Gratis Fitness, Säftebar, Meditation, Firmenhymne und einen Chief Happiness Officer – was machen Unternehmen nicht alles, um die Angestellten bei Laune zu halten. Der frühere Pharmamanager Harald Pichler hält wenig von solchem Hokuspokus. Er beschreibt in seinem neuen Buch, was es braucht, damit Menschen einen Sinn in ihrem Tun erkennen.
Interview: Mathias Morgenthaler
Herr Pichler, wie sind Sie vom Pharmamanager zum Experten für sinnerfülltes Arbeiten geworden?
HARALD PICHLER: Das begann damit, dass mir vor gut 20 Jahren ein Buch des Wiener Psychiaters Viktor Frankl in die Hände fiel. Die Lektüre hat mich unmittelbar berührt und aufgerüttelt. Eine zentrale Botschaft lautete: Egal, was dir widerfährt, du hast immer die Möglichkeit zur Gestaltung. Entscheidend sind nicht die Umstände, sondern deine Haltung und dein Handeln. Frankl schildert in «Trotzdem Ja zum Leben sagen» eindrücklich seine Erfahrungen in Konzentrationslagern. Die Auseinandersetzung mit der Sinnfrage hat ihn dazu befähigt, unter diesen schrecklichen Umständen zu überleben.
Was half die Lektüre einem Pharmamanager, der 60 Mitarbeiter führen und vorgegebene Ziele erreichen musste?
Es ging auch da im Kern um die Frage, wie ich mit Dingen umgehe, die ich nicht ändern kann. Eine Führungskraft steht immer im Spannungsfeld zwischen den Vorgaben von oben und den begrenzten Möglichkeiten im Team. Dazu kommen oft auch noch Machtspiele, Bürokratie und ineffiziente Abläufe. Da kann man entweder in die Jammerrolle flüchten und zynisch werden oder sich fragen: Wozu fordert mich das heraus? Welchen Gestaltungsspielraum habe ich und wozu nutze ich ihn? Diese Frage wollte ich nicht nur für mich selber beantworten, sondern auch mit meinem Team. Eine zentrale Führungsaufgabe ist, die verschiedenen Persönlichkeitstypen und damit verbundenen Sinn- und Wertekonzepte zu verstehen und miteinander ins Gespräch zu bringen.
Man hört in letzter Zeit öfter, Führungskräfte müssten Sinn stiften. Ist das nicht vergebliche Mühe, von oben einen Sinn predigen zu wollen?
Sinn kann weder erzeugt noch angeordnet, sondern lediglich gefunden werden – man sollte sich deshalb vor selbsternannten Sinnstiftern hüten. Führungskräfte können lediglich Rahmenbedingungen schaffen, innerhalb derer Angestellte sich entfalten und einbringen können, idealerweise zugunsten eines grösseren Ganzen. In vielen Unternehmen hat der englische Begriff «purpose» derzeit Hochkonjunktur. Man könnte ehrlicherweise auch einfach von Zweck reden und dazu stehen, dass sich der Zweck mancher Firmen darauf beschränkt, einen hohen Gewinn zu erzielen und die Aktionäre reich zu machen. Ein solcher Zweck erzeugt aber noch kein Gefühl von Sinnhaftigkeit. Deswegen tun viele Unternehmen so, als wäre es ihr wichtigstes Bestreben, die Mitarbeiter glücklich zu machen. So entstehen absurde Wohlfühloasen, Firmenhymnen und Funktionen wie «Chief Happiness Officer».
Wo sollten die Unternehmen stattdessen ansetzen?
Auf Unternehmensebene sollte es immer primär darum gehen, ein Kundenbedürfnis auf gute Weise zu befriedigen. Erfolg, Wachstum, Gewinn, Dividenden – das alles sollten Folgeerscheinungen sein, nicht primäre Ziele. Ebenso wichtig ist, dass der Einzelne sich mit seinen Fähigkeiten einbringen kann, dass er seinen Beitrag erkennt und individuell wahrgenommen wird. Wenn mein Unternehmen zwar einen edlen Zweck verfolgt, mein direkter Vorgesetzter aber ein Soziopath ist, der mich schikaniert, dann bin ich auch mit einer Firmenhymne und Gratis-Fitness nicht zu motivieren. Wenn ich hingegen eine gute Beziehung zum Vorgesetzten habe, kann ich auch damit leben, dass im Gesamtunternehmen nicht alles so läuft, wie ich mir das wünschen würde.
Die meisten Chefs werden nicht daran gemessen, ob sie gute Beziehungen aufbauen und sich mit ihrem Team über Sinnfragen verständigen können.
