Noch einmal: Ein Abendessen. Eine Indiskretion. Ein Warenmuster. Zwei Tickets. Drei Tage Côte d’Azur. 550 oder 400’000 Franken. Was ist Ihr Preis?
Das wurde das letzte Mal schon gefragt. Nur zweigte der Text dann in Richtung Geschäftsmodell ab. Auch eine finstere Gegend. Aber die Frage nach der persönlichen Bestechlichkeit blieb unbeantwortet.
In den guten, schlechten alten Zeiten, als es noch keine Monopolblätter gab, war die Sache noch gemütlich. Ich war Volontär beim «St. Galler Tagblatt». Und machte dort die viertklassigen Anlässe: Pressekonferenzen des lokalen Einkaufscenters, Vernissagen, Vorträge. Wobei ich jedes Mal auf die Kollegen der Konkurrenzblätter traf. Diese sahen, Mann oder Frau, verblüffend gleich aus: enorme Bäuche und Nasen, rot und grossporig wie der Mars. Mit der einen Hand griffen sie nach dem Weisswein, mit der anderen nach dem Lachsbrötchen und mit der dritten unterstrichen sie die Passagen im Pressetext, die sie danach abschreiben würden.
An mehr erinnere ich mich nicht: Durch die zwei, drei Pressetermine pro Tag war ich damals zuverlässig betrunken. Es war eine Zeit, als Journalisten noch Respekt erhielten: An Gemeinde- oder Gewerbeversammlungen wurden die Namen der anwesenden Journalisten samt Zeitung verlesen. Dann stand man auf, verbeugte sich, und der Saal applaudierte. Und jemand füllte einem immer das Glas nach.
Der Traum vom Autojournalismus
Aus dieser Zeit stammt auch der Traum, einmal im Leben für ein Jahr als Auto-Journalist zu arbeiten: Einladung von Mercedes oder weiss Gott wem auf fünf Tage Teststrecke in Südspanien, bonbonfarbene Drinks und langbeinige Menschen, die einem Hochglanzprospekte des neuen Modells zwecks Abschreiben überreichen. Wahrscheinlich bleibt der Traum Traum. Erstens hat heute die Autoindustrie weniger Geld. Zweitens sollte ich zuerst einmal den Führerschein machen.
Ausserdem stellte ich bedauernd fest, dass Luxus auf Recherchereisen völlig verschwendet ist. Egal, ob in einem Viersternehotel oder einer Jugendherberge, das Gefühl ist immer gleich: Das man das Falsche gesehen, die Interviews vergeigt, das Wichtigste verpasst hat – und gerade jetzt wieder verpasst, wo man seine Krawatte auf das Hotelbett wirft. Wenn das Gefühl Unfähigkeit ist, ist dir die Unterkunft egal.
Die Gesetze des Fliessbands
Die Hauptquelle von sanfter Korruption im heutigen Journalismus ist nicht mehr Gemütlichkeit. Sondern ihr Gegenteil: das Fliessband. Also das schnelle Übernehmen von Kommuniqués, die Instant-Interviews mit Experten, Politikern, Firmenleuten, das Copy-Pasten. Seltsamerweise ist dies weniger ärgerlich für das Publikum als für den Journalisten. Denn, wie mir ein Gewerkschafts-Profi sagte, würden etwa die vor Verhandlungen üblichen Vorwürfe an eine Firma, die fast 1:1 von der Presse übernommen würden, von Publikum nur flüchtig gelesen. Die wirkliche Bedeutung hätten sie nur für den Absender und den Adressaten. Diese beiden nähmen es ernst.
Während 1:1 publizierte Produktwerbung, wie mir ein PR-Agent sagte, sich auf den Verkauf selbst kaum messbar auswirkt. Aber umso mehr auf die Stellung des Agenten selbst: Weil die Firmen und ihre Bosse alle positiven Publikationen über sich höchst wichtig nähmen.
