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Warum Sie zu uninspiriert sind. Zu langweilig. Und Ihre Meinungen nichts wert sind

Constantin Seibt am Freitag den 17. August 2012

In der letzten Folge ging es darum, warum Kolumnen oft eine üble Sache sind. Sie sourcen out, was das Kerngeschäft jeder Zeitung sein sollte: Mut, Witz, Frechheit, Wärme, Stil.

Diesmal geht es um etwas anderes: Warum Sie hier nicht ausreichen, eine Kolumne zu schreiben.

Ökonomie der Kolumne

Das Schönste an einer Kolumne ist, dass sie regelmässig erscheint. Denn das bedeutet ein regelmässiges Einkommen.

Für die Produktion heisst Regelmässigkeit vor allem eins: Sie ist keine Frage der Inspiration. Eine Kolumne ist eine halbindustrielle Form. Sie muss schreibbar sein, Tag für Tag, Woche für Woche, egal, was sonst passiert: Kater, Liebeskummer, schreiendes Baby, andere Aufträge.

Und das ohne grossen Kampf. Denn wenn eine Kolumne jedes Mal beim Schreiben Probleme macht, verwandelt sich ihr Schönstes von einem Segen in einen Fluch: für das regelmässige Honorar zahlt man mit einem regelmässigen Abstieg in die Hölle.

Verzweiflung ist zwar unvermeidbar im Journalismus. Immerhin kämpft man bei jedem ernsthaften Artikel mit einem neuen Stoff, knapper Zeit, eigener Unzulänglichkeit. Die Furcht, zu versagen, das Versagen selbst gehört zum Job.

Nur wäre es Wahnsinn, sich die Hölle als Dauerauftrag ins Haus zu holen.

Freiheit – die Ursache allen Ärgers

Tatsächlich hat, wer bei einer Kolumne leidet, einige fundamentale Entscheidungen falsch getroffen: den falschen Stil, das falsche Thema, eine zu offene Form.

Die Ursache der Verzweiflung beim Schreiben ist die Leere davor. Nichts steht bei einem ernsthaften Artikel fest: nicht der Ton, nicht die Form, nicht was drin ist und was draussen. Vorhanden ist nur ein Misthaufen an Material, teils auf dem Tisch, teils im Kopf, wo er von den routinierten Teufeln der Angst und des Ehrgeizes immer neu umgeschichtet wird. Meist so, dass er noch mehr nach Misthaufen aussieht.

Das Schöne und Schreckliche am Schreiben ist, dass es aus einigen Hundert freien Entscheidungen besteht. Das macht sich in der Theorie fast so schön wie Robinson Crusoe im Roman. (Wo sonst in der heutigen Welt ist ein Angestellter noch ein derart absoluter Herrscher wie ein Journalist auf seinen paar Quadratzentimetern?) Und in der Praxis fast so schrecklich, wie auf einer einsamen Insel ausgesetzt zu sein. (Du hast keine Ahnung und jede falsche Bewegung kann deinen Untergang bedeuten.)

Das heisst für eine Kolumne: Wer komfortabel damit leben will, muss die Freiheiten so weit wie möglich selbst eliminieren: in Ton, Stil und Inhalt. Und sich für den Notfall möglichst viel greifbare Vorräte zulegen. Die sich schnell benützen lassen.

Ab in die Hölle, Kopierkatze!

Nur welche Ressourcen hat man? Auf den ersten Blick liesse sich Folgendes vermuten:

  1. Viele Kolumnen sind witzig. Also setze auf deine Inspiration!
  2. Viele Kolumnen sind persönlich. Schildere dein Privatleben!
  3. Viele Kolumnen enthalten Kommentare. Äussere deine Meinung!

Aber das ist ein Irrweg. Er führt geradewegs in die Hölle: in das Reich regelmässiger Qual, unausweichlicher Mittelmässigkeit und berechtigter Selbstzweifel.

