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«Wenn du auf den richtigen Moment wartest, startest du nie»

Mathias Morgenthaler am Samstag den 14. April 2018
Daniela Marino hat drei Kinder, zwei leibliche und ein Start-up, das menschliche Haut züchtet. Foto: Wyss Zurich

Daniela Marino hat drei Kinder, zwei leibliche und ein Start-up, das menschliche Haut züchtet. Foto: Wyss Zurich

Eigentlich wollte Daniela Marino Professorin werden, doch dann machte ihr Forschungsteam am Kinderspital Zürich bei der Züchtung von menschlicher Haut solche Fortschritte, dass sie sich über Nacht entschied, die Firma Cutiss zu gründen. Nun setzt die 36-jährige Mutter alles daran, den Weltmarkt für Eigenhaut-Transplantation zu erobern.

Interview: Mathias Morgenthaler

Frau Marino, Sie können mit Ihrer Firma Cutiss ein briefmarkengrosses Stück Haut eines Patienten auf die 70-fache Grösse züchten und dieses dann für Eigenhauttransplantation verwenden. Wann ist Ihr Produkt Denovo Skin reif für die Markteinführung?

DANIELA MARINO: Das wird noch mindestens vier Jahre dauern. Bei Verbrennungsopfern wurde bisher vor allem mit Eigenhautverpflanzung, sogenannter Spalthauttransplantation gearbeitet. Die Spalthaut liess sich maximal bis zur neunfachen Fläche vergrössern. Allerdings ist der Heilungsverlauf kompliziert, speziell bei Kindern. Auf Stufe der Epidermis, der äusseren, für den Schutz zuständigen Hautschicht, funktionierte es gut, aber es fehlten wichtige Funktionen der darunterliegenden Dermis, die etwa für die Narbenbildung und Elastizität verantwortlich ist. Wir konnten in diesem Bereich wesentliche Verbesserungen erzielen, sodass sich die Zahl der Folgeoperationen stark reduzieren sollte.

Bei Ihrem Verfahren wird dem Patienten eine kleine Menge Hautgewebe entnommen, danach werden die Zellen im Labor mit einem Gel zu einem Transplantat zusammengefügt. Akzeptiert der Patient diese künstlich erweiterte Haut?

DenovoSkin, die Haut aus dem Labor, die auf der Basis menschlicher Hautzellen gezüchtet wird. Foto: WyssZurich

Denovo Skin, die Haut aus dem Labor, die auf der Basis menschlicher Hautzellen gezüchtet wird. Foto: Wyss Zurich

Ja, wir haben in einer ersten Studie am Universitäts-Kinderspital Zürich von 2014 bis 2016 nachweisen können, dass es keinerlei Abstossungsreaktionen oder andere Nebenwirkungen gibt. Nun untersuchen wir in einer zweiten, internationalen klinischen Studie die Wirksamkeit und Sicherheit unseres Produkts im Vergleich zur aktuellen Standardmethode, der Spalthauttransplantation. Im Idealfall erhalten wir nach der zweiten Studienphase die Marktzulassung, weil unserem Ansatz ein grosser Nutzen für die Patienten attestiert wurde.

Sie sind vor einem Jahr bei der Gründung der Firma Cutiss von der Forscherin zur Unternehmerin geworden. Was hat sich dadurch verändert?

Inhaltlich nicht viel, da beschäftige ich mich seit 10 Jahren intensiv mit der Thematik. Seit 2011 war ich im Rahmen meiner Post-Doc-Stelle in die Koordination eines internationalen Projekts involviert, das von der EU mit neun Millionen Franken dotiert wurde. Von diesem Moment an war ich nicht mehr nur Forscherin, sondern hatte in einem Konsortium viel zu organisieren, hatte mit Spitälern, Geldgebern, verschiedensten Anspruchsgruppen zu tun. Ich fand das sehr spannend und belebend und war mir plötzlich nicht mehr sicher, ob ich wirklich Professorin werden wollte. Dann fielen die ersten Tests an Patienten so positiv aus, dass rasch klar wurde: Entweder verkaufen wir das Produkt an einen Konzern oder wir gründen selber eine Firma. Ich brauchte eine Nacht Bedenkzeit, dann wusste ich: Diese Chance will ich packen.

Hatten Sie keine Zweifel, ob Sie der Aufgabe gewachsen sind, ein Start-up aufzubauen und auf dem Markt zu positionieren?

Ich verfüge über ein gesundes Selbstvertrauen und liebe den Wettbewerb. Als Wissenschaftler hat man Übung darin, vernetzt zu denken und Lösungen zu finden für Probleme. Zudem lerne ich leidenschaftlich gerne, am liebsten im Team. Wer keine Angst hat, Fragen zu stellen, arbeitet sich rasch in neue Gebiete ein.

Viele Menschen meiden unbekanntes Terrain. Haben Sie sich schon in jungen Jahren das Gegenteil angewöhnt?

Wir Italiener haben vielleicht etwas weniger Angst vor dem Risiko als manche Schweizer. Ich bin in Sizilien in einer wunderbaren Familie aufgewachsen. Meine Mutter arbeitete als Englischlehrerin und schickte mich schon kurz nach meinem 13. Geburtstag in einen ersten Sprachaufenthalt nach England. Das war ein Schlüsselerlebnis für mich. Ich realisierte, wie gross die Welt ist, und war elektrisiert davon, dass ich mich plötzlich mit einem gleichaltrigen Koreaner austauschen konnte. Mein Vater war als Direktor eines Postamts zwar Angestellter, er hatte aber immer wieder Ideen für eigene Projekte: eine Tankstelle, einen Kleiderladen, einen Imbissstand. Er konnte leider nichts davon umsetzen, sein erfolgreichstes Investment war wohl, dass er meiner Schwester und mir ein Studium in Mailand ermöglichte. Aber unsere Eltern haben uns eindeutig zur Unabhängigkeit erzogen.

