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Mein Held: Howard Luck Gossage

Constantin Seibt am Freitag den 4. Oktober 2013

Letzte Woche fanden Sie im diesem Blog die Rangliste von fünf der sechs besten Bücher zum Journalismus. Platz 1 blieb offen. Teils, um für Sie die Spannung ins Unermessliche zu treiben. Teils, um Ihnen über das Wochenende Zeit zu geben, die fünf Bücher zu lesen.

Das wichtigste Motiv war jedoch, dass das beste Buch in einer eigenen Liga spielt. Es ist – da gehe ich jede Wette ­ein – das kühnste und trickreichste Buch zum Handwerk des Schreibens. Und es enthält mehr Ideen für die Zukunft des Journalismus im Netzzeitalter als ein paar Tausend Verlegerkongresse.

Trotzdem ist es in der Branche fast völlig unbekannt. Das überrascht nicht. Denn erstens erschien es Jahrzehnte vor dem Internet, vor fast fünfzig Jahren. Und zweitens dreht es sich um ein Genre, das sogar unter Lohnschreibern wenig Prestige hat: Das beste Buch über Journalismus ist ein Buch über das Werbetexten.

Sein Titel lautet «Ist die Werbung noch zu retten?» – und es ist trügerisch schmal. Es enthält rund drei Dutzend Werbeanzeigen für Dinge wie Fluglinien, Hemden oder Bier. Und ein Dutzend Essays, wie die Anzeigen gemacht wurden. Es ist ein verspieltes, konsequent verkaufendes, in jeder Zeile revolutionär gedachtes Buch.

Sein Autor, Howard Luck Gossage, war Kampfpilot im Zweiten Weltkrieg, Dandy und Anarchist.  Er stiess erst mit 35 auf den Beruf, für den er geboren war: das Werbetexten. In den wenigen Jahren in seinem Job – er starb 1969 mit 51 an Leukämie – amüsierte Gossage sich und sein Publikum nicht nur blendend und verdiente Unmengen Geld, sondern machte aus der Werbung «eine begrenzte, aber trotzdem eine Kunstform».

Das Bestechende an Gossages langen Textanzeigen war nicht nur ihr Witz, ihre Eleganz und ihr unverwechselbar persönlicher Stil. Sondern, dass Witz, Eleganz und unverwechselbarer Stil funktionierten. Mit drei Anzeigen schaffte er es etwa, ein im Parlament bereits beschlossenes Projekt zu kippen: einen gigantischen Staudamm, der den Grand Canyon in einen Stausee verwandelt hätte.

Gossages Erfolgsrezept war, praktisch alle geschriebenen oder ungeschriebenen Gesetze seiner Branche zu brechen. An Stelle hart verkaufender Slogans entwarf er beispielsweise realistische. Etwa für Fina-Tankstellen-Kette:

[Unser Motto]*

«Wenn Sie eine Strasse hinunterfahren, und Sie sehen eine Fina-Tankstelle und sie ist auf Ihrer Strassenseite, so dass Sie keine 180-Grad-Wende machen müssen, und es warten nicht schon fünf oder sechs Autos, und Sie brauchen Benzin oder sonst was**, dann kommen Sie vorbei.»

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* Wir wissen, dass das kein besonders einprägsames Motto ist, aber es ist realistisch; und Fina will nicht Unbequemes oder Unvernünftiges von Ihnen.

** Wie Öl. Oder 1503 weitere Dinge.

Das war Gossages kürzeste Anzeige. Alle weiteren waren wesentlich länger. Für die Irisch-Whiskey-Hersteller entwarf er eine Kampagne, die in der weitschweifigen Weise der Iren das Problem erörterte, ob irischer Whiskey (also Whiskey in Schaumkaffee) nicht den nachdrücklichen, polierten Geschmack des Whiskeys ermorde, ob also sie, die irischen Whiskeybrauer, nicht aus Profitgier ihren Stolz an eine brasilianische Beere verraten hätten … Die Anzeige brach dann mitten im Satz ab und wurde wie ein Fortsetzungsroman von Woche zu Woche weitergeführt. Gossage parodierte auch als Erster Anzeigen der Konkurrenz. Aus David Ogilvys berühmter Anzeige «Bei 100 Stundenkilometern ist in diesem neuen Rolls-Royce das lauteste Geräusch das Ticken der elektrischen Uhr» wurde Gossages Plädoyer «Bei hundert Stundenkilometern ist in diesem neuen Range Rover das lauteste Geräusch das Gedröhn des Motors».

