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Grosse Köpfe, leere Worte – wie schreibt man über Machthaber?

Constantin Seibt am Mittwoch den 31. Oktober 2012

Es braucht lange, um in die Teppichetagen vorgelassen zu werden. Und dann blüht einem oft das Schicksal eines Suchenden, der das Grab Jesu öffnet, die Kasba betritt oder die letzten Geheimnisse des Zen erfährt. Wenn man endlich das Innere des Tempels erreicht, steht das Innere des Tempels fast immer leer.

Jedenfalls ist es verblüffend, wie nichtssagend viele Interviews mit CEOs sind, so stolz sie auch auf einer Doppelseite präsentiert werden. Oft bestehen sie aus einer Wolke bürokratischer Formeln, die klingen wie schlecht übersetztes Airport-Englisch.

Die Sprachlosigkeit vieler heutiger Machtträger hat gute Gründe. Die Wichtigsten:

  • Zunächst sind grosse Unternehmen tatsächlich auch riesige Bürokratien, und ihr Vorsitzender darf bei keinem Fehler überrascht werden.
  • Wirklich kluge Aussagen könnten börsenrelevant sein.
  • Die Chefs müssen als Kapitäne eines Weltunternehmens auftreten, dessen Steuerung sie wegen der Komplexität ihres Konzerns gar nicht voll unter Kontrolle haben können.
  • Das Zielpublikum der Chefs sind fast nie neutrale Leser, auch nicht die eigenen Angestellten oder Kunden; es sind die anderen Chefs. Deshalb auch der Management-Jargon.
  • Ausserdem erhalten den Top-Posten in der Regel nicht die einfallsreichsten Leute.
  • Und selbst wenn, dann haben sie seit langem das Reden verlernt: Da jeweils nur die Nummer 1 wirklich Auskunft geben darf, musste diese eine Karriere lang öffentlich schweigen, bevor sie endlich reden konnte – und dann ist ihre Fähigkeit dazu längst verstorben.
  • Aber selbst wenn die Nummer 1 ausnahmsweise etwas Kühnes oder Kantiges sagt, muss das Interview noch durch die PR-Abteilung des Konzerns gehen: Was einem Nacktbad in einem Haifischbecken gleicht.

Kein Wunder, sind die meisten CEO-Interviews todlangweilig. (Genaueres über den Aufstieg der Manager-Kaste hier in einem sehr langen Essay: «Die Weltrevolution der Manager» aus dem Ausstellungskatalog zur Ausstellung «Wir Manager».)

Die Relevanzformel

Folglich haben viele CEOs ein langfristiges Problem: wirkungslose Kommunikation. Aber vor allem haben Sie als Interviewer das akute Problem: eine todlangweilige Doppelseite.

Um die Qualität eines Interviews zu messen, genügt eine einfache Faustregel. Wie viel hat jemand zu sagen? a) im Machtsinn; b) an Inhalt. Die Relevanz ist das Produkt von beidem. Also:

Relevanz = Macht × Inhalt

Die wichtigste Folgerung daraus ist, dass die Relevanz exakt 0 ist, wenn der Inhalt 0 ist. Egal, mit wem sie sprechen. Ein Paradebeispiel ist das World Economic Forum, bei welchem die mächtigsten Leute der Welt verkehren, aber nichts sagen. Trotz einer Machtballung von mehreren Tausend Milliarden Dollar Aktienkapital ist das Resultat der weltweiten Berichterstattung annähernd 0.

Daraus ergibt sich eine handwerkliche Frage: Was zum Teufel macht man mit wichtigen Interviewpartnern, wenn sie langweilen?

Ein Portrait? Eine Landschaft?

Den Weg aus der Klemme weist wie oft ein jüdischer Witz. In dem Fall sogar mein jüdischer Lieblingswitz:

Zwei Juden stehen in dem Metropolitain Museum of Art vor einem abstrakten Bild und streiten sich.