Als Sie Cutiss gründeten und die Leitung übernahmen, waren Sie Mutter eines Kleinkindes und in Erwartung eines zweiten Kindes – nicht gerade die idealen Voraussetzungen.

Wenn du auf den richtigen Moment wartest, kommst du nie aus den Startblöcken. Als mein Vater vor zwei Jahren völlig unerwartet starb, realisierte ich: Das Leben ist sehr kurz, man sollte seine Träume nicht aufschieben. Ich war hochschwanger, als ich Geld auftrieb für unsere Firma, und nach der Geburt war mein zweites Kind oft dabei, wenn wir Meetings hatten. Ich finde, Frauen sollten sich nicht zwischen einer Familie und beruflichen Zielen entscheiden. Ich selber habe drei Kinder, zwei leibliche und ein Unternehmen. Alle drei brauchen Liebe, Geduld, Geld und Multitasking-Fähigkeiten. Und alle will ich beim Wachsen unterstützen. Wenn Frauen viel in ihre Ausbildung investieren, sollten sie sich nach der Familiengründung nicht für zehn Jahre oder länger aus der Arbeitswelt zurückziehen. Mit guter Organisation und einem verständnisvollen Umfeld geht beides unter einen Hut. In unserem Fall ist es sehr hilfreich, dass meine Mutter nach dem Tod meines Vaters in die Schweiz gezogen ist und dass mein Mann einen soliden Job als Ingenieur hat und mich sehr unterstützt.

 Wie hoch ist der Kapitalbedarf?

Wir stehen aktuell in einer Finanzierungsrunde A. Ein Hauptinvestor und weitere Business Angels haben drei Millionen Franken zugesichert, bis Ende Mai sollen weitere drei bis fünf Millionen dazukommen. Im letzten Jahr haben wir vom UZH Life Science Fund, den die Universität Zürich und Novartis für Innovationsförderung eingerichtet haben, eine Million Franken erhalten. Dieses Geld hilft uns, die Automatisierung der Produktion und die Skalierung voranzutreiben. Künftig sollen nicht Menschen, sondern Roboter die Patientenhaut schnell vor Ort züchten können. Dazu kamen 260’000 Franken von Jungunternehmer-Preisen und privates Kapital, das wir Gründer eingebracht hatten. Und die von Hansjörg Wyss alimentierte Stiftung Wyss Zurich stellt mehrere Millionen Franken bereit für die aufwendigen klinischen Studien. Es braucht also viele Millionen Franken, um überhaupt Marktreife zu erlangen. Aber das Zeitfenster ist günstig. Das Interesse an der personalisierten Medizin ist gross, unsere Technologie hat viele Anwendungsfelder. Sie kann nicht nur bei Verbrennungsopfern eingesetzt werden, sondern auch bei anderen Hautdefekten etwa infolge eines Tumors oder Muttermals. Schliesslich sehen wir auch in der kosmetischen Chirurgie viele Einsatzmöglichkeiten.

Haben Sie nie schlaflose Nächte aus Angst, die Aufgabe könnte Ihnen über den Kopf wachsen?

Für schlaflose Nächte sorgen eher die leiblichen Kinder. Aber ich bin ein Mensch, kein Roboter, deshalb frage ich mich schon ab und zu, auf was ich mich da eingelassen habe. Ein neues Produkt in der personalisierten Medizin zu entwickeln ist schwierig genug, es weltweit auf dem Markt zu bringen, ist ein sehr ambitioniertes Vorhaben mit offenem Ausgang. Ich will mit meinem kleinen Team von 10 Mitarbeitern beweisen, dass wir diese Vision umsetzen können. Und ich lasse mich inspirieren von anderen Unternehmern, die Ähnliches geschafft haben. Ich erinnere mich noch gut an den ersten Business-Vortrag meines Lebens: Christian Zahnd, der Mitgründer und Chef des Biotech-Unternehmens Molecular Partners, schilderte eindrücklich, wie er vom Wissenschaftler zum Unternehmer wurde und mit fünf Freunden das Start-up aufbaute und durch alle Turbulenzen führte. Im November ist Christian Zahnd leider zu früh gestorben, aber für mich bleibt er ein wichtiger Begleiter auf unserem weiteren Weg.

Information und Kontakt: daniela.marino@cutiss.swiss oder www.cutiss.swiss

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2 Kommentare zu “«Wenn du auf den richtigen Moment wartest, startest du nie»”

  1. Jürg Brechbühl sagt:

    Zitat:
    “Wir Italiener haben vielleicht etwas weniger Angst vor dem Risiko als manche Schweizer.”

    Frau Moreno springt ja nicht blindlings ins kalte Wasser, sondern sie hat die Technik während 10 Jahren erforscht und in der geschützten Umgebung einer staatlich finanzierten Universitätsklinik zum Funktionieren gebracht. Das Risiko ist einigermassen überschaubar.

    Die Frage ist demnach nicht, ob Schweizer bereit sind, zu riskieren. Vielmehr ist das Problem, dass kaum noch Schweizer sich zutrauen, zu führen, Chef zu sein, Erfolg zu haben. Wir leben in einer miesen, niederträchtigen…

  2. Jürg Brechbühl sagt:

    … Neidkultur.

    (Das letzte Wort ging verloren.)