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The Return of the Shit-Detector: Billige Tricks

Constantin Seibt am Freitag den 11. Januar 2013

Anfang Dezember, in einem Artikel zu Stil, wurde Ernest Hemingway mit dem Satz zitiert: «The most essential gift for a good writer is a built-in, shock-proof shit-detector.»

Doch Hemingway hatte leicht reden. Er sass in Paris, mit einem Drink und einer Schreibmaschine. Er arbeitete allein.

Den eigenen Kitsch zu streichen ist schwierig genug. Aber richtig hart wird es, wenn die Stillosigkeit im System steckt: Wenn Unfug nicht ein Unfall, sondern ganz gezielt das Produkt ist.

Professionell hergestellter Bullshit ist keine Exklusivität von Boulevard-Medien. Sondern auch in seriösen Blättern gefragte Ware. Weil man ihn für populär hält. Eine ganze Schule von Redaktoren hält Leser (nicht völlig zu Unrecht) für Fliegen, die vom Geruch des Shits angezogen werden. Folglich gibt es eine ganze Produktepalette, die seiner Erzeugung dient.

Hier eine kleine, unvollständige Liste von Scheissgenres. Plus ein paar Tipps für Gegengift.

1. Trends – der klassische News-Ersatzstoff

Für Politik- oder Wirtschaftsjournalisten ist die grösste Gefahr die Flut von Neuigkeiten. Man wird überspült und verliert die Übersicht.

Dagegen herrscht in anderen Teilen der Presse chronisch Dürre. Das tägliche Problem der unaktuellen Presse – in Illustrierten, Fachmagazinen, Gesellschaftsressorts – ist die Erzeugung eines Gefühls von Dringlichkeit und Aktualität. Die einfachste Lösung ist der klassische News-Ersatzstoff: Trends.

Trends sind verführerisch leicht herstellbar: Ein Experte und drei Beispiele genügen als Beleg. (Im schlimmsten Fall auch nur ein einziger belegter Fall. So in der legendären «Facts»-Titelgeschichte «Sex am Mittag».) Kein Wunder, spült eine Welle von Trends durch die Zeitungen: der Abschied vom Materialismus, die neue Jungfräulichkeit, die Rückkehr der Bartbinde.

Das Rezept dagegen: Ihr Problem als Journalist ist, dass Sie Ihren Artikel der Redaktion verkaufen müssen. Und falls diese auf Trends steht, können Sie dieses Verkaufargument nicht völlig ignorieren. Besonders, wenn Sie über ein abseitiges Thema schreiben wollen: etwa die Wassergeburt, Heideggers Philosophie oder Ping-Pong. Solche Themen lassen sich fast nur mit einem hinkonstruierten Trend verkaufen, dass «immer mehr» Leute (Schweizer, Frauen, Jugendliche) sich dafür interessieren. Wo doch eigentlich nur Sie begeistert sind.

Was tun? Tun Sie’s. Geben Sie der Redaktion im Verkaufsgespräch den Trend, den sie will. Aber glauben Sie keinen Augenblick selbst daran. Liefern Sie im Artikel den Trend dann, wie er es verdient: kurz im Lead und in zwei, drei dürren Sätzen. Verschwenden Sie nicht Zeit und Platz mit langen Pseudo-Belegen. Sondern schreiben Sie über das Thema, das Sie fasziniert: Heidegger oder Ping-Pong.

PS: Ist das Betrug am Leser? Nein, wenn Sie das Thema hinreisst und Sie etwas zu sagen haben. Die zwei, drei Zeilen Trend-Schwurbel werden überlesen. Sie sind hier quasi nur die Eintrittskarte: So wie man als Kind einen Rosenkohl essen musste, bevor man sich über das Würstchen hermachen konnte.

2. Die Politiker-Melkmaschine

Kaum passiert etwas, werfen Sie die grosse Melkmaschine an. Und telefonieren wie der Teufel Politikern  hinterher. (Oder Experten.) Diese haben, soeben informiert, so gut wie keine andere Chance, als eine Dummheit oder eine Banalität zu äussern. Aus den konfusen Antworten basteln Sie dann als seriöser Journalist einen Nebenartikel. Oder als weniger seriöser eine Kontroverse.

