress sagte: «Beim Zeitungsmachen geht es ja immer nur um dasselbe: Man muss ein paar wirklich gute Journalisten einstellen. Punkt.»
Doch das ist Unfug – so wie ein zusammengewürfeltes Star-Ensemble im Fussball. Und je weniger Geld da ist, desto teurer wird es, eine Zeitung nicht als Mannschaft zu verstehen. Der Grund: Eine Zeitung ist eine Routinemaschine. Täglich fallen in ihr Hunderte Entscheidungen. Da diese niemand kontrollieren kann, fallen sie fast alle dezentral und automatisch, ohne grosse Frage. Doch beim Sparen wird die austarierte Maschine verletzt. Sie versucht instinktiv mit weniger Ressourcen dasselbe Produkt wie zuvor zu machen.
Doch das ist ein tödlicher Fehler. Denn Zeitungen sterben schleichend, nicht spektakulär. Es ist nicht so, dass bei Überlastung plötzlich weisse Flecken im Blatt erscheinen. Oder dass der Auslandteil zwei Tage ausfällt. Selbst unter chronischem Stress erscheint das Blatt täglich weiter – nur Schattierung um Schattierung grauer. Stetig eine Spur routinierter, liebloser, weniger klar im Kopf. Eine Zeitung stirbt, indem sie schrumpelt. Und wenn dann ihr Tod verkündet wird, weint niemand um sie: Denn sie war schon seit langem eine Enttäuschung. Der Nachruf ist jedes Mal derselbe: Sicher schade um die Jobs, aber nicht um das Produkt. Das war vielleicht vor Jahren mal gut, aber lange her.
Was aussieht wie ein natürlicher Tod, war Mord. Hauptsächlich dadurch, dass das Management einer Zeitung in Krisenzeiten zwar spart, aber nicht ein neues Produkt denkt. Eines, das zu den Ressourcen passt. Sondern trickst. Plötzlich haben alle möglichen Leute doppelte Funktionen, komplexe Titel, weitere Aufgaben. Der ganze Laden läuft heiss. Das Organigramm wirkt dann wie ein Mensch mit zu kleiner Bettdecke: Sobald ein Körperteil bedeckt ist, liegt ein anderer nackt.
Das Problem dahinter ist eines der Chefs:
- Es wurden keine Prioritäten gesetzt. Keine Inseln des Reichtums geschaffen, keine Aufgaben gekappt. Dadurch läuft die Redaktion im roten Bereich, schlechte Laune herrscht, Leute kündigen, die Zurückgebliebenen arbeiten mehr als vorher, nur weniger erfolgreich: Denn ihr Produkt ist bestenfalls okay, aber nicht gut. Und in der Aufmerksamkeitsökonomie sind die Gesetze grausam: Niemand dankt einem dafür, etwas okay zu machen.
- Im Stress (wie allerdings in den fetten Zeiten zuvor auch) wird Zeit dadurch gespart, indem man die Gespräche minimiert. Kaum eine Zeitung, in der man wirklich miteinander spricht: über Ziele, Stil, Strategie, kurz: die Haltung des Blatts. Das ist ein schlimmer Fehler, gerade in Sparzeiten. Denn eine Haltung zu erarbeiten, ist zwar ein mühsamer, zeitraubender Prozess. Doch sobald man eine hat, wird die Arbeit sehr viel schneller: Alle wissen, was man tut. Und warum. Wohin man will. Und wohin nicht. Haltung ist kein Luxus. Sie ist das Werkzeug, unter Druck stimmige Entscheidungen zu treffen.
Die richtige Haltung zu finden, ist nicht die Frage eines klugen Papiers oder gar eines knappen Befehls. («Ab morgen langweilen wir unsere Leser nicht mehr, Müller 2!») Sondern eines langen, wiederholten, die ganze Mannschaft betreffenden Diskussionsprozesses. Zu sehr einfachen, aber unverzichtbaren Fragen wie:
- Was tun wir genau? Was gut, was schlecht?
- Was davon ist unverzichtbar, was nicht?
- Wohin wollen wir, wohin nicht?
- Was brauchen wir dazu?
- Und – noch wichtiger – was lassen wir weg?