Denn sehen wir die Zutaten einmal genauer an:

1. Deine Inspiration

Man hört immer wieder, dass es beim Schreiben im Allgemeinen und bei Kolumnen im Besonderen um Ideen ginge. Doch wer das glaubt, ist Amateur. Denn die eigenen Einfälle sind ein höchst zweifelhafter Rohstoff: Die meisten sind zu absehbar oder zu absurd. Wirklich gute Ideen beziehen selbst kluge Leute nur im Vierteljahresabonnement. Jedenfalls ist es keine Option, bei einer Kolumne auf gute Einfälle zu vertrauen. Besonders, weil diese auch noch regelmässig wie das Tram eintreffen müssen: pünktlich vor Redaktionsschluss. Darauf eine Kolumne zu basieren (also zu sagen: ich werde «etwas Witziges», «etwas Bewegendes», «etwas Tiefgründiges» schreiben), heisst in der Praxis: vor einem leeren Blatt Papier zu verhungern. Fazit: Vertrau deiner Inspiration nicht. Du bist zu wenig originell.

2. Dein Privatleben

Angeblich schafft das Leserbindung. Zumindest glauben das viele, und viele Kolumnen funktionieren auch so: Der Journalist schreibt etwas Nachdenkliches oder Lustiges aus seinem Leben und die Leser sagen: «Oh, ich kenne das auch!» Nur leider sind praktisch alle dieser Kolumnen Quark: Austauschbares über drollige Haustiere, nervende Handybenützer, dumme Werbeangebote und die ewigen Missverständnisse zwischen Mann und Frau.

Der Haken besteht darin, dass es harmlos ist. Nur, warum sollte man keine Harmlosigkeiten schreiben? Sie tun niemandem weh. Und sie verkaufen sich sogar.

Der Grund, warum Sie es nicht tun sollten, ist einfach: Ihre Mutter hat Sie unter Schmerzen geboren. Und sie hat es nicht getan, damit Sie dasselbe wie alle anderen tun.  Es geht schlicht nicht an, sein einziges Leben mit Austauschbarem zu verschwenden. Und wenn Sie schon schreiben, spurlos zu schreiben.

Die erfolgreichste Ausnahme vom Privatleben-Tabu gilt für sehr junge Leute. Diese schreiben sexy Kolumnen: Dort wird geflucht, herumgeknutscht, Drogen genommen. Und dazu werden Urteile von fröhlicher oder melancholischer Herzlosigkeit abgefeuert. Diese Sorte von Kolumne hat garantiert Echo: Denn Senioren (als Zeitungen befinden wir uns in der Seniorenunterhaltungsbranche) lieben Nachrichten von der Jugend: um sich zu ärgern oder zu verstehen.

Nur: Dieses Modell ist nicht nachhaltig. Die Kolumnisten oder Kolumnistinnen altern. Sie geraten in eine stabile Beziehung, bekommen Kinder und Job. Und sitzen plötzlich ihre Tage im Büro ab, statt in der Londoner Galerie. Und wenn dann in ihrem Alltag etwas wirklich Aufregendes passiert – eine nervenzerfetzende Affäre, Krach mit dem Chef – dann können sie es nicht mehr schreiben. Sondern nur noch das Übliche über nervende Handybenützer und dumme Werbeangebote. Fazit: Baue nie eine Kolumne auf deinem Privatleben auf. Du langweilst.

 3. Deine Meinung

Zeig mir jemanden, der auf seine Meinung stolz ist, und ich zeige dir einen Dummkopf. Das Problem bei Meinungen ist: Sie wachsen einem wie Haare. Man hat lauter Meinungen zu Dingen, von denen man keine Ahnung hat: etwa zu China, der Schwulenehe,  moderner Kunst, dem Higgs-Boson, klinischen Depressionen, zu Norwegen oder zur Nasa. Das ist auch okay: Irgendwie muss man sich in der Welt orientieren. Nur publizistisch verwertbar ist nur ein Bruchteil an Meinungen. Und zwar folgende:

  1. Die Meinung muss durch Erfahrung gedeckt sein. (Man muss die Sache wirklich erlebt haben.)
  2. Die Meinung muss leidenschaftlich vertreten werden. (Wozu über etwas debattieren, was einem egal ist?)
  3. Die Meinung muss verblüffend sein. (So ist etwa die Erkenntnis wie etwa, dass Aufmerksamkeit der Liebe wichtig ist, durch Erfahrung gedeckt, braucht in der Praxis auch Leidenschaft, ist aber auf dem Papier todlangweilig.)

Wie viele derartige Meinungen hat man, die gleichzeitig fundiert, mitteilenswert und originell sind? Vielleicht fünf oder sechs. Nichts, was ausreicht, damit eine Serie zu starten. Nicht untypisch ist, dass Meinungskolumnen die Domäne alter Männer sind. Und sie haben auch die Attraktivität älterer, dozierender Männer. Fazit: Trau deinen Meinungen nicht. Fast alle haben Mundgeruch..

