Zu Beginn ihrer Berufslaufbahn rettete Nadine Caprez das elterliche Unternehmen vor dem Konkurs, dann gründete sie mit ihrem Mann eine IT-Firma und schliesslich wurde sie Geschäftsführerin eines Vereins, der Mikrokredite an Selbstständige vergibt. «Mich bringt so rasch nichts mehr aus der Fassung», sagt die 42-jährige Mutter dreier Söhne.
Interview: Mathias Morgenthaler
Frau Caprez, welches waren Ihre frühesten Einblicke in die Arbeitswelt?
NADINE CAPREZ: Mein Grossvater hatte eine Druckerei, da half ich schon als Primarschülerin beim Sortieren der Papierbögen. Dann übernahm mein Vater das Geschäft, fokussierte auf das Bedrucken von Kunststoff für die Verpackungsindustrie und erzielte damit ein kräftiges Wachstum. Ich vertrat in den Ferien die Sekretärin, aber eigentlich wollte ich nicht ins elterliche Unternehmen eintreten, sondern mein Wirtschaftsstudium dazu nutzen, in der Entwicklungszusammenarbeit etwas zu bewegen, am liebsten beim IKRK. Doch in diesem Feld galt ich als zu unerfahren und im Familienunternehmen, das gerade durch eine schwierige Phase ging, wurde ich gebraucht und übernahm nach Studienabschluss die Verantwortung fürs Exportwesen.
Kaum hatten Sie dort angefangen, ging es drunter und drüber.
Ja, meine erste Aufgabe hatte es in sich: ich musste verhindern, dass unser Buchhalter die Firma in den Abgrund riss. Am Anfang hatte ich keine Gewissheiten, aber es kam mir seltsam vor, dass er, der südafrikanische Wurzeln hatte, eine unserer beiden sehr teuren Druckmaschinen nach Johannisburg bringen wollte, angeblich um dort einen neuen Produktionsstandort zu gründen. Gleichzeitig brach der Umsatz unseres grössten deutschen Kunden weg und unsere Hausbank – eine der Schweizer Grossbanken – drehte uns plötzlich den Geldhahn zu und sorgte dafür, dass unsere verbliebene Druckmaschine von einem Tag auf den anderen stillstand.
Wie konnten Sie sich als unerfahrene Managerin zur Wehr setzen?
Ich bat einen erfahrenen Unternehmer um Hilfe: Otto Ineichen. Wir trafen uns in einem Café in Rapperswil und er rief von dort aus unseren Bankberater an und stauchte ihn zusammen. Am nächsten Tag lief die Maschine wieder, und mit der Zeit stellte sich heraus, dass der Buchhalter mit dem grössten Kunden, dem Bankberater und zwei unserer Mitarbeiter ein Konkurrenzunternehmen hatte lancieren wollen. Meinen Vater hat das schwer getroffen, mein Bruder und ich legten uns ins Zeug und es gelang uns, die Firma zu retten und zu sanieren. Ich hätte mir einen anderen Einstieg gewünscht, aber der Vorteil dieses Kraftakts war, dass ich wusste: mich bringt so rasch nichts mehr aus der Fassung.
Wie fanden Sie zu Ihrer heutigen Aufgabe, in der Sie Mikrokredite an Kleinunternehmer vergeben?
Ich las im «Alpha»-Stellenanzeiger, dass Ruedi Winkler jemanden suchte für die Geschäftsführung eines neu gegründeten Vereins. Ich war sofort Feuer und Flamme, weil ich realisierte, dass das Stellenprofil perfekt auf mich zugeschnitten war. So setzte ich mich gegen 400 Mitbewerber durch und durfte fortan mitentscheiden, wie wir jene Unternehmerinnen und Unternehmer unterstützen können, die keine Chance auf einen Bankkredit haben.
Sie entscheiden über die Vergabe von Krediten bis 40’000 Franken. Ist das immer ein Startkapital für den Schritt in die Selbstständigkeit?