Ja, das ist so. Dem wird schon in der Ausbildung von Führungskräften wenig Gewicht beigemessen, später fällt es auch bei der Leistungsbeurteilung und Beförderung leicht unter den Tisch. Viele Führungskräfte haben zudem ein gestörtes Verhältnis zur Macht, die sie aufgrund ihrer Funktion haben. Sie glauben, sie müssten alles im Griff haben und stets souverän wirken, und fürchten sich deshalb vor der persönlichen Begegnung, wo sie sich als Mensch und nicht als Experte einbringen müssten. So gehen sie auf Distanz, brechen Menschen auf Personalnummern und Kostenstellen herunter und versuchen, mit Vorgaben und Kontrolle alles zu regeln. Das macht eine Organisation auf Dauer unproduktiv und träge, die Angestellten zynisch und mittelfristig krank. Es ist deshalb fatal, dass es gerade in grösseren Organisationen oft jene nach oben schaffen, die sich skrupellos gegen andere durchsetzen. Das narzisstische Störungsbild ist in oberen Chefetagen sechsfach häufiger vertreten als im Bevölkerungsdurchschnitt, da geben also oft Egozentriker den Ton an.
Sie haben anders funktioniert als Chef?
Für mich gehörte zur guten Führung immer die persönliche Reife. Es fängt alles mit der Selbstführung an, also mit der Frage, wie gut ich mit mir selber bin, ob ich meine eigenen Macken kenne und ob ich eine gesunde Distanz zu mir habe, die sich im Idealfall in Humor äussert. Zudem habe ich Menschen immer nach ihrem Potenzial beurteilt und nicht nach ihrem Leistungsausweis. Viele Manager definieren sich über die Frage, wie viele Leute sie unter sich haben. Für mich ist die wichtigere Frage jene, wie viele Menschen ich dabei unterstützt habe, erfolgreicher zu werden. Mir war damals in der Pharmabranche sonnenklar, dass ich nicht in 18 Produktekategorien der Oberexperte sein konnte. Also delegierte ich viel Verantwortung. Das führte dazu, dass sich jeder Einzelne mehr in der Pflicht sah und sich nicht länger auf den Standpunkt stellen konnte: «Der Harald weiss das eh am besten.»
Wollen denn wirklich alle mehr Verantwortung übernehmen?
Ich halte nichts davon, pauschal alle Angestellten zu Mitunternehmern zu erklären. Manche beklagen sich zwar gerne über unfähige Chefs und ihren kleinen Spielraum, sind aber nicht bereit, wirklich Verantwortung zu übernehmen. Es gab in meinem Team auch Angestellte, die einfach von mir wissen wollten, was sie zu tun hatten, und dies loyal und verlässlich ausführten. Soll ich so jemandem einen Vortrag über Eigeninitiative und Sinnstiftung halten? Nicht jeder muss den Lebenssinn in der Arbeit sehen und sich dort verwirklichen können. Für mich ist es ok, wenn jemand einfach einen soliden Job macht, um das Geld für den Bau eines Hauses zu verdienen. Dann liegt sein Lebenssinn stärker im Privaten. Mühsam finde ich, wenn jemand keinen Lebenssinn gefunden hat und seinen Frust über dieses Sinnvakuum an anderen auslässt.
Wie wurde Ihnen klar, dass Sie die Managementkarriere beenden zugunsten der Lehr- und Beratungstätigkeit?
Ich spürte ein starkes Bedürfnis, mich intensiv in die Arbeiten von Viktor Frankl und seiner Schülerinnen und Schüler zu vertiefen und dieses Wissen auch ausserhalb der Medizin bekannter zu machen. Nachdem ich einen berufsbegleitenden Lehrgang am Viktor Frankl Zentrum Wien absolviert hatte, begann ich, ehrenamtlich Vorträge und Seminare mit Führungskräften abzuhalten. Mit 46 Jahren merkte ich, dass die Dreifachbelastung aus Familie, Pharma-Job und Ehrenamt zu hoch wurde. Die Familie stand nicht zur Diskussion, und bei der Entscheidung zwischen den anderen beiden Optionen liess ich mich von der Frage leiten, wo ich leichter ersetzbar bin. Da entschied ich mich für die Brückenbauerfunktion zwischen Frankls Sinnlehre und der Führungsarbeit. Gute Pharmamanager gibt es viele, aber Sinnbotschafter mit naturwissenschaftlichem Hintergrund, 20 Jahren Führungserfahrung und vertiefter Kenntnis von Frankls Werk kannte ich ausser mir keinen. Deswegen ist es heute meine Berufung, dass sich in naher Zukunft Führungskräfte nicht nur mit betriebswirtschaftlichen Modellen, sondern auch mit sinn- und werteorientierter Führung auseinandersetzen.