Kurz: Der Hauptbetrogene ist nicht einmal das Publikum, das nur flüchtig hinsieht. Sondern der Journalist. Deshalb, weil er – unter Zeitdruck, also hart arbeitend – Irrelevantes tut.
Die Folgerung: Nichts gegen Tempo, wo es sein muss. Aber man sollte sein Fliessband bremsen, wo immer es geht.
Gerechtigkeit? Nicht im Angebot
Aber zurück zur Ausgangsfrage: Was also wäre Ihr Preis? Sagen Sie nun nicht: «Ich habe keinen». Völlig Unbestechliche sind für diesen Beruf nur halb geeignet. Schon, weil alles Interessante in der Grauzone passiert. Etwa bei Informanten. Für jede Recherche braucht man Köpfe im Hintergrund: Tippgeber, Experten, Sympathisanten. Und diese wollen von Ihnen dasselbe wie Mercedes oder die Kaufhalle: nette Worte über sich selbst. Und nach Möglichkeit nur Boshaftes über die Konkurrenz.
Hinter fast jeder Enthüllung, die Sie lesen, steht jemand, der gepetzt hat. Und das selten aus reiner Wahrheitsliebe. Wie weit also gehen? Kommt drauf an, wie sehr Sie Schlagzeilen oder Genauigkeit lieben. Oder Menschen. Denn Bestechlichkeit ist auch eine grosse Tugend, gerade bei Journalisten. Nur Taube reagieren unerschütterlich auf Charme; nur Verbohrte ziehen ihre Vorurteile überraschenden Ideen vor; nur Herzlose lassen sich nicht bestechen von der Angst und Hilflosigkeit eines Gegenübers. Und zur Hölle damit: Gerechtigkeit ist nicht nur nicht herstellbar, sie wäre auch grausam. Es wäre eine finstere Welt, wenn alle nur das bekommen würden, was sie verdienen.
Zur Frage der Käuflichkeit also ein deutliches, dezidiertes Ja. Einfach deshalb, weil diese Haltung wacher macht. Sie werden eh immer alles prüfen müssen. Nicht zuletzt sich selbst.
Festzulegen bleibt nur noch der Preis: Wie viel? Und vor allem die Währung: Wollen Sie Luxus? Respekt? Wenig Ärger? Exklusivinformation? Bestätigung der eigenen Irrtümer? Neue Ideen? Das Gefühl der Wichtigkeit, wenn Sie ein Prominenter anlächelt? Oder den Eishauch der Macht, wenn ein anderer vor ihnen zittert? Was genau ist ihr Preis?
Sie entscheiden das. Aber wählen Sie weise!
PS: Der Diplomat Charles de Talleyrand, angesprochen auf seinen Patriotismus, sagte den stolzen Satz: «Bis zu einer Million Livres stehe und sterbe ich für Frankreich!»
PPS: Der US-Autor Truman Capote verlor nach dem Vorabdruck seines Schlüsselromans «Erhörte Gebete» seine Freunde unter den oberen Zehntausend. Er kommentierte den Verlust mit: «Wen zum Teufel haben die gedacht, haben sie eingeladen? Einen Schriftsteller.»
gerechtigkeit ist ein luxus, welchen sich nur wenige leisten können, (obwohl durchaus erstrebenswert). grundsätzlich gilt: je stärker der charakter, desto schwieriger wird die einflussnahme.einzige ausnahme -> die persönliche (finanzielle) situation. -> je höher der (nachhaltige) wohlstand, desto weniger intresse, sich kaufen zu lassen! (gut, sollte man zumindest meinen…). ich resumiere: 1) es ist legitim sich bestechen zu lassen wenn man a) keinen charakter hat, b) einen charakter hat aber in der klemme steckt, c) ein mickriges gehalt bezieht. ich persönlich mach’ den bückling ab 7 mio. chf
Au contraire. Ich glaube, je stärker man grad ist, desto mehr Einflussnahme lässt man zu. Nur wer keinen Kompass hat, braucht Konsequenz.
