Im ersten Teil ging es um die fundamentale Wende im Lesermarkt. Ihr Leben lang verkauften erfolgreiche Medien offiziell Informationen. Doch inoffiziell verkauften sie Gewohnheiten: das Frühstück mit Zeitung und den Abend mit Tagesschau.
Nun löst sich die Information vom Trägermedium, und das Geschäftsmodell bricht zusammen. Damit ändert sich das gesamte Produkt: Statt Halten eines Gewohnheitspublikums muss es seinen Markt immer wieder neu erobern.
Bis anhin bedeutete Qualität im Journalismus vor allem einen Industriestandard an Nicht-Enttäuschung. Das primäre Ziel war, die Leser nicht zu vertreiben. Dazu musste eine Zeitung vor allem Fehler vermeiden. Und zuverlässig ihren (mehr oder weniger hohen) Standard halten: an Faktentreue, Stil, Chronistenpflicht, politischer Linie.
Doch für die Zeitung von Morgen, egal ob Print oder Online, zählt eine ganz neuer Typ Zuverlässigkeit: zuverlässig Begeisterung hervorzubringen.
Nur: Wie macht man das?
Die Tageszeitung neu auch als Dame und Nutte
Zwar haben die Zeitungen auf die Krise reagiert, wenn auch hauptsächlich mit Sparprogrammen. Die wichtigste publizistische Frage war dabei: Wo nicht sparen?
Einige versuchten es mit der Nischen-Strategie. Sie massierten ihre Kräfte an einem Punkt: etwa im Lokalen, in der Meinung oder (wie der «Blick») in der Kriminalberichterstattung. Doch das Resultat waren schmale Blätter mit schmälerem Publikum.
Etwas erfolgreicher bei den Lesern waren die Zeitungen, die ihre reduzierten Kräfte täglich neu bei den grossen Themen sammelten. (Hier eine kurze Skizze zum Strategiewechsel des «Tages-Anzeigers».) Die also den Pflichtanteil an mittellangen Nachrichten reduzierten – zugunsten von Schwerpunkten, Hintergrund, Kür.
Die vornehme Formel für diese Strategie lautet: Die Tageszeitung wird zur täglichen Wochenzeitung. Aber man könnte dieselbe Idee mit gleichem Recht anrüchiger formulieren: Heute fahren auch seriöse Zeitungen eine Boulevardstrategie. Sie überlassen den Fluss der Nachrichten dem Netz und setzen die Themen selbst. (Oder genauer: Sie setzen auf Themen.) Damit arbeiten sie im Kern wie Boulevardblätter: Es geht nicht primär um die Nachrichtenlage, sondern um die Einfälle dazu.
Das zeigt: Die Leute, denen die Tageszeitung nur als verblassendes Auslaufprodukt gilt, sehen nicht genau hin. In ihrem Überlebenskampf mutiert die gute, alte, biedere, zuverlässige, bürgerliche Tageszeitung zu einem ziemlich aufregenden Hybrid von Tageszeitung, Wochenzeitung und Revolverblatt. Die Zeitung des 21. Jahrhunderts ist quasi Grand Dame, Bürgerin und Nutte in einem.
Damit ist die heutige Zeitung von ihrer Konzeption her ein aufregendes Produkt: die Zuverlässigkeit eines Pedanten, gepaart mit dem Blick eines Professors und den Überlebensinstinkten eines Verbrechers – der totale Journalismus.
Nur: Ganz so aufregend liest sich das Resultat nicht, bis heute jedenfalls. Und ist auch nicht allzu erfolgreich. Die Auflage auch besserer Zeitungen stagniert bestenfalls. Etwas fehlt.
Die vergessene Zutat: Kühnheit
Das Problem der Tageszeitung ist nicht nur der Mangel an Geld. Sondern auch an Gedanken.
