Juan Vörös war ein Senkrechtstarter: Mit zwölf der erste Job, mit 20 geheiratet, vor Studienabschluss eine fünfköpfige Familie und später Top-Manager bei Dell und Swisscom. Heute holt der knapp 60-Jährige das Studentenleben nach und unterstützt andere Hochleister dabei, die Entspannung in ihren Alltag zu integrieren.
Interview: Mathias Morgenthaler
Herr Vörös, Sie waren als Manager und als Unternehmer erfolgreich. Was hat Sie angetrieben in jungen Jahren?
JUAN VÖRÖS: Zunächst war es vor allem die Neugier. Ich verkaufte schon als Primarschüler Sonnenbrillen, jeden Samstag betrieb ich einen Stand in St. Gallen vor dem Merkur. Heute wäre das als Kinderarbeit verboten, damals fand ich es spannend, mit verschiedensten Leuten zu tun zu haben und mir ein gutes Taschengeld zu verdienen. Später kam mir diese Erfahrung sehr zugute. Ich heiratete mit 20, wurde mit 21 ein erstes Mal Vater, noch vor dem Studienabschluss waren wir eine fünfköpfige, später eine sechsköpfige Familie. So war klar, dass ich neben dem Studium den Lebensunterhalt verdienen musste. Ich unterrichtete Informatik an der Migros Klubschule, verkaufte nach Feierabend Versicherungen und schrieb Software für den Commodore 64. Ein wichtiger Antrieb waren also auch meine Existenzängste.
Trotz Mehrfachbelastung schlossen Sie das Studium in St. Gallen mit Bestnoten ab. Hatten Sie in dem Moment einen Karriereplan?
Nein, aber ein klares Ziel: Ich wollte zu IBM, das war in den Achtzigerjahren das Mass aller Dinge in der Informatik. Und die Margen waren zu dieser Zeit enorm. Eine 2.5-Gigabyte-Disk kostete mehr als 100’000 Dollar, heute sind in einem iPhone 512 Gigabyte verbaut. So konnte es sich IBM leisten, ihren Mitarbeitern eine einjährige profunde Verkaufsausbildung zu offerieren. Danach war ich drei Jahre für Grosskundenprojekte verantwortlich und nutzte dann die Chance, mich an einer Software-Firma zu beteiligen und mit Partnern selbstständig zu machen. Wir entwickelten Software für Schulverwaltungen und Reiseveranstalter. Als wir die Firma an die Bedag verkauften, verpflichtete ich mich vertraglich, noch drei Jahre als Geschäftsführer an Bord zu bleiben. Und da merkte ich ein erstes Mal: Wenn mir jemand den Handlungsspielraum zu stark beschränkt und mir vorschreibt, wie ich etwas mache, funktioniert es nicht.
Nach zwei weiteren Stationen wurden Sie Chef der Schweizer Niederlassung des rasch expandierenden amerikanischen Unternehmens Dell. Was haben Sie dort gelernt?
Dass es kontraproduktiv ist, den Mitarbeitern zu enge Ziele vorzuschreiben. Dell war dank einem herausragenden Logistikkonzept sehr erfolgreich: Es gab kein grosses Lager und keinen Zwischenhandel, die Computer wurden «just-in-time» produziert, die Privatkunden zahlten sogar im Voraus. So lagen die Preise bis zu 30 Prozent unter jenen der Mitbewerber bei vergleichbarer Marge. Aber die Unternehmenskultur war grauenhaft. Täglich mussten Umsatz, Stückzahlen usw. rapportiert werden. Weiter wurden Listen aufgehängt, auf denen die Mitarbeiternamen unterschiedlich eingefärbt waren. Die Grünen hatten nichts zu befürchten, die Gelben waren gefährdet, die Roten standen vor der Entlassung. Unsere Fluktuation betrug zu Beginn fast 70 Prozent. Eines Abends stand mein Chef aus England in meinem Büro in Genf und forderte mich wegen schlechter Zahlen in der Vorwoche auf, nach 20 Uhr die ganze Geschäftsleitung zusammenzutrommeln. Da wurde mir auf einen Schlag bewusst, wie sehr mir das alles gegen den Strich ging. Ich weigerte mich und zerschmetterte ein Notebook auf dem Tisch. Kurz darauf quittierte ich den Job.
Warum sind Sie explodiert?
Ich hatte schon länger gespürt, dass ich am falschen Ort war. Ich war gestresst, schlief immer schlechter. Mit einigem Abstand habe ich genauer begriffen, was sich da aufgestaut hatte. Täglich den Output von Mitarbeitenden zu messen, ist beschämend und killt zuverlässig Motivation und Teamgeist. Es entsteht eine Atmospähre des Misstrauen und eine unangenehme Situation für die Kunden, denen man unter Druck um jeden Preis vor Monatsende etwas verkauft, um die eigene Bilanz aufzubessern. Es ist ein Zeugnis von Hilflosigkeit, Mitarbeitende ständig zu bewerten, ihnen fragwürdige Ziele vorzugeben und die Entschädigung substantiell davon abhängig zu machen. Einer meiner Söhne führt ein Gastrounternehmen mit über 300 Menschen. Er verzichtet bewusst auf Zielvereinbarungen, damit sie nicht irgendwelchen Zielen „hinterherhecheln“, sondern sich für das Wohl des Unternehmens einsetzen. Schenkt man Menschen Vertrauen, zahlen sie das in der Regel zurück. Und wenns im einen oder anderen Fall nicht passt, trennt man sich besser in Anstand als zu benoten und jedes Detail vorzugeben.