Die Strategie der Werbung damals bestand im Wesentlichen darin, dem Publikum ihre Slogans mit einem Sperrfeuer von TV-Spots, Inseraten und Plakaten einzuhämmern. Dagegen schaltete Gossage jede Anzeige strikt nur einmal. Sein Argument: «Wenn man wirklich etwas zu sagen hat, zum Beispiel ‹Feuer!›, muss man sich auch nicht wiederholen.» Sein Arbeitsmotto war: «Die Leute lesen keine Anzeigen. Sie lesen, was sie interessiert  – und manchmal ist es eine Anzeige.»

Diese Haltung gestattete ihm nicht nur den epischen Fortsetzungsroman, sondern auch verspielte Dinge wie die Fina-Kampagne, in der er für eine mittelgrossen Tankstellenkette den letzten entscheidenden Zusatz der Branche erfand, seit vor zwanzig Jahren saubere Toiletten eingeführt wurden: rosa Luft in den Reifen. Finas Fünfjahresplan, die richtige Sorte Luft zu entwickeln, die Berechnungen für die rosa Rohrleitung, die rosa Radkappen und die Vorschau auf das Endprodukt  – rosa Ballons – verkauften Benzin derart gut, dass die anderen Werbeleute daran zu zweifeln begannen, ob es Gerechtigkeit gab.

Denn Gossages Anzeigen verkauften ihre Produkte exakt mit dem, was im Rest der Branche als Erfolgskiller galt: Intelligenz, Charme, Ironie, persönlichem Stil. Und ihr Erfolg war beweisbar. Nicht nur, weil die Verkaufszahlen  seiner Kunden ausnahmslos stiegen. Sondern Gossage pflegte an fast jede Anzeige einen Coupon zu hängen, um zu sehen, wie die Leser reagierten.

Und das taten sie. 9 der 10 erfolgreichsten Kampagnenrückläufe der 60er Jahre stammten von ihm. Gossage war der Erfinder der interaktiven Werbung, lange vor dem Netz. Seine Coupons stellten Fragen, suchten Ideen, versprachen interessante Preise. (So etwa konnte man bei Fina ein Fussballfeld rosa Beton Asphalt gewinnen, falls man eine Begründung dafür fand, wofür man sowas eigentlich brauchte.) Gossages Lieblingsmethode war, dass er mit seinen Lesern jeweils eine Konversation startete. Er las die Antworten und schrieb die nächste Anzeige wie ein Journalist: als Reaktion darauf, was passiert war.

Was Gossage für heutige Journalisten interessant macht, ist neben einigen Tricks vor allem seine Haltung, zum Publikum wie zur eigenen Branche. Nicht umsonst wunderte sich Gossage, dass die US-Werbung, «die grösste und mächtigste Propagandamaschine, die die Welt je sah, vor allem Langweile hervorgebracht hat». Dasselbe gilt erschreckend häufig auch für die News-Industrie.

Denn in beiden Branchen dominieren gern routinierte Einpeitscher. Sie sind überzeugt, dass dem Publikum die Ware in möglichst hohem Rhythmus eingehämmert werden muss, da es sonst flüchten könnte. Das gilt für die Waschmittelwerbung ebenso wie für die traditionellen Zeitungen wie für die aktuellen Online-Seiten: Fast alle setzten auf die Materialschlacht. Man bolzt Nachrichten, Schlagzeilen, Skandale, Klicks nach Rezept.