- Und im Alltag: Was gehört zu unserem Stil? Und noch wichtiger: was keinesfalls?
Das Risiko dabei ist, dass derartige Fragen offen gestellt werden müssen. Und dass die Antworten nicht immer angenehm sind. Und so etwas wie Klarheit und Konsens Zeit braucht. Doch führt man die Debatte, hat man danach eine Mannschaft, einen Stil, eine Richtung, kurz: ein Produkt, das lebt, statt nur zu wuchern.
Ein neuer Feind
Interessanterweise haben die Redaktionen intern und im Publikum denselben Feind: die Erschöpfung. Die Erschöpfung einer hart arbeitenden Mittelklasse, die langsam den Verdacht hat, dass auf jede gemachte Arbeit einfach weitere Arbeit folgt. Und die deshalb moralisch ausgelaugt ist: möglichst keine weiteren Ideen, keine neuen Probleme, keine weiteren Leute, keine Experimente, keine neuen Nachrichten.
Das Misstrauen des ausgelaugten Bürgertums richtet sich beileibe nicht nur gegen die Elite der Profiteure. Oder nur gegen Ausländer. Oder Berufsgruppen wie Politiker, Manager oder Journalisten. Es ist ein Misstrauen gegenüber dem Leben selbst.
Es ist das Misstrauen saturierter Leute, die nichts Klares mehr zu gewinnen haben, aber unklar vieles zu verlieren. Und das Misstrauen angestellter Leute, die ahnen, dass sie in etwas geraten sind, worin auch die meisten Redaktionen umgebaut wurden: in eine Tretmühle. Eine Veranstaltung ohne klares Ziel, aber mit drohendem Ende.
Es liegt in der Verantwortung des Managements, hier etwas zu tun. Das Entwickeln von Prioritäten, Zielen, Stil, kurz: einer gemeinsamen Haltung. Und dem Gefühl, gehört zu werden. Auch wenn die Tretmühle eine bleibt, auch wenn ihre Zukunft unvorhersagbar ist: Man könnte sie mit mehr Ehrlichkeit, mehr Klarheit, mehr Freundlichkeit betreiben.
Das ist umso notwendiger im Journalismus. Denn dieser ist – und hier haben die Verleger recht – letztlich wirklich ein People-Business. In keiner Industrie sonst arbeiten Dutzende Leute täglich an Einzelstücken. Und es hängt an der Motivation jedes Einzelnen, dass diese Stücke den entscheidenden Hauch klarer, schärfer, strahlender sind.
Misstrauen als Produkt
Aber zurück zum Anfang. Was tun mit Misstrauen als Produkt? Denn auf Kritik der Macht lässt sich nicht verzichten. Ohne sie ist die Presse ein Wachhund aus Plüsch.
Historisch gab es dafür viele Modelle. Die Parteipresse der Vorkriegszeit war bissig, aber einseitig: Im anderen Lager sitzen Teufel. In der geistigen Landesverteidigung hiess es: Die Obrigkeit hat immer recht. Dann, nach 1968, folgte die grosse Zeit des Recherchierjournalismus: Dieser hatte nicht zuletzt enorm Erfolg, weil in den zahnlosen Jahrzehnten davor so viele Leichen aufgehäuft wurden und sie auch nur höchst oberflächlich begraben waren. Dann, als die 68er wohlhabend und desillusioniert geworden waren, startete die Zeit des Pitbull-Journalismus: Jeder, egal ob links oder rechts, gross oder klein, wird scharf gebissen, sobald er Schwäche zeigt. Und schliesslich, seit dem Online-Zeitalter, folgte die schnelle und müde Variante des Pitbulls: der Journalismus der schlechten Laune. Per Schnellfeuer werden kleine, mittlere und grosse Verfehlungen quasi unterschiedslos mit Moralpredigten bestraft.
Doch das Resultat dieses Journalismus können wir uns nicht leisten: Empörung. Nicht nur, weil Dauerempörung die Demokratie zerstört. Sondern vor allem, weil systematische Empörung die zentrale Ressource zerstört, die für die Herstellung wie den Kauf von Nachrichten verantwortlich ist: die Neugier. In einer Welt, in der es alle besser wissen, ist das Finden von Neuigkeiten unmöglich. Und die Nachfrage danach null.
