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Kleines, cooles Zeug

Constantin Seibt am Freitag den 15. November 2013

Als Student klebte ich mir eine 50-Wort-Liste mit allen denkbaren Konjunktionen an die Wand hinter den Schreibtisch. Also mit Wörtern wie

deshalb, hingegen, also, wenn auch, nichtsdestotrotz, ganz im Gegenteil, gleichzeitig, etc.

Und mit konjunktionsähnlichen Hochstapler-Formeln wie

a impliziert b

was in der  Theorie «wenn a, dann b» hiess, aber in der Praxis, dass a und b auf eine undefinierbare, aber mutmasslich ursächliche Art zusammenhingen.

Diese Liste half, unsortierte Gedanken in minimaler Zeit in eine akademische Arbeit zu verwandeln – einfach, indem man sie mit den richtigen Konjunktionen verknüpfte. Alles blieb logisch, obwohl man Slalom fuhr.

Heute, als Journalist, scheint mir das weniger möglich. Vielleicht, weil ich seriöser wurde. Vielleicht auch nur aus Mangel an unsortierten Gedanken. (Oder ist das dasselbe?)

Trotzdem habe ich auch im Journalismus eine Liste, nur ist sie etwas kleiner.

Sie beschäftigt sich hauptsächlich mit zwei Problemen, die Journalismus von Literatur trennen. Diese Trennung besteht natürlich nicht in der Unterscheidung von Fakten und Fiktion. (An eine scharfe Trennung dazwischen glauben nur berufsferne Leute.) Sondern in zwei ästhetischen Beschränkungen, die im Journalismus unvermeidlich sind:

  1. Der Mangel an Platz. Im Print beschränken einen die Quadratzentimeter, im Netz das Zeitbudget.
  2. Der Mangel an Aufmerksamkeit. Journalismus ist praktisch immer nur eine Zugabe: zu Kaffee, Pause oder Nahverkehr. Die Leser sind halbkonzentriert. Man kann sich in dem Metier keine schwebenden Konstruktionen leisten. Klarheit ist Pflicht. Während Literatur Aquarell malen darf, muss der Journalismus wie ein Kind alles schwarz umranden.

Kurz: Man muss Tempo, Kontrast und Klarheit herstellen.

Dazu hier ein paar simple Werkzeuge:

1. Orientierung

Bei längeren Beschreibungen, Zusammenfassungen, Argumentationen driftet der Leser fast immer etwas weg. Sein Kopf bummelt, die Sache verschwimmt. Einen scharfen schwarzen Rand setzt man hinter eine längere Passage mit einer Wendung wie…

Kurz,

Kein Wunder, dass …

In einem Wort: (Und hier nur ein Wort bringen!)

Das Fazit:

Die Bilanz:

… und fasst die Sache in einem Satz noch einmal zusammen. Dieser Satz sollte die Wucht eines Fallbeils haben. Er muss den Leser gleichzeitig informieren und wecken.

Also: Wenn man etwa länger darüber referiert hat, dass es unsinnig ist, zu glauben, dass nach dem Rücktritt von Topmanagern etwas anders wird, weil nun die ehemaligen Nummern 3 und 4 des Konzerns das Kommando übernehmen, die zwar unauffälliger sind, aber die gleiche Philosophie vertreten, weckt man den Leser mit einem Satz wie:

Kurz: Die Köpfe wechseln, aber die Gehirne bleiben die gleichen.

Oder man beschreibt die extrem lockere Geldpolitik des US-Notenbankchefs Alan Greenspan und endet mit:

Sein Rezept? Dr. Greenspan bekämpfte jeden Kater an der Börse mit einem Karton Schnaps.

Auch wenn einem kein ganz hervorragender Slogan einfällt: Nach einer längeren Passage ist ein kurzes Fazit fällig. Denn der Leser bewegt sich in einem Text wie ein Tourist in einer unbekannten Stadt. Und wie jeder Tourist ist er froh um eine gelegentliche Karte mit einem Pfeil, auf dem steht: Sie befinden sich hier.

2. Eins, zwei drei!

In einem Kommentar diese Woche im «Tages-Anzeiger» schrieb Liliane Minor Folgendes:

Dem Zürcher Sozialvorsteher ist ein geschickter Schachzug geglückt: Noch bevor sich die Gegner der Personenfreizügigkeit für die Abstimmung vom Februar in Position bringen, entkräftet er eines ihrer vermeintlich besten Argumente: Die Zuwanderer aus der EU belasten unser Sozialsystem nicht. Damit bringt er die Befürworter offensichtlich ins Schwimmen. Denn sie greifen zu den Argumenten derer, die keine Argumente haben.

