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Drei Geisseln des Journalismus

Constantin Seibt am Mittwoch den 4. Juli 2012

Journalismus ist ein harter Job. Deshalb folgt hier für einmal ein freundliches Kapitel. Mit etwas Trost für drei unausweichliche Übel dieses Berufs: das Schreiben, das Geld und das öffentliche Versagen.

Das erste Übel: Schreiben. Ernsthaftes Schreiben bedeutet nichts als: immer wieder Scheitern. Das Zweitscheussliche daran ist die Einsamkeit in den Trümmern. Keiner sonst ist schuld, wenn Sie sich tief in den Morast geschrieben haben. Auch wenn Sie lang über mögliche Verantwortliche nachdenken, fällt Ihnen niemand ein als: die eigene Arroganz, die eigene Ideenlosigkeit, Verwirrung und Leere. Klar ist Ihnen nur eins: Heute ist der Tag gekommen, an dem Sie endgültig entlarvt werden. Dann folgt das Scheusslichste von allem. Gerade jetzt, wenn Ihr Selbstvertrauen nur noch aus einem gesichtslosen Etwas auf Knien besteht, müssen Sie den missratenen Text fertig schreiben. Denn sonst verlieren Sie Ihren Job.

Der Trost: Wenn Schreiben nicht regelmässig eine derart verzweifelte, schmutzige, komplexe, das Selbstvertrauen sprengende Arbeit wäre, würden Sie dann noch auf Ihrem Sessel sitzen? Und nicht viel sympathischere Leute? Jüngere? Fröhlichere? Schönere? Und weit schlechter bezahlte?

Das zweite Übel: Geld. Trotzdem ist Ihr Gehalt nicht beeindruckend – in der PR würden Sie für harmlosere Arbeit das Eineinhalbfache verdienen, in der Bank das Doppelte.

Der Trost: Diese Rechnung vernachlässigt die verdeckten Zahlungen. Als ich in der «WOZ» knapp den Lohn einer Putzfrau verdiente, rechnete ich wie folgt: Was, wenn ich meine Artikel als Inserat veröffentlichen müsste? Damals kostete eine Anzeigenseite rund 6000 Franken. Bei einer Produktion von geschätzten drei Zeitungsseiten kam ich also auf ein verborgenes Zusatzeinkommen von 18’000 Franken im Monat oder 216’000 Franken im Jahr. Was mich auf Augenhöhe mit einem höheren Kader in Industrie und Verwaltung brachte.

Heute, beim «Tages-Anzeiger» kostet eine Standardseite Inserat 26’840 Franken. Mein verstecktes zusätzliches Monatsgehalt beträgt dementsprechend 80’520.-, das Jahresgehalt 966’240. Damit stehe ich auf Augenhöhe mit dem CEO eines Industriekonzerns.

Das dritte Übel: öffentliches Versagen. Sie haben einen wichtigen Artikel verhauen und schleichen geduckt durch die Stadt.

Der Trost: Die Strafe für einen miserablen Text ist so gut wie nie Schande. Er ist das Gegenteil: sofortiges Vergessen. Ein unkonzentrierter, unklarer, unentschiedener Text verschwindet schon beim Lesen im Kopf der Leser. Falls diese überhaupt zu Ende lesen.

Trotz allem gehört der Journalismus als kleine, flüchtige Schwester ins Reich der Literatur und der Kunst. Hier zählen missratene Dinge nur momentan; im Gedächtnis bleiben die Würfe. Deshalb lohnt sich jedes Risiko. Egal, wie viel schlechte Bücher, Platten, Filme jemand produziert: solange auch nur etwas richtig Gelungenes darunter war, bleibt das.

So geht es auch Journalisten. Ein schlechter Text ist nach vier Minuten vergessen, ein guter nach vier Tagen, ein grosser Wurf nach vier Wochen. Das ist zwar keine Ewigkeit, zugegeben. Aber auch der Journalismus lebt, kurz aber doch, im Reich der Gnade. Dort, wo die Hässlichkeit keinen Schatten mehr wirft, weil nur das Strahlende zählt.