Was also tun?
- Der «Aufreger» bleibt zwar ein Kriterium im Journalismus. Aber er ist vergiftete Ware. Man soll nicht zu lange nach einem suchen, wenn es keinen gibt. Und auch nicht künstlich einen herstellen. Etwa durch irgendwelche Thesen, in denen Dummköpfe Tabus brechen.
- Der Brei ist das Schlimmste. Eine Redaktion muss zwischen grossen Fällen und kleinen Fällen unterscheiden. Und in den grossen Fällen klar und hartnäckig sein. Und in den kleinen Fällen grossherzig. Die Augenbraue heben genügt.
- In den grossen Fällen – meistens komplex, teuer, gefährlich – braucht es wie bei jeder Expedition ein Team. Also Ressourcen, Zeit, Leute, Absprache zwischen diesen. Kurz: ein Projekt-Management.
- Was die grossen, was die kleinen Fälle sind? Das ist eben eine Frage der Haltung. Und damit der Debatte in der Redaktion: Bis wohin reicht unser grosses Herz und wo packen wir den Schürhaken aus? Egal, wie wir das entscheiden, wir müssen wissen, wer wir sind, bevor wir zuschlagen.
Doch selbst das genügt noch nicht. Ist wirklich die Erschöpfung des Publikums das Problem – und ich glaube, es ist es –, dann brauchen wir noch etwas Stärkeres. Denn sonst fällt auch begründete, klare, richtige Kritik nur in den Topf der allgemeinen Suppe. Ich glaube, wir brauchen eine neue Produktelinie, die Kontrast schafft: einen Journalismus der Freundlichkeit.
Aber dazu nächste Woche.
grundsätzlich ein sehr guter interessanter artikel, sehr lesenswert bis zum schluss, leider leider herr Seibt ist der vergleich mit einem bösen bösen Pitbull sehr unglücklich ist er doch boulevard pur.
warum nicht einen schäferhund als beispiel nehmen (sind laut statistik) die häufigsten beisser (so viel ich weiss) aber klar der titel Schäferhund der Demokratie tönt halt nicht sooooo richtig geil, oder???
zum schluss noch folgendes: das “arschloch” (darf man das überhaupt noch sagen) ist immer am anderen ende der leine!!!
Leider, leider nein, Herr Kuhn, der Vergleich mit dem Pitbull ist absolut korrekt. Die Pitbulls sind effektiv die Hunde die am meisten zubeissen. Zudem verursachen sie die schlimmsten Bissverletzungen. Dass es am meisten Bisse durch Schäferhunde gibt, liegt lediglich daran, dass Schäferhunde häufiger sind als Pitbulls. Betrachtet man das Ganze aber korrekt (Anzahl Bisse für eine gleiche Anzahl Hunde), dann ist der Pitbull Spitze und zwar mit Abstand.
Zumal der Pitbull sich festbeißt und der Schäferhund eher wieder loslässt. Und ich sags mal so: Ich bin total begeistert von dem Artikel – in Gänze! Ansonsten würde ich auch die kleinteilige Hundedebatte nicht ergänzen 🙂
Vielleicht ist aber der eigentliche Pitbull auch der Kapitalismus mit seinem Zwang zur “Entwertung der Werte” (Effizienzsteigerungs-, Renditesteigerungs-, Wachstumszwang).
Tja, da haben Sie wahrscheinlich Recht. Wobei man fast immer Recht hat, wenn hinter dem Einen eigentlich noch ein grösseres Zweites steckt. (Quasi der Babuschka-Aufbau: Mach ich auch gern, in Kommentaren, und es macht sich immer gut.) Nur den Kapitalismus hat man nicht in der Hand – eher umgekehrt. Die Zeitung, jedenfalls Teile davon, schon. Hier liesse sich noch etwas Sinnvolles tun.
zack – da ist wieder was aus der Mitte der Gesellschaft was früher nur von links gespielt wurde: die Kapitalismuskritik. Wie wohlig lässt sich über Strukturelles schimpfen. Ich tue das auch. Alles rechtens, nur hilft Empörung nicht – und diese dauert schon sehr lang. Und als ich in der DDR mit ihr aufwuchs schien sie mir eher schmächtig. Doch all die argumentative Wucht mit der ich sie heute aufblähen kann – nützt ja nix. Siehe oben. Ich freue mich sehr auf den Artikel zum Journalismus der Freundlichkeit. Für die Politik erarbeite ich das schon. Was wollen wir? Reine Gegnerschaft ist hohl.