«Des ist eindeutig a Portrait!»

«Nee, das is a Landschaft.»

«Nebbich! A Portrait.»

«A Landschaft!»

«Nu, wollen wir mal sehen, was der Künstler sich dabei gedacht hat!», sagt der eine, geht vor und liest die Plakette neben dem Bild. Dann dreht er sich triumphierend um und sagt: «Siehst du, ich hatte Recht!  Es is ganz eindeutig a Portrait. Da steht: Rosenfeld in der Toskana!»

Genau dies ist die Lösung. Jeder Mensch ist beides: Ein Individuum und eine Landschaft. Das gilt umso mehr für mächtige Leute. Diese sind zwar Herrscher über ihre Firma, aber noch weit mehr Sklaven ihrer Umstände: Der Absatzkurven, der Konkurrenz, der Börse, der internen Intrigen, der allgemeinen Konjunktur und nicht zuletzt der herrschenden Management-Mode. Ihre Agenda ist zu enormen Teilen fremdbestimmt; und da sie es seit Jahren war, ist es ihr Charakter meist auch. (So wie Menschen in der Rush-Hour des Leben, zwischen 30 und 55, mitten in Karriere und Kindererziehung, die aktivsten, aber auch die uniformsten sind. Junge Leute und Greise sind eigenwilliger, sie sind aus sich heraus interessanter.)

Kurz, Sie können getrost die Annahme treffen: Grosse Teile eines Chefs (in Wirtschaft, Politik, Kulturszene) bestehen aus seiner Umgebung: Der Mensch ist dann vor allem eine Landschaft.

Okay. Aber was heisst das für die Praxis?

1. Regel: Aus schlechten Interviews mach ein Portrait!

Diese Regel ist der Königsweg für jedes verhauene Interview. (Egal, ob aus eigener Schuld oder weil der Interviewte ein trockenes Etwas war.) Ein mieses Interview ist als Interview meistens unrettbar. Aber selbst der schlimmste Müll ist immerhin als Rohmaterial brauchbar: für ein Portrait. Denn zu diesem können Sie mehr Material beiziehen als nur die langweiligen Worte Ihres Helden: Aussagen von Untergebenen und Konkurrenten, das Pressearchiv, die eigenen Augen.

Diese Lösung braucht einige Rücksichtslosigkeit gegen den Interviewten: Der sprach mit Ihnen und findet dann nur ein paar Quotes wieder. Dafür nehmen Sie Rücksicht auf Ihren echten Partner: das Publikum.  Ein gelangweilter Text ist eine schlimme Sünde – immer. Falls es einen Gott gibt, werden Sie dafür in der Hölle brennen. Das sollten Sie vermeiden. Also ändern Sie den Plan und schreiben Sie ein Portrait.

2. Regel: Als Portrait zeichnen Sie die Landschaft!

Das zentrale Problem bei Ihrem Portrait wird sein: Sie sind der mächtigen Figur nicht nah. Erstens verkehren Sie in den falschen Kreisen. Zweitens werden mächtige Leute nur selten einem Journalisten ihr Herz öffnen. (Falls sie eins haben.)

Aber das tut nichts zur Sache. Denn ein Machthaber ist vor allem die Organisation, die ihn umgibt. Und das zeigt sich in den Dingen, die ihn beschäftigen: die Firma, die Branche und seine Kaste. Und das zeigt sich auch in seiner Philosophie, seiner Karriere und nicht zuletzt in seinen Entscheidungen. Das herauszufinden ist eine Frage von Fleiss und Pressearchiv.

Da in Firmen-Hierarchien nur die Nummer 1 sprechen darf, leiden alle anderen. Diese dürfen von ihren Abenteuern, Vorstellungen, Ärgernissen nichts erzählen. Deshalb reden in Organisationen die kleineren Nummern oft erstaunlich offen. Meist unter zwei Bedingungen: Dass die Sache off the record ist, und dass Sie sich für ihre Arbeit interessieren. Denn nichts tun Menschen lieber, als über ihre Arbeit zu sprechen. So erfahren Sie einiges über die tatsächlichen Probleme, Tätigkeiten und Ziele der Firma.