Zwar haben die Tageszeitungen unter dem Druck der Krise ihre Formel für den täglichen Mix verändert. Aber sonst nichts. Ihr Produkt bleibt: der Mix. Dieser war früher einfach: alle Nachrichten plus eine Prise Unterhaltung. Heute ist er einiges komplexer. Beim «Tages-Anzeiger» gilt etwa die Faustregel, dass jeder veröffentlichte Text (idealerweise) in einer von drei Kategorien hervorragend sein sollte: in Stil, Relevanz oder Recherche.
An einigen Tagen gelingt das erstaunlich gut: Man findet oft zwei, drei wirklich hinreissende Artikel. An einigen Tagen sogar bis zu fünf oder sechs. Also genug, um einen Leser zufrieden zu machen.
In der Tat ist die Zeitung mit der Konzentration auf weniger, aber konsequentere Artikel besser als vorher. Nur löst auch diese Strategie das Kernproblem langfristig nicht: Wie das heutige Publikum – verwöhnt und zersplittert vom riesigen Informations- und Unterhaltungsangebot im Netz – eng an das Blatt gebunden wird. Und zwar so eng, dass es zahlt.
Um ihr Publikum zuverlässig immer wieder neu zu erobern, muss eine Zeitung mehr sein als eine Anthologie guter Texte. Denn auch gut gemachte Routine befriedigt, aber reisst niemand hin. So wie tüchtige Beamte zwar respektiert, aber nicht geliebt werden.
Doch geliebt werden ist das harte Geschäft der Medien im 21. Jahrhundert: Damit Leute auch in Zukunft abonnieren, damit die Paywall übersprungen wird, braucht es mehr als Zufriedenheit: Es braucht echte Überzeugung. Nur fehlt, um ein Publikum wirklich zu begeistern, die entscheidende Zutat: das Wagnis.
Ein öffentliches Wagnis fesselt ein Publikum durch weit mehr als nur den Thrill. Kühnheit schafft auch die Komplizenschaft: durch die gemeinsame Furcht vor dem Misslingen, durch die gemeinsame Erleichterung, wenn man noch einmal davonkommt.
Klassiker (das vornehmere Wort für Longseller) sind fast immer Kühnheiten von gestern. In der Literatur, in der Kunst, aber auch im Business: Henri Ford erfand neben seinem Ford-T nicht nur den Fertigungsprozess neu, das Fliessband, sondern auch einen radikal neuen Kundenkreis: Er bezahlte die Arbeiter so gut, dass sie das Auto auch kaufen konnten. VW lancierte mit seinem Käfer in der Zeit der schiffgrossen Autos auch gleich eine neue Philosophie: Small is beautiful. Und Apple eroberte seine Anhänger mit radikal neuem Design und radikal neuen Produkten.
Kühnheit schafft zwischen Machern und Publikum etwas, was als gemeinsames Projekt begriffen wird. Es ist die Zutat, die ein Nice-to-have-Produkt in einem Massenmarkt zu einem Must-have-Produkt macht. Auch Zeitungen waren bei ihrer Geburt einst kühne Produkte, die Waffe des erwachenden Bürgertums.
Doch das ist 200 Jahre her.
Der Tabubruch – nur welcher Tabus?
Ganz verblasst ist der Geist nicht. Es gibt es immer wieder Momente, wo sich Leser mit dem Mut einer Zeitung identifizieren: bei einer atemberaubenden Enthüllung, bei einer berührenden Recherche, bei einer Analyse, die das Unbekannte benennt, was in der Luft liegt. Nur sind echte Enthüllungen und Geistesblitze auch in grossen Redaktionen seltener Stoff. Zwar förderbar, aber nicht industrialisierbar.
Die Frage ist, wo die systematisch arbeitende Kühnheit ansetzen sollte. Also welche Tabus gebrochen werden sollten.