Guter Beitrag, aber überschätzen Sie Journalismus nicht?
Journis schreiben im Zeitgeist und wenn Klartext und Polarisierung angesagt und nachgefragt ist, werden sie gelebt und geliefert. Erste Aufgabe des Journalismus ist doch sachliche Information und dabei darf es keine Rolle spielen, wie diese auf die Bürger wirkt. Diskreditierung ist mittlerweile ganz normales politisches Vokabular, aber es ist natürlich schön, wenn nicht gleich jeder Journalist der Meute nachhetzt oder sie gar anführt.
Aber Sie brauchen keine Absolution dafür, dass Bürger anders entscheiden, als Sie es tun würden 😉
Menschen sind (zum Glück) keine reine Opportunisten (auch homo oeconomicus genannt), wie wir u.a. dank der Verhaltensökonomie wissen, sondern haben Werte, für die sie auch bereit sind, gewisse Nachteile in Kauf zu nehmen. Leider leben wir aber z.Zt. in einem durch und durch opportunistischen System (Kapitalismus genannt), das am liebsten alles zur käuflichen Ware degradieren würde.
Entscheide (des Bürgers) fallen zudem nicht vom Himmel des autonomen Individuums. Als soziale Säugertiere lassen wir uns auch gerne eine Meinung machen und scharen uns hinter Anführer.
Geehrte(r) Daniele – genau das ist der Widerspruch, der diesen Job so interessant und grässlich kompliziert macht. Einerseits soll man nur sachliche Information bieten. Andererseits schwingt man in den Strömungen und Irrtümern seiner Zeit, seiner Schicht und seines Gewerbes mit. Das heisst: Zur Sachlichkeit braucht es Korrektur zur Strömung – also eine subjektive Haltung. Und hier sind wir sofort im Sumpf: Dass man Ton, Beleuchtung, Ausschnitt selber entscheiden muss. Und beten, dass man wenigstens zu 80% richtig liegt.
Den Journalismus darf man nicht ja nicht unterschätzen. Dies zeigt sich klar am Beispiel der SVP. Die jahrelange Verunglimpfung dieser Partei und ihrer Exponenten zeigt Früchte. Nennen Sie mal im erlauchten Kreis von FDP-Leuten oder in einer Gesellschaft der vorurteilsbehafteten, alleswissenden linken oder grünen Gutmenschen den Namen Christoph Blocher oder SVP, dann erleben Sie Unwahrscheinliches an Beschimpfungen. Die Frucht der Journalisten aller Medien
Nein Herr Fischer, die SVP der 90er und 00er-Jahre hat sich ganz alleine unmöglich gemacht. Es ist heute fast nicht mehr vorstellbar, was für ein Stil da gepflegt wurde. Nach 2007 war die Partei erstmal mit Selbstzerfleischung beschäftigt, in den letzten fünf Jahren hat die SVP aber die Narrenkappe abgelegt und wieder zu fast so etwas wie Vernunft gefunden. Der Einfluss der “Presse” wird dabei völlig unterschätzt. Längst sind das nur noch blogs wie alle anderen, so wie Sie und ich diese Kommentarspalte nutzen, um ein bisschen zu plaudern, ohne uns gross von Journalisten ablenken zu lassen.
“vorurteilsbehafteten, alleswissenden linken oder grünen Gutmenschen” — Es zeigt sich einmal mehr die Weltfremdheit der SVP-Zeloten. Wer beschimpft hier wen?
Die SVP hat das allerdings sehr clever eingefädelt: Jede Kritik – und sei sie noch so berechtigt – ist automatisch “Bashing”. Und Anstand und Respekt gelten ohnehin nur für die anderen.
Im Ernst: Wer einer Partei das Wasser trägt, die alle Andersdenkenden als “falsche Schweizer” bezeichnet, sollte dringend über die Bücher.