Nein, es spielt für uns keine Rolle, ob jemand sich neu selbstständig macht oder einen Überbrückungs-oder Weiteraufbaukredit braucht. Bedingung ist aber, dass der Kredit in die Firma investiert wird und nicht zur Bezahlung von Löhnen, Miete oder Schulden verwendet wird. Am Anfang steht immer eine seriöse Abklärung der Situation. Manche haben eine gute Idee, aber das diffuse Gefühl, dass sie mehr Geld bräuchten, bremst sie. Andere wiederum budgetieren so naiv, dass sie rasch Schiffbruch erleiden würden. Noch wichtiger als eine ausgeklügelte Planung ist allerdings die Unternehmerpersönlichkeit. Für mich ist es nicht entscheidend, ob jemand eine geniale Idee oder einen perfekten Businessplan hat, sondern ich will sehen, ob er mit Herzblut ans Werk geht und ob sein Wille und sein soziales Umfeld stark genug sind, dass er auch Durststrecken durchstehen kann.
Was für Projekte haben Sie in den letzten knapp 10 Jahren unterstützt und wie oft kam es vor, dass die Kreditnehmer das Geld nicht zurückzahlen konnten?
Die Ausfallrate beträgt nur vier Prozent. Darauf sind wir stolz, denn wir sprechen ja Kredite für jene, die für die Banken uninteressant sind. Zu den Kreditnehmern gehört eine Gastronomin, die erfolgreich ein Tapas-Restaurant betrieb und Kapital brauchte für die Eröffnung eines zweiten Betriebs im Zürcher Seefeld; ein Gründerteam, das die erste Online-Plattform für Therapeuten und Coachs lancierte und Kapital für die Programmierung brauchte; eine afrikanische Wäscherei-Mitarbeiterin, die dank des Startkapitals ihre eigene Wäscherei in Zürich eröffnen konnte; ein Bauarbeiter mit italienischen Wurzeln, der wegen Knieproblemen nicht mehr als Dachdecker arbeiten konnte und dank eines Kredits für den ersten Wareneinkauf zum Lieferanten für italienische Restaurants in Zürich umsatteln konnte. Es ist uns wichtig, auch Umstiege oder Neustarts unterstützen zu können – wenn jemand für etwas brennt und eine Chance bekommt, eignet er sich das notwendige Fachwissen schnell an.
Nebst der Co-Geschäftsführung bei GO Mikrokredite sind Sie auch noch Teilhaberin und Mitarbeiterin einer Firma, die IT-Lösungen für Smart-Homes anbietet. Und Sie haben drei Buben zwischen drei und sieben Jahren. Wird das nie zu viel?
Ich sagte ja: Nach dem schwierigen Start schreckt mich so schnell nichts mehr. Als mein Mann eines Abends nach Hause kam und sagte, er habe seinen Job als Software-Programmierer verloren, weil sein Arbeitgeber Konkurs mache, sagte ich: «Kein Problem, dann gründen wir eben selber eine Firma!» Ich bin ein sehr neugieriger und breit interessierter Mensch – wenn sich Routine einstellt, suche ich rasch das Weite. Dank der Kombination von drei sehr unterschiedlichen Aufgaben wird es mir nicht so bald langweilig. Ich hätte sogar Lust, mich noch in einem weiteren KMU als Verwaltungsrätin einzubringen, dann wäre der Mix perfekt.
Kontakt und Information: mikrokredite.ch oder nc@mikrokredite.ch
12. November ab 18 Uhr: Berufungs-Forum in Zürich
Nadine Caprez ist am Montag, 12. November, als Podiumsteilnehmerin zu Gast beim 3. Berufungs-Forum am Impact Hub Zürich (Kraftwerk) ab 18:30 Uhr. Zum Thema «Lebe deinen Traum – und zahle trotzdem alle Rechnungen» diskutieren mit ihr der Geldexperte Peter Koenig und Coach Evelyne Coën. Information und Anmeldung hier.