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Wie eine Zeitung sich neu erfinden kann: Der rollende Relaunch

Constantin Seibt am Freitag den 13. Dezember 2013

In der letzten Folge ging es um den ziemlich spektakulären Relaunch 2003, der die WOZ damals fast in die Luft gesprengt hätte.

Als einer der Hauptverantwortlichen dafür habe ich seither sicher ein Dutzend Stangen Zigaretten zur Decke geraucht, um darüber nachzudenken, wie man das Projekt hätte klüger anpacken können.

Das Problem bei jedem Relaunch besteht aus Folgendem:

  1. Ohne Kühnheit macht er keinen Sinn. Ziemlich viel Relaunches sind Kosmetik. Etwa, wenn ein neuer Chefredaktor im Amt ist. Oder ein alter beweisen will, dass er noch tatkräftig ist. Dann wird eine sanfte Renovation gemacht: Ein neues Layout wird installiert, einige Kolumnen ausgetauscht, die Bilder werden etwas grösser etc. Doch das ist nicht mehr als Beschäftigungstherapie für Grafik, Redakteure und Management. Denn der Leser wird davon nichts merken: Nach drei Nummern hat er sich daran gewöhnt. Und der Nichtleser, also der künftige Kunde, merkt gar nichts. Denn sowohl die Redaktion wie auch das Image einer Zeitung haben den Wendekreis eines Tankers. Eine sanfte Kurskorrektur ist keine Kurskorrektur.
  2. Sobald der Relaunch seinen Namen wert ist, ist er ein Risiko. Ändert man Architektur, Prioritäten, Haltung, Ästhetik einer Zeitung ernsthaft, verletzt man einen hochkomplexen Organismus. Monate des Kampfes sind garantiert, bis die neuen Routinen laufen. Und das Schlimmste: Fehlschläge sind zwar deutlich spürbar, aber nicht präzis sichtbar. Denn Fehler im Redaktionsmanagement einer Zeitung – falsche Personalentscheidungen, falsche Prioritäten, falsche Ressourcenverteilung – äussern sich nie spektakulär: etwa im Kollaps von einigen Seiten. Wird eine Redaktion sinnlos unter permanenten Stress gesetzt, produziert sie die gleiche Menge an Artikeln wie gewünscht: aber einfach graue, uninspirierte Ware. Die Zeitung rückt schlicht ein wenig näher an ein Begräbnis, das nicht einmal bedauert werden wird, weil sie zuvor unattraktiv war.
  3. Der Denkfehler bei vielen Relaunches ist, dass es hier vor allem um Zeitungsarchitektur geht. Also um eine Organisationsfrage. In Wahrheit hat ein gelungener Relaunch vor allem soziale Ziele: Man will eine neue Haltung bei der Redaktion. Und dadurch bei der Kundschaft.

Kurz: Ein Relaunch ist eine tückische Sache, die ein paar Stangen Zigaretten beim Nachdenken wert ist.

Das schwedische Modell

Das beste Modell jedoch kam nicht durchs Rauchen; sondern an einem Ort, wo man normalerweise nichts Neues zu Zeitungen erfährt: an einem Zeitungskongress.

Es war beim European Newspaper Congress in Wien, 2009, als zwei sehr gut aussehende Schwedinnen ein noch besser aussehendes Modell vorstellten.

Sie sassen in der Chefredaktion des «Svenska Dagbladet». Sieben Jahre davor war die Lage verzweifelt gewesen. Das «Dagbladet» war die Nummer 2 in Stockholm, eine bürgerlich-konservative Zeitung mit rund 200 Journalisten und einer Auflage von 200’000. Das Problem war: Die Leserschaft war alt, männlich und schrumpelnd. Und das Blatt war fast pleite.

Die letzte Massnahme, ein teurer Relaunch von oben mit Umstellung auf Tabloid, war ohne Ergebnis verpufft. Und die Chefetage fragte sich, was tun. Und kam auf eine höchst originelle Idee: ihr Zielpublikum zu fragen – Crew und Kundschaft.

Was heisst: Die Chefredaktion organisierte zwecks Neuerfindung eine breite Debatte: mit Experten, mit Redaktion, mit den Lesern.

Und sie tat es nicht für die Gesamtzeitung, sondern gestaffelt für ein Problem nach dem anderen. Also in überschaubaren Projekten: ein neues Layout, neue Themen (mit dem Ziel: mehr Frauen), neue Sonntagsbeilage etc. Also ein rollender Relaunch.

Die erste Pointe dabei war: Nach einer breiten Debatte entschied nicht nur am Ende die Chefredaktion. Sondern bei der Debatte kam in etwa auch heraus, was die Chefredaktion allein für sich entschieden hätte. Nur mit wesentlich anderer Wirkung als bei einer Top-down-Lösung: Die Auflage stieg mit jedem abgeschlossenen Projekt.

Kurz, die «Dagbladet»-Lösung funktionierte brillant. Deswegen:

  • Sie kommuniziert das, was ein Relaunch kommunizieren soll, nicht nur durch das Ergebnis, sondern durch den Prozess: eine Öffnung der Zeitung.
  • Und sie tut das exakt dort, wo die Botschaft ankommen soll: bei Redaktion und Publikum.
  • Durch die Aufteilung des Relaunches in einzelne Projekte fällt eine ganze Menge an Komplexität weg, damit auch an Stress und Risiko.
  • Die Zeit, die man mit den aufwendigen Konsultationen, also mit der Kaskade an Sitzungen mit Redaktion und Lesern investiert, wird schnell wieder hereingeholt: indem der Redaktion Grund, Richtung und Details der Neuerungen schon vor dem Relaunch-Tag klar sind. Und nicht nachher kommuniziert werden müssen.
  • Last, not least ist das machtvollste Mittel der Verführung (also auch der Führung): das Fragen. Nichts verbindet Leute mit einem Projekt stärker als die Gewissheit, gehört zu werden.