Ein Journalismus der Freundlichkeit. Schön. Es ist ja eine Binsenweisheit, dass ich in einem Interview aus dem Gegenüber viel mehr entlocken kann, wenn ich ihm freundlich begegne; strategisch frage, um “richtige” Antworten zu erhalten – und nicht auf den Skandal hin zu arbeiten. Leider hat die seit Jahrzehnten praktizierte sukzessive Unterforderung des Rezipienten ihre Spuren hinterlassen: Man will den schnellen Scoop. Wer konfrontativ und aggressiv fragt, schreibt, ruft, gilt als “investigativ”. Da spielt der Erkenntnisgewinn keine Rolle. (Wollte noch mehr schreiben, aber der Platz ist alle.)
Gratuliere, sie haben soeben das Internet überholt und bereits den Blogeintrag von nächster Woche runtergeputzt.
danke für diesen artikel, für mich sehr lesenswert.
Ich denke auch, dass die Grundstimmung dieses Jahrhunderts eine überbordende Empörung und Aufregung war. Aber nanu, es gab ja auch Gründe. In Deutschland fing es damit an, dass die Ära Kohl sich damit verabschiedete, Walter Leisler Kiep mit Koffern voller Millionen durch die Landschaft laufen zu lassen. Schröder vekaufte sich an Gazprom, Fischer unterschrieb bei BMW. Die alte Welt des Bürgertums wurde verkauft und es vollkommen korrekt, dass Empörung da nicht weiterhilft. Wir müssen den Laden neu aufbauen. Entweder vor oder nach dem Zusammenbruch.
Etwas haben Sie aber geflissentlich übergangen, Herr Seibt. Vielleicht sogar das Wesentliche, warum wir Leser den selbsternannten Qualitätsmedien misstrauen. Wenn Meinung gemacht wird (statt informiert), wenn einseitig Stellung bezogen wird (statt sachlich zu bleiben), wenn Kommentare als Analysen verkauft werden (auch wenn’s leicht zu durchschauen ist), wenn man sieht, wie Kommentare zensiert und manipuliert werden, dann muss man sich über den Vertrauensverlust nicht wundern.
“10 Jahre Online-Kommentare haben die Redaktionen nicht unberührt gelassen…”
Mit ihrer Zensur der vernünftigen, reflektierten Kommentare sind doch die Redaktionen nicht unschuldig daran, dass nur die Empörten zu Wort kommen. Heute werden eben nicht mehr Inhalte vermittelt, damit man sich eine Meinung bilden kann, sondern es wird manipuliert und Meinungen werden “gemacht”.
Ich glaube nicht, dass Meinungen gemacht werden. Die meisten haben eine und sind absurd stolz darauf. Was getan wird: Es wird gerade mit diesem Stolz gespielt. Indem man den Meinungen bewusst entweder auf den Schwanz steht oder sie schmeichelt. Worauf erwartbar Gebrüll oder Geschnurr folgt. Kurz: Die Meinungen der Leute werden nicht gemacht, sondern zum selbstbestätigendem Quietschen gebracht.
Einer der besten Artikel, den ich seit Langem gelesen habe.
Einer der besten Artikel, den ich seit Langem gelesen habe. Wäre schön, wenn er zumindest bei ein paar Leuten ein Umdenken anregen würde.
Mich hat er jedenfalls zum Nachdenken gebracht, aber als (Nicht-)Leser hält sich mein Einfluss leider in Grenzen…
Ich plädiere für mehr und breiteren Inhalt. Journalismus soll informieren, und dabei kein Blatt vor den Mund nehmen. Journalismus ist meinungsbildend, aber die Berichterstattung beeinflusst weniger, welche Meinung ich mir mache, sondern worüber. Das ist die wahre Macht des Journalismus.
Sie haben Recht. Cleverer Gedanke. Chapeau.
Eine als Buch veröffentlichte Dissertation untersucht, auf welche Weise Medien “embedded” sind in die Themensetzung durch Eliten: “Meinungsmacht. Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten – eine kritische Netzwerkanalyse”, Autor ist Uwe Krüger. Selbst wenn man von der Richtigkeit einer Guard-Dog-Perspektive ausgeht (Krüger geht auch noch auf zwei weitere Modelle ein), reflektierten Medien demnach die Interessen dominanter Gruppen und hätten weder die Neigung noch die Macht dazu, diese Gruppen herauszufordern.