Gesellschaftlich sind nur wenige übrig: Sex und Angriffe auf Politiker sind längst Industrieartikel. Und seit der Finanzkrise ist selbst Kritik an Banken und Managern tief in der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft angekommen. Ausserdem sind einige der bestehenden Tabus sind schlicht sinnvoll: etwa ein Minimum an Höflichkeit, der Verzicht auf Verschwörungstheorien oder die Treibjagd gegen Minderheiten.
Der Weg nach rechts ist auch versperrt. Wie die Auflageentwicklung von «Weltwoche» und «Basler Zeitung» beweisen (beide verloren zweistellig Prozente), bleiben als Unterstützer nur ein paar missionarische Milliardäre.
Wo also Tabus brechen, ohne Dummheiten zu schreiben? Der Trick besteht darin – wie HBO – systematisch die eigenen Gewohnheiten zu brechen. Denn dies sind die Tabus, bei denen man kompetent ist: die der eigenen Branche. Und an Auswahl herrscht kein Mangel. Journalismus ist ein über Jahrhunderte erprobtes Gewerbe – kein Wunder, ist es in Ritualen erstarrt.
Die Frische, die Wucht, der Erfolg der HBO-Serien basiert nur oberflächlich auf dem Bruch amerikanischer Prüderie. Zwar gibt es Sex, Flüche, Verbrechen. Aber das ist das Gewürz, nicht das Fleisch. Entscheidend war bei HBO der Bruch mit den Konventionen der eigenen Branche.
HBO war auf mehreren Gebieten gleichzeitig Pionier. Es arbeitete mit Autoren als Verantwortlichen statt als Zudienern, mit der Eroberung der Nachtseite des Daseins als zentralem Serien-Stoff, mit dem Verzicht auf ein breites und der Konzentration auf ein überzeugtes Publikum, dem Setzen auf Geschichten statt auf Tests und mit veränderbaren Hauptfiguren statt ewig gleichen Charakteren. HBO brach systematisch die ästhetischen, produktions- und marketingtechnischen Regeln der eigenen Branche.
Das Resultat beim Publikum war mehr als Zufriedenheit: Komplizenschaft. Eine, die weit genug ging, nicht nur das Abonnement zu zahlen. Sondern die auch die Kabelgesellschaften einschüchterte, die von HBO höhere Gebühren wollten.
Der berühmteste Slogan von HBO hiess: «Es ist nicht Fernsehen. Es ist HBO.» Es ist die Revolte gegen das eigene Medium, die ein Publikum fesselt.
Und so ist das zentrale Erlebnis, das eine Zeitung heute noch der Leserschaft liefern kann, die Neuerfindung der Zeitung selbst.
Die Zeitung – ein ungeborenes Kind
Was würde HBO tun, angenommen es wäre ein Verlag? Sieht man die Tageszeitung, diese routinierte Riesenmaschine, einmal mit dem Blick der HBO-Bosse an mit ihrer Frage «Was könnte man Ungewöhnliches tun?» – dann kommt man sehr schnell auf sehr viel.
Hier nur eine unvollständige Skizze dessen, was fehlt, was neu, was riskant, was aufregend wäre.
- Weisser Fleck 1: Das Dunkle. Der riesige, finstere Bereich des Existentiellen wird im Journalismus höchstens gestreift: das Scheitern einer Ehe, das Sterben, die wahren Motive, Ängste, Nebengedanken – das Geständnis wäre eine kühne, neue journalistische Form
- Weisser Fleck 2: Das Helle. Erstaunlicherweise existiert auch das Gegenteil kaum: ein Journalismus der Freundlichkeit, der Höflichkeit, des Charmes. An positiven Journalismus gibt es fast nur das tote Verkäuferlächeln der PR-Artikel. Ein ganzes Genre ist zu erfinden.
- Weisser Fleck 3: Das Intellektuelle. Das Feld der Intellektuellen ist von den Intellektuellen verlassen. Dabei bestünde – wie etwa der Erfolg der «NY Review of Books» zeigt – enormer Bedarf nach Klarheit: nach den grossen Erzählungen zur komplexen Welt von heute. (Eine der erfolgreichsten Produktelinien, die ich kenne, ist wenn Journalisten zum Historiker der Gegenwart werden.)
