Sie wollten keinen Urlaub machen, sondern «spüren, wie gross die Welt ist»: Gwendolin Weisser und Patrick Allgaier sind zu Fuss und per Anhalter einmal um die Welt gereist. Dabei stiegen sie in gut drei Jahren zu 667 fremden Menschen ins Auto und fanden auch in Tadschikistan und Pakistan mehr Verbindendes als Trennendes.
Interview: Mathias Morgenthaler
Sie haben über drei Jahre lang gemeinsam die Welt bereist. Mit welchen Zielen sind Sie aufgebrochen?
PATRICK ALLGAIER: Wir wollten einfach losziehen ohne absehbares Ende. Aufbrechen in Richtung Osten und so lange weitergehen, bis wir von Westen her wieder nach Hause zurückkehren. Wir waren beide schon oft auf Reisen gewesen, aber die zeitliche Beschränkung hat immer ihren Schatten auf die Erlebnisse geworfen: Wenn es gerade spannend wurde, mussten wir umkehren. Deshalb sagten wir uns: Lass uns ein Jahr lang Geld verdienen und eine ungefähre Navigationsroute festlegen und dann das Unterwegssein zu unserem Zuhause machen für unbestimmte Zeit. Wichtig war uns, kein Flugzeug zu benutzen, um wirklich jeden Meter Land und Wasser zu erleben und zu spüren, wie gross die Welt ist. Ohne Gwen hätte ich den Mut dazu vermutlich nicht aufgebracht.
GWENDOLIN WEISSER: Ich war zunächst gar nicht so begeistert von Patricks Idee. Als wir uns kennen lernten, stand ich kurz vor dem Abitur – mit dem Ziel vor Augen, allein zu einer längeren Reise aufzubrechen. Die Beziehung kam mir in der Hinsicht eher ungelegen. Erst schlug ich Patrick vor, ich gehe allein und er könne mich besuchen kommen. Schliesslich bereiste ich zwei Monate allein den Balkan und war danach versöhnt mit dem gemeinsamen Projekt.
Viele Menschen schaffen es kaum, für einen Monat am Stück zu verreisen. Wie haben Sie sich für so lange Zeit losreissen können?
GWENDOLIN WEISSER: Wenn man sich einmal entschieden hat, wird es rasch sehr einfach. Klar, die Eltern haben schon etwas geschluckt. Patricks Eltern hofften, ich würde schwanger und wir kehrten deswegen bald zurück. Ihre Befürchtung war, dass wir unterwegs hängen bleiben wie sein Cousin, der in Chile ein neues Leben aufgebaut hat.
PATRICK ALLGAIER: Ausser der groben Spur, die wir über den Globus gelegt hatten, bereiteten wir uns nicht gross vor. Wir nahmen uns vor, im Durchschnitt mit 5 Euro pro Tag auszukommen, was ganz gut funktioniert hat. Viele Ausgaben, die man zu Hause aus Langeweile macht, entfallen auf Reisen; wir kamen zu Fuss oder per Anhalter voran und übernachteten oft in der freien Natur. Es ist eindrücklich, wie viel Ruhe und Glück man gewinnt, wenn man bescheiden lebt und die Antennen auf Empfang hat. Wenn du per Anhalter unterwegs bist, lernst du die Lebensgeschichten der unterschiedlichsten Menschen kennen.
Hatten Sie keine Bedenken, auf eigene Faust durch Länder wie Tadschikistan oder Pakistan zu trampen?
PATRICK ALLGAIER: Nein. Ich wusste von früheren Reisen in Afrika und Syrien, dass diese Länder am Bedrohlichsten wirken, wenn man zu Hause auf dem Sofa Fernsehbeiträge darüber schaut. Je näher man an die Menschen herankommt, desto mehr verschwindet die Angst. Wenn man die
Ebene der Fremdheit überwindet, zeigt sich das Verbindende, das universell Menschliche – und da gibt es mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes. Lustigerweise wurden wir in Pakistan oft gefragt, ob das nicht gefährlich gewesen sei, in den Nachbarländern zu Fuss zu reisen.
GWENDOLIN WEISSER: Wir sind in den gut drei Jahren in 667 Autos mitgefahren, die wir uns nicht ausgesucht haben. Wir sind nicht ein einziges Mal bedroht oder ausgeraubt worden. Es gab vielleicht fünf Situationen, in denen uns mulmig zumute war, wo wir froh waren, bald wieder aussteigen zu können. Alle anderen Erfahrungen waren neutral bis hin zu sehr persönlich und berührend. Manche Fahrer, die uns mürrisch die Tür öffneten, brachten uns nach einigen Stunden zu ihren Familien und wollten uns gar nicht wieder gehen lassen. Es werden unglaubliche Dinge möglich, wenn man Zeit und Offenheit mitbringt.