Sehr guter Artikel, auch wenn ich den Einfluss der Presse als nicht so gross einschätzen würde. Die gesellschaftlichen Probleme werden meiner Meinung nach durch den Journalismus getragen, nicht gemacht. Journalisten sind damit letztlich Abbilder der Gesellschaft und nicht deren “Former”. Eine mögliche Lösung für dieses Problem wäre wohl ein neuer “Gesellschaftsvertrag”, ein “Arbeitsfrieden” zwischen unserer kapitalistischen Elite und dem Mittelstand. Vorher wird kaum Ruhe einkehren…
Mögen sich all die vielen Dauerempörten über die äusserst treffsichere Analyse ihrer Empörung empören! Ich freue mich indessen über diesen Artikel und hoffe, dass sich parallel zum “Journalismus der Freundlichkeit” auch eine freundliche Leserschaft durchsetzt und dauerhaft etablieren kann. Am Ende könnte sich das sogar positiv auf die Demokratie auswirken.
Die Publizität und Wichtigkeit eines Ereignisses hat eine Halbwertszeit von zwei Tagen. Auch bei einem Olympiasieger ist es so. Nach der Fussball-WM wird es nicht anders sein. Alles wird zu Dutzendware, zu Tagesfüllern. Das Leben wird inszeniert, online gemanagt, verplant, überreguliert. Dazwischen ein Event, eine Party, ein Tor, der Einlauf eines Siegers für einen Augenblick im Rausch. Die Art wie wir leben, ist tödlich. Das feu sacré ist erloschen. Die Dringlichkeit etwas überzeugendes zu tun, zu schreiben, zu verändern, hat sich erledigt. Es wäre Zeit, ihr auf die Schliche zu kommen
Was für ein schöner Wortlaut: “…Köpfe sind einfacher zu ändern als Gehirne.” So ist es und es ist schön einer der Gehirne zu sein. Danke für diesen Ausspruch! Made my day…
Ein ausgezeichnetes Stück (Selbst)kritik, lieber Constantin Seibt!
Eigeninteressierte Kreise, denen das Volk scheinbar das wichtigste in Wahrheit ziemlich egal ist, können heute den Volkswillen über alles andere stellen wollen. So und mit durchdachtem („militär“)strategischem Einsatz verschiedenster materieller und ideeller Milliardenmittel inkl. Entwerten anderer zwecks Erhöhen des Egos ihrer Wähler, können sie das „Volk“ “kaufen” und somit die Demokratie. Deshalb braucht die Demokratie heute mehr als jemals zuvor freie unabhängige Medien mit klugen, integeren und mutigen Journalisten!
Ich hatte rasch aufgehört, diesen Blog zu lesen, dessen besserwisserisches “lasst sie doch Kuchen essen”-Geschreibsel mir höchstens als Aufreger dienen konnte. Kann es sein, dass Chefredakteurs-Liebling nun doch nicht mehr meint, alle Probleme des Journalismus lösten sich von selbst, sobald sich der Redakteur/die Redakteurin ein wenig mehr anstrengt? Dass der Journalismus oft auch vom Kopf her stinkt? (Wenn der Journalismus ein Fisch wäre. Was er nicht ist). Jedenfalls: Schöner Text! Fassen Sie die wichtigsten Punkte doch als A-Z-Liste zusammen, so was kommt immer gut!
“So sucht man in der Redaktionskonferenz täglich den Aufreger”…Echt? Wozu? Was ich nicht ganz verstehe ist, warum die Onlinekommentiererei von den Journalisten ständig runtergeputzt, aber von den Medienkonzernen trotzdem nicht abgestellt wird. Der Grund wird wohl wieder mal pekuniärer Natur sein. In die Fresse hauen generiert Zuschauer, ob verbal oder mit Fäusten spielt nicht so eine Rolle, und Zuschauer generieren Einnahmen. Das ist meines Erachtens das grösste Problem des Journalismus: finanzieller Gewinn kommt vor Information.
