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«Vieles war nur möglich, weil ich nicht verplant war»

Mathias Morgenthaler am Samstag den 8. Dezember 2018
Nik Leuenberger hat die Aufgabe, gemeinsam mit Ivo Adam das Casino Bern neu zu positionieren.

Nik Leuenberger hat die Aufgabe, gemeinsam mit Ivo Adam das Casino Bern neu zu positionieren.

Vom Studium an der HSG in den Zirkuswagen und von dort direkt in die Direktion des Casinotheaters Winterthur: Nik Leuenberger hat immer dann den nächsten Karriereschritt gemacht, wenn er keine Pläne hatte. Seit zwei Jahren ist der 43-jährige Thuner nun in Bern tätig, wo er als Leiter Kultur ein neues Publikum fürs Casino begeistern soll.

Interview: Mathias Morgenthaler

Herr Leuenberger, wie gelingt eine gute Karriere?

NIK LEUENBERGER: Ich kenne kein Geheimrezept. Vermutlich habe ich bis jetzt einfach viel Glück gehabt. Ich fiel nie zwischen Stuhl und Bank, sondern erhielt immer wieder eine Chance, mich in einem neuen Umfeld zu bewähren.

Das klingt jetzt sehr bescheiden für einen, der «vom Wohnwagen in die Direktion» des Casinotheaters Winterthur aufstieg, wie die NZZ schrieb, und jetzt die Kultursparte des Casino Bern neu gestalten darf.

Ein wichtiger Punkt ist: Ich wechselte jeweils nicht nahtlos von der einen zur nächsten Aufgabe, sondern ich gab etwas auf, ohne schon etwas Neues zu haben. Vieles in meiner Laufbahn hat sich scheinbar zufällig ergeben, aber bei genauerem Hinsehen war das nur möglich, weil ich nicht verplant war. So schaltete ich zwischen Matura und Studienbeginn ein Zwischenjahr ein und kam in dieser Zeit mit Laurent Carrel, dem grossen Spezialisten für Krisenkommunikation, in Kontakt. Er förderte mich erstaunlicherweise sehr, obwohl ich damals in erster Linie ein Suchender war. So durfte ich die Bundesverwaltung sehr nah kennen lernen und programmierte in den späten Neunzigerjahren Websites für die Bundeskanzlei. Parallel dazu spielte ich in einer Band Hammondorgel und betrieb mit einem Kollegen eine kleine Agentur für Design und Internetauftritte.

So nahmen Sie das Studium mit dem Gefühl in Angriff, Ihnen stünden alle Türen offen.

Es war eine gute Erfahrung, in jungen Jahren so viel gestalten zu können und selbstständig zu sein. Diesen Schwung nahm ich mit an die Hochschule St. Gallen, wo ich ein Studium in Staatswissenschaften begann und dann auf Betriebswirtschaft sowie Kommunikations- und Medienwissenschaften umschwenkte. Im ersten Anlauf bin ich prompt aus dem Grundstudium geflogen. Der Einstieg war heftig, denn ich hatte keinen akademischen Hintergrund; umso überwältigender war es für mich, zum ersten Mal auf dem HSG-Hügel diese gigantische Welt des Wissens zu erleben. Was ich vom Elternhaus hingegen gut kannte, war die Kleinkunstszene, und so zog ich in St. Gallen mit Kollegen bald eine eigene Veranstaltungsreihe auf, ein buntes Crossover-Programm von Jazz über Hip-Hop, Rap bis zur Klassik. Nach erfolgreichem Abschluss des Studiums war mir klar, dass ich etwas im Bereich Medien oder Kultur machen wollte.

Kein sehr präzises Profil für die Stellensuche.

Nein, wirklich nicht, ich bewarb mich zum Beispiel ohne grosse Überzeugung und ohne Erfolg für verschiedene Mediensprecherjobs. Als ich im Sommer beim Montreux Jazz Festival jobbte, schickte mir meine Mutter ein Stelleninserat aus der Alpha-Beilage mit der Post-it-Notiz: «Wer nichts wagt, kann nichts gewinnen!» So bewarb ich mich frisch ab Studium aus einem Internetcafé in Montreux beim Schweizer National-Circus Knie für die Stelle des Medienverantwortlichen – und musste selbst ein wenig staunen über meine Courage. Mein Vorgänger, Chris Krenger, war 40 Jahre lang der Sprecher des National-Circus gewesen, grössere Fussstapfen gab es kaum. Überraschenderweise bekam ich den Job, vielleicht auch, weil Franco Knie gut mit Claude Nobs befreundet gewesen war und ich mich in Montreux nicht ganz ungeschickt angestellt hatte.

Und wie gefiel es dem HSG-Absolventen im Zirkuswagen?

Zum Glück führte mich Krenger in das Amt ein, sonst wäre ich heillos überfordert gewesen. Ich war stolz, Teil dieser Institution zu sein, aber der Anfang war wirklich hart. Schon nur, weil ich auf Tournee 40-mal den Wohnwagen selber zügeln musste, aber natürlich auch wegen des enormen öffentlichen Interesses. Als wir zum Beispiel ins Fadenkreuz der militanten Tierschützer gerieten, gab es keine Verschnaufpause, da holte ich in der Praxis in kürzester Zeit einen Master in Krisenkommunikation nach.

