Was, wenn es nicht rund läuft? Wenn Sie einen komplexen Stoff nicht in den Griff bekommen? Und der Redaktionsschluss ist praktisch Tatsache?
Das Desaster zuvor war: Sie sind in den eigenen Notizen ertrunken. Sie haben keine Haltung zum Stoff gefunden. Sie wissen hundert Dinge, nur nicht, was das Ganze soll.
Was tun?
Der beste Rat gleicht dem, den mir mein Freund Paolo Fusi gab, als er mich in Erfurt als Co-Moderator in seine Sendung schleifte.
«Ich habe noch nie Radio gemacht», protestierte ich.
«Kein Problem», sagte Paolo: «Sag einfach einen Gedanken pro Satz. Dann sind alle glücklich.»
«Und wenn ich keinen Gedanken mehr habe?»
«Dann spielen wir Musik. Dann sind alle noch glücklicher.»
Und so ist es; nur ohne Musik. Im Notfall genügt ein halbwegs vernünftiger Gedanke. Und dann der nächste. Und dann der nächste.
In der Klemme wäre mein Rat, schnell folgenden Fresszettel zu machen:
- Die zwei, drei amüsantesten Anekdoten
- Die zwei, drei wichtigsten Informationen
- Die zwei, drei schmissigsten Zitate
- Die zwei, drei cleversten Gedanken
- Die zwei, drei naseweisesten Nebenbemerkungen
Und dann reiht man das Interessanteste auf dem Fresszettel skrupellos hintereinander. Nach dem Prinzip Perlenkette. Präziser gesagt: Glasperlenkette. Denn die Kette ist eine billige dramaturgische Struktur. Sie kennt keine Steigerung, keinen Anfang, kein Ende, also weder Entwicklung, noch Fazit – und sie pflegt am schwächsten Glied zu reissen.
Deshalb ist es wichtig, falls einem keine bessere Lösung eingefallen ist, auch nicht so zu tun, als ob. Und keinen Platz und keine Energie auf ehrgeizige Überleitungen oder sonstiges Füllmaterial zu verwenden.
Sondern mit so wenig Überleitungen wie möglich, die interessantesten Brocken aneinanderzufädeln. Und die weniger interessanten wegzulassen.
Um das Publikum ein wenig zu täuschen, hilft am Ende der bereits (im Post «Der elegante Schwanzbeisser») beschriebene Trick, den Schlussabsatz auf den Anfangsabsatz zu beziehen. Das täuscht Geschlossenheit vor.
Manchmal haben diese Notartikel durchaus einen rauen, glitzrigen Charme. Und da Leser Kinder sind, freuen sie sich oft über Glasperlenschnüre.
Nur: Lassen Sie sich von eventuellem Lob nicht den Kopf verdrehen. Sie haben’s nicht gepackt. Sondern nur in Würde Ihren intellektuellen Hintern gerettet.
Betrügen Sie Ihre Leser, aber niemals sich selbst. Sagen Sie sich: Nächstes Spiel, nächste Chance.
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die wahrnehmung, sowie denken und handeln werden von aussen bestimmt. jeder mensch betrügt sich selbst; das ist unabdingbar.
Hey ! Genau so schreibe ich meinen Blog – nur Dummschwätz und unnötiges, besserwisserisches Geschwafel – Glasperlen in heißer Luft sozusagen – und die Wilden äh Leser fahren voll drauf ab und glauben sie bekommen “das beste Buch der Welt” vorgestellt – hahaha ! Schau selbst: >>> http://dasbestebuchderwelt.de
Oh, Sie auch?
Viele informative Artikel in der New York Times oder bei BBC-Texten lesen sich genau so, als eine Perlenkette, nach deren Lesen man wenigstens alle wichtigen Notizzettel lesen durfte. Manchmal auch anregend.
Yep. Wobei dann immer das beunruhigende Gefühl bleibt: Klasse Rohstoff, aber die Amis und die Briten kochen oft auch nur mit Wasser. Man hätte es besser machen können: damatischer und kürzer.
@ Seibt: Faszinierend. Immer wenn ich Artikel lese von Journalisten mit abgebrochenem phil.-1-Studium, die mir die Wirtschaft erklären wollen, oder von Auslandkorrespondenten, die weder die Landessprache beherrschen, noch von der Geschichte oder der Kultur, noch von sonst etwas eine Ahnung haben, und mich belehren wollen über ein Land, dann fühle ich mich wie ein Wilder, dem ein Weisser Glasperlen verkaufen will. Nur dass ich schon längst gemerkt habe, dass diese Artikel wertlos sind. Danke, dass auch Sie das nun gestehen.
Das freut mich sehr. Endlich war der Abbuch meines Studiums zu etwas nutze: als Warung für alle hochqualifizierten Leser. Bzw. Nicht-Leser. Die kompetent ihre Zeit für Sinnvolleres einsetzen kön… Aber was tun Sie eigentlich hier?
Es ist schön, dass sich die Tamedia noch Leute wie Sie leisten kann. Das macht Hoffnung für den Print-Journalismus. So schlecht scheint die finanzielle Lage der Schweizer Medienhäuser nicht zu sein.
I dont believe in glas pearls! I just believe in football! Can you play football with glaspearls? You can’t – see you.
Have a nice day anywayly! Loddar M.
So teuer bin ich auch nicht. Eigentlich nur eine bescheidene Zuchtperle in der Krone. Wirklich gut ginge es dem Printjournalismus, wenn er sich einen Herrn Gentinetta als Anzeigenaquisiteur oder einen Herrn Dougan als Contoller leisten könnte.
Das ist der beste Beitrag rund ums Thema Schreiben, den ich seit langem gelesen habe. An das letzte Mal kann ich mich eigentlich gar nicht mehr erinnern. Schreiben ist ein Handwerk, wie jedes andere auch. Hätte ein Antikmöbelschreiner hier über die fachgerechte Restauration einer dreischweifigen Barockkommode geschrieben, dann hätte er dem Leser wohl empfohlen, die antiken Holzfragmente, aus denen die Intarsien sind, einfach fortzuwerfen durch Furnier zu ersetzen. Sehr schön geschrieben, wirklich!