Das Rezept dagegen: Zugegeben, Telefonterror macht Spass – wie jeder Unfug. Nur dieser Scherz ist nicht gut: Er macht die Politiker nur kleiner, dümmer, aggressiver. Erst in der Wahrnehmung, dann in der Wirklichkeit. Geben Sie den Leuten eine Chance, geben Sie Ihnen Zeit. Und schreiben Sie wann immer möglich mit etwas Abstand von Ereignissen. Und dann die ganze Story und nicht das Puzzleteil. Coolness schlägt Geschwindigkeit – immer. Erstens wird der Journalismus dadurch ein ganzes Stück besser. (Das Argument, warum, finden Sie hier; das Rezept, damit Karriere zu machen, hier.) Und zweitens wird in diesem Fall sogar die Welt ein wenig besser. Weil ein paar Dummheiten weniger gesagt werden.

3. Experten als Marionetten

Im Journalismus Objektivität zu behaupten, ist ziemlich lächerlich. Das schon deshalb, weil die Auswahl der Gesprächspartner unvermeidlicherweise einen Dreh in jede Geschichte bringt. Man kann sich um Wahrhaftigkeit bemühen, aber auch wenn man mit allen spricht, bekommt der Artikel spätestens bei der Auswahl der Zitate Schlagseite. Man entkommt nicht seiner Verantwortung.

Am Simpelsten kann man einen gewollten Dreh in einen Artikel bringen, wenn man Experten anruft: Denn deren Positionen sind bekannt. Das macht es einfach, mit ihnen Marionetten zu spielen: Sie kommentieren, was man will.

Der Experten-Dreh lässt sich bis zur Absurdität steigern. Etwa in einem früheren Artikel einer Sonntagszeitung mit dem Titel «Führt Bundesrätin Dreifuss ihr Departement wie eine Sekte?». Der Trick war hier, dass der einzige befragte Experte ein Sekten-Experte war. Und natürlich ausschliesslich über Sekten redete. Und auf jede Beobachtung des Journalisten über die Politikerin Dreifuss etwas über Sekten sagte.

Das Rezept dagegen: Den Dreh wird man zwar nicht los, aber es gibt eine Faustregel für das Interview mit Experten: Frage stets nur das, von dem du die Antwort nicht kennst. Der Hauptgrund dafür ist schierer Egoismus: Es macht einen blöd, immer das Erwartete zu hören. Und Blödheit ist in diesem Beruf auf lange Sicht geschäftsschädigend.

4. Umfragen? Unfragen.

Das Beste an Umfragen ist: Sie garantieren der Chefredaktion, die sie in Auftrag gibt, eine planbare Schlagzeile. Egal, ob es um die beliebtesten Politiker geht oder Haltung zu Banken, Religion, Sex – irgendetwas Verwertbares wird dabei herauskommen.

Das viertschlechteste an Umfragen ist: Je seriöser sie sind, desto teurer sind sie. Sie sind der teuerste Ersatz für eine journalistische Idee, der sich denken lässt.

Das drittschlechteste an Umfragen ist: Je seriöser sie sind, desto überraschungsfreier sind sie. Fast immer sagen die Leute, was man denkt, dass sie denken. Jetzt einfach in Prozentzahlen.

Das zweitschlechteste an Umfragen ist: Sie liefern zwar eine garantiert attraktive Tortengrafik, aber einen garantiert unattraktiven Text. Umfrage-Artikel sind fast unschreibbar. Die einzige Variante sind Punkt-für-Punkt-Aufzählungen dessen, was jeder bereits auf der Grafik sieht. Ausser man foltert die Daten so lange, bis eine Absurdität herauskommt.

Das schlimmste an Umfragen ist: Sie sind der Kompass für Mittelmässige. Es gibt nur zwei Motive dafür: Ideenlosigkeit und Angst. Marktforschungsstudien etwa dienen primär als Versicherung der Karriere des Managements, falls das Produkt floppt. Dabei tun Umfragen zuverlässig nur eins: Ideen töten. Alle schlechten Ideen. Und alle grossartigen. Das deshalb, weil ihr Resultat stets das Bekannte sein wird. Der Autopionier Henry Ford sagte das so: «Wenn ich die Leute gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt: schnellere Pferde.»

Das Rezept dagegen: Lassen Sie die Finger davon. Basieren Sie nie einen Kommentar oder einen Artikel auf einer Umfrage. Zitieren Sie sie auch nie als Beweis irgendeiner These, auch wenn die Versuchung nahe liegt. Erwähnen Sie sie nie. Und wenn, höchstens in einem Nebensatz. Und als Verleger: Feuern Sie Chefredaktoren, die auf Umfragen setzen. Denn diese zeigen dadurch, dass sie ihrer Redaktion keine regelmässigen Ideen zutrauen. Und dass sie selbst die kostenlose, elegantere Variante der Umfrage verlernt haben, das Kerngeschäft ihres Berufs: das Fragen.

