Das ist ein alter Plan von mir. Ich habe ihn schon vielen Leuten vom Fach vorgeschlagen und eigentlich haben ihn alle für widerlich oder für verrückt erklärt. Je höher in der Hierarchie, desto entschiedener.
Der Plan ist folgender: Wenn ein Artikel kurz vor Redaktionsschluss hineinkommt und er ist ziemlich mies und man hat keine Alternative, dann wäre ich dafür, ihn nicht zu drucken. Und stattdessen den Platz weiss zu lassen. Und unten hinschreiben:
Hier sollte eigentlich ein Artikel über {hier das Thema} stehen. Leider ist er noch nicht wirklich perfekt. Aber wir arbeiten hart daran, ihn bis zur nächsten Ausgabe hervorragend zu machen.
Meiner Meinung nach würde dies Respekt vor dem Leser beweisen. Ausserdem die Spannung auf die nächste Ausgabe steigern. Und den betreffenden Autor zu Höchstleistungen motivieren.
Ich würde eine Zeitung, die so etwas macht, sofort abonnieren.
Aber eben, mit dieser Meinung bin ich ziemlich allein. Deshalb frage ich Sie: Würden Sie eine solche Zeitung kaufen? Würden gelegentliche weisse Flecken Ihr Vertrauen in eine Publikation schwächen oder stärken? Wäre der Fleck nicht souveräner als ein halbgarer Artikel? Oder würde er das Blatt ewigem Gespött preisgeben?
Der Grund dafür, dass ich Sie das frage, ist klar. Der für heute Mittwoch versprochene Teil 2 des Beitrags «Die Strategie für die Zeitung von Morgen» ist noch nicht wirklich perfekt. Aber wir arbeiten hart daran, ihn spätestens bis nächsten Montag hervorragend zu machen.
die idee ist äusserst genial. und jetzt kommt der kleine haken: der chefredaktor würde ihnen wohl eher den kaffee intravenös verabreichen, bis morgens um 4, als weisse flecken zu dulden. 🙂
Irgendwas stimmt da logisch noch nicht – könnte man an die unbesetzten Plätze nicht die inzwischen perfektionierten Artikel der Vortage setzen? Ansonsten: Ob ich mit dem Weißen leben kann, hängt am meisten davon ab, ob das Schwarze sein Versprechen erfüllt. Zudem ist der Zug mit der gedruckten Zeitung bei mir, ich fürchte inzwischen endgültig, abgefahren. Im Internet komme ich gezielter und schneller an das was mich interessiert – wohlgemerkt über den RSS-Feed meiner Zeitung.
Eine nette Idee, als Gedankenspielerei. Aber wenn sie dann umgesetzt wird, hinterlässt sie einen schalen Geschmack. Der Weissraum würde der Glaubwürdigkeit schaden. Ich kaufe eine volle Zeitung. Und wenn die es nicht mal hinkriegen, sie fertig zu machen, dann haben sie irgendwo ein Problem. Die bleiben ja gar nicht wirklich dran…
Nein.
Maximal ein kurzer Hinweis auf die Online-Berichterstattung und ein ausführlicher Hintergrundtext am nächsten Tag. Ich glaube, die Zeiten als die gedruckte Ausgabe der Zeitung noch “Breaking News” lieferten, sind eigentlich seit dem Radio vorbei.
Ich bin auch der Meinung, dass man sich als Journalist vom Medium lösen muss. Denn eigentlich ist der Unterschied zwischen einem hochwertigen Text auf Papier und einem im Web nicht so groß. Dass Online-Redaktionen stiefmütterlich behandelt werden liegt nicht am Medium Internet, sondern an der Einstellung der jeweiligen Redaktionen zu diesem Med
Eine solche Zeitung würde ich nicht kaufen, wie ich auch keine Zeitung kaufe, in der die meisten Artikel nur halbgare Pose sind, gleichzusetzen mit weißem Papier. Aber ich würde für die einzelnen Artikel bezahlen, die in der von Ihnen vorgeschlagenen Zeitung gedrückt würden, wenn ich mit Sicherheit davon ausgehen könnte, dass sie gut sind: das Beste, was eine Redaktion in der Lage ist, hervorzubringen.
Kurze Antwort: ja (ich würde sie kaufen)
Längere Antwort: nein (nicht kaufen)
erklärende Antwort: Eine Zeitung muss mir Aktuelles bieten, das aber nicht unbedingt super-duper. Hintergrundberichte müssen nicht zwingend super-aktuell sein, aber inhaltlich sollten sie was hermachen.
