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«Wir müssen die Partituren zum Leben erwecken!»

Mathias Morgenthaler am Samstag den 4. Mai 2019
Alexis Steinmann will mit seiner interaktiven Partitur den asiatischen Markt erobern.

Alexis Steinmann will mit seiner interaktiven Partitur den asiatischen Markt erobern.

Weil ihm das einsame Üben mit Notenblättern verleidet war, gab Alexis Steinmann das Klavierspiel in jungen Jahren auf. Später verwandelte er die Frustration in eine Geschäftsidee: Der 26-Jährige erfand die interaktive Partitur Tomplay, die Musizierenden erlaubt, mit Orchesterbegleitung im eigenen Tempo zu üben.

Interview: Mathias Morgenthaler

Herr Steinmann, Sie haben als Sohn eines Waadtländer Anwalts in St. Gallen Wirtschaft studiert. Warum haben Sie danach eine eigene Firma gegründet statt einen lukrativen Job anzunehmen?

ALEXIS STEINMANN: Die eigene Firma kam mir sogar schon im letzten Studienjahr vor dem Bachelor-Abschluss in die Quere. Aber ich bin froh, habe ich mich auf das Abenteuer eingelassen, denn beim Aufbau der eigenen Firma habe ich eindeutig mehr gelernt als in den Hörsälen. Es war die beste Investition in meine Zukunft.

Wie kamen Sie auf die Idee, Musikpartituren zu digitalisieren?
Ich habe in jungen Jahren viel Klavier geübt und wollte ein guter Pianist werden wie mein Vater. Je schwieriger die Literatur wurde, desto frustrierender fand ich es, allein vor meiner Partitur zu sitzen und immer wieder die gleichen Stellen zu üben. Als Teenager verbrachte ich dann immer mehr Zeit auf dem Tennisplatz und übte kaum noch Klavier. Doch immer, wenn ich meinen Vater spielen hörte oder in ein Konzert ging, bereute ich es, dass ich das Klavier aufgegeben hatte. In dieser Zeit wurden die Tablet-Computer und Smartphones populär, erste Apps wurden tausendfach, ja Millionen Mal runtergeladen. Mein Vater und ich diskutierten darüber, wie die Technik die Musik verändern wird, und so kamen wir auf die Idee: Wir müssen die Partituren zum Leben erwecken. Wenn man mit Orchesterbegleitung sein Mozart-Klavierkonzert üben kann, ist das ein wunderbares Erlebnis, unabhängig davon, ob einem ein paar Fehler unterlaufen.

Das bedeutet, Sie haben nicht nur Partituren digitalisiert, sondern klassische Werke neu eingespielt und mit verschiedenen Tonspuren aufgenommen.

Tempo nach Wahl und auf Knopfdruck Orchesterbegleitung: Eine Pianistin übt mit der Tomplay-App.

Tempo nach Wahl und auf Knopfdruck Orchesterbegleitung: Eine Pianistin übt mit der Tomplay-App.

Genau. Zuerst musste die App entwickelt und für verschiedene Geräte und Betriebssysteme adaptiert werden. Es ging uns nicht primär darum, eine Partitur zu entwickeln, bei der man nie umblättern muss, sondern wir wollten ein ganz anderes Musiziererlebnis anbieten, indem wir allen Musikern die Möglichkeit geben, mit Begleitung zu spielen: ein Pianist soll zuhause mit Orchester üben können, ein Geigenspieler im Duo, Trio oder Quartett. Ich erinnere mich noch gut, wie stolz ich war, als wir Anfang 2013 eine erste Bach-Sonate für Geige und Klavier als interaktive Partitur zum Download anbieten konnten über unsere Plattform Tomplay. Zwei Monate später stellte ich fest, dass wir gerade einmal 84 Dollar verdient hatten damit – was mir erlaubte, ein Bier pro Woche zu trinken. Da wurde mir klar: Bach allein wird nicht genügen. Wir müssen viele verschiedene Instrumente und Stilrichtungen anbieten, Pop-Musik, Film-Musik, Jazz etc.

Da hatten Sie noch nicht einmal das Studium abgeschlossen. Dachten Sie nie, es wäre vielleicht besser, einen Nine-to-five-Job anzunehmen?

Ich habe nach Abschluss der Uni in St. Gallen tatsächlich für ein Jahr bei Nespresso im Digital Marketing gearbeitet. Aber es ist so viel spannender, etwas Eigenes zu entwickeln, als für andere einen Job zu machen. So kündigte ich die Stelle rasch wieder, stellte Entwickler und Marketingspezialisten ein und erweiterte die Angebote unserer App. Bald konnte man das Abspieltempo frei wählen, sich selber aufnehmen und Notizen in die Partitur einfügen. Bis heute haben wir 14’000 Musikstücke für 16 Instrumente eingespielt, die Bibliothek wächst von Woche zu Woche – in den nächsten Tagen kommen Konzerte für Waldhorn neu dazu. Für mich ist es unglaublich spannend: Als Chef des jungen Unternehmens habe ich etwa zehn verschiedene Jobs.

Zum Beispiel?