Die Gefahr bei dem Portrait ist die (siehe den vorherigen Post «Shakespeares Rückkehr»), den Chef als Essenz seiner Firma zu beschreiben: als einzig Handelnden, verantwortlich für alles, Gewinne wie Verluste. In Managementbüchern und -seminaren wird zwar ein fast religiöser Geniekult verbreitet: Legenden über Erfolgreiche und ihre magischen Rezepte, Bekenntnisse von bekehrten Bossen, Gezischel über gescheiterte Sünder, dazu viel Weihrauch über Leadership. Und in der Presse steht oft dasselbe: der Manager des Monats oder der Versager des Jahres.

Halten Sie sich fern davon. Cleverer sind die Fragen: Unter was für Bedingungen, mit was für Möglichkeiten, hat dieser Mann, was gesagt, was getan, was erreicht? Und wie weit passierte seiner Firma nur das, was der Markt tat? Inwiefern waren also die Entscheidungen des Bosses seine eigenen, welche traf er nur mit der Herde?  Das führt gleichzeitig zu einem respektvollerem wie respektloserem Bild eines Chefs: Als Mann in einem Netz, nicht als Spinne darin.

Deshalb, wenn Sie jemand Mächtigen portraitieren, folgen Sie diesem Rat: Zeichnen Sie nie einen Menschen. Zeichnen Sie einen Menschen in einer Landschaft.

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16 Kommentare zu “Grosse Köpfe, leere Worte – wie schreibt man über Machthaber?”

  1. Nicolas Weber sagt:

    Es gibt ja viele Sünden, für die man als Schreiberling zu recht in die Hölle kommt, aber ein Politikerinterview ohne Inhalt wird einem ein Gott kaum vorhalten (ob jetzt gnädig und gerecht oder nicht). Als Leser zumindest habe ich wahrscheinlich an keine anderen Texte so tiefe Erwartungen, die nur übertroffen werden können. Kaum etwas verflüchtigt sich so schnell wie die immergleichen, hohlen Phrasen von Machthabern. Viele schon bevor sie es überhaupt ganz ins Bewusstsein schaffen.

  2. Klaus sagt:

    So’n langer Artikel, nur um einen allseits bekannten Judenwitz anzubringen?
    Auch der Rest ist allgemein bekannt.

    • Constantin Seibt sagt:

      Wenn Sie den Link “Weltrevolution der Manager” öffnen, können Sie etwas noch viiiiiel Länges lesen, dass Ihnen bereits allseits bekannt ist!

    • Hans Kernhaus sagt:

      @Klaus: Wenn der zitierte Witz auch “allseits bekannt” sein mag (ich kannte ihn nicht), so ist es offenbar die Unterscheidung zwischen einem “Judenwitz” und einem “jüdischen Witz” noch nicht (die kenne ich dafür).

  3. Robert Franz Reichmuth sagt:

    Wortmeister Seibt – Ihr “Post” heute – ein hochaktueller Volltreffer. Gestern Abend in “10vor10” – Anschauungsunterricht auf allerhöchstem CH-Niveau:
    .
    Unsere BILLAG-SF-FRONTFRAU und Anchorwoman – CHRISTINE MAIER vs. SERGIO ERMOTTI UBS
    .
    Beide haben sich m.E. – sehr gut “gezeichnet in der garstig-karstigen CH-Finanzlandschaft” – oder Herr Seibt?