Erstens: Sie werfen Waser vor, er liefere Zahlen ungefragt. Als ob das nicht erlaubt wäre. Zweitens: Sie reden das Thema klein. Dabei steht es in ihrem eigenen Argumentarium ganz oben. Drittens: Sie fragen, wie viele der Schweizer in der Sozialhilfe «echt» sind – als ob Eingebürgerte öfter Sozialhilfe beziehen würden. Viertens: Sie behaupten, EU-Bürger drängten andere in die Sozialhilfe. Fünftens: Sie behaupten, was nicht eingetroffen sei, komme schon noch. Irgendwann in ferner Zukunft. Einen Beleg für diese letzten drei Behauptungen bleiben sie aber schuldig.

Auch wenn verständlich ist, dass die Befürworter zu retten versuchen, was zu retten ist: Das ist billig.

Das handwerklich Interessante daran ist der Abschnitt zwei. Er ist von grosser Dichte, grosser Komplexität, aber auch von grosser Klarheit. Bei Argumentationen (oder auch Zusammenfassungen von angelesenem Stoff) kann man enorm Platz sparen, indem man die Struktur erstens, zweitens, drittens verwendet. Der Grund: Man killt die Übergänge und gewinnt Übersicht.

Wenig macht mehr Tempo als dieser Trick. Ganze Lebensleistungen lassen sich so in Kürze zusammenfassen:

Gerold Bührers politisches Credo ist seit zwanzig Jahren gleich: 1. Mehr Markt. 2. Steuern runter. 3. Sparen.

Es gibt keine Struktur, die für Journalisten hilfreicher ist.

3. Eingelegte Dialoge

Bei Portraits und Reportagen geht es nicht nur um Tempo, sondern auch darum, dieses zu varieren. Sehr cool zur Drosselung sind eingelegte Dialoge, also Mini-Interviewfetzen oder Mini-Theaterszenen mitten in der Beschreibung. Das können lange, aber auch kürzere Passagen sein, wie in einem Portrait von Jean Ziegler:

Ziegler: «Es gibt ein Wort von Karl Kraus, das ich in meinem Arbeitszimmer hängen habe: Er schiesst häufig über das Ziel hinaus, aber selten daneben.»

WoZ: «War Karl Kraus nicht auch der, der sagte, dass er für ein falsch gesetztes Komma die ewige Verdammnis aussprechen würde?»

Ziegler: «Ich ziehe trotzdem das erste Zitat vor.»

Dialoge fressen zwar Platz, brechen aber den Rhythmus. Sie funktionieren wie der O-Ton in einem Radio-Feature. Als Beweis, dass man da war.

Soweit meine drei Lieblingsstandardtricks. Jetzt kennen Sie alle Geheimnisse.

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11 Kommentare zu “Kleines, cooles Zeug”

  1. paula sagt:

    Sehr schön.
    Der Platz an Magel.

  2. Thom sagt:

    Beim “Postillon” hätte so etwas ganz klar und richtig zur Folge: Ein Leser wenige!

  3. Martin Schori sagt:

    Manchmal möchte ich auch Journalist sein. Aber manchmal auch nicht. Danke!

    • Constantin Seibt sagt:

      Ja, es ist wie lebenslänglich Deutschunterricht. Man muss täglich einen Aufsatz schreiben. Und bekommt seine Note zurück. (Unter meinen Deutschaufsätzen stand fast standardmässig: “Thema verfehlt! Rechtschreibung! Ungenügend!” Und das hat sich bis heute nur graduell geändert.)

  4. Frage sagt:

    Liliane mit e, oder?

  5. Patricia sagt:

    Ich habe diese Liste nie gesehen.:-)

  6. Hans Kernhaus sagt:

    Mit einem Wort: Danke.

  7. Benjamin Bitoun sagt:

    Hervorragender Beitrag, erneut viel gelernt, herzlichen Dank dafür. Bei der zweiten Beschränkung im Journalismus, der von dem Mangel an Aufmerksamkeit, stelle ich mir (und Ihnen) die Frage: Kann man Aufmerksamkeit nicht mit Qualität erzeugen?