PPPS: Und hier noch ein schönes Beispiel, wie die Emil Frey AG Journalismus sieht: als Autojournalismus. Und wie die Verleger Journalismus sehen: Alles bestens, wenn nicht Professor Imhof wäre. Hui.
http://www.kleinreport.ch/news/medienkongress-wir-haben-kein-qualitaetsproblem-71653.html
Soso, abgeschriebene PR liest das Publikum eh nicht und ist nur wichtig für Firma und Agentur. Das ist ohne Zweifel der Status Quo. Früher war alles besser, da wurden Journalisten wenigstens hofiert und abgefüllt. Die waren dann dankbar, denn jeder ist anfällig für Charme und Nettigkeiten. Das ist der Stand von vor dreissig Jahren (schätze ich mal). Und Sie können keine Zwangsläufigkeit in der Entwicklung sehen?
Und bei echten Enthüllungen haben Insider garantiert kein Interesse, genannt zu werden. Das ist der Unterschied zu Klatsch und Tratsch von Pseudoinsidern der Politikerfamilie.
PS: Vielleicht ist auch mein Ironiedetektor kaputt. Merk ich gerade beim drüberlesen.
Marc Walder von Ringier nahm jeweils für eine Homestory der SI 15’000-30’000 in bar in einem Umschlag.
Na, na Herr Kündig. Das sind aber stolze Preise. Ich würde sogar sagen: Phantasie-Preise.
Leider nein, fragen Sie z.B. Fritz Kaiser.
Das dürfte aber Ringier sicher interessieren.
Also Herr Kundig, selbst wenn das stimmen würde, weshalb verbreiten Sie so etwas brisantes auf einem Blog? Finde ich sehr, sehr suspekt!
Bestochen wird man vor allem mit Bequemlichkeit.
Herr Seibt,weshalb blenden Sie Ihre Kollegen aus, die sich nicht mit Peanuts zufrieden geben, sondern höhere Weihen und besser dotierte Jobs anstreben, z.B. als persönlicher Mitarbeiter eines Bundesrates, Mediensprecher eines Bundesamtes oder sonstwo im guthonorierten Umfeld der Bundesverwaltung. Davon gibt es Dutzende, die Sie eigentlich kennen sollten.
Ja klar kenn ich welche. Aber was gibt es da zu mäkeln? Sie haben den Job gewechselt und verdienen vielleicht etwas mehr. Mein Ding wäre es nicht, aber das gilt für fast alle anderen Berufe. In einer amerikanischen Berufswunschliste stand etwa Buchhalter auf Patz 1 und Dentalhygiene auf Platz 4. (Journalist auf Platz 196, dahinter kamen noch Berufmilitär und Holzfäller.)
Wenn ich ein Loblied auf das neueste Modell der XXL-Serie von Volvo, Mecedes etc. lese, nehme ich das als Leserin nicht für bare Münze. Wenn in der NZZ seit Tagen Indien in den allerschönsten Worten verkauft wird, ist mir klar, dass der Journalist zu einer tollen First-Klass-Reise eingeladen wurde. Aber wenn ein TV-Journalist oder ein sogenannt kritischer Schreiberling für seine wohlwollende Berichterstattung mit einem bequemen, hochdotierten Staatsjob belohnt wird, dann werde ich grantig. Das ist Korruption. Und nicht die PR.mässige Bewertung irgend eines Produktes.
Ich kene nur 2 Journalisten denen ich noch jedes Wort Glaube das sie schreiben. Stefan Aust und Wilhelm Hahne. Letzterer das Urgestein im Automobil-Journalismus, mit mehr Fachkenntnis, als die meisten Führungspersonen in den Autokonzernen.
Daneben die wohl leicht käuflichen Google Journalisten und Pressemappenzusammerfasser. Man muss nur mal aus einer Meldung ein Textfragment kopieren und bei Google einsetzen. Da kommt doch so oft interessantes zum Vorschein. Der Preis, Journailsten zu kaufen ist gering. Das wissen viele politisch motivierte Verleger. Ein Lohn verpflichtet zur Lininetreue…
Nein, eigentlich ist das die Ausnahme, dass es eine Linie gibt. Und Linientreue wird auch nur ausnahmsweise verlangt. Einige alternde Milliardäre versuchen das zwar momentan zu ändern. Aber das Gros der Journalisten schreibt schon, was sie denken. (Sie können natürlich nicht damit einverstanden sein, aber sooo einfach funktioniert das nicht. Eher hat der Herr Keller von oben Recht.)