    • Christian Bernhart sagt:

      Ich hoffe der Robert Franzl meint dies ironisch. Weil Christine fast gar nichts von Banking versteht und sie ihre Fragen vorher tapfer auswendig gelernt hat, konnte Sie nicht nachhaken, nicht nach Derivaten und den wirklichen Risikos des Investment Banking nachfragen, auch nicht sagen, dass die UBS eigentlich das vollzieht, was sie muss, weil die Regeln zumindest theoretisch strenger sind. Nun der Ermotti ist ein guter Dressman und funktionierte wie ein vorher aufgezogene Spielpuppe. Wäre Sie eine mutige Person gewesen, hätte Sie am Ende ironisch danken können für die holen Worthülsen.

      • Constantin Seibt sagt:

        Aber mit Herrn Rutishauser spricht Ermotti dann doch in einigen Punken ziemlich überrschenden Klartext. Vor 10 Jahren wäre das noch die Position der WoZ gewesen. Einverstanden?
        http://www.tagesanzeiger.ch/wirtschaft/unternehmen-und-konjunktur/Am-Bankgeheimnis-haben-wir-zu-lange-festgehalten/story/23376012

        • Lukas Golder sagt:

          Sowohl VRP in AZ wie CEO der UBS im Hause Tamedia waren stets präsent als Beispiele. Eine sich verändernde Landschaft überzeugend und recht vielfältig im Interviewstil gemalt!

        • Hans Müller sagt:

          Das liegt wohl eher daran, dass der Wind in der Zwischenzeit dermassen gedreht hat, dass selbst dem Herrn Ermotti nichts anderes (Herr Jarchow, schreibt man anderes gross oder klein?) mehr übrig blieb als seine Fahne ebenda reinzuhängen. Eine gewisse Intelligenz kann man ihm ja nicht absprechen, dem Herrn Ermotti.

        • Christian Bernhart sagt:

          Einverstanden, zeigt aber vor allem den Unterschied zwischen Glotze und Zeitung in der traditionellen Papierversion. Hier sind noch nicht alle Journis für die neuen Medien und die Dividenden weggespart worden. Auch wenn man inzwischen merkt, dass, wie der Jargon so will, auch sehr viel Content aufgeblasen wird und statt Recherche dann Plaudereien absolviert werden. Simone Meier kann das im Tagi sehr gut, auf die lockere Weise, manchmal amüsant zu lesen, manchmal aber geht es auch ziemliche bachab.

  4. AntonKeller sagt:

    Die CEO’s nicht die Journalisten führen das Interview dorthin, wo sie ihre Aussagen plazieren können. Ermotti will beispielsweise das Schweizer Bankgeheimnis abschaffen, weil sie so bei den Verhandlungen mit den USA eine bessere Ausgangslage hat. Ob es der Schweiz ohne Bankgeheimnis besser geht oder nicht, interessiert ihn nicht. Nur bei ganz jungen, unerfahren Journalisten bringen interessante Interviews fertig.

  5. Treffend mit viel Witz beschrieben, Herr Seibt. Ich finde auch, dass eine Landschaft viel hergeben kann. Morgens um 7.30 Uhr. Bahnhof. Die meisten Pendler mit Stöpseln in den Ohren. Ob in geschniegeltem Anzug oder Jeans. Mit dem Handy oder dem Smartphone in der Hand. Im Abteil eine Gratiszeitung lesend. Kaum einer liest noch den Tagi oder die NZZ. Alles zu anstrengend. Keiner will kommunizieren. Noch viel anstrengender. Unterwegs zu einem Workshop. Thema:Kommunikation. Mir scheint es, alle haben irgendwie nichts mehr zu sagen.

  6. Stephan Michel sagt:

    Kein Kommentar, bloss eine Frage: Mit Kasba ist wohl nicht Kasbah gemeint (die, egal welche, wohl selten leer sind), sondern die Kabaa? Die ist zwar ziemlich leer, man kann sie aber, auch als Moslem, nicht betreten.

  7. Stephan Michel sagt:

    Tippfehler meinerseits: Kaaba, nicht Kabaa