Nun. Solange z.B. die Tagi-Artikel das aktuelle Qualitätsniveau halten, sollten sie wenigstens aktuell sein. Wenn ich die Aktualität ohnehin aus dem Netz beziehe, sollten aber der Inhalt etwas zulegen. Und dann darf es auch weisse Stellen haben. Und ich kaufe es trotzdem.
Früher hätte man ein Kreuzworträtsel dort platziert …
Ich dachte, das gibt es bereits: Der weiße Platz wird eben einfach mit nutzlosen Symbolfotos von amerikanischen Models, erworben bei iStockPhoto & Co, gefüllt. Ich persönlich hätte da oft lieber gerne einen weißen Fleck.
DIe Idee ist die Richtige, allerdings etwas negativ formuliert. Es ging ja nicht darum weisse Flecken zu publizieren, sondern der Herstellungsprozess eines Artikel transparent zu machen. Als Beispiel könnte zum Beispiel GitHub dienen, das ein Tool für die Herstellung von Programmier-Code ist und den Erstellungs-Prozess dokumentiert. Übertragen auf eine Zeitung könnte man Artikel publizieren, bei denen ersichtlich ist, mit wem der Journalist telefoniert hat, welche Recherchequellen er benutzt hat etc. Das wäre added Value, der sich auch monetarisieren liesse.
Interessante Idee. Muss es mal probieren. Obwohl es gefährlich ist: ein tiefer Blick in die Küche, wo mit Wasser gekocht wird.
Da gäbe es – seien Sie ehrlich – täglich viele weisse Flecken im Halbwissen-Business. Es gibt da eine simple alternative Strategie: weniger publizieren, weniger Seiten, weniger als “Analyse” verbrämte persönliche Kommentare. Dafür richtigen old school Journalismus: Recherchieren.
Ob ich eine Zeitung mit weissen Stellen kaufen würde? Einzeln nicht, wenn gerade der Artikel, der mich interessiert fehlt, aber kein Problem mit einem Abo.
Bei der Frage nach Qualität oder Quantität bin ich unbedingt für Qualität. Weniger häufig stört mich nicht. Im Gegenteil, ich bin ja bereits am Limit mit dem täglich zu verdauenden Lesestoff.
Ein sehr gut recherchiert und geschriebener Text wie der letzte Blogbeitrag zu HBO kann mich begeistern. Dafür wäre ich auch in Blogform bereit zu bezahlen, eine ganze Plattform zu abonnieren oder eine einzelne Blogserie zu kaufen, wie bei HBO.
Ich würde weisse Flecken eher dulden als schlechte Artikel. Das Problem wäre aber vermutlich, dass zumindest im Boulevard-Bereich so manche Zeitung leer wäre 😉
Ja! Ich würde sie absolut kaufen. Ich glaube schlechte Inhalte sind verheerender als keine Inhalte. Wer dann denkt, die Zeitung hätte ihr Business nicht im Griff, hat keine Ahnung von Redaktionen. Die meisten Leute haben keine Ahnung von Redaktionen – also doch: Nein! (Cool, ich denke schon wie eine Chefredaktorin!)
Super Idee! Eine Zeitung, die Ärger und Zeit sparen würde. Müsste nicht mehr kopfschüttelnd zwei oder drei unbedachte Sätze lesen. Könnte sofort unbeschwert weiterhüpfen.
Löbliche Idee mit einem aber: Was, wenn bei so einer Zeitung dann doch ein Artikel erscheint, der trotzdem noch nicht wirklich perfekt ist?
Es kommt natürlich darauf an, wie viele weiße Flecken das dann werden. Wenn ich mir manche Zeitungen anschaue, da müsste mehr als die Häfte nochmal überarbeitet werden.
Wenn die Redaktion aber grundsätzlich gründlich arbeitet und auf diese Weise die Artikel zwar später dafür aber perfekter bringt, werden die weißen Flecken wohl wieder seltener und die Zeitungs kaufenswerter.