Und die Leute mit der Peitsche sagen, dass das, was sie – angeblich – persönlich schätzen, das Publikum nicht schätzt: Intelligenz, Charme, Witz, Nebengedanken, Ironie, Freundlichkeit, Individualität, Stil, Schönheit, Aufrichtigkeit, was immer. Sondern dass die Leute nur eines wollen: mehr von dem immer Gleichen.

Diese Erkenntnis halten sie – gerade wegen ihrer Trostlosigkeit – für Realismus. Als wäre Trostlosigkeit das Gegenteil von Naivität.

Wer Gossage gelesen hat, wird an all dies nicht mehr glauben. Gerade weil sein Buch sich um das Werbetexten, also die härteste Form des Schreibens dreht – um Texte, die einen messbaren Erfolg haben müssen. Denn Gossage beweist: Die Tretmühle ist eine Verschwendung der wichtigsten Ressourcen – von Zeit, Talent und Geld. Nichts verkauft sich besser, als auf jeweiligen Regeln der eigenen Branche zu pfeifen. Den eigenen zu folgen. Und dem Publikum auf Augenhöhe zu begegnen: Es also für mindestens so intelligent und verrückt zu halten wie man selbst.

Die erfolgreichen Praktiker der Branche wussten das immer: Alles möglich. Jede Form, jedes Thema, jede Länge. Solange es interessant ist. Denn Leute lesen keine Zeitungsartikel. Sie lesen, was sie interessiert – und manchmal ist es ein Zeitungsartikel.

Kafka schrieb einmal: “Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.” Gossages Buch ist so ein Buch.

PS: Da die deutsche Fassung des „Ist die Werbung noch zu retten“-Buchs vergriffen ist, lässt sich eine Ersatzaxt auch hier finden:

  1. Der Artikel zu 40. Todestag von Gossage. Nicht ganz kurz, aber vom Handwerk her der variantenreichste Artikel, den ich je geschrieben habe.
  2. Das aufwändige, dicke, prächtige «Book of Gossage», schwer genug, um damit einen Verlagsbuchhalter zu erschlagen.
  3. Die schlanke, schöne, letztes Jahr erschienene Biographie über Gossage mit dem Titel: «Changing the World is the Only Fit Work for a Grown Man»

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38 Kommentare zu “Mein Held: Howard Luck Gossage”

  1. Bernd Zocher sagt:

    Gossage hat ein kluges Schweizer Pendant: Adolf Wirz’ “Marginalien zur Werbung”. Es ist nicht nur wie die Rettung des gesunden Menschenverstandes im Werbegeschehen, sondern eine kluge Denkschule zum Schreiben. Wirz ist im Ton zwar gedämpfter als Ogilvy und Gossage, aber zu fast allem, was er damals schrieb, könnte man heute noch zustimmend nicken.

    • Constantin Seibt sagt:

      Danke für den Tipp! Werd’s mir ansehen, in seinem herbstlich gedämpften Ton.

      • Hans Kernhaus sagt:

        A propos “Wirz”: Die Schweizer Agentur GGK wurde ja offenbar von Gossange mit einem Vortrag in Basel beehrt.

        Die Konvention zu durchbrechen kann auf beide Seiten funktionieren (kang/kurz). Man muss einfach von der vorgegebenen Folie einer bestimmten Kommunikationsform abweichen (und das muss man können, sonst gehts richtig in die Hosen).

        Wunderbar bewiesen hat uns das letzte Woche Paul Gredinger (GGK) mit seiner Todesanzeige. Gredinger durchbrach brutal das Gesetz (“länglich”, “pathetisch”, “verharmlosend”) und sandte uns damit seinen Kurznachruf der lautete: “ich beherrschte mein Handwerk”.

