
Rolf Locher hat sich aus der Modebranche verabschiedet – er will kein Verkäufer mehr sein. Foto: Rikk Zimmer
Rolf Locher war in jungen Jahren sehr erfolgreich und landete mit dreissig hart auf dem Boden der Realität. Die nächsten 30 Jahre kämpfte er mit viel Aufwand gegen das Gefühl an, ein Versager zu sein. Nun hat sich der 60-Jährige entschieden, sich beruflich nur noch dem zu widmen, was ihn auch persönlich weiterbringt.
Interview: Mathias Morgenthaler
Herr Locher, Sie erhielten an Ihrem 30. Geburtstag die Nachricht vom Konkurs Ihres Modegeschäfts und standen mit 750’000 Franken Schulden da. Wie haben Sie sich wieder zurückgekämpft?
ROLF LOCHER: Eine solch einschneidende Erfahrung wird man nie mehr ganz los – der Geschmack des Scheiterns hat mich die letzten 30 Jahre stets begleitet. Mir half es, dass ich in der schwierigen Zeit nach dem Konkurs meine heutige Frau kennen lernte, das gab mir neue Perspektiven, einen neuen Lebenssinn. Sie half mir zu erkennen, dass ich nicht auf der ganzen Linie ein Versager war, sondern schlicht zu wenig von Buchhaltung und Geschäftsführung verstanden hatte. Eigentlich hatte ich eine gute Nase für Geschäfte und fand leicht den Kontakt zu Kunden. So absolvierte ich eine Ausbildung am Institut für Jungunternehmen und lancierte die erste fahrende Textilagentur. Während andere Vertreter Bestellungen aufnahmen und die Ware viele Wochen später lieferten, hatte ich das ganze Sortiment in einem grossen Wagen gleich dabei. Die Idee wurde sehr gut aufgenommen, das half mir endgültig wieder auf die Beine.
Und danach schrieben Sie mit aller Kraft an der Erfolgsgeschichte des jungen Modeunternehmers weiter?
Ich spürte immer noch diese Zerrissenheit zwischen Getrieben-Sein vom Bedürfnis nach Erfolg und Anerkennung auf der einen und der inneren Leere auf der anderen Seite. Auch die Unsicherheit begleitete mich weiterhin, unabhängig von den Erfolgen am Markt. In all den Jahren träumte ich vom Auswandern, schaute mir Objekte an in Frankreich, Italien und Spanien, aber es kam nie etwas zustande. Viel geändert hätte es vermutlich nicht, sich selber entkommt man ja nicht so leicht. Um die Jahrtausendwende fragte ich mich grundsätzlich, was mich genau in der Modebranche hielt: Ich war im Fernsehen gewesen, in der «Bilanz», hatte mir wieder einen Namen gemacht, aber auch weitere schmerzhafte Erfahrungen gesammelt. Ich wollte raus aus dieser Welt des Scheins, hatte aber für nichts einen Leistungsausweis ausserhalb der Modebranche und wusste wenig von mir. Da erinnerte ich mich an die Worte eines Strellson-Managers, der mir vom Feuerlaufen erzählt hatte, machte diese Erfahrung selber und nahm die Ausbildung zum Mentaltrainer in Angriff.
Das mag Ihnen neue Erkenntnisse, aber vermutlich kein stabiles Einkommen gebracht haben.
So war es. Ich hielt mich mit kleinen Jobs über Wasser, zunächst ein Mandat bei Navyboot, dann als Versicherungsvertreter und schliesslich führte ich eine Saison lang das Kurhaus auf dem Balmberg. Die letzte Aufgabe tat mir gut, dieses einfache Leben, die Ruhe, die Konzentration auf das Dienen, die Gastgeberrolle – ich hatte als Kind sehr gerne bei meiner Tante mitgeholfen, der die Gurtenstube am Fuss des Berner Hausbergs Gurten gehörte. Bis Ende letzten Jahres lebte ich einen Mix aus klassische Mandaten, die Geld einbrachten, und punktuellen Angeboten im Bereich Persönlichkeitsentwicklung. Anfang dieses Jahres habe ich mich entschieden, mich auch beruflich ganz dem zu widmen, was mich persönlich weiterbringt respektive näher zu mir. Ich wollte nicht mehr dem Geld und Erfolg nachrennen und die Versagensängste verdrängen, sondern mich der Einsamkeit und den Ängsten stellen und daran wachsen.