Ich muss die Entwicklung vorantreiben und also etwas von Software verstehen, ich muss Deals mit wichtigen Partnern wie dem weltweit führenden Klassik-Label Deutsche Grammophon aushandeln, muss die verschiedenen Instrumente so gut kennen, dass ich die Bedürfnisse der Amateur-Musiker berücksichtigen kann. Und ich muss wissen, wie ich Entscheider an Konservatorien und Musikschulen überzeuge und Kunden auf aller Welt erreiche via Youtube, Instagram und andere Kanäle.

Klingt nach einer Mission Impossible alles in allem.

Die Lernkurve ist sehr steil und die Überforderung und Erschöpfung sind nie weit. Auch Personalrekrutierung und -Führung lernte ich von Grund auf neu. Manchmal, wenn es an allen Fronten Probleme zu lösen gibt und man sich selber in keinem Gebiet richtig auskennt, fühlt man sich schon einsam als Unternehmer. Mir hilft dann der Austausch mit meinem Vater, der als Anwalt schon viele Start-ups begleitet hat; und es ist sehr wichtig, nicht rund um die Uhr nur an die Firma zu denken. Ich gehe möglichst oft zum Sport. Und im vorletzten Jahr absolvierte ich noch das Masterstudium in Madrid, um meinen Horizont zu erweitern, nicht dauernd im Tunnel zu sein. Aber klar, ich trage relativ viel Verantwortung – für die Weiterentwicklung des Unternehmens und für den Lohn der 18 Vollzeit-Angestellten. An manchen Tagen denke ich schon: Es wäre einfacher, einen Chef zu haben, an den ich Dinge delegieren oder über den ich auch mal schimpfen kann. Aber ich bin jung und habe trotz 60-Stunden-Wochen und zahlreichen Wochenend-Einsätzen viel Energie. Die Kollegen, die gut bezahlte Konzernjobs haben, wirken nicht alle besonders zufrieden auf mich. Ich brauche keine 10’000 Franken im Monat, ich möchte vor allem etwas gestalten und bewegen.

Wie haben Sie den Aufbau der Firma finanziert?

Der grössere Teil des Startkapitals stammt aus unserer Familie, zusätzlich haben wir Geld vom Staat und von Stiftungen erhalten. Wir wollten keine Investoren reinholen in dieser frühen Phase, es passiert sonst leicht, dass man zu viele Anteile der Firma abgeben muss und unter Druck gerät. Was schnell Geld einbringt, ist nicht immer gut für die Entwicklung des Unternehmens. Nun wollen wir in den Asiatischen Markt expandieren, China und Japan sind neuen Technologien gegenüber sehr offen und die Chinesen legen hohen Wert darauf, dass Kinder ein Instrument lernen. Als Teil der Schweizer Start-up-Nationalmannschaft können wir diesen Sommer im Rahmen des Venture-Lab-Programms eine zehntägige Studienreise nach China absolvieren und interessante Kontakte knüpfen in Hongkong, Shenzhen, Shanghai, Dalian und Peking.

Und wie verdienen Sie Geld?

Der Download der App und das Abspielen einiger Partituren sind kostenlos. Danach können Kunden wählen zwischen dem Kauf einzelner Musikstücke für zwei bis 18 Euro. Oder sie lösen ein Abo. Für 100 Euro im Jahr bekommen Sie Zugriff zu allen 14’000 Stücken. Dank der Zusammenarbeit mit der Deutschen Grammophon können unsere 400’000 Kunden jetzt zu den Aufnahmen legendärer Künstler wie Martha Argerich, Daniel Barenboim, Vladimir Horowitz, Itzhak Perlman oder Yehudi Menuhin spielen. Am Anfang wurden wir von den grossen Klassik-Labels und Musikschulen sehr kritisch gesehen – manche fanden noch vor wenigen Jahren, kein Mensch brauche eine dynamische, interaktive Partitur. Jetzt hat der Wind gedreht. Wenn diese Traditionshäuser die junge Kundschaft erreichen wollen, müssen sie mit der Zeit gehen. Tomplay kann ihnen helfen, die nächste Generation zu begeistern.

Kontakt und Information:

asteinmann@tomplay.com oder www.tomplay.com

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2 Kommentare zu “«Wir müssen die Partituren zum Leben erwecken!»”

  1. Roland H.E. Wirthner sagt:

    Super Sache. Als Komponist kann ich diesem jungen Mann nur gratulieren und für seine weitere Zukunft alles Gute wünschen. Solche innovativen JungunternehmerInnen bräuchte unser Land mehr denn je. Hoffe, er wird sich auch noch vermehrt der Blasmusik zuwenden, wenn er’s nicht schon getan hat. Da lauert eine riesige Nische, die es wieder zu entdecken gilt.

  2. buerki sagt:

    ihren artikel über die steinmann‘s persönliche und berufliche entwicklung ist super. es sollte eigentlich den jungen kräften mut geben, etwas zu realisieren, das auch etwas hereinkommt. die welt ist offen fuer neugierige unternehmer, bis china!
    bravo herr steinmann!