- Weisser Fleck 4: Die Grossstadt. Die grossen Städte werden von ihren Zeitungen falsch angegangen: durch Lokalpolitik und Geographie. Dabei sind die grossen Städte im Kern Brutstätten des Ehrgeizes. Sie zerfallen in Szenen. Etwa in: Banker-, Theater-, Hiphop-, Werber-, Presse-, Schwulen-, Kunst-, Politik- und weitere Szenen. Eine Zeitung bräuchte Szenenkorrespondenten, die die jeweiligen Karrieren, die Dos und Don’ts, die Skandale und Erfolge beschreiben. Und damit für ein neues Publikum unverzichtbar werden. Und die nervöse eklektische Energie der Städte ins Blatt übertragen.
- Ungenützte Ressource 1: Stil. Dieser ist die Hälfte der Botschaft. Warum zum Teufel kennen Zeitungen fast nur einen?
- Ungenützte Ressource 2: Fortsetzungen. Mit dem Konzept der Konzentration auf die grossen Themen betritt die seriöse Zeitung zwar das Reich des Boulevards. Was die seriöse Zeitung aber nicht beherrscht, ist die Kunst des Ziehens von Geschichten über mehrere Tage: Wie sehen Interviews, Recherchen, Geständnisse, Nachrichten als Fortsetzungsroman aus? Brauchen langfristige, mal eskalierende, mal ruhende Entwicklungen wie die Finanzkrise nicht auch im Print flexible, also blogartige Gefässe, die mal kurz, mal ausführlich, mal ironisch, mal Volkshochschule sind?
- Ungenutzte Ressource 3: Relaunches. Warum läuft die Erneuerung meist Top-Down? Und endet in mühsam kommunizierten Retouchen? Warum daraus nicht ein Ereignis machen, mit Leserkonferenzen, Redaktionskonferenzen, einen öffentlichen Wettbewerb der Ideen? Ein Spektakel, dass – da die Chefetage am Ende entscheidet – schon genügend zivilisierte Ergebnisse bringen wird? Das aber den Vorteil hat, dass mehr Leute sich mit dem Blatt identifizieren? Und dass der vermehrte Energieaufwand wieder eingespart werden kann, weil die Neuerungen nicht mehr endlos kommuniziert werden müssen? Und warum nicht ein rollender Relaunch, der nicht das Gesamtblatt, sondern Einzelteile renoviert?
- Ungenutzte Ressource 4: Expeditionsteams. Warum nicht aus dem Kern des Journalismus selbst ein Spektakel machen: den Fragen und der Recherche? Etwa mit Expeditionsteams in die Wirklichkeit, bei der ein Team über Wochen hinweg eine (von den Lesern bestimmte) ungelöste Frage bearbeitet, bis sie gelöst ist: Wie beeinflusst Lobbying die Politik? Verschwindet die Mittelklasse? Gibt es eine Möglichkeit, die Managerherrschaft wieder loszuwerden? Etc.
- Ungenutzte Ressource 5: Selbstausbeutung. Warum macht kein Verleger den Vorschlag, das Gehalt um 20 Prozent zu kürzen, dafür weitere Leute einzustellen und das beste Blatt der Branche zu machen? Die meisten Journalisten, die ich kenne, wären verrückt genug, darüber sogar glücklich zu sein.
Dies hier nur als rohe Skizze, wo man ansetzen könnte.
Morgen
Eine der ersten Haupteinwände gegen Obiges ist, dass es riskant ist: Bekenntnisjournalismus etwa könnte – schlecht gemacht – grausam peinlich werden, Expeditionsteams könnten sich in Details verlieren wie ihre Vorgänger in der Arktis – und der Gedanke an eine 20-Prozent-Lohnkürzung im Gegenzug für einen verlegerischen Plan ist schlicht ekelhaft.