Das wäre wohl die beste Werbung aller Zeiten: Die Zeitung würde ich am nächsten Tag garantiert wieder kaufen, nur um zu sehen ob der Artikel das versprochene Niveau wirklich erreicht hat! Genau so wie ich jetzt definitiv am Montag wieder auf diesen Blog schauen werde, über den ich heute rein zufällig gestolpert bin! Dennoch mache ich mir wenig Hoffnung, dass eine Zeitung jemals diesen Mut aufbringen wird… Denn leider verstehen selbst viele Profis absolut gar nichts von “gutem” Marketing – wie es Martin Oetting von TRND hier ziemlich treffend und witzig erklärt: http://vimeo.com/58978155
bezogen auf den hier wirkenden verlag?
tja, auf dem weg zur selbstabschaffung eine gelungene selbsterkenntnis.
bezogen auf die allgemeine journalistische qualitätsarbeit?
halb zu ende gedacht; denn der ursächliche grund zur vermeidung dieses dilemas, liegt in der rekrutierung und befähigung der schreibenden.
Perfektion muss nicht sein, sonst könnte ja gar nie etwas publiziert werden Gut genug muss reichen.
Ansonsten will ich bei einem fertigen Produkt nicht die Mühe der Herstellung unter die Nase gerieben bekommen, also bitte keine Entschuldigungen und Erklärungen, sondern einfach nur frei lassen, fertig. Hin und wieder ein bisschen weisses Papier zwischendrin würde ich durchaus schätzen – Platz für eigene Gedanken, für Notizen, Skizzen…
Könnte man auch vorschlagen, anstellen wessen Kommentare ein weissen Feld jeweils stehen sollte.
Mit diesem Blog hier könnte der Anfang gemacht werden. Und im Internet würde das Wegbleiben dieses Blogs nicht mal auffallen – in echt wäre es einfach eine gottlose Papierverschwendung. Aber das sind Seibts Artikel ja so der so.
Sie verwechseln den Blog mit Ihrem eigenen Kommentar, Herr Schneider. Der wird uns keine Sekunde fehlen. Den Seibt aber wollen wir behalten.
Ich bin im Gegenteil dann und wann mit Herrn Schneider einverstanden. Und denke mir auch bei einigem: das war aber gottlose Papierverschwendung, Junge. Obwohl mich trotzdem freut, dass Herr Schneider ein weiteres Mal Lebenszeit mit einem Artikel verschwendet, den er gar nicht lesen wollte.
Ich bezahle nicht für Bemühungen, sondern für Resultate. Hat der Bäcker am Morgen noch kein gutes Brot gebacken, macht ihn das auch nicht attraktiver.
Die Idee ist übrigens nicht neu. Morgen kommt vielleicht ne bessere?…
Ne bessere vielleicht. Ne neue nicht. Kultur ist eine Kette von Diebstählen. Gute Ideen sind fast alle geklaut.
[…] seinem tollen Blog “Deadline” beim schweizer “Tagesanzeiger” fragt Journalist Constantin Seibt, ob seine Leser eine Zeitung kaufen würde, die gelegentlich mit […]
Nette Idee. Aber…echt jetzt? So? Für alle?
Sehr geehrter Kunde! Gerne bestätigen wir Ihnen den Eingang der Summe X auf unserem Konto. Ihr neuer Wagen steht bereits vor Ihrer Tür. Das mit dem vierten Reifen haben wir leider nicht hinbekommen. Aber: er kommt nächste Woche. Versprochen!
Lieber Fahrgast! Da wir doch mit einigen Verzögerungen rechnen, wenn wir Sie nach C fahren, fahren wir sie heute spontan mal nur bis B. Morgen bemühen wir uns dann aber um Pünktlichkeit!
Lieber Gast! Sie vermissen die Milch im Milchkaffee? Zurecht – wir hatten keine. Aber morgen – morgen…
Chapeau, Herr d. R.! Mit Analogien argumentieren – den Blogpost muss ich auch mal schreiben. Denn damit kann man grossartige Schwinger landen. Und nach Ihren Analogien… wow… muss ich erstmal die Zähne meiner Idee vom Boden aufsammeln.
Hallo Herr Seibt!
Nun: Das wollte ich nicht. Und “…die Zähne meiner Idee vom Boden…” – herzlichen Dank dafür 🙂
Nein, würde ich nicht kaufen. Der Grund ist simpel: Von einer Zeitung, für die ich bereit bin Geld auszugeben, erwarte ich in jeder Ausgabe mindestens zwei längere Texte, die mich zum Denken anregen oder mein Wissen erweitern. Der Rest ist Beiwerk – bestenfalls unterhaltend. Wenn es eine Redaktion nun regelmässig nicht schafft, mir diese lesenswerten Texte zu liefern, dann ist die Zeitung ihr Geld nicht wert. Unabhängig davon, ob der für die guten Texte vorgesehene Platz für halbgare Artikel oder weisse Seiten verwendet wird. Dieses Prinzip nennt sich Professionalität.