Warum nicht?

Die Frage bleibt: Warum sollte man keine zu billigen Tricks anwenden? Umfragen und Rankings sind bequem. Der Politiker-Telefonterror und das Experten-Marionettenspiel geben einem ein Stück finstere Macht. Und die Leser schlucken erstaunlich viel. Wer ein wenig geschickt ist, fliegt auch nicht auf.

Der Grund ist weniger die journalistische Ethik. (Wer hat schon Zeit, die Argumentationen des Presserats zu lesen?) Sondern dass die billigen Tricks einem die Wahrnehmung automatisieren. Und diese ist das einzige, was man in diesem Job als Argument hat. Blindheit ist der Tod.


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7 Kommentare zu “The Return of the Shit-Detector: Billige Tricks”

  1. Jacques Tati sagt:

    Das hat man davon, wenn man am Morgen (zu) früh aufsteht. Man “muss” schreiben.
    Auf Hemingway bringe ich Brecht. Der arbeitete nicht in Paris, aber meist auch allein, unterstützt höchstens von seinen Musen.
    Der “linke” Brecht war gegen Planwirtschaft: “Ja mach nur einen Plan – sei nur ein grosses Licht…”.
    Auch gegen Trends: “Ja renn nur nach dem Glück – doch renne nicht zu sehr…”
    Und am Schluss fühlte er sich ziemlich verlassen, in seinem damaligen Wohnland.
    Aber – ein sehr guter Beobachter des Menschlichen/Allzumenschlichen…

  2. Werner Meier sagt:

    Warum haben Journalisten immer das Gefühl, sie müssten alles “journalistisch aufbereiten”, kommentieren, analysieren? Bringt doch einfach mal nackte Fakten, schön aneinandergereit, mit einer sauber recherchierten Historie, ganz einfach. Beispiel: Die Hauptausgabe der Tagesschau aus den Siebzigern, abgelesen und ohne jeden Hype und Quotengeilheit. Aber sauber recherchiert (!) und die Details zusammengetragen und nebeneinandergestellt. Den Rest können wir uns schon selber zusammenreimen.

    • Auguste sagt:

      hmm…, können sie vermutlich nicht, ausser sie wären ein universalgenie, werner meier. dann wären sie wahrscheinlich auf einer unserer banknoten verewigt, aber an einen meier werner in meinem portemonnaie kann ich mich beim besten willen nicht erinnern. banknoten, der shit-detector bei universalgenies.

      • Some1 sagt:

        Wenns nicht stört, dass der Artikel eher kurz und bündig ist, bietet sich 20min an. Wenn ich nur trockene, nüchterne Fakten lesen möchte, halte ich meine Nase immer zuerst dort rein.
        Danach kann man das Gelesene noch wunderbar durch den Blick-Skandalbericht und die anderen Magazine mit den jeweiligen politischen Ausrichtungen ergänzen.

        Unterm Strich weiss man dann alles, hat aber kaum noch eine Ahnung was man jetzt denken soll.
        Und so liest man der Einfachheit halber dann doch lieber trendgeiler Bullshit 🙂

  3. Hans Kernhaus sagt:

    Weil es am anderen Ort in den vielen schreienden Rechthaber-Kommentaren unterginge, und weil es hier ja ohnehin noch viel Platz hat: Ihr Hummler-Artikel ist der absolute Hammer! Sprache, Rythmus, Inhalt, Analyse, Unterhaltungswert, Originaltät.

    Gruss und Kompliment vom anderen Ende des politischen Spektrums!

    • Heini Kählin sagt:

      Dem Lob des Hummler-Artikel kann ich nur 100% zustimmen. Lese abwechselnd NZZ, TA und Südostschweiz. Alle ok aber die Analysen des TA sind Spitze.

      Hoffe, es wird auch in einigen Jahren noch so sein.

      Gruss

  4. Erfrischender Post, vorallem der mit den Trends ist gut! Nur wird der vermeintliche Trend dann sowieso zum Trend, denn jeder schreibt von jedem ab, oder? Sprich es gibt ein weiteres Mittel gegen Trends: Weniger abschreiben…. …und wie erwähnt wurde, weniger schnell publizieren.