Doch genau so sollten Ideen für eine Zeitung von Morgen sein: ohne echtes Risiko keine Kühnheit, keine Atemlosigkeit im Publikum, kein Beweis des Könnens der Redaktion.
Der zweite Haupteinwand ist ernsthafter: Die Grösse des Publikums. HBO hat das Glück, in den USA zu arbeiten. Hier zählt selbst ein überzeugtes Nischenpublikum (oder genauer bei HBO: mehrere Nischenpublika) Millionen von Köpfen. Die Monatsgebühr beträgt 12 Dollar. In der Schweiz kostet ein Zeitungsabonnement das drei- bis vierfache. Klappt das?
Dazu ist zu sagen: Die Alternativen sind kaum risikoärmer. Bis auf grosse Finanzblätter und die beste Zeitung der Welt, die «New York Times», hat die Paywall noch nirgends funktioniert. Fragt man in den Verlagsetagen in Deutschland oder der Schweiz nach, was das Geschäftsmodell in der Zukunft sein wird, ist die Antwort ein verständnisloses Schweigen: Das weiss doch niemand.
Und auf die simple Frage «Was ist unser Kerngeschäft in drei, fünf, fünfzehn Jahren: Print, Paywall oder Online-Reichweitenwerbung?» kommt die Antwort: irgendwie alles.
Das Beruhigendste, was die Verlagsbranche mitteilt, ist ein halbes Schreckensszenario: Fakt ist, dass die Gesellschaft stark überaltert. Und Zeitungen sind in der Seniorenunterhaltung führend – bei Leuten, die in ihrer Jugend die Gewohnheit der Zeitung beim Morgenkaffee annahmen. Das heisst: 20 Jahre geht das Geschäft sicher noch weiter. Nur gemeinsam mit dem Publikum schrumpelnd.
Etwas von Seltsamsten ist die Zuversichtslücke von Journalisten und Verlagsetage. Auf Verlegerkongressen herrscht die allgemeine Meinung: Wir machen ein hervorragendes Produkt. Das einzige Problem sind ein paar Professoren, die kritische Artikel über Demokratie und Presse schreiben. Und Google. Und die Subventionen für das staatliche Fernsehen.
Ich fürchte, das stimmt nicht. Das Produkt selbst ist faul. Die Zeitungen von heute sind zwar professionell gemacht. Und oft besser als ihr Ruf. Doch sie sind Produkte einer Vergangenheit, entworfen für ein Publikum, das aufhört, zu existieren. Und das gilt nicht nur im Print, sondern im Kern auch für die Online-Ausgabe. Beide sind nicht an eine neue, fragmentierte Leserwelt angepasst.
Um in der neuen Welt ihr Geschäft zu machen, muss die Zeitung mehr als nur ins Netz gebracht werden: Sie muss als Ganzes neu gedacht werden, weg von der Befriedigung des alten Gewohnheitspublikums, hin zur Erzeugung von Begeisterung und Überzeugung bei einem neuen. Die Zeitung braucht Können und Kühnheit: eine neue Ästhetik, neue Routinen, neue Ziele.
Wir müssen mit der Zeitung tun, was HBO mit dem Fernsehen getan hat: Das Medium neu zu erfinden. Das wäre die Aufgabe unserer Generation.
“Nun löst sich die Information vom Trägermedium, und das Geschäftsmodell bricht zusammen.”
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Ich kann mich noch erinnern: vor ein paar Jahren haben die Mitarbeiter der papiernen Trägermedien (vulgo: Journalisten) über die zusammenbrechende Musikindustrie arg gelästert; zusammengebrochen ebenfalls wegen des Internets und der neuartigen Kostenlos-Erwartung der Konsumenten.
Nun trifft es sie selbst.