Nichts also taugt. Deine Inspiration, dein Privatleben, deine Meinungen, sie sind langweiiiiiiiiiiiiiilig. Bleibt nur noch die Frage:  Wie zur Hölle konstruiert man dann Kolumnen? Und kommt ohne Schande an sein Geld?

Die Antwort ist: Den Bauplan dafür finden Sie nächste Woche auf diesem Blog.


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25 Kommentare zu “Warum Sie zu uninspiriert sind. Zu langweilig. Und Ihre Meinungen nichts wert sind”

  1. Alain de la France sagt:

    “Domäne alter Männer sind….” (hat was).
    Einfacher wird es jedenfalls nicht – so wartet man(n) eben – bis es kommt.
    “Trau keinem ueber 30”; sagten die Spontis.
    Gibt auch wieder nur Probleme – meine beiden Soehne sind schon mehr oder weniger – darueber…

  2. Alain de la France sagt:

    Und auch, wenn meine Meinung zum “Liebesleben der roten Waldameisen” niemanden interessiert;
    und ich dafuer wohl nie ein “fourmis” bekommen wuerde.
    Ist mir egal, “hat man sich erst einmal blamiert – lebt es sich ganz ungeniert”…

  3. Alain de la France sagt:

    Und da meine Mutter, ausser Geburtsschmerzen, auch schon dieses oder jenes mit mir hatte;
    ziemlich sicher manchmal Aerger; muss ich etwas “thun”…

  4. Cornelis Bockemühl sagt:

    Praktische Anmerkung: Warum kann man nicht auch Blogs mit einem “Drucken”-Knopf versehen, so wie Artikel? Scheint irgendwie unüblich zu sein – einfach nur “uncool”?

    Klar: “Man” liest Blogs online. Wenn man sie aber gerne gemütlich im Zug lesen will, und wenn man ausserdem (noch?) kein Dauer-Onliner mit Smartphone ist, oder wenn man das schlicht nicht gemütlich findet: dann ist ausdrucken angesagt!

    Bei mir heisst es dann immer: Text kopieren, in ein Programm wie Word o.a. transferieren, Formatierung überarbeiten und ein wenig papiersparender machen…

    Aber vielleicht bin ich ja der einzige!?

    • dolan sagt:

      Ja, Cornelis. Du bist der einzige.

    • Michael sagt:

      Sofern Sie einen Mac besitzen: Öffnen sie das Blog in Safari, rechts in der Adressleiste sehen Sie jetzt einen Button “Reader”. Jetzt noch cmd+p drücken, fertig.

      • Cornelis Bockemühl sagt:

        Nein, Mac habe ich nicht! Natürlich können auch andere Browser “irgendwie” drucken, aber es gibt dann halt 10 Seiten, mit Werbung, Seitenspalten usw. usw., für einen Text der locker auch auf 2-3 Seiten passen würde.

        • Philipp Rittermann sagt:

          hallo herr bockemühl -> installieren sie adblock plus im firefox-brauser – dann werden die ganzen werbebanner geblockt. und – schaffen sie sich einen mac an! 🙂

        • Mario Monaro sagt:

          Also: Drucken ist eine Browserfunktion und gehört nicht auf eine Webseite. Dass noch mühsame Werbung im Ausdruck mit drauf ist, ist ein Problem um das sich der Webentwickler kümmern muss und hier offenbar unterlassen hat. Es gibt aber einen Trick, der auf allen Websites funktioniert. Dazu installiert man ein Bookmarklet (ein Bookmark oder Favoriten, der nicht auf eine Website verweist, sondern lästiges aus der Seite entfernt: http://css-tricks.com/examples/ThePrintliminator/). Alternativ kann man auch einen Account bei Readability erstellen. Leider reicht der Platz hier nicht für mehr Infos…

          • Cornelis Bockemühl sagt:

            Logisch haben Sie recht: gehört in den Browser! Praktisch ist es aber anders: dass man trickreiche Skripte usw. braucht, die Sie nicht einmal in zwei Sätzen beschreiben können spricht ja eine deutliche Sprache!

            Und da ist dann so ein “Drucken”-Knopf (wie in jedem TA-Artikel – ausser in den Blogs!) halt einfach eine Vereinfachung.

