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«Der Weg zur Höchstleistung führt immer über die Entspannung»

Mathias Morgenthaler am Samstag den 4. August 2018
Gabriela Ackermann, Sängerin, Stimmtrainerin, Coach und Therapeutin.

Gabriela Ackermann, Sängerin, Stimmtrainerin, Coach und Therapeutin.

Seit Jahrzehnten erforscht Gabriela Ackermann die Stimme. Sie begleitet ihre Kunden nicht nur dabei, bessere Redner zu werden, sondern hilft ihnen auch, stimmige Entscheidungen zu fällen. Viele Mitteleuropäer seien «Weltmeister des Grosshirns», sehr kontrolliert und analytisch, aber abgekoppelt von ihren Instinkten, sagt Ackermann.

Interview: Mathias Morgenthaler

Frau Ackermann, wie kann man lernen, eine gute Rede zu halten?

GABRIELA ACKERMANN: Die kürzeste Antwort lautet: Bringen Sie Ihre Stimmbänder in ihre biologisch ganzheitliche Schwingung, so erzeugen Sie unmittelbare Resonanz. Sie können endlos am Wortlaut einer Rede feilen, die Haltung, Mimik, Gestik und den Sprechrhythmus einüben, am Ende wird Ihr Stimmklang darüber entscheiden, ob Sie andere berühren, ob Sie authentisch wirken. Die Stimme lügt nie, sie ist das Abbild unserer Seele und unser Indikator für Stimmigkeit. Wenn jemand unter grossem Druck steht und ängstlich ist, schlägt sich das sofort in der Stimme nieder, sie klingt dann dünn, gepresst oder forciert. Wenn dagegen auch hohe Frequenzen – die sogenannten Sängerformanten – im Stimmklang erscheinen, wird die Stimme ohne Anstrengung tragfähig und stimulierend für die Zuhörenden.

Wo setzen Sie an, wenn ein Manager seine Aussenwirkung verbessern will?

Die meisten Manager sind Weltmeister des Grosshirns, kontrolliert und analytisch sehr stark, aber sie wissen wenig über sich selber und leben abgekoppelt von ihren Instinkten. Kürzlich fragte ich einen Kunden, den Chef einer grossen Firma: «Wo lebst du eigentlich – auf dem Mars? Jedenfalls nicht im eigenen Körper.» Ich bin die Anwältin des Hirnstamms, der in unserer mitteleuropäischen Gesellschaft sträflich vernachlässigt wird, weil wir meinen, uns bei allem aufs Grosshirn stützen zu müssen. Dabei werden 70 Prozent unserer Entscheidungen im Hirnstamm gefällt, dort ist unser Instinkt angesiedelt und dort wird unser vegetatives Nervensystem gesteuert. Der Hirnstamm entscheidet über unser Überleben und ist deshalb wichtiger als das limbische System (Emotionen) und das Grosshirn (Denken).

Und wie bringen Sie die Menschen wieder in Berührung mit ihrem Hirnstamm?

Indem ich sie mit ihrem biologischen Stimmklang bekannt mache. Wenn Menschen die körperliche Funktion ihrer Stimme kennenlernen, dann hören sie nicht nur, wer sie sind, sondern sie spüren es auch über die Vibration im eigenen Körper. Es geht dabei nicht darum, ob jemand gut oder rein singen kann, sondern darum, Atem, Klang und Körper in eine harmonische Übereinstimmung zu bringen. Wenn dies gelingt, kommen wir zur Ruhe, sind berührt von uns selber und fühlen uns friedvoll verbunden mit der Welt. Wenn unsere Stimme ganzheitlich vibriert, kommen unser Ego und die rotierenden Gedanken zur Ruhe, wir spüren unseren Körper besser und verfügen schon nach kurzer Zeit über mehr Energie. Und weil unsere Stimmbänder über den Vagus-Nerv mit dem Hirnstamm verbunden sind, können wir über die Vibration unserer Stimme auch das autonome Nervensystem und damit Organe wie Darm, Herz, Niere, Lunge oder Gewebe positiv beeinflussen. Es geht bei der Arbeit mit der Stimme also nicht nur darum, besser zu klingen, besser anzukommen, sondern auch darum, innerlich in Einklang zu kommen, sich mit seiner biologischen Natur zu verbinden.

Und das versetzt uns in die Lage, auch unsere innere Stimme wieder zu vernehmen, sprich: ein besseres Gefühl für die Stimmigkeit von Entscheidungen zu bekommen?