Mein Mitleid hält sich deshalb (bin Betroffener im Musikleben) in Grenzen.
Ja, so ist es wahrscheinlich, wie im Krimi: Jeder stirbt für sich allein.
Gibt es diesen Artikel auch als Schuh? Man möchte ihn gerne anziehen und damit gewissen Verantwortlichkeiten ordentlich in den …tja, genau, treten.
Es gibt allerdings an paar Probleme in der Analogie, die auch die Zeitungen erfassen werden. Das HBO Modell hat so ein paar Probleme, bestens erklärt hier: http://theoatmeal.com/comics/game_of_thrones
Zum Beispiel will der Leser Inhalte, keine Abos. Und die Inhalte nur einer Zeitung sind nicht genug. Auch ist der HBO Vertriebsweg noch der “analoge”, nicht flexibles VoD übers Internet.
Du hast absolut Recht, der HBO Weg ist der Richtige, aber auch HBO wird demnächst vom PayTV Sender zum reinen Serienproduzenten degradieren. Dank Internet und VoD gibts keinen Bedarf für Programmfernsehen.
§ 1 Artikel gut
§ 2 Problem: Die beschriebenen Aufgaben sind nicht von Leuten innerhalb des Systems zu lösen
§ 2.1. Die derzeitigen Journalisten verfügen nicht über die entsprechenden Kompetenzen
§ 2.2. Auch wenn man im deutschsprachigen Raum fast immer über “Breaking Bad” und “Homeland” spricht. Die Mutter des neuen Fernsehens war “The Wire” und ohne diesen Mut, diese Radikalität, diese Verachtung für das komplette System, wäre alles andere nicht möglich gewesen
$ 2.3. “The Wire” wurde von jemandem konzipiert, der ursprünglich nicht aus der Fernsehbranche kam, sondern Polizeireporter war
§ 1 Thanks.
§ 2 Das ist in der Tat ein Problem, besonders wenn das System so lang erfolgreich war wie unseres.
§ 2.1. Mal sehen. Ich glaube, bzw. hoffe, es braucht nur eine kleine Veränderung in der Haltung. (Aber auch eine in der Haltung des Managements.)
§ 2.2. Nun, wer die Kinder liebt, ehrt damit automatisch auch die Mutter.
§ 2.3. Fremdheit ist in jedem Job eine Gnade. Immerhin können wir Reporter, falls alles schiefläuft, noch Serien schreiben.
$ 3 Selbst wenn von heute auf morgen die Sesselpupser, die sich Journalisten nennen, versuchen sollten, aufregend zu werden, wäre das wie Gangsterrap der Fanta Vier.
$ 4 Das derzeitige Medien-System ist nicht reformierbar, es wird verdorren, absterben und durch eine demokratischere Variante der Öffentlichkeit ersetzt werden, die rauher, ehrlicher und liebevoller zugleich ist.
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Keine Beats, keine Rhymes, keine Texte, die du liebst oder feierst.
Keine Durchdreh-Mucke, keine Tracks die dich fesseln.
Nichtmal ein’ echten Schmock! (*essah )
§ 3 Nun ja, einer von uns hat es ja schon geschafft, der Mann, der The Wire schrieb.
§ 4 Ich fürchte, Sie irren sich, und sogar zwei Mal. Der Wust an Informationen lässt sich ohne Profis nicht ordnen. Nicht weil diese klüger sind, sondern weil diese Zeit dafür haben. Und dann ist die Presse – bei all ihren Schwächen und Blindheiten – immer noch organisierte Gegenmacht. Ohne organisierte Opposition setzt sich die bestehende Macht widerstandslos durch. Der Traum jedes Machthabers ist eine Gesellschaft von aussliesslich Individuen.
