
Irene Bouillon
Im Alter von 78 Jahren steht die Psychotherapeutin Irene Bouillon kurz vor Abschluss ihres philosophisch-theologischen Studiums. Danach will sie die Doktorarbeit in Angriff nehmen. Parallel dazu gibt sie Kurse in «Focusing» und lehrt die Teilnehmenden, den eigenen Körper als Quelle der Erkenntnis zu nutzen statt ihn als Maschine zu missbrauchen. Interview als PDF-Datei
Frau Bouillon, Sie lehren Menschen in Kursen, der «Weisheit des Körpers zu folgen». Ist es nicht das Selbstverständlichste der Welt, auf den eigenen Körper zu hören?
IRENE BOUILLON: Nein. Die meisten Menschen gehen sehr unglimpflich mit ihrem Körper um. Sie erwarten von ihm, dass er klaglos funktioniert wie eine Maschine, die man bei der Arbeit einsetzt. Wir orientieren uns heute sehr einseitig an unserem Verstand und an unseren Zielen. Dadurch versäumen wir es, die Erkenntnisse, die unser Körper bereithält, zu nutzen. Die meisten wichtigen Informationen finden wir in uns selber. Seltsamerweise suchen wir lieber im Aussen und konsultieren Bücher oder Experten.
Wie funktioniert das: den Körper als Informanten und Orientierungshilfe nutzen?
Ich nenne Ihnen ein einfaches Beispiel: Als sich Österreich 1938 dem Deutschen Reich anschloss, waren die meisten Juden überzeugt, dass ihnen nichts passieren wird. Die Familie Gendlin hingegen flüchtete unverzüglich in die USA. «Mein Bauch sagt mir: Wir müssen hier raus», hatte der Familienvater argumentiert. Sein Sohn Eugene Gendlin war damals 13-jährig. Später kam er während seines Philosophiestudiums in den USA auf die Frage zurück: Wie kann der Bauch etwas wissen? Gibt es ein unmittelbares Erkennen der Wirklichkeit ohne Sprache und Ratio? Gendlin zeigte in Untersuchungen, dass Menschen, die erfolgreich mit Krisen umgehen können, eine andere Art der Selbstwahrnehmung haben. Sie beziehen stark ihre körperlichen Empfindungen in die Lösungsfindung ein. Durch die Fokussierung der Aufmerksamkeit auf das körperliche Erleben sind sie erfolgreicher in der Problembewältigung. Daraus entwickelte Gendlin die Methode des Focusing.
Sie arbeiten mit dieser Methode. Was bedeutet es konkret, körperliche Empfindungen einzubeziehen?
Naturvölker und Kinder machen das intuitiv. Ich erinnere mich, wie ein kleiner Junge mir mit leuchtenden Augen erzählte, er habe «so ein sprudeliges Gefühl im Bauch». Wenn wir uns die Erlaubnis geben, zwischendurch nach innen zu spüren und einfach zu sein, dann erfahren wir viel über uns. Wichtig ist, dass wir in diesen Momenten absichtslos, geduldig und gut mit uns selber sind. Erst wenn wir dem Körper wohlwollend begegnen, öffnet er sich. Ich kenne viele Menschen, die dauernd über sich und ihre Defizite schimpfen. Ich selber habe mir vor langer Zeit angewöhnt, mir regelmässig freundliche Dinge zu sagen. Wenn wir gut sind mit uns, dann sind wir auch offen und achtsam genug, genau zu spüren, was uns unser Körper zu sagen hat – auch wenn es am Anfang nur ein vages Empfinden ist.
Manche Leute sind sehr erfolgreich, weil sie sich nicht dauernd fragen, was sich wie anfühlt. Sie verschreiben sich einem Auftrag und blenden die eigene Befindlichkeit aus. Sehen Sie einen Widerspruch zwischen Zielorientierung und Innenorientierung?
Nein. Entscheidend ist, dass wir beides kombinieren. Kreativität und Innovation erreicht man nie allein durch Fleiss und Disziplin, da braucht es Kontemplation und Intuition. Es ist kein Zufall, dass Einstein seine weltberühmte Formel am Morgen fand – die Geistesblitze treffen uns nicht, wenn wir verkrampft nach etwas suchen, sondern wenn wir entspannt sind. Bei der Auseinandersetzung mit dem Körper geht es darum, innere Impulse zu spüren und ihnen Ausdruck zu verschaffen. Manche haben einen Kloss im Hals und verdrängen das, andere spüren ein Engegefühl im Brustkasten, wieder andere einen permanenten Druck im Magen oder – positiv – ein Wärmegefühl. Wenn wir dies genau wahrnehmen und ein Wort, ein Symbol, eine Bewegung, eine Farbe oder etwas Ähnliches finden für die Situation, dann erhalten wir Zugang zu spontanen Lösungen, die wir mit Denkarbeit nicht gefunden hätten.
Dann sollten wir dankbar sein für Magenschmerzen und dergleichen?
Vermutlich sind die Magenschmerzen eine Einladung zu fragen: Was passiert hier eigentlich? Woher kommt dieses Druckgefühl? Was habe ich nicht verdaut? Wenn wir uns auf solche Fragen einlassen, tauchen manchmal weit zurückliegende, längst vergessene Situationen auf. Der Körper hält für uns in seinem Gedächtnis diese Erinnerungen bereit. So können wir uns fragen, was die frühe Erinnerung und die heutige Situation verbindet. Der Körper wird zur Ressource, die uns hilft, uns zu orientieren und die nächsten Schritte zu machen.
Wer kommt zu Ihnen in die Focusing-Kurse?
