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Der Hotelier, der sogar das Cola-Getränk selber herstellt

Mathias Morgenthaler am Samstag den 2. März 2019
Gregor Vörös: «Jäten ist eine beinahe meditative Tätigkeit.»

Gregor Vörös: «Jäten ist eine beinahe meditative Tätigkeit.»

Gastgeber im eigenen Hotel statt Informatiker mit 16-Stunden-Tagen vor dem Bildschirm: Gregor Vörös stieg mit romantischen Vorstellungen in die Hotellerie ein. Nach einem schwierigen Start fühlt sich der 37-Jährige nun ganz in seinem Element. Er betreibt auf der Rigi einen grossen Kräutergarten und serviert den Gästen nur einheimische Produkte.

Interview: Mathias Morgenthaler

Herr Vörös, wie wurden Sie vom Informatiker zum Hotelier mit eigenem Kräutergarten auf der Rigi?

GREGOR VÖRÖS: Meine Schwiegermutter führte in vierter Generation ein Ausflugshotel in Rigi-Kaltbad. Ich half manchmal am Wochenende im Betrieb mit, war aber ansonsten sehr gefordert in meinem Job als Informatiker. Ich arbeitete in einem grossen Banken-Projekt und merkte, wie mir die 16-Stunden-Tage vor dem Bildschirm zu schaffen machten. Da überraschte uns meine Schwiegermutter mit der Nachricht, sie werde das Hotel verkaufen, wenn wir uns nicht innerhalb von zwei Monaten dazu entschliessen würden, es zu übernehmen.

Hatten Sie eine Ahnung, worauf Sie sich da einlassen?

Nein, ich hatte sehr romantische Vorstellungen davon, was es heisst, ein Hotel mit Restaurant zu führen. Ich verstehe im Rückblick gut, warum meine Frau skeptischer war; wenn ich gewusst hätte, was da auf uns zukommt, hätte ich kaum den Mut aufgebracht. Jedenfalls kündigte ich meinen Job im Sommer 2007, Anfang November zogen wir auf die Rigi, am 1. Januar 2008 übernahmen wir den Betrieb. Die ersten zwei Jahre waren unglaublich anstrengend. Ich musste als Quereinsteiger alles neu lernen, ich konnte am Anfang keine drei Teller tragen, geschweige denn Personal führen oder die Prozesse im Hintergrund organisieren. Das Einzige, was mir leicht fiel, war der Gästekontakt, aber unter dem Strich hatte ich in den ersten zwei Jahren weiterhin 16-Stunden-Tage, einfach mit einer 7-Tage-Woche statt während fünf Tagen wie als Informatiker.

Ist das eine Art Naturgesetz in der Hotellerie?

Nein, heute arbeiten wir deutlich weniger. Nach zwei Jahren hatten wir den Betrieb soweit im Griff, dass wir damit beginnen konnten, ihm unsere Handschrift zu geben. Ich erinnere mich gut an ein Schlüsselerlebnis aus der Anfangszeit: Wir fanden in einem Schrank einen Gastroeimer voller Konfitüre, den wir komplett vergessen hatten. Nach fast einem Jahr bei Zimmertemperatur war die Konfitüre immer noch unverändert. Wir fragten uns, was da alles an Konservierungsstoffen drin sein musste, und entschlossen uns, die Konfitüre fortan selber zu machen. Das weiteten wir auf immer mehr Produkte aus – seit 2011 sind wir so konsequent, dass wir keine Fertigprodukte mehr einkaufen und mit Ausnahme des Kaffees keine Zutaten verwenden, die nicht aus der Schweiz stammen.

Pfeffermühle, Schokolade, Reis und Cola sucht man bei Ihnen also vergeblich?

Ja, das ist so. Wir verwenden weder Pfeffer noch Vanille oder Muskatnuss, führen nur einen Risotto aus dem Tessin auf der Karte und produzieren unsere eigenen Limonaden – den Cola-Geschmack zum Beispiel erzeugen wir mit der französischen Eberraute, auch bekannt als Colakraut. Das mögen meistens auch die Kinder, wenn sie sich nicht zu sehr davon irritieren lassen, dass unsere Cola mangels Farbstoffen transparent ist. Aber natürlich hatten nicht alle Stammkunden Freude an unserem Kurswechsel. 2011 verloren wir rund 30 Prozent der Stammkundschaft, was uns nochmals zwei schwierige Jahre bescherte – aber uns war klar, dass wir das Hotel so oder gar nicht weiterführen wollten. Und allmählich wandelte sich die Kundschaft, es kamen immer weniger ungeduldige Touristen vorbei, stattdessen immer mehr Gäste, die bewusst geniessen wollten und unsere Haltung ebenso schätzten wie unsere Gerichte. Und immer öfter kam es vor, dass die Gäste uns mithalfen, das Hotel weiterzuentwickeln. So war es ein Gast, der uns den Namen Kräuterhotel empfahl – die mit Abstand beste Marketingidee der letzten 10 Jahre.

Inzwischen ist der Kräutergarten, den Sie betreiben, fast so bekannt wie das Hotel.