Sie mussten sich nicht nur verteidigen, sondern knüpften auch wertvolle Kontakte.

Ja, 2006 kam Viktor Giacobbo mit dem Circus Knie auf Tournee. Sein Wohnwagen war praktisch leer bis auf die wunderbare Kaffeemaschine, die später in der TV-Sendung Giacobbo/Müller Berühmtheit erlangte. Wir freundeten uns an, und der Kontakt blieb auch in den folgenden Jahren bestehen, Giacobbo lud jeweils die ganze Knie-Crew zu einer Party im Casinotheater Winterthur ein. So kam ich erneut mit der Kleinkunstszene in Berührung, verschwendete aber keinen Gedanken an einen Jobwechsel. Erst nach acht Jahren bei Knie wurde mir Anfang 2012 bewusst: Wenn ich hier nicht Teil des Inventars werden will, wäre es jetzt der Moment, etwas Neues in Angriff zu nehmen. Ich weiss noch, wie schwer ich mich damit tat, zu Franco Knie sen. in den Direktionswagen zu gehen und ihm meinen Entscheid mitzuteilen – es kam mir ein wenig vor wie ein Verrat, und ich hätte mich niemals getraut, etwas Neues zu suchen, bevor ich gekündigt hatte.

Lange suchen mussten Sie dann nicht.

Ein paar Bewerbungen hatte ich schon verschickt. Dann rief Viktor Giacobbo an, und ich dachte, er wolle mich als Mediensprecher nach Winterthur holen. Erst allmählich realisierte ich, dass er mir die Stelle des künstlerischen Leiters anbot, was für alle Seiten ein Wagnis war. Aber Viktor funktioniert so, er ist als Verwaltungsratspräsident bekannt für mutige Entscheidungen, und irgendwie hat er es geschafft, den ganzen Verwaltungsrat davon zu überzeugen, dass der Zirkus-Pressesprecher ein guter Intendant werden kann – sogar ich selber habe es ihm am Ende geglaubt. Dank diesem Vertrauensvorschuss, Viktors Unterstützung und der guten Zusammenarbeit mit dem damaligen Gesamtleiter Marc Bürge lernte ich das Handwerk der Programmgestaltung, wo man sich im Spannungsfeld zwischen Kunst und Kommerz zurechtfinden und die Zahlen ebenso ernst nehmen muss wie das Bauchgefühl.

Warum zogen Sie nach vier Jahren erneut weiter?

Meine Frau ist Genferin und arbeitete in Bern, ich war in Winterthur und reiste viel hin und her. Unter diesen Umständen wäre nicht an eine Familie zu denken gewesen. Wir wollten mehr Zeit zusammen verbringen, und so trat ich im Juli 2016 wieder einen schwierigen Gang an und teilte Viktor mit, dass ich nach Bern zurückkehren möchte und das Haus verlassen werde. Wieder war es ein Schritt ins Ungewisse. Ich wollte Raum schaffen und mehr Klarheit gewinnen. Und dann kam ich via Roman Tschäppeler, den ich von der Kleinkunstszene her kannte, mit Ivo Adam in Kontakt und erfuhr vom Umbauprojekt rund ums Casino Bern, mit welchem er als Geschäftsführer betraut war. Erneut war das Timing günstig, ich nahm im September an einem ersten Workshop teil und konnte schon in einer frühen Phase konzeptuell mitwirken. Mir gefiel die Vorgabe der Burgergemeinde, welche Besitzerin des Gebäudes ist, dass das traditionsreiche Haus für ein breiteres Publikum geöffnet werden soll. Aber es war und ist nicht einfach, ins Ungewisse hinaus zu planen. Was wirklich funktioniert, werden wir erst nach der Wiedereröffnung im Herbst 2019 erfahren.

Geben Ihnen die Erfolge in Winterthur eine gewisse Sicherheit?

Ich kann nicht einfach Dinge von dort kopieren – in Bern ist es eine ganz andere, knifflige Aufgabe. Klar ist, dass das Casino hier künftig mehr Überraschungen bieten und Künstler aus verschiedenen Sparten zusammenbringen soll – etwa indem wir nach einem Symphoniekonzert noch eine «Late Night»-Veranstaltung für ein erweitertes Publikum anbieten. Wir haben sicher weniger Narrenfreiheit, der Anspruch ist höher. Aber das Casino soll neue Formate lancieren und wieder zu dem Gesellschaftshaus werden, als das es vor über 100 Jahren konzipiert worden ist. Da muss auch die Kleinkunst, das Variété mit Satire- und Zirkuselementen einen Platz haben. Ich habe mich beim Umbau ziemlich unbeliebt gemacht, weil ich darauf bestanden habe, dass im grossen Saal Hängepunkte für Akrobatikeinlagen installiert werden. Zirkuselemente, Kleinkunst, Crossover und Hochkultur – in Bern kommt nun alles zusammen, was ich in den letzten 25 Jahren gelernt habe.

Kontakt und Information:

www.casinobern.ch oder nik.leuenberger@casinobern.ch

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