Eines Ihrer Seminarangebote heisst «Lachen mit Locher». Was haben Menschen davon, sich zum «Grundlosen Lachen» zu versammeln?
Als ich vor 20 Jahren im deutschen Fernsehen das erste Mal Lachyoga sah, dachte ich: «Was für ein Seich, wer braucht denn so was?» Ich fühlte mich gleichzeitig abgestossen und angezogen davon und absolvierte schliesslich drei Monate später die Trainerausbildung in Köln. Danach gründete ich einen eigenen Lachclub mit dem Ziel, Solothurn zur Lachhauptstadt der Schweiz zu machen. Die Medienresonanz war gross, der Kundenzuspruch sehr überschaubar. Viele tun sich schwer mit dem Gedanken, so etwas Natürliches wie Lachen künstlich zu erzeugen, zu forcieren. Nach jahrelanger Auseinandersetzung mit dem Thema weiss ich aber: Lachen ist eine Kur für Körper, Geist und Seele. Es entspannt uns und aktiviert unsere Selbstheilungskräfte, unabhängig davon, ob wir es spontan tun oder ohne Grund. In den Lachgruppen und Seminaren zeigt sich, dass die Leute mit grundlosem Lachen keineswegs an der Oberfläche bleiben, sondern sehr in die Tiefe gehen.
Was meinen Sie damit?
Lachen berührt sehr viele Lebensaspekte. Es schult uns darin, Kontrolle abzugeben, sich und die Umstände nicht so tierisch ernst zu nehmen. Wir können dabei üben, aus der Rolle zu fallen, unseren Körper, unsere Kraft zu spüren. Lachen erschüttert uns buchstäblich und bringt uns wieder in Berührung mit inneren Anteilen, die womöglich verschüttet waren.
Haben Sie auf diesem Weg gelernt, Ihre Unsicherheit und Unruhe abzulegen?
Seit ich nicht mehr getrieben bin, Erfolg zu haben und meine Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen, haben andere Dinge mehr Raum eingenommen. Ich meditiere regelmässig, übe mich darin, Stille und damit auch mich selber auszuhalten. So spüre ich mehr und mehr, dass ich einfach sein darf und nicht permanent etwas tun muss. Vielleicht klingt das kitschig, aber kürzlich bin ich auf dem Balkon gesessen und habe gedacht: «Es ist alles gut, wie es ist. Ich fühle mich zum ersten Mal seit sehr langer Zeit nicht mehr einsam, obwohl ich so viel Zeit allein verbringe wie noch nie in meinem Leben.» Ich mag den Wechsel zwischen Stille und lautem Lachen. Deshalb habe ich den Lachclub in Solothurn reaktiviert, wir treffen uns da alle drei Wochen am Sonntag.
Macht es Ihnen keine Sorge, dass Sie heute weniger verdienen?
Es war wichtig und wohltuend, mein Leben zu entrümpeln, Dinge zu verkaufen oder wegzugeben, Raum zu schaffen. Ich hatte zu lange versucht, wieder aufzurüsten und so gegen das Gefühl des Scheiterns anzukämpfen. Jetzt habe ich losgelassen, habe weniger materiellen Erfolg, aber viel mehr Klarheit. Ich bin auf eine gute Weise ernüchtert, näher bei mir, und weiss, dass das Früchte tragen wird. Schön ist, dass ich nichts mehr darstellen, kein Verkäufer mehr sein muss. Ich weiss, dass viele andere mit ähnlichen Themen unterwegs sind, und freue mich darauf, einige von ihnen dabei zu begleiten.
Haben Sie konkrete Ziele für die nächste Zeit?
Derzeit leiste ich einen halben Tag pro Woche Freiwilligenarbeit, gebe verschiedene Seminare und arbeite mit Führungskräften, die sich mit Leistungsdruck und Persönlichkeitsentwicklung auseinandersetzen wollen. Und vor allem nehme ich mir viel Zeit für mich. Einen Traum gibt es: Ich habe erfahren, dass die Stiftung Hostelleria Vejo, die im Maggiatal alte Häuser besitzt, einen Hüttenwart sucht. Da wäre ich mitten in der Natur, in der Stille, und könnte gleichzeitig Gastgeber sein – ich stelle mir das wunderbar vor.
Teil 1 des Interviews ist vor einer Woche an dieser Stelle erschienen.
Kontakt und Information: www.hoho-hahaha.ch oder rwl@rwl.ch