Hallo
Wo bleibt das Vertrauen an deinem Volk? Die Schweiz gibt es nicht seit gestern, Demokratie heisst Sieg! Möchtest du mal richtig Angst verspüren?Warst du bereits in einem Drittweltland? Ich bin in einem aufgewachsen (als Schweizerin)und ich kann dir vergewissern, sowas möchtest DU hier sicher nicht erleben! Hör auf zu jammern und sei dankbar! Und wenn du Helfen möchtest, sei du der erste, der Hilfe anbietet, wo man sie braucht! Vor Ort! Und verstecke dich nicht hinter Schweizern Mauern, den genau diese möchtest du ja brechen, oder? Los, sei ein Vorbild und kein Jammerlappen!
Was mir – neben den Medien und ihrem Kommentariat – etwas zu wenig beleuchtet wird, das ist die Rolle der Public Relations. Dort arbeiten längst mehr Journalisten als in den ‘klassischen Medien’. Die ‘Aufreger’ werden eben nicht nur in den Redaktionen zusammengebrutzelt, sondern auch von interessierter Seite als pseudo-relevant in die ‘Kanäle’ gedrückt, wo die regulären Journalisten dann gern nach diesen Bällchen schnappen, weil es ja Zeit und Geld spart, wie auch die Spalten füllt. Das Publikum aber schiebt immer häufiger den vorgesetzten Pichelsteiner Topf angewidert beiseite.
Mmh, wobei glaub ich nur die cleversten PR-Leute es schaffen, Aufreger zu produzieren. Die meisten kommen ja als Füller in die Zeitung. So wie Osmose funktioniert: Hier immer mehr, relativ immer besser bezahlte PR-Leute; dort immer weniger, fortlaufend schlechter bezahlte Journalisten – da fliesst die Tinte automatisch von oben nach unten. Inzwischen machen sich ja sogar PR-Leute Sorgen über die Glaubwürdigkeit der Medien: Dadurch, dass so viel PR in diesen erscheint, verliert das einzelne PR-Produkt an Durchschlagskraft. Und für den PR-Mensch ist es keine Trophäe mehr, sondern nur noch Routine.
Tscha – was aber ist, wenn man ein wenig vorausschaut? Das Problem ist doch, dass der journalistische Nachwuchs gar nicht mehr die Absicht hat, nach der Ausbildung in den Journalismus zu gehen. Sie wollen heute zum größeren Teil in die Industrie und in die Astroturfing-Fabriken. Der Jakubetz schreibt gelegentlich über seine Erfahrungen in derart gewandelten Lehrgängen. Die ‘cleversten Leute’ wären dann gar nicht mehr in den Redaktionen zu finden. Bei der eingerissenen Bezahlung und den desolaten Arbeitsbedingungen völlig zu recht, wie ich noch anmerken möchte.
Zingo – würde man seinem Kindchen empfehlen in den Beruf einzusteigen? Statt in die Astroturfing-Fabrik? Oder die Lehre als Butler oder Berater? Ja, Teufel, man kann nur hoffen, dass es sich nicht an die Empfehlungen hält.
Trotzdem – zum Astroturfer muss man schon gewisse charakterliche Eigenschaften mitbringen, die mir dann eher streng in die Nase steigen. Ich frage mich auch, ob jemand überhaupt noch ‘gut’ schreiben kann, wenn er ständig contre coeur etwas des Lohnes wegen daherfaselt. Dieser hofhundartige Duft macht sie kenntlich … allerdings muss man ja auch erst einmal einen Charakter haben, um ihn zu verbiegen. Mir machen diese Figuren Angst, die in jedes Backförmchen passen.
Brillante Analyse von Constantin Seibt.
Sein Missbehagen über die rapide Boulevardisierung auch der seriösen Presse ist nachvollziehbar. Populistische Empörungsbewirtschaftung online gerät zunehmend zu einer Art Volkssport: “Daumen hoch”, “Daumen runter” in der Blogosphäre als untaugliches Mittel zur Frustbewältigung.
Bin gespannt, was Constantin Seibt zum Thema “Journalismus der Freundlichkeit” zu sagen hat. Hoffe auf ein fulminantes Plädoyer für Fairness und Anstand. Erwarte keinen Lobgesang auf freundlichen Kuscheljournalismus Marke “Christliches Familienblatt”.