  2. Marcel Zufferey sagt:

    Ich war mal Werbetexter, aber was der Typ da schreibt, ist zu lang und zu selbstverliebt, sorry. Ein guter Claim umfasst maximal 5 (fünf) Worte, sond wird er entweder überlesen, übersehen oder überhört. Die Sprachwelt im 21. Jahrhundert lebt von der Kürze, davon zeugen nur schon Internetplatformen wie Twitter o. ä. Wer heute etwas zu sagen hat im Zeitalter der Reizüberflutung, muss sich nicht nur kurz halten, sondern sich auch einer bildlichen Sprache bedienen. Die 20-Minuten-Informationsgesellschaft will es kurz und nicht episch lange!

    • Peter Müller sagt:

      Uiii, sie haben wirklich nicht verstanden was dieser Artikel zu sagen versucht!

    • Dario Cavegn sagt:

      Wunderbar 🙂 Weil locker über zwei Drittel aller Marketingleute und Texter genauso denken wie sie, machen Leute wie ich mit schön langen Texten Kohle und verdienen uns einen guten Ruf noch dazu, weil unser Kram viel bessere Rückläufe hat. Seibt hat in jeder Hinsicht recht, und ich hab’ Zahlen, die beweisen, dass all das heute noch genauso gut funktioniert wie früher. Das Zauberwort ist nicht kürze, sondern persönliche Relevanz, und an die kommt man ohne Interesse, ein offenes Ohr für die anvisierten Leute und einen langen Atem (in jeder Hinsicht) nicht aus.

    • pgirard sagt:

      Es geht bei Gossage nicht um die Werbung des 21. Jahrhunderts, sondern um Werbung vor 60 Jahren! Abgesehen davon: von seinen Qualitäten könnten sich viele heutige Werbetexter noch eine Scheibe abschneiden. Falls sie denn (und das ist die Grundvoraussetzung) erst mal einen Claim von einer Headline unterscheiden können. Was aber heute wie damals gilt: Werbung anschauen ist freiwillig. Ob man es tut, ist nicht von der Headline-Länge abhängig, sondern von der Idee. Und da hat uns Gossage auch heute noch sehr viel zu sagen.

  3. Schön, dann sind wir ja der gleichen Ansicht (vgl. meine Wortmeldung von gestern). Ein neunmalklugscheisserisches Detail: mit Whiskey in Schaumkaffee meinten Sie natürlich Irish Coffe.
    Und eine Bemerkung zu Platz 3: noch besser – weil umfangreicher und (laut Wollschläger) originalgetreuer – als «Die simple Kunst des Mordes» sind die «Briefe 1937–1959»; Wollschläger müsste es wissen, ist er doch der Übersetzer beider Bücher.

    • Constantin Seibt sagt:

      Wow, ja, wir waren der gleichen Ansicht. Und ja, ich meinte als höchstens achtmalkluger Irish Coffe. Und voll, ich wusste gar nicht das der Briefband von Chandler existiert. (Das ist das Schlimme am Bücher empfehlen: Es wird zurückempfohlen. Man wollte lesen lassen und muss lesen.)

  4. Stefan Bachmann sagt:

    “Das beste Buch über den Journalismus ist…” – “Das einzige, was man wissen muss…” – Auch so ein journalistischer Trick – obwohl solche Überhöhungen natürlich Unsinn sind. Man kann es (wie viele CR es formulieren) “Eindeutigkeit” oder “Fokussierung” nennen, aber, wenn man böse sein will, ist es einfach eine Form von Arroganz (dieser kann es, alle anderen können es nicht). Was mir am Post gefällt: die Erkenntnis, dass Leser intelligenter sind als angenommen, dass sie nicht auf jeden marktschreierischen Trick hereinfallen (eben!), und dass das leider viele CR noch nicht geschnallt haben.

    • Constantin Seibt sagt:

      Natürlichhaben Sie Recht: Ich hab etwas an meinem Marktstand gestanden und gebrüllt. Das beste Buch heisst natürlich: das Brauchbarste, das ich gelesen habe. (Aaaaber, immerhin: Das waren einige.)