Aus Managersicht gefragt: Rechnet sich das?
Ja, das tut es. Sie können sehr direkt an den krankheitsbedingten Absenzen und der Fluktuation ablesen, über welchen Reifegrad die Führungskräfte eines Unternehmens verfügen. Wenn hauptsächlich über Vorgaben, Druck und Kontrolle geführt wird, ist das eine Autobahn in den Burn-out. Dort wo hingegen eine Verständigung über die Frage, wozu etwas getan wird und wie es getan werden soll, möglich wird, steigen die Motivation und die Produktivität. Beim Thema Gesundheitsmanagement denken viele in erster Linie an Ergonomie, gesunde Ernährung oder Unfallprävention. Richtige Quantensprünge werden aber erst durch sinnerfülltes Arbeiten möglich. Sinn in der Arbeit ist zentral für die Selbstmotivation und sowohl für die psychische als auch für die körperliche Gesundheit.
Information und Kontakt:
h.pichler@sinnmachterfolg.at oder www.sinnmachterfolg.at
Das Buch: Harald Pichler: Arbeit, Sinn und Motivation. Braumüller Verlag, Wien 2018.
Zum Interview würde noch dazu gehören, warum er ein “früherer” Pharma Manager ist. Burnout? Finanz-Ziele nicht erreicht?
@Philip Santschi: Hat er doch überzeugend erklärt. Ich finde das Interview, seine Aussagen und seine Haltung grossartig. Hoffentlich erreicht er viele Manager und kann in ihnen auch etwas bewirken.
Sehr gut, überzeugend erklärt und gehandelt.
Hut ab! Leider gibt es zu wenig Leute dieses Schlags. Ob das dem Menschen mit der zunehmenden Digitalisierung (I4.0) weiterhilft sei einmal dahingestellt.
Ich hatte 2016-2017 einen Soziopathen-Chef der mich aus meiner Führungsrolle raus gemobbt hat, obwohl ich mit meinem Team die Ziele grundsätzlich erfülen konnte und wir einen super Service erbracht haben. Seit Anfang 2018 „führt“ mich nun ein Egozentriker.
Obwohl die Arbeit spannend wäre suche ich nun mehrheitlich den Sinn meines Tuns in der Arbeitswelt.
Sehr schönes Interview.
Wenn ich zurückblicke, hatte ich auf keiner Arbeitsstelle eine Umgebung, welche nur annähernd in diese Richtung ging. Bei zwei Praktikumsstellen schon – wobei diese in 1986 und 1988 waren, also Zeiten, wo in CH Betrieben noch andere Verhältnisse und hohe Profite herrschten, man als Student nicht in die Hierarchie hineinfunkte.
.
Wenn eine Firma einen Pichler/Frankl anstellt, dann hat ja schon ein Umdenken stattgefunden. Ob Pichler/Frankl das nachhaltig umsetzen können, sei einmal erhofft.
Aber was tun wir als Gesellschaft mit den 99% anderen Firmen??
Kann die Meinung von Herrn Pichler als Psychologin zu 100 Prozent bestätigen.
Leider arbeiten alle Unternehmer an einer Verhaltensprävention, viel Obst, Massagen und Gymnastik am Arbeitsplatz. Die Verhältnisprävention kommt meist gar nicht vor, d.h Änderung des Systems, Führungskräfte statt hinaufgearbeitete Arbeitnehmer und was nie beachtet wird: jede Führungskraft hat eine Fürsorgepflicht für seine direkten Mitarbeiter. Diese Pflicht wird aus welchen Gründen auch immer nicht gelebt.
Danke für das Interview Herr Pichler und für Ihr neues Buch! Es muss in die richtigen Hände kommen
Spinnstoffen kann keine Führungskraft, aber sie kann auf Bedürfnisse der Mitarbeiter eingehen. Und das wird nicht mehr getan.
Tolles Interview, genauso versuche ich meine Firma zu leiten. Auch ich hatte miese Chefs, sie waren negative Vorbilder, die mich auch viel gelehrt haben. Heute versuche ich zu sein, was sie alles nicht waren: motivierend, empathisch, delegierend. Das macht enorm viel Spass und das Team dankt es mir mit einer Loyalität, von der wohl jedes Unternehmen träumt.
Es ist erschreckend, dass es vor allem Narzisten und Egozentriker bis nach oben schaffen, die Kommentare hier scheinen Pichlers Aussagen zu bestätigen. Hoffen wir, dass es die nächste Generation besser macht.