Pardon, ein wenig unzufrieden bin ich noch mit dem für heute versprochenen Post zur Praxis der Ratteninsel. (Den Theorieteil finden Sie hier.) Die Sache erscheint mir noch als etwas zu roh formuliert. Also lassen wir den Post noch ein, zwei Tage in der Werkstatt, während die Mechaniker daran herum löten.
Zum Ersatz hier ein kleiner Vorgeschmack auf eine Variante der Ratteninsel. Seriöse Texte können nicht nur durch Einsprengsel wie Anekdoten, Beobachtungen, Zitate lesbarer gemacht werden, sondern durch die reine Intensität der Beschreibung. Auch Atmosphäre hält Leser am Haken.
Dazu hier eine Erinnerung des Krimiautors Raymond Chandler an seine Anfänge. Chandler war als Manager einiger kleinerer Ölfirmen gescheitert, 50 Jahre alt und arbeitslos, als er ein zweites Leben als Autor von Detektivgeschichten begann. Er veröffentlichte seine ersten Erzählungen in Schundheften. So gut wie niemand nahm diese Hefte literarisch ernst – ausser Chandler selbst. Er feilte an seinen Stories mit einer Energie, als ginge es um den Nobelpreis. Und wählte damit die richtige Strategie.
Hier seine Tipps, gefunden in seinem Briefband «Die simple Kunst des Mordes» – einem der drei besten Bücher über das Schreiben.
Vor langer Zeit, als ich noch für Groschenzeitschriften schrieb, schob ich in eine Geschichte wohl mal einen Satz ein wie etwa: «Er stieg aus dem Wagen und ging über den sonnengetränkten Bürgersteig, bis die Schatten der Eingangsmarkise über sein Gesicht fiel wie ein Schwall kühlen Wassers.» Das strichen sie dann raus, wenn die Geschichte gedruckt wurde. Ihre Leser schätzten sowas nicht – das hielte bloss die Handlung auf.
Ich nahm mir vor, sie zu widerlegen. Meine Theorie ging dahin, dass die Leser nur dachten, sie interessierten sich für nichts als die Handlung; dass sie in Wirklichkeit aber, obwohl sie’s gar nicht wussten, genau an dem interessiert waren, was mich auch interessierte: an der Entstehung von Gefühl durch Dialog und Beschreibung. Was ihnen im Gedächtnis blieb, was sie verfolgte, war zum Beispiel nicht bloss einfach die Tatsache, dass ein Mann umgebracht wurde, sondern dass er im Augenblick seines Todes gerade versuchte, eine Heftklammer von der polierten Schreibtischoberfläche aufzunehmen; sie entschlüpfte ihm immer wieder, so dass sein Gesicht einen Ausdruck der Anstrengung zeigte, und das Allerletzte auf der Welt, an das er gedacht hätte, war der Tod. Er hörte ihn nicht einmal an die Tür klopfen. Diese kleine Heftklammer schlüpfte ihm immer wieder aus den Fingern.
PS für Journalisten, die sich nicht für Kriminalromane interessieren: Ersetzen Sie im zweiten Abschnitt des Zitats, Zeile 2, das Wort «Handlung» durch das Wort «Information». Und bingo!
schöne lektion, danke. chandler ist eh mein held 😉
welches sind die anderen beiden besten bücher übers schreiben?
Das Buch von Ray Bradbury ist ganz gut, Zen in the Art of Writing.
Truffauts Interview mit Hitchcock. Und die Essays des Werbers Howard Gossage. (Aber die werden beide an dieser Stelle noch ausführlich vorgestellt werden – so Gott und mein Konzern es will.)
Ich glaube, die aufmerksamen Leser dieses Blogs haben unterdessen begriffen, dass es bei einer Story auch um die Art der Informationsvermittlung geht. Unsere, oder zumindest meine Aufmerksamkeit lässt aber nach, wenn ich hier nicht bald mal was Neues lese.
Hier schon mal Seibt über Gossage:
http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/gemeinde/Der-Mann-der-Werbung-zur-Kunstform-machte/story/21342098
Das ist jetzt der erste Artikel von Herrn Seibt, den ich von oben bis unten geschafft habe. Gefällt mir sehr gut, weil ich mich gefragt habe: WAS IST DENN DASS ? Habe daraufhin auch die Ratteninsel und andere Blogeinträge Queerbeet gelesen. Klar, wenn man vom Schreiben leben will, dann muss man sich schon Gedanken machen, wie man die Leute zum Lesen seiner Werke animieren kann. Vorallem wenn man nicht nur das Schreiben will, was die Leute lesen wollen. Gerade diese Ratteninseln sind es aber, welche mich an Herrn Seibts Artikeln stören.