Ja, wer seinen Stimmklang kennt, der merkt leicht, wenn die Stimme nicht mehr gesund im Körper vibriert. Bei Entscheidungsfragen kann man zwei Handlungsoptionen neutral formulieren und in beiden Fällen seine Stimme befragen – wenn Sie sich die stimmigere Antwort innerlich klar vor Augen führen, wird ihre Stimme dabei spürbar besser klingen. Wenn wir wieder lernen, besser zu horchen, zu sehen und zu spüren, müssen wir uns weniger den Kopf zerbrechen und erkennen intuitiv, was richtig ist. Naturvölker sind uns darin überlegen, wir dagegen wissen bestenfalls noch, was wir nicht mehr wollen, haben aber kein Gefühl mehr für Stimmigkeit.

Mit welchen Beschwerden kommen Menschen zu Ihnen in die Therapie?

Der Auslöser ist meistens eine Krisensituation: ein Manager zum Beispiel, der unter Tinnitus, innerer Unruhe und Schlafstörungen leidet und nicht mehr richtig entspannen kann. In solchen Fällen ist der Hirnstamm meistens komplett aktiviert, in permanentem Alarmzustand, das Gefühl für den eigenen Körper dagegen fehlt. Da geht es darum, Menschen über eine leichte Trance in die Entspannung und eine bessere Selbstwahrnehmung zu führen. Auch bei Trauma-, Schock- und Burnout-Patienten arbeite ich mit der Elastizität des Nervensystems. Das Wichtigste ist, die Elastizität zwischen tiefer Entspannung und hoher Anspannung wieder zurückzugewinnen. Der Weg zur Höchstleistung führt immer über die Entspannung. Es kommen immer wieder auch Kunden, die keinen akuten Leidensdruck haben, aber die vielen Möglichkeiten der Stimme noch besser nutzen wollen oder sich schlicht Energie-Wellness gönnen.

Welche Rolle spielen die vielen archaischen Figuren hier im Bali-Haus bei Ihrer Arbeit?

Wir sind hier in der Schweiz sehr stark auf die Grosshirn-Intelligenz und die im limbischen System gespeicherten Emotionen fixiert – unsere Verbindung zum Körper, zu unseren Instinkten und zur Natur ist dagegen eher schwach. Es geht dabei auch um unsere Rückverbindung zum grossen Universum, das uns umgibt, um das Gefühl des Aufgehoben-Seins, das uns einen sorgfältigen und achtsamen Umgang mit anderen lehrt. Das alles ist im Wort Religion enthalten. So verstandene Religion führt zu einem friedlicheren Umgang mit uns selber und anderen. Die Anbetung des Materiellen hingegen schenkt uns keine innere Ruhe. Wir leiden unter einer zu hohen Aktivierung des autonomen Nervensystems und bekämpfen einander, um unser Ego zu stärken. In dieser Hinsicht können wir von Kulturen wie der balinesischen viel lernen. Ich war sofort berührt von den Menschen und Ritualen in Bali und habe mit meinem Bali-Haus einen Kontrastraum in der westlichen Welt geschaffen, wo man rauschende Feste feiern, singen und sich Gutes tun kann.

Teil 1 des Interviews ist vor einer Woche an dieser Stelle erschienen.

Kontakt und Information: www.gabrielaackermann.ch oder info@dogmafree.ch

Das Buch: Gabriela Ackermann: Geheimnis Mensch. Die Stimme – ein Schlüssel zum Glück. Novum Verlag 2018.

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Ein Kommentar zu “«Der Weg zur Höchstleistung führt immer über die Entspannung»”

  1. Carmen Siegrist sagt:

    Interessant und spannend! Doch muss, wie schon im Titel betont, stets Höchstleistung angesagt sein? Das stresst die meisten Menschen. Noch nicht gut genug zu sein. Das heute angestrebte Konkurrenzdenken, besser sein als andere, die besten sein wollen, führt zu Ausgebranntsein. Im Artikel sind äusserst wertvolle Erfahrungen mit der Stimmung und Stimme beschrieben. Vielleicht kommt dann auch ein höchst bezahlter Chef darauf, dass diese Höchstleistung zu halten, ev. nicht zusammenstimmen und zusammenklingen will mit der Familie und ändert etwas in seinem Alltag. Meditation kann verändern.