            Sorry an den Autor des Blogs: Ich wollte diesen Wunsch hier nur einmal deponieren – nicht eine endlose OT-Debatte lostreten!

        • Michael sagt:

          Was ich beschrieben habe, ist eben nicht irgendwie drucken: die Reader-Funktion bereitet den Artikel in ein lesbares, werbefreies Format auf. Sie können alternativ auch einen Service wie Instapaper verwenden.

  5. Heilige, wahre Worte. Allesamt. Das Ärgernis der (nicht mehr ganz) jungen Kolumnistin illustriert Michèle Roten. Jenes des “alten Sacks” Peter Rothenbühler. Als Muster des chefredaktionellen Dummkopfs, der auf verbeamtete Kolunmnisten “auf Lebenszeit” setzt: Finn Canonica. Nachdem ich mit meiner Prophezeiung Recht bekam, dass uns “Schwangerschaft, Niederkunft und Kleinkindergedanken” von Michèle Roten nicht erspart bleiben, fürchte ich, das “schreibfeste Fräulein” von Tamedias Gnaden wird auch noch “Menopause, Grossmutterschaft und Pensionierung” mit ihrer Stammleserschaft teilen wollen.

  6. A.P. sagt:

    Zum in etwa gleichen Thema Martenstein, der Meister der Kolumne:

    http://www.zeit.de/2012/30/Martenstein

    (Finde ich im übrigen auch um Längen unterhaltsamer und komprimierter..).

    • regina sagt:

      Danke für den link, bin gleicher Meinung – kompakt, wirklich unterhaltsam, kommt ohne die billigen, dumpf-doofen Provokationen aus die jedwelche Blogs im Tagi so unlesbar machen.

  7. Zum Glück schaffe ich es, die meisten Kolumnen zu vermeiden. Außerdem habe ich ein eigenes Blog. Da schreibe ich mein eigenes Zeug. Also, was soll das Ganze hier?

  8. Adriano Granello sagt:

    Kolumnen sind doch per se eine Altherren-Domäne. Besonnen, klug, gelegentlich gar mit einer Prise Ironie gewürzt, verkörpern sie Werte wie Kontinuität, Weisheit, Scharfsinn, Querdenkertum, halt all das, was das im sexy Boulevardstil daherkommende Tagesgeschehen nicht zu bieten hat. Es bleibt allerdings die Frage nach dem entgangenen Nutzen, den ein Durchschnittsleser beim Linksliegenlassen der Kolumne hinzunehmen hat, netto natürlich. Denn auch Wetterprognosen, Sportresultate oder etwa die Analyse der Rundungen der neuen Miss Schweiz können glücklich machen, einfach anders…

    • Anna Esposito sagt:

      Die Kolumne, von Columna, die Säule, erhebt den Schreiber zum Säulenheiligen. Die mussten so lange oben auf ihrer Säule bleiben im alten Rom und Griechenland, bis ihre Aussagen etwas taugten. Hehrer Anspruch, vor allem an die Groupies, die ja jurieren mussten was da so auf sie niederkam. Für Frauen ist die Kolumne eine ausgezeichnete Plattform, sich Gehör zu verschaffen, weil sie eine Serie publizieren können und so auch süchtig machen. Wie Doris Knecht, Milena Moser, Güzin Kar. Die Altherren Weisheiten sind immer amüsanter, weil gelernt. Frauen-Kolumnen können Rahmen sprengen für neue Ideen.

  9. Adriano Granello sagt:

    @Anna Esposito
    Sie haben mir mit Ihrem Hinweis ein bisschen die Augen geöffnet, denn Kolumnen in Tageszeitungen sind nach meiner Wahrnehmung fast ausschliesslich von Männern verfasst. Dass Frauen frischer, lebendiger, spezieller schreiben, kann ich mir vorstellen – ich werde nach Doris Knecht, Milena Moser, Güzin Kar und anderen Kolumnistinnen gerne Ausschau halten und gewiss eine positive Überraschung erleben!
    .
    Übrigens gibt es eine Wiki-Site der angeblich bekanntesten Kolumnisten, darunter hat es auch einiger Frauennamen:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Kategorie:Kolumnist

  10. Ruedi Ballmer sagt:

    Geehrter Herr Seibt, Paros scheint Ihnen gut getan zu haben. Ich habe mich über ihren Text köstlich amüsiert. Oft ist ja besonders witzig, was vorgibt, nicht witzig sein zu wollen. Besten Dank.