Klar, dass der Ansatz von Chandler, der den Leser nicht ins Wasser locken will und ihn sachte durch das Wasser führt von Insel zu Insel, eine wohltuende Abwechslung darstellt. Chandler überfällt den Leser im Gegensatz dazu völlig unerwartet mit einer kalten Wasserdusche. Dieser Sitl ist besonders klar eingefangen in der brachialen Formulierung” bis die Schatten der Eingangsmarkise über sein Gesicht fiel wie ein Schwall kühlen Wassers”. Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, dann kommt der Berg eben zum Propheten. Wenn die Ratte nicht ins Wasser kommt, dann kommt das Wasser eben zur Ratte.
Ich persönlich liebe die Wasserstrudel. Da wird Frau Ratte in spiraliger Bahnen zwischen Wasser und Luft in die Tiefe des Meeres gezogen, und ganz unten angekommen, kann Frau Ratte dann pfeilgerade wieder an die Meeresoberfläche hinauf schiessen. Die schwierigsten Strudel und Schneisen habe ich bei Joyce Carol Oates gefunden, eine wahre Meisterin des Wasserkräftewirkens. Das war dann oftmals überhaupt nicht lustig-anstrengende, belastende Taucharbeit- , aber manchmal habe ich mich trotzdem darauf eingelassen, weil ich der Autorin vertraut habe.
Ich habe das Hitchcock Interview seinerzeit, als es herausgegeben wurde, in der Schule im Rahmen eines Vortrages vorgestellt. Das einzig “geniale” an das ich mich noch erinnern kann, ist sein Konzept der “Suspense”. Wie wird ein triviales Ereignis umgemünzt in ein unerträglich spannendes Geschehen. Ist als Einstieg ein interessante Ansatz, aber der Name “suspense” suggeriert es schon: einen Schwebezustand im besten Fall, ein aufgehängt sein zwischen Bangen und Hoffen im schlimmsten Fall, aber nichts Nachhaltiges.
Chandler-The big sleep. Das ist doch der Film, den ich mindestens sechs Mal gesehen habe und trotzdem nicht weiss, wie sich die Handlung entwickelt, trotz wiederholten Versuches. Erst am Schluss war ich jeweils wieder dabei. Hab dann das Buch versucht zu lesen, aber auch hier, irgendwann habe ich den Faden verloren, habe trotzdem weitergelesen, bin aber nicht mehr reingekommen und schliesslich habe ich das Buch weggelegt, weil ich dachte, ist doch egal.
Nachdem ich mich mit Herrn Seibts Kommentar beschäftigt habe, keimt in mir die Ahnung, es lag nicht an meiner Unkonzentriertheit, was ich mit THE BIG SLEEP erlebt habe, sondern könnte beabsichtigt sein. THE BIG SLEEP – das was vom Wachzustand in den Schlafzustand in meinem Gehirn ausgelöst wird, das erzielt Chandler bei mir mit dieser Geschichte.-Der Mann spielt mit der Büroklammer und merkt dabei nicht, wie er stirbt,- ähnliche Konstellation.
Deadline- das ist eine sehr bedeutungsvolle Linie, sie trennt den Inbegriff von Aktivität vom Inbegriff der Passivität. Leben und Tod. Klare scharfe Linie. The big sleep beschreibt auch dieses Gebiet, nur ist der Uebergang fliessend oder unklar. Um das Wasser wieder ins Spiel zu bringen, wie ein Wassertropfen, welcher auf die Deadlinetintenlinie fällt und dessen schneidende Schärfe und Klarheit auflöst.
Und weil wir schon mal bei Humphrey Bogart sind. Herr Seibt beschreibt die unsichere Zukunft der Printmedien mit einem von Journalisten angetriebenen Galeere. Vielleicht ist aber auch das Bild der African Queen zutreffender. Das Boot fährt in sehr seichten Gewässern und es kommt der Tag, wo es in Sand und Riet stecken bleibt. Und dann müssen die Journalisten aus dem Boot steigen, hinaus ins feuchtwarme Wasser und das Boot stossen und ziehen. Die Ratten wären dann Blutegel und sehr erfreut und dankbar über die unerwartete Blutmahlzeit. Sorry, aber den konnte ich mir einfach nicht verkneifen.
“Hier seine Tipps, gefunden in seinem Briefband «Die simple Kunst des Mordes» – einem der drei besten Bücher über das Schreiben.” Aha, sehr interessant. Und wie heissen die zwei anderen Bücher? Zum Schwierigsten für einen schreibenden Deutschschweizer gehört wohl das ständige Übersetzen vom Schweizerdeutschen ins Hochdeutsche. Darüber hat sogar Dürrenmatt einiges geschrieben- und zwar in “Turmbau. Stoffe IV- IX”. Herrlich zu lesen!