      • Stefan Bachmann sagt:

        Danke für Ihre Antwort. Ich wollte Sie übrigens keineswegs der Arroganz bezichtigen. Der Trick der Überhöhung, Zuspitzung, Auf-den-Punktbringung ist ja auch durchaus legitim. Die Frage ist, wo die Grenze ist, wieweit man das Spiel treiben darf, ohne dass es zum billigen Thesenjournalismus wird. (Auch den will ich Ihnen auf gar keinen Fall unterstellen.) Oder anders gesagt: Inwiefern darf und soll man Ausgewogenheit der EIndeutigkeit opfern. Würde mich freuen, wenn Sie mal darüber schreiben würden.

  5. Simon Kümin sagt:

    Allerbesten Dank, Herr Seibt. Das Beste, was ich seit Langem über Werbung gelesen habe. Grüsse von einem Texter.

  6. @Marcel Zufferey Eben genau nicht. Es müssen nicht 100 Prozent aller Leser alle Texte lesen (das tun sie sowieso nie). Mir genügen 10 Prozent und im schlimmsten Falle sogar nur 1 Prozent der Leser, die (m)einen langen Text lesen und sich dazu ihren Teil denken.

    • 1. Herr Zufferey hat wirklich keine Ahnung. Zum Glück fürs Publikum «war er mal Werbetexter» und ist’s nicht mehr.
      2. «Nur 1 Prozent der Leser» können viel zu viele sein: Stellen Sie sich vor, Sie schreiben eine Stelle oder eine Wohnung aus, und ein Prozent der Tagi-Leser meldet sich auf Ihr Inserat (und Dutzende stehen gleich auf Ihrem Teppich): Sie wüssten nicht wo wehren. Häufig, wenn nicht meist, besteht die Zielgruppe eines Inserats aus nur gerade einer Person – der richtigen.

      • Marcel Zufferey sagt:

        Und den ganzen Rest dieser einen Person verkaufen Sie wahrscheinlich als Streuverlust, nicht? Zählen Sie sich eigentlich bereits zu den staatsnahen Betrieben? Nach einem Blick auf Ihr wirklich beeindruckendes Portofolio (und dessen Gewichtung, v. a. aus Sicht der digitalen Revolution) ist mir- einmal mehr- vor allem eines klar geworden: Ich bin gottefroh, nicht mehr im Kommunikationsbereich tätig sein zu müssen!

  7. Fritz Iversen sagt:

    Dass sich jemand an Gossage errinnert! Kern schien mir immer bei ihm, dass ihm nicht Auffallen & Interesse erregen das Wichtigste war, sondern die Leser als Menschen ernst zu nehmen, wenn man so will: Kommunikation human und anti-manipulativ zu schreiben und zu gestalten. Deswegen auch sein Kampf gegen die Aufdringlichkeit der Riesenplakate. Einer seiner begnadetsten Schülerwar im deutschen Sprachraum Bertel Schmitt, ursprüngl. Journalist, der als Guestwriter 2001 groß machte (“Durch den unkonventionellen Stil der Kundenansprache wurde die Firma zu einem bedeutenden Verlag”).

  8. Martin Schori sagt:

    Wenn denn die Leser so intelligent sind, weshalb kaufen (oder lesen) dann so viele Leute den Blick (in der Schweiz – in anderen Ländern gibt es ähnliche Zeitungen, gemeinhin auch als Boulevard bekannt)? Herr Gossage mag vieles richtig erkannt haben, aber einiges ist halt nur gut resp. scheinbar wirksam, weil viel Geld in die Werbung (Reklame) investiert wurde. Ein Werbetexter ist ja in erster Linie ein Verkäufer. Das Schreiben kommt erst nachher.

    • Constantin Seibt sagt:

      Vermutung 1: Ohne jede Intelligenz ist der “Blick” gar nicht.
      Vermutung 2: So schrecklich intelligenter ist die Konkurrenz nicht.
      Vermutung 3: Menschen sind neugierige, also inkonsequente Wesen. Sie essen manchmal Fast Food, manchmal das dreifach traippienierte Gemüse-Soufflé vom Chef. Die Sache ist: Vernünftig angesprochen, sind eigentlich fast alle zum Zuhören zu verführen.