Sehr geehrter Abonnent, bin einverstanden: Zwei, drei Artikel sind es, die einen am Morgen glücklich machen. Oder, wenn sie nicht existieren, enttäuscht zurücklassen. Um sie geht’s. Die Frage ist, wie man zu ihnen kommt: und weisse Flecken wären eine Strategie dafür. Wenn auch – zugegeben – vielleicht eine brachiale.
Die Thüringer Allgemeine hat vor einem Jahrzehnt (oder so) genau dies einmal gemacht. Der Grund: Ein Interview mit irgendeinem *wichtigen* Politiker (längst vergessen, wie der hieß) kam sehr spät von der Autorisierung zurück und war massiv verändert (bis hinein in die Fragen). Das stand dann dort als Grund und der Text (immerhin ein höherer Keller) blieb weiß..
Doch der Grund, warum es (ein bisschen) Geschichte gemacht hat, war: Es blieb eine wirkliche Ausnahme. Wenn ein Tabu zu oft gebrochen wird, ist es kein Bruch mehr. Und weißes Papier war es ja nicht, wofür der Leser Geld bezahlt.
Es wurden in den Kommentaren schon viele Hinweise zum Leerraum in den Tageszeitungen gegeben: sinnfreie Symbolbilder, inhaltsleere Artikel, veraltete Informationen.
Aber auch die Lösung mit dem Weißraum auf der Zeitungsseite gibt es schon: Eine Lokalzeitung hier in Dresden lässt regelmäßig auf ihrer Seite 3 eine Spalte frei und fügt dort nur einen Kernsatz oder ein Zitat aus dem Artikel ein. Der Rest ist Weißraum. Und schon müssen weniger Worte geschrieben und gesetzt werden.
Wie wär’s mit von Anfang an mehr Zeit für die Artikel einplanen?
es ist jetzt montag
Auf einen weissen Fleckenteppich wäre ich nicht versessen, blass und kränkelnd das, aber falls wir uns darauf einigen könnten, die Lücken mit “Hägar der Schreckliche” aufzufüllen, spränge ich an Bord, na klar.
noch ist Montag. sind wir immer noch hart am arbeiten, damit der artikel fertig wird?
während weisse flecken ein versprechen sind, werden lange weisse flecken zum mistrauen.
“während weisse flecken ein versprechen sind, werden lange weisse flecken zum mistrauen.”
Schön gesagt!
Ich möcht jetzt auch mehr über HBO&co erfahren!
Ächz!
Jetzt bin ich allerdings doch enttäuscht: Was ist denn nun aus dem endlich perfekten Beitrag geworden, der uns erst für letzten Mittwoch und dann für gestern versprochen wurde???
Einen weißen Fleck mit weißen Flecken einzulösen steigert natürlich nicht gerade das Qualitätsempfinden! Buuh!!
Ächz. Wir haben hart daran gearbeitet, den Artikel hervorragend zu machen.
Die Idee ist auf den ersten Blick charmant, die entscheidende Frage ist aber, wie oft man die weißen Flecken wiederholen könnte?
Denn wenn die weißen Flecken zu regelmäßig erscheinen, verlieren sich mit Sicherheit sehr viel an Charme, vielleicht dreht sich
die Sympathie der Leser sogar und sie empfinden den weißen Fleck bald nicht mehr als originell sondern als schwach.
PS an alle Damen und Herren User: Merci für die kluge, dezidierte, charmante Dikussion oben. Ich habe viel gelernt. (Und in Hinsicht der weissen Flecken bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ihr regelmässiger Einsatz eine etwas gefährliche Sache wäre. Aber das ein oder zwe Mal pro Jahr zu machen, würde mich reizen, wäre ich Chefredakteur. Aber nur bei besten Karten. D.h., dass der verdammte Text in der Ausgabe darauf dann wirklich der Hammer sein muss.)
Ich arbeite für eine Printredaktion, lese selbst eher im Netz – und muss jetzt doch zumindest eines ergänzen (etwas spät, ich weiß): Das Handelsblatt hat 2011 den Mut zur Lücke bewiesen – und druckte das Wortlautinterview mit einem Bankenchef ohne dessen Antworten ab, nachdem er sich wochenlang Zeit ließ mit der Autorisierung.
Bei mir hat’s funktioniert! Ich freue mich auf Teil 2 des Beitrags «Die Strategie für die Zeitung von Morgen». 🙂