Das ist eine lustige Mischung. Menschen, die einen besseren Zugang zur eigenen Kreativität suchen; solche, die sicherer werden wollen beim Entscheiden; Menschen, die Kränkungen besser verdauen wollen oder unter chronischen Beschwerden leiden. Und immer wieder auch Menschen, die lernen wollen, ihren Eltern zu verzeihen. Vor einiger Zeit war eine 50-jährige Frau in meinem Kurs, die ihre Mutter noch immer dafür hasste, dass sie ihr zu wenig Liebe gegeben hatte. Das körperliche Erleben wies dieser Frau den Weg. Dadurch, dass zwei Bereiche ihres Körpers miteinander in Verbindung traten, lösten sich die negativen Gefühle auf.
Das klingt ein wenig abenteuerlich.
Es ist eine ganz und gar vernünftige Sache, obwohl die Arbeit nicht über die Vernunft läuft, sondern über den Körper. Wir sind keine reinen Kopfmenschen, deshalb ist es so wichtig, das vernünftige Leben zu unterfüttern mit der ganzen Fülle des Organismus. Gendlin hat das mit einer sehr schönen Metapher erläutert: Wenn Sie eine Saite haben, dann können Sie diese streichen oder zupfen und dabei die Tonhöhe variieren. Das ergibt Geräusche, aber keinen schönen Klang. Der Wohlklang ergibt sich erst durch den mitschwingenden Resonanzkörper. Unser Körper ist der Resonanzkörper, in dem die Wirklichkeit voll erklingt.
Sie waren Ordensschwester, Psychotherapeutin, Lehrerin, Reiseleiterin…was ist heute Ihre Hauptbeschäftigung?
Ich mache nach wie vor einige Reiseleitungen, gebe Kurse zu Entscheidungsfindung, bin Ausbilderin Focusing und Personzentrierte Beratung. Ich sollte endlich eine Homepage machen, die das ganze Angebot zeigt. Im Vordergrund steht nun aber der Abschluss meines Studiums an der philosophisch-theologischen Hochschule in Münster. Zuerst nehme ich meine Lizenziatsarbeit in Angriff, danach würde ich gerne promovieren.
Darf ich so indiskret sein und Sie nach Ihrem Alter fragen?
Ich bin 78-jährig. Seit Jahren denke ich: Morgen kann alles zu Ende sein – aber bis dahin habe ich noch viele Ziele. Und mit Rilke sage ich mir immer wieder: «Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge ziehn. Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen, aber versuchen will ich ihn…»
Kontakt und Kursinformationen:
irene.bouillon@web.de
Die Frage,ob man mit 50 für einen Job-Wechsel zu alt ist oder nicht, stellt sich bei Leuten so oder so nicht, die zum Jobwechsel “dank” einer Entlassung gezwungen werden und demzufolge gar keine andere Wahl haben.Demnach stellt sich hier eher die Frage, ob man mit 50 und 50+ noch etwas Vernünftiges findet?!
Und dürfte ich vielleicht so indiskret sein und fragen, wie alt die Dame auf dem Bildchen ist? 78?
Die Dame sieht gut erhalten aus mit 78. Zwangs pensionierung in der Schweiz ist Schnee von Gestern. Warum man in der Schweiz zuerst nach dem Jahrgang auskundet ist doch ein Zeichen dass die meisten Schweizer sehr verunsichert sind. Ich wuensche der Dame vielw Erfolg und ich bin sicher dass Sie es schaffen wird.
Ich selber traue mir mit 55 Jahren eigentlich noch fast alles zu, nach 2 Monaten (zum Glück schlussendlich erfolgreicher) Stellensuche zweifle ich aber sehr stark, dass allzuviele Leute in diesem Alter noch eine Chance bekommen. Das Problem sind sogenannte HR-Manager, die zwar vielleicht jung, aber alles in allem doch schon sehr festgefahren sind in ihren Vorstellungen und deren Risikofreudigkeit gegen null tendiert.
Gibt diese Dame Kurse in Photoshop? Oder geniert sie sich, ein aktuelles Bild von sich zu veröffentlichen?
Warum nur sind wir Menschen immer so neidisch auf alles was uns auch passen wuerde .Ich gratuliere dieser schoenen Frau fuer ihr Tip Topes aussehen.Hollywood ist nur kuenstlich
Wenn man täglich eine Bouillon trinkt und sich auf das Jungsein fokussiert bleibt man eben soo attraktiv! Vermutlich hat aber einfach der verantwortliche Online-Redaktor getürkt und wollte mit dieser Strahlefrau mehr Klicks für den Artikel generieren. Wer denn Madame Bouillon in aktueller Verfassung sehen möchte: http://www.westfaelische-nachrichten.de/lokales/kreis_coesfeld/ascheberg/1219924_Frauen_sprechen_zu_oft_in_Raetseln.html
Abgesehen vom Foto; der Artikel ist dennoch lesenswert.
2010 erschien im Spiegel ein Artikel über einen männlichen Studenten in hohem Alter, welcher ebenfalls den Doktortitel anstrebt. Im Forum dazu habe ich keinen einzigen Beitrag über das Aussehen des hochbetagten Anwärters gelesen. Wieso wohl nicht?
Danke, Philippe, hatte wegen Helga Guthberg schon ein wenig ein schlechtes Gewissen …
Nachtrag des Autors: Die Foto ist vor vier Jahren gemacht worden, sie zeigt also die 74-jährige Irene Bouillon. Nachdem diese Frage geklärt worden ist, sollte einer Auseinandersetzung mit den Aussagen von Frau Bouillon eigentlich nichts mehr im Weg stehen…
Ich bin 91 und sehr traurig über die Kommentare. Die Frau sieht auf jeden Fall gut aus, weil sie weiss wie man vernünftig lebt. Der Artikel ist doch eine Fundgrube, um zu lernen wie man zu einem glücklichen Leben in einem gesunden Körper kommen könnte.