Danke für die Antwort.
zu § 3: Ich wollte Folgendes sagen: Der Macher von “The Wire” konnte die Prinzipien des Fernsehens überwinden, weil er von außerhalb kam. Die innovativsten Verfasser von sachorientierten Texten im deutschsprachigen Raum sind heute Leute, die nicht aus der Inzucht-Anstalt der etablierten Medien kommen: z.B. Jens Berger und Fefe. Da werden die Konventionen gesprengt; stilistisch, formal und inhaltlich. Und auch wenn Juliens Blog auf Youtube pubertärer Schwachfug ist, erreicht er damit mehr Leute als die FAZ. Es entsteht ein Mediensystem, das keine Rituale verkauft.^_^
Grundsätzlich bin ich einig: Die Aussenseiter sehen mehr. Einheimische sind meist blind. Aber zwei Einwände hab ich trotzden: a) weder Berger, noch Fefe, noch Julian Assange haben – bei allen Tabubrüchen, bei aller Cleverness und allen Einsichten es geschafft, funktionskräftige Organisationen aufzubauen. b) Die neuen Kräfte verkaufen nicht keine Rituale. Sondern erschaffen neue.
Erfrischend anders gedacht! Bravo! Was fehlt ist die Antwort auf die Frage, die einst Axel Hacke und Giovanni di Lorenzo mit ihrem Buch stellten: “Wofür stehst Du?” Ja, für was steht der Autor, die Zeitung, der Verleger eigentlich? Wenn sich Leser wieder besser orientieren könnten, gepaart mit dem, was Constantin Seibt einfordert, dann kann auch wieder Begeisterung entstehen.
Bravo! Wir brauchen mehr dieser Artikel. Nur in einem folge ich überhaupt nicht: “Und seit der Finanzkrise ist selbst Kritik an Banken und Managern tief in der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft angekommen.” Journalisten sollen nicht einfach kritisieren, sondern erst mal eigenständig recherchieren! Und daran fehlt es im gesamten Wirtschaftsjournalismus heftig.
Wenn die regionale Tagesprese sich in allen Ressorts vom Verlautbarungsjournalismus lösen würde, und diesen den Anzeigenblättern überlässt, dann wäre schon viel gewonnen.
Oh Andreas, Du hast den Vogel abgeschossen. Recherchieren braucht Zeit, die den meisten Redaktoren fehlt, weil Sie mit gekröpften Budget jeden Tag Zeitungspapier bedrucken müssen. Ein angewandte Füllrezept: mehr und grösser geschnittene Bilder. Und weil Redaktoren oft nur noch abfüllen und Verlautbarungsjournalismus betreiben, haben Sie auch den Pfupf für schrille Töne und schräg überraschende Wendungen agetötet. Der Zeitungsstil muss seriös, das heisst steril sein, und auf den ersten I-Pod-Blick verständlich. Constantin kennt den Ausweg im Essay, doch oft mit altem Wein in neuen Schläuchen.
Hier spricht die Metaphernpolizei: Alter Wein gilt ja nicht als der schlechteste. Und wie der Hut den Mann, so macht auch gelegentlich der Schlauch den Unterschied.
Bleibt die Frage welcher Teil der sich fragmentierenden Leserschaft für die Verlage übrig bleibt. Vielleicht derjenige, für den sie ein Teil Heimat darstellt, auch wenn er sie nicht mehr täglich liest? Sprich: Muß sie nicht ihre neue Bestimmung in der lokalen Verwurzelung suchen und den weissen Fleck Grossstadt mit seinen Szenen, aber auch den weissen Fleck “Leben auf dem Land” tilgen? Abseits der Lokalpolitik und des Agenda-Journalismus, als Entdecker des Besonderen, Überraschenden, Ehren- oder Liebenswerten im Alltäglichen? Scheint jedenfalls das Rezept der erfolgreichen Lokalblogs …
Glaub ich auch. Das Entscheidende ist, das, was hundert Mal beschrieben wurde, nicht als hundert Mal beschrieben zu akzeptieren. Sondern als Unbekanntes. Das (selten erreichte) Ziel der echten Profis heisst Unschuld.