Fanden Sie bei der Swisscom, wo Sie unter Jens Alder für die Betreuung der 50 grössten Kunden zuständig waren, bessere Voraussetzungen vor?
Ja, das war kein Vergleich. Jens Alder war mit Abstand mein bester Chef, er schenkte mir viel Wertschätzung und Spielraum und sagte einmal zu mir: «Du bist ein Selbstläufer.» Ich konnte dort ein neues Team aufbauen und viel Verantwortung übernehmen.
Sie waren ein atypischer Manager und unterrichteten zwei Mal pro Woche abends in eigenem Studio Yoga.
Ich habe diesen männlich geprägten Heroismus nie begriffen, der sagt: Je mehr einer arbeitet, desto mehr leistet er. Ich erinnere mich gut, wie ich nach Abschluss eines 80-Millionen-Franken-Deals vor dem Sprüngli in Zürich an der Sonne sass, mir einen Cappuccino gönnte und ein Buch las. Viel später erfuhr ich, dass einige Manager sich darüber mokiert hatten und fanden, ein Top-Manager habe nicht mitten am Nachmittag die Füsse hochzulegen. Das zeigt, wie tief der puritanische Arbeitsbegriff bis heute verankert ist. Mir war es immer suspekt, wenn jemand zwölf oder 14 Stunden pro Tag arbeitete und dann noch einen Ironman-Triathlon absolvierte oder mit dem Rad über fünf Pässe fuhr. Für jemanden, der unter hohem Leistungsdruck steht im Job, ist es nicht hilfreich, sich wieder zu messen. Vielleicht wäre es besser, sich in Entspannung zu üben, die Selbstwahrnehmung zu schärfen und sich mehr Genuss zu erlauben. Sonst rast man irgendwann auf der Überholspur dem Crash entgegen.
Sie sind mit 58 Jahren aus dem Swisscom-Management ausgeschieden. Wie schlimm waren die Entzugserscheinungen, als Sie plötzlich kein Amt, kein Budget, keine Aufgabe mehr hatten?
Ob Sies glauben oder nicht: Ich habe den Manager-Alltag keinen Moment vermisst. Ich liess mich von meiner Neugier treiben, bereiste Skandinavien mit dem Velo und dem Kajak, war oft im Campingbus unterwegs. Vielleicht hole ich als knapp 60-Jähriger das unbeschwerte Studentenleben nach, das ich damals verpasste. Zum Glück hing mein Selbstwertgefühl nie von meinem Job ab. Das erlaubte mir mehrmals, mich abzugrenzen und zu gehen, wenn mein Beitrag nicht geschätzt wurde. Man sollte nicht zu lange in einer Situation verharren, in der man nichts bewegen kann.
Was bewegen Sie heute?
Jetzt geniesse ich es sehr, niemandes Herr und niemandes Knecht zu sein. Dazu gehört auch, Zeit mit meinen vier Kindern und den Enkeln zu verbringen. Und dann engagiere ich mich sozusagen als Hobby noch in der Human Empowerment Center AG, einem Beratungsunternehmen, das Einzelpersonen und Teams dabei unterstützt, in der Balance, psychisch gesund und resilient zu bleiben. Unter anderem messen wir während 24 Stunden die Herzfrequenz-Variabilität und erkennen so, wie es um das autonome Nervensystem steht, das unseren Stoffwechsel steuert und ein Indikator für den Stresslevel ist. Ein gesunder Wechsel zwischen An- und Entspannung ist überlebenswichtig.
Kontakt und Information:
www.human-epc.ch oder juan.voeroes@human-epc.ch
Juan Vörös’ 7 Empfehlungen:
- Trennen Sie Ihren Lunch von Ihrem Meeting, sonst fallen zu viele Krümel auf die Tastatur. Zudem ist Sprechen mit vollem Mund unanständig.
- Verlangen Sie bei Meetings spätestens nach 90 Minuten eine Pause oder machen Sie ein kleines Nickerchen.
- Scheuen Sie sich nicht, nach einer Stunde auf dem Stuhl ein paar Schritte zu gehen, sich zu strecken und zu räkeln. Die Mönche wussten, weshalb sie im Gehen lasen.
- Denken Sie zuerst an Sonne, Meer und Palmen, wenn Sie jemand attackiert, bevor Sie ihm antworten.
- Sie müssen sich nicht alle Meetings gefallen lassen. Fragen Sie zuerst nach Sinn, Ziel, Rolle und Erwartungen.
- Verweigern Sie Einladungen zu Meetings vor 8 Uhr morgens. Diese Zeit gehört Ihnen, nicht dem Wahnsinnigen, der zu Hause nichts mit sich anzufangen weiss.
- Atmen Sie bewusst, lange, tief und mit Freude. Atem ist Leben, Kurzatmen ist kurzes Leben.
Mit diesem Menschen würde ich gerne zusammenarbeiten! Eine erfrischend gesunde, realistische Einstellung zu Leistung, Arbeit und Ausgleich. Danke für die wertvollen Inputs.
Tolles Interview! Er hat so was von recht. Auch ich hätte gerne mit so einem Menschen zusammengearbeitet oder für ihn gearbeitet!