Nicht desto trotz ist es eine beachtliche Anzahl von Schwergewichten, die sich von den alternden Milliardären kaufen liessen.
“Linientreue wird auch nur ausnahmsweise verlangt” ich möchte das bezweifeln.
Wie sehen Sie dann die Enthebung von ihren Pflichten bei Dan Rather, Keith Oberman, Joy Behar, Joe William und anderen?
Immerhin haben die grösseren Medienhäuser einen code of conduct, den Journalisten unterschreiben müssen. Die meisten wichtigen Häuser folgen diesem in ihren Arbeitsabläufen. Aber dieser Trend der schnellen Suspendierung ist bedenklich. Ich denke nicht, dass die europäische Medienlandschaft sich gross von der hiesigen unterscheidet.
Es geht so menschlich zu und her bei den Journalisten wie in jeder anderen Branche, wo zwischen Profit, Ethik und persönlicher Eitelkeit die Balance gefunden werden muss. Herr Seibt hat in den Jahren seines Wirkens seine Unbestechlichkeit und seinen Scharfsinn bewiesen. Er versteht es immer wieder, mit seinen fundierten und zugleich unterhaltsamen Texten mich und viele andere LeserInnen zu begeistern. Ein herzliches Dankeschön meinerseits an Constantin Seibt!
Ich habe ein Problem mit dem Titel des Artikels: auf deutsch muesste der heissen “Was ist Ihr Preis?”.
Womoeglich war das aber auch ironisch gemeint?
Nope. Der Titel verweist höchst subtil auf die Pointe des Artikels, dass vielleicht weniger die Höhe des Preises die eigentliche Entscheidung ist, sondern die Währung.
Hmm, auch wenn ich kein Deutschlehrer bin, bleib’ ich dabei dass es “was” heissen müsste (“welches” bezieht sich auf eine im Titel nicht ersichtliche Auswahl) und die Subtilität der Pointe darunter auch nicht leiden würde. Ich finde Ihren Artikel ansonsten gut, denn er beleuchtet ein im Uebrigen durchaus demokratierelevantes Problem der “Meinungsmache” der Medien, welches normalerweise schön unter dem Tisch bleibt. Dafür braucht es Mut als “Nestbeschmutzer” – und wahrscheinlich auch einen guten Rückhalt innerhalb der Redaktion, zumindest für den Folgeartikel, auf den ich mich freue.
<3
Mein Preis ist die Narrenfreiheit. Die ist mir teuer. Wenn sie nur nicht so verdammt viel kosten würde…
Jeder Mensch ist beeinflussbar und hat einen Bias, was politische Ansichten betrifft. Da Journalisten auch nur Menschen sind, sind sie davon nicht ausgeschlossen. Mir ist es lieber, wenn ein Journalist als Überbringer/Katalysator von Ereignissen, betreffend seines/ihres Bias transparent ist. So kann ich alles, was er übermittelt, besser einordnen. Solche, welche in-transparent sind und sich hinter der Künstlichkeit einer ‘Ausgewogenheit’ verstecken, sinken in der Glaubwürdigkeit und somit versinken sie schnell im Hintergrundrauschen.
/2: Was gute Journalisten meiner Meinung nach auszeichnet, ist eine fundierte Meinung und dass sie ihre Meinungsfindung auch unter dem Aspekt ihrer politischen Identifikation transparent kommunizieren. Erst damit erhalten sie Gewicht, Relevanz und Substanz. Solche lese ich gerne. Erst durch die Substanz, erst durch die auf der Bühne exerzierte Meinungsfindung kann ein Dialog entstehen.