“Das (selten erreichte) Ziel der echten Profis heisst Unschuld.” Guter Satz!
Das klingt mir alles zu sehr wie der Verkaufsprospekt für ein Produkt, dass es schon tausendmal gibt- und jetzt, beim tausendundersten Mal soll plötzlich alles ganz, ganz anders sein. Wäscht Dash wirklich weisser, als der Weisse Riese..?!
Klar wäscht Dash weisser! Der weisse Riese ist nichts gegen den blanken Giganten!
Ich habe noch nie so eine detaillierte und überlegte Analyse unserer Branche gelesen. Ich finde den Artikel einfach genial.
Leider sind die meisten Verlage nicht mutig genug.
Habe beim schnellen Durchlesen schon mal drei Schreibfehler entdeckt. Aber aber…!
Ansonsten: Alles klar! Ideen sind gefragt. Bloss will niemand die Antworten hören. Mut ist gefragt. Bloss haben Alle Schiss! Viel zu fest gefahren, die ganze Journalistik, viel zu lebensfern. Darum muss man sich nicht wundern, dass die Erzeugnisse meist recht fade Surrogate sind, einer in Tat und Wahrheit höchst erklärungsbedürftigen, da kaum verstandenen, “neuen” Zeit und Welt.
Ich will keine Zeitung, deren Szenenkorrespondenten meinesgleichen unverzichtbare Dos und Don’ts erklärt. Nicht nur für mich nicht – ich will solche Zeitungen generell nicht.
Die grossen Erzählungen zur komplexen Welt von heute würde man ja auch im zweiten Absatz als das ertappen, was sie sind. Auch das will man nicht.
Sehr schade. Und was wollen Sie?
bin “süchtiger Zeitungsleser”. Habe mir auch schon überlegt, was würde ich in diesem Job besser machen. Bin 77 J und schaue im TV vielfach Shows mit Geldgewinn-Möglichkeiten. Auf die dofe Frage des Moderators , was würden sie mit einem eventuellen Hauptgewinn machen kommt fast zu 90 % die Antwort, eine Weltreise oder eine Reise in ein s pezifisches Land.Weshalb schreib ich dies ? Darin spiegeln sich doch die Traumwelten der Leute. Fazit: Bilden Sie ein Team das diese Traumwelten Ihrer Leser vertieft erforschen und schreibt weitgehend über dieren Ergebnisse. Man muss die Seele des Kunden erre
Zwischenbemerkung: Lieber Consti, melde dich für die Nachfolge von Bonfadelli! Sammle deine Texte und reiche sie als Habil. ein. Du könntest durchkommen. Gruss von einem alten Studienfreund.
Thx, alter Studienfreund! Wenn ich deinem Rat folge, schaffe ich damit auch noch den Studienabschluss durch die Hintertür – ganz nach dem Muster von Dürrenmatt, der bei seinem Studienabbruch sagte: “Ich arbeite jetzt auf den Doktor hc hin.”
Nur frage ich mich, ob Medienwissenschaft nicht ein wenig wie Kriminologie ist: die Praxis als aktiver Verbrecher macht mehr Spass.
OK, verstehe. Bin ja auch nicht da oben geblieben, obwohl doktoriert. Und doch: Als Philip Marlowe wärst Du ja zwischen den Stühlen gut platziert. Good Luck!
Der Platz jedes guten Journalisten ist zwischen den Stühlen. Auf dem Sofa.
Seibts Strategien sind Wunschdenken. Ihm schwebt ein völlig neues Medium vor. Henry Ford, VW und HBO als Vorbilder! Woher sollen all die fabelhaften Produzenten, Autoren und die notwendigen Millionen kommen? Die Realität ist doch anders. Aber Seibts bescheidenere handwerkliche Ratschläge und seine eigenen Artikel sind hervorragend. Auf dieser Basis kann der Tagi Erfolg haben.