Geschätzter Herr Seibt, warum brauchen Sie für Ihren gescheiten Artikel einen derart trivialen Einstig? Sind Leute so schlimm, die dem unseligen ewigen Wachstum ein wenig Gegensteuer geben? Denen freie Landschaften lieber sind als Mauern an allen Ecken und Enden? Ich habe Ihre Ausführungen sehr gern und, wie mir scheint, mit Gewinn gelesen. Gerade weil auch ich ein Leben lang im Journalismus tätig war, gibt mir ihr selbstherrlicher Kommentar zur Masseneinwanderungsinitiative (“Das Land ist auf Jahre hinaus gelähmt”) zu denken. Ist es das? Wo bleibt da die neue journalistische Freundlichkeit?
Besser spät als nie… doch ob diese (wohl sehr wahren) Einsichten etwas nützen werden?
Einerseits: Vielleicht war es nicht wegen den 40 % FDP-Wählern, dass es 50,3 % Prozent geworden sind. Sondern es könnten auch wachstumsmüde und erschöpfte Mitbürger/-innen gewesen sein, die sonst grün wählen.
Andererseits: Wie wäre es mit Lösungsansätzen anstatt Kritik? Aus der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft, von Vertragslandwirtschaft bis hin zur Vollgeldinitiative. Noch besser: Menschen, die diese Lösungsansätze lancieren, umsetzen, leben..
Aussagen “die Grenzen für Ausländer geschlossen” sind Meinungen, und solche, die sich leicht widerlegen lassen. Auch Aussagen zu den frustrierten Kommentatoren sind zweifelhaft – es könnte ja auch so sein, dass eben wirklich Ideologie oder gemeiner Unsinn im Artikel steht, und dass Kommentatoren da und dort mehr wissen, und da und dort eine begründbare andere Meinung haben. Und eben Zeit dazu, weil sie erfolgreich waren, bevor sie sich dem Kommentieren widmeten.
Journalisten können Diskussionen anstossen, aber Meinungen können sie nicht mehr machen. Der Gott des Journalismus ist tot.
Ich mache mal das mit dem Leser der Freundlichkeit: Ich lese so selten bei Ihnen hinein… und immer wieder bereue ich es sehr selbstkritisch.
Trotzdem noch eine Frage mit auf ihren Weg: Wie machen Sie sich gemein?
Werden sie “nächste Woche” den alten Zitatgeber des Journalismus der Kälte, Hanns Joachim Friedrich, aus den Köpfen der deutschsprachigen Professionellen und Seriöslichen vertreiben? Eine böse Frage, denn jene lesen sie wahrscheinlich gar nicht, da sie sich in den oben beschriebenen Abläufen verfangen haben. Aber schon für den Versuch wäre ich Ihnen sehr dankbar.
Lieben Gruß
FG
Thanx für einen Ihrer seltenen Besuche. Was das Friedrich-Zitat betrifft (“Ein Journalalist soll sich nicht mit einer Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten.”), so glaube ich, dass es überinterpretiert wird. Der Job ist, dass man alle kritischen Fragen stellt. Und sich dann entscheidet, was man damit tut. Das kann durchaus der nüchterne Nachrichtenstil sein. Mein Punkt ist: Dieser ist nur einer von vielen. Es gibt Möglichkeiten – und man kann wählen. In dem Blog geht es nicht um Dr.-Oettger-gelingt-immer-Rezepte (auch wenn ich der Versuchung manchmal nachgebe), sondern um die Erweiterung der Palette. You can take it or leave it.
Das Zitat wird tatsächlich überinterpretiert, ist aber immer noch eine Art Mantra. Ich bin da zwiegespalten: Zum einen wünsche ich mir kritische Unabhängigkeit von den Recherchierenden, zum anderen eine Parteinahme, sollte man Kenntnisse dann zusammenführen. In Deutschland wird oft beides nicht mehr erfüllt und Parteiisches oder auch Zugearbeitetes aus Presseabteilungen wird durch journalistische Berichte “neutralisiert” und als gleichrangig bewertet. Das Moralische mag der niederste Zugang zur Meinung sein, doch am Ende wünscht man sich doch eine normative Haltung, Stil statt Nüchternheit.
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