      Und weil er das tat, brauchte Gossage eben ein wesentlich kleineres Budget als die Konkurrenz, um seine Wirkung zu erzielen.

  9. Marcel Zufferey sagt:

    Werbung ist im Zeitalter von Überangebot und Unternachfrage ohnehin ziemlich überflüssig. Warum gibt es z. B. Tools in einzelnen Browsern, mit denen man Werbung aus dem Fenster verbannen kann? In der heutigen Zeit wechselt der bewusste Konsument beim 5’998sten Spot über ein ‘neues’ Vollwaschmittel oder die 395ste Kleinwagengeneration ohnehin sofort (und solange) den Sender, bis die ursprungliche Sendung weiter geht. Nicht ohne Grund spricht man heute bei immer mehr Menschen von Marketingresistenz. Die M-Budget-Linie z. B. (No Name-Produkte) weist hier den Weg in eine ganz andere Zukunft.

    • Marcel Zufferey sagt:

      Noch ergänzend: Betrachtet man die Entwicklung bei den Werbeeinnahmen in der Tagespresse, dann sticht v. a. eines ins Auge: Seit 2002 haben sie sich praktisch halbiert. Die Werbeeinnahmen ihrer Onlinependants konnten diesen Ausfall bislang bei Weitem nicht wett machen. Das grosse Geld fliesst mitterlweile in die Suchmaschinenwerbung, die mit weitem Abstand am stärksten wächst. Ich glaube, mit tollen Worten, ob kurzen oder langen, hat dass nicht mehr viel zu tun. Ob die Würze in der Kürze steckt oder nicht, darüber kann man sicher streiten. Aber das ist heute ein Nebenkriegsschauplatz.

      • Marcel Zufferey sagt:

        Ob sich die Krise der klassischen Medien mit schönen Worten lösen lässt, wage ich zu bezweifeln. Was wir z. Z. erleben, ist das, was Schumpeter einst den “Prozess der schöpferischen Zerstörung” genannt hat. Jeff Bezos Übernahme der renommierten Washington Post hat geradezu symbolischen Charakter für die Entwicklungen im Medienbereich. Die Informationshierarchien, wie sie vielleicht noch bis zum Intel 4004 existiert haben, zerfallen zusehends. Der Zugang zu Informationen wurde demokratisiert. Das ist die übergeordnete Entwicklung und dieser muss man sich zuwenden. Alles andere ist Nostalgie.

        • Constantin Seibt sagt:

          Yep, Herr Zufferey, manchmal fürchte ich das auch, dass es dem Journalismus so geht wie den St. Galler Stickereimanufakturen, als die englischen Webstuhlindustrie anlief: Egal wie gut oder schlecht das Produkt war, passé waren alle. Übrig blieb nur ein Luxus-Nischenmarkt.
          Nur glaube ich, entbindet einen das nicht, über die Qualität der verkauften Ware nachzudenken. Denn so innovativ Herr Bezog auch ist, bis jetzt ist er erst ein Milliardär mit einem neuen Spielzeug. Und man sollte nicht auf wundersame Retter (wie Milliardäre oder das iPad) hoffen, wenn man im Sumpf steckt.

          • Marcel Zufferey sagt:

            Späte Antwort, Herr Seibt, tschuldigung. Doch hier habe ich eine geradezu sensationell schöne Perle aus dem publizistischen Bereich gefunden, die für mich (und wahrscheinlich auch aus Ihrer Perspektive, nämlich jener des journalistischen Geschichtenerzählers, wie Sie einmal hier irgendwo erwähnt haben) eindeutig die Zukunft Ihres Berufsstandes darstellt. Ach ja, Links werden nicht publiziert. Also googlen: ‘a game of shark and minnow nyt ‘ Ihnen ist das vielleicht mehr als nur bekannt. Aber für mich als Endverbraucher eine absolute Sensation!