Ich hatte schon als Informatiker einen grünen Daumen, aber erst seit wir auf der Rigi sind, kann ich dieser Passion so richtig frönen. Als ich damals eine Kuhwiese einzäunte und einen Garten anlegte, lachten mich einige Nachbarn aus. Sie waren überzeugt, auf 1550 Metern über Meer gedeihe nicht viel. Heute erstreckt sich der Kräutergarten über 1400 Quadratmeter und wir kultivieren hier nicht nur 450 seltene Kräuter und Beeren, sondern auch sehr viel Gemüse. Jeden Frühling freue ich mich auf mindestens ein Dutzend neue Sorten, die man nirgendwo kaufen kann und die schon sehr lange niemand mehr gegessen hat. Sehr spannend finde ich zum Beispiel, welche Aromenvielfalt Dahlienknollen zu bieten haben: Manche schmecken ähnlich wie Kohlrabi, andere wie Schwarzwurzeln oder Kartoffeln. Dahlienknollen waren ein Grundnahrungsmittel gewesen, bevor sie von den Kartoffeln verdrängt wurden.

Ist das nicht enorm zeitaufwendig, so viel selber anzupflanzen?

Hier gedeihen seltene Pflanzen: Gregor Vörös in seinem Kräutergarten. Foto: venzinbuehler.com

Hier gedeihen seltene Pflanzen: Gregor Vörös in seinem Kräutergarten. Foto: venzinbuehler.com

Für mich ist es vor allem ein sehr guter Ausgleich zur Arbeit mit Gästen oder unserem Personal. Ich habe mir sozusagen meinen Freizeitpark in Form des Kräutergartens direkt vors Hotel gebaut. Jäten ist eine beinahe meditative Tätigkeit, nach ein, zwei Stunden bin ich wieder geerdet und die Welt ist in Ordnung. Besonders schön ist, dass unser Beruf nicht einfach ein Job ist, sondern Ausdruck einer Haltung. Es macht einfach keinen Sinn, argentinisches Rindfleisch um die halbe Welt zu schicken und den Kunden dann etwas aufzutischen, von dem wir keine Ahnung haben. Wir können hier zu jedem Nahrungsmittel eine Geschichte erzählen, nicht nur zu den selber angebauten, sondern auch zu jenen, die wir bei Kleinproduzenten in der Region einkaufen. Dadurch entstehen starke Beziehungen. Rund 50 Pflanzen, die im Kräutergarten gedeihen, haben mir Gäste vermittelt. Und seit fünf Jahren haben wir in der Person von Benjamin Just einen absoluten Spitzenkönner in unserer Küche. Er hätte als Sternekoch unzählige lukrativere Möglichkeiten gehabt als zu uns zu kommen, aber er hat sofort erkannt, welches Potenzial unser Kräutergarten hat.

Heute ist Ihr Kräuterhotel ebenfalls mit einem Michelin-Stern dekoriert und im Gault Millau aufgeführt. Was hat sich dadurch verändert?

Wir können dadurch noch profilierter auftreten und mehr Zeit in die Weiterentwicklung des Angebots stecken. So tüftle ich mit einem befreundeten Kaffeeröster an Kaffeealternativen auf der Basis von Löwenzahnwurzeln und Eicheln – aber da sind wir noch weit vom Ziel entfernt, vermutlich ist das ein Lebensprojekt. Spruchreif ist dagegen ein anderes Projekt: Diesen Sommer eröffnen wir auf der Rigi eine Gemeinschaftsschule. Wir haben sie gegründet in der Hoffnung, dass sich wieder mehr junge Familien hier niederlassen. Es ist schade und erschwert unsere Personalsuche, wenn die Kinder nach Vitznau hinunter zur Schule müssen. Unsere Rigi-Schule wird einen starken Fokus auf Unterricht in der Natur legen. Es gibt praktisch keinen Frontalunterricht und die Kinder können sich Fachwissen in einem lebensnahen Kontext aneignen. Und sie sollen sich früh mit der Frage auseinandersetzen dürfen, was sie gerne tun, worin sie einen Sinn erkennen. Ob jemand Kellner wird oder Akademiker, ist nicht so wichtig. Entscheidend ist, mit welcher Haltung er seinen Beruf ausübt und wie sehr ihn seine Tätigkeit erfüllt.

Kontakt und Information:

willkommen@kraeuterhotel.ch oder  www.rigischule.ch

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2 Kommentare zu “Der Hotelier, der sogar das Cola-Getränk selber herstellt”

  1. Stephen Eggenschwile sagt:

    Ich habe schon mehrmals die Gastfreundschaft im Kräuterhotel geniessen können und kann es, am Besten mit einer Übernachtung kombiniert, jederman wärmstens empfehlen. Spannende und geschmackvolle kulinarische Kreationen laden zum Wiederkommen ein.

  2. Martin Pauli sagt:

    Das beste Essen, dass ich in der Schweiz je geniessen durfte. Wunderbares Erlebnis für alle Sinne. Vermisst habe ich einzig meinen geliebten Schwarztee zum Frühstück… Aber sonst wurden alle meine Erwartungen übertroffen!