Kurz: Die «Dagbladet»-Methode löst die wichtigsten Probleme der Zeitungserneuerung durch den Prozess selbst, der wichtiger ist als die Ergebnisse. Ein Indiz dafür: Die linksliberale Konkurrenzzeitung «Dagens Nyheter» versuchte eine schamlose Kopie der Blattarchitektur der erfolgreichen konservativen Konkurrentin. Aber eben ohne Befragungen der eigenen Leute und Leser. Und ohne den geringsten Erfolg.

Während das «Svenska Dagbladet» seine Auflage von 2002 bis 2009 mitten in der Pressekrise um sensationelle 10 Prozent steigerte.

Warum Zigaretten trotzdem unverzichtbar bleiben

Doch das ist die Geschichte bis 2009. In diesem Jahr ordnete der Eigner des «Dagbladet», der norwegische börsenkotierte Medienkonzern Schibsted, eine erste  Sparrunde an. Die amerikanischen Aktionäre wollten mehr Rendite. Im Jahr darauf folgte die zweite. Die dritte Runde, Ende 2012, war die bisher härteste. Das «Dagbladet» strich 60 Stellen, das tägliche Kulturmagazin, das halbe Korrektorat und die komplette Sportredaktion.

Was daraus für umbauwillige Redaktionen folgt?

Weiss der Teufel.

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9 Kommentare zu “Wie eine Zeitung sich neu erfinden kann: Der rollende Relaunch”

  1. Letztlich schwamm doch auch das ‘Dagbladet’ den Bach hinab. Weil der Medienkonzern mehr ROI forderte. Was fehlt, ist eine Idee, der eine Zeitung sich ‘verschreibt’ – und damit meine ich nicht das klassische Rechts-Links-Schema, das nur noch Doofheit stimuliert. Was wäre, wenn bspw. eine Zeitung sich mit Haut und Haar dem ‘europäischen Bundesstaat’ verschriebe? Geldgeber dafür gäbe es genug, vor allem dort, wo das Geld auch ist. Die Idee hat Stand-Alone-Charakter – und ließe vor allem die Vaterländler erbittert aufheulen. Schon wäre das Blatt in aller Munde – und bald darauf auch in aller Hände

  2. m sagt:

    Überflüssiges Kulturgeschwafel zu killen ist sicherlich nicht die schelchteste Idee.

    • Constantin Seibt sagt:

      Geehrter M, heissen Sie Amadeus Wiesengrund Octavius Buffo von und zu Wittgenstein-Moppel und haben alles überflüssige Kulturgeschwafel aus Ihrem Namen gestrichen?

  3. un journaliste sagt:

    Gute Analyse. Passt zu meiner langjährigen Erfahrung aus Blattkritiken: Stets wird bemängelt, dass Bild B anstelle von Bild A besser “funktioniert” hätte. Oder dass der Umbruch in der Headline nicht schön sei. Über die Texte spricht dagegen niemand. Und schon gar nicht über die Wahl der Inhalte. Dann müsste man sich ernsthaft mit Aufbau, Relevanz und Handwerk auseinandersetzen. Und wer will das schon?

  4. Don Kleti sagt:

    Ein Management buy out durch die umbauwillige Redaktion?

    Das wär ja dann ziemlich adäquat, um nicht zu sagen ein Geheimtipp… 😉

  5. E. Gulk sagt:

    Vielleidht sind’s ja tatsächlich die Viewspaper statt der Newspaper, denen die Zukunft gehört. Klaus Jarchows Kommentar denkt in diese Richtung. Wobei Europa als Haut-und-Haar-Klammer bald ziepen dürfte. Zu unterschiedlich sind die Kopfgrößen, Kragenweiten und Haarmoden.

  6. Ich habe Relaunches von Zeitungen nie so richtig gemocht. Durch den (zugegebenermassen) erfolgreichen Relaunch der Weltwoche, kam mir ein liebes Blatt abhanden. Den Relaunch der WOZ habe ich irgendwie verpasst – liegt das an mir oder an der WOZ? 🙂 Warum nicht einfachen aufhören, den Schlüssel unter die Matte und einfach eine NEUE Zeitung gründen. Wäre eine Wohltat für die etwas zu berechenbare Medienwelt unseres kleinen Landes.

  7. Den Weg der Beteiligung der Leserinnen halte ich für den einzig gangbaren, wenn eine Zeitung sich wirklich erneuern will, ohne sich groß zu verändern. Meine Erfahrung beim Umbau von redaktionellen Abläufen und der Einführung neuer Seiten, Rubriken und Strukturen einer alteingesessenen Tageszeitung ist: Nicht nur Leserinnen sind konservativ, sondern vor allem Redaktionsstrukturen. Zuallererst muss der Anstoß zur Veränderung von der Spitze der Organisation ausgehen. Der oben dargestelle Weg, die Leserschaft zu befragen, hat ja via Readerscan auch schon bei uns Einzug gehalten. Da ist noch Luft.

  8. Wir sind zwar ein Online Such- und Informationsverzeichnis und keine Zeitung aber bei search.ch haben wir das genau gleiche Prinzip angewandt: Nutzer und Mitarbeiter befragt, mutiges Redesign konzipiert inklusive neue Geschäftsmodelle, Influencer und Blogger zur Gruppe der “Family & Friends” gewonnen, via Mobile First einen etappenweisen Rollout zuerst für Smartphones, später für Desktop realisiert. Immer wieder Nutzer befragt. Wir sind aktuell mittendrin, das Feedback ist bisher sehr gut 😉