          • Constantin Seibt sagt:

            Wow, jep, das sieht schon spektakulär aus und liest sich so weich und natürlich wie ein Hundefell. Ich versuch mal, ob ich mit meinen Superhyperdiktatoradministratorenrechten den Link hier hinkriege:
            http://www.nytimes.com/newsgraphics/2013/10/27/south-china-sea/

          • Marcel Zufferey sagt:

            Als ich damit begann, mich eingehender mit der Industrialisierung auseinander zu setzen- und der damit verbundenen Auflösung ganzer Berufszweige aus dem handwerklich-gewerblichen Bereich- dachte ich immer: Jaja, das war einmal. Weit gefehlt: Ich halte gerade ein Printprodukt in den Händen, dass gerade unbemerkt versucht, seine WEMF/SV-beglaubigte Auflage künstlich hochzuhalten: Das hat etwas wirklich Tragisches. Sie haben recht: Die Geschichtenerzähler haben Zukunft. Die Zeit hat ihr Archiv online gestellt: Man darf sich also bedienen. Gratis. Nackte Informationen sind wertlos geworden.

  10. No-Name sagt:

    @Constantin Seibt
    “Bei einem grossen Wettbewerb wurden 15 Yards rosa Asphalt für die beste Begründung, warum man ihn brauche, ausgeschrieben.” (Nachruf)
    “So etwa konnte man bei Fina ein Fussballfeld rosa Beton gewinnen, falls man eine Begründung dafür fand, wofür man sowas eigentlich brauchte.” (oben)
    Die spielen ziemlich engen Fußball da drüben. Auf fossilem Beton.
    Was beweist: Man liest Interessantes auch wenn’s lang ist. Danke für den Hinweis!

    • Constantin Seibt sagt:

      Aaargh! Werde sofort den rosa Beton durch rosa Asphalt ersetzen. (Und meine Ambitionen als künftiger Chef des Zürcher Tiefbauamts begraben.)

  11. Christiene Hock sagt:

    In den bitteren Zeiten von “Liest doch eh keiner” und “Hier klicken!!!” tut es so gut, sich an das zu erinnern, was (spätestens) seit Howard Luck Gossage gilt: 1. Die Leute lesen das, was sie interessiert. Darum musst du, Texter, 2. schreiben, was wirklich interessiert. Und relevant ist! Außerdem ist ganz klar: 3. Wer Leser/Verbraucher für blöd verkaufen will, wird nichts verkaufen.
    Ich kämpfe seit 10 Jahren für gute Texte, die Produkte verkaufen. Danke, Herr Seibt, dass Sie diesen brillianten Sparringspartner aus der Versenkung geholt haben.

  12. Jeeves sagt:

    Werbung? Heisst dieses verlogene Zeugs nicht mehr Reklame?

  13. Bernd Schmidt sagt:

    Weil so viel über das Ende der Zeitungen geunkt wird,stelle ich mal
    die Frage/Gegenthese.
    Hilft das Internet nicht möglicherweise langfristig sogar guten Zeitungen
    sogar?
    Mittelmaß als Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr,
    da wird doch eine Menge Platz frei. Und Geschmäcker ändern sich auch.
    Am Ende setzt sich meistens doch Qualität durch,man muß nur einen langen
    Atem haben.
    Die “ZEIT” hatte gerade die Rekordauflage ihrer Geschichte – 520.000 Exemlare.
    Ein Untergang sieht anders aus.

  14. Bernd Schmidt sagt:

    Exemplare natürlich.
    Hinweis an mich: vorm Posten noch mal durchlesen

  15. Howard Gossage wird von Advertising Age auf Platz 23 seiner 100 Werbung Menschen des 20. Jahrhunderts aufgeführt. AdAge.com ruft Gossage ein “Texter, admakers weltweit beeinflusst.

  16. Merkwürdiger Zufall: Ihren Artikel zum 40. Todestag Gossages zu lesen und festzustellen, dass heute der 45. ist.