 

 

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13 Kommentare zu “Drei Geisseln des Journalismus”

  1. Adriano Granello sagt:

    Redaktionsintern mag der Name und das Schicksal des Journalisten eine Bedeutung haben (er muss ja seinen Arbeitsvertrag erfüllen), den Kunden der Print- und Online-Produkte ist es hingegen völlig einerlei, wer den Artikel verfasst hat. Hauptsache, die Meldungen haben genügend Sensations-, Neuigkeits- und Unterhaltungswert, um sich lesenderweise ohne Langeweile während 20 bis 40 Minuten mit dem Zeitungspapier vor den ebenfalls verschlafenen Blicken der ÖV-Sitznachbarn schützen zu können…

    • Constantin Seibt sagt:

      Genau. Deshalb ist auch das wahre Zielpublikum von jedem Journalisten nicht die Öffentlichkeit, sondern die eigene Redaktion. Was einiges erklärt. (Im Guten und im Schlechten.)

      • Hans Kernhaus sagt:

        Nicht einverstanden: Das Ziel muss eben sein, dass man selbst zur Marke wird (der Journalist). Das gibt auch die notwendige Unabhängigkeit. Der Autor dieses Blogs gehört zu den ganz wenigen, die das geschafft haben (nicht übermütig werden, jetzt, bitte ;-)). Wenn ich — und andere, die ich kenne — “Seibt” lesen, dann liest man den Artikel, egal zu welchem Thema. Auf die Aktualität kommt es schon gar nicht an. Aktualität ist im Zeitalter des Internets eine Commodity. Seibt könnte auch über den Codex Hamurabi (1800 v. Chr.) schreiben, mit aktuellen Bezügen natürlich, es würde gelesen.

      • Marcus Ertle sagt:

        Womit wir beim Redaktionsautismus wären.

    • Stephan Michel sagt:

      Quatsch. Zwar einerseits Ja: «Die Menschen lesen, was sie interessiert», wusste Gossage. Sei es weil sie auf Zerstreuung, Rezepte oder Finanzinformationen (oder was auch immer sich zur Sprache bringen lässt) aus sind. Andererseits aber vermitteln dieses und jenes und eins einige wenige erheblich besser als viele andere, und das weiss der Leser über kurz oder lang; überblättert also Editorials von Artur K. Vogel und liest begierig alles, was Constantin Seibt schreibt, zum Beispiel. Der in seinem letzten Blog nicht ohne Grund die Namen Zola, Kisch, Tucholsky, Kraus und Thompson ins Feld führt.

  2. red rum sagt:

    Wie paolo coelho sein schriftstellerisches wirken in der welt wahrnimmt:
    https://www.facebook.com/photo.php?fbid=10150660195686211&set=a.241365541210.177295.11777366210&type=3&theater
    🙂

    • Robert W. sagt:

      Coelho ? Wieso nicht gerade H.J.Ortheil ? Der Unterschied ist doch, dass man sich im Journalimus (hinter Liborsätzen, Pistenkreuzen und politischen Schachzügen) verstecken kann, während man sich in der Literatur mindestens ein wenig selbst präsentiert. Flöru und Francine sind nächste Woche im Papierkorb.

  3. Gernot sagt:

    Hallo Herr Seibt, vielleicht tröstet es ein wenig, bei mir landen die grossen Würfe – oder zumindestens Teile daraus – im Zettelkasten.

  4. Jonas Flauder sagt:

    Dieser Seibt ist einfach gut – mag den.

  5. red rum sagt:

    wundert mich echt, dass ihre korrektorenkommentatoren noch keine verbesserungs vorschläge angebracht haben für die vielen schreibfehler auf dem bild. sind wohl der englischen sprache nicht mächtig. :-))))

  6. Stephan Michel sagt:

    Wunderte mich echt, kennte Red Rum «The Shining» nicht: Danny writes “REⱭЯUM” in lipstick on the bathroom door. When Wendy sees this in the bedroom mirror, the letters spell out “MURDEЯ”. Zitiert aus: http://en.wikipedia.org/wiki/The_Shining_(28film)