Und Sie haben sich nie gefragt, wie diese Auszeit in Ihren Lebenslauf passt und Ihre beruflichen Perspektiven beeinflusst?
GWENDOLIN WEISSER: Nein. Für mich war es klar, dass nach dem Abitur eine gute Zeit fürs Reisen ist. Und auch meine Eltern hatten da keine grossen Bedenken. Meine Mutter hat fünf Kinder grossgezogen, mein Vater war Landschaftsgärtner und hat mit Anfang vierzig noch auf Lehrer umgeschult. Das war ein mutiger Schritt, diesem Traum zu folgen trotz familiärer Verpflichtungen.
PATRICK ALLGAIER: Ich war dreissig, hatte aber keine Angst, etwas zu verpassen, da ich schon früher gut gefahren war mit unkonventionellen Entscheidungen. Nach der Schule suchte ich keinen Job, sondern ging nach Neuseeland. Als ich wieder einmal bei einem Fremden im Auto mitfuhr, erzählte ich ihm, dass ich später gerne als Kameramann beim Fernsehen arbeiten würde. Es stellte sich heraus, dass der Mann Geschäftsführer einer Film- und TV-Produktionsfirma war; wenige Tage später hatte ich meine erste Praktikumsstelle beim TV. Solche Zufälle habe ich immer wieder erlebt. Wenn du mit Hingabe deinem Weg folgst, kommt immer etwas zurück. Dieses Urvertrauen haben wir beide.
Gabs von Anfang an den Plan, einen Film über Ihre Reise zu realisieren?
GWENDOLIN WEISSER: Nein, überhaupt nicht. Wir teilen einfach die Leidenschaft für das Medium, ich träumte davon, Regisseurin zu werden, Patrick hatte schon Erfahrung mit der Kamera – also nahmen wir sie mit, um einige Eindrücke festzuhalten und nach der Rückkehr etwas zeigen zu können im Rahmen eines Familienfests oder bei lokalen Kulturveranstaltern. Die Kamera gab uns eine Aufgabe und etwas Struktur unterwegs, sie half uns, unsere Eindrücke zu verarbeiten und den Menschen unterwegs Bilder aus anderen Regionen zu zeigen. Aber wir hatten keinerlei Ehrgeiz, besonders schöne Bilder einzufangen oder etwas zu inszenieren.
PATRICK ALLGAIER: Umso überraschter waren wir davon, was nach unserer Rückkehr passierte, welche Resonanz diese privat gedrehten Filmaufnahmen fanden. Wir hätten nicht im Traum daran gedacht, dass daraus der erfolgreichste deutsche Dokumentarfilm des Jahres 2017 werden könnte.
Kontakt und Information:
Teil 2 des Interviews folgt in einer Woche an dieser Stelle.
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Tolle Sache die einem wohl das ganze Leben bleibt und gute Fundamente für die Zukunft sind. Ich habe ähnlich lange Reisen auf gut Glück hinter mir und habe ebenfalls, bis auf kleine Geschichten, nur gute Erlebnisse gehabt bis einem die menschliche moderne in den grossen Städten einholt. Ich wünschte mir das es gesellschaftlich viel mehr Wohlwollen für solche Ideen geben würde die eben genau nicht immer auf ökonomische Benimm-Zwänge hinterfragt werden.Da hat sich zum Nachteil der nachfolgenden Generation viel verändert.
5 Euro pro Tag? Zu zweit? Inkl. Schiffspassagen und Visas? Dazu würde ich gern mehr Infos haben…denn das wäre glatt eine neue Reise-Rekordmarke, zumindest nach meiner Erkenntnis, denn die liegt bislang bei 6.50 (aufgestellt von einem Freund der mit dem Fahrrad in 7 Jahren um die Welt gereist ist). Ansonsten, nix zu meckern, ich bin bloss neidisch, will auch wieder los die Welt entdecken. Reisen auf eigene Art…für mich die schönste Möglichkeit Lebenszeit zu verbringen.
Heute ist das Reisen eine leichte Sache. Alles ist viel mobiler eingestellt und fast alles ist möglich. Und alles wird zur Sensation und Grossereignis hochgejubelt.
Als meine Frau und ich anfang der 70er Jahren mit einem kleinen Camper 2 1/2 Jahre in Asien unterwegs waren und über 30 Länder besucht haben und die ganze Strecke wieder zurück, war das noch eine Pionierleistung. Und die Völker Asiens waren noch nicht von so vielen Touris heimgesucht worden wie heute. Darum waren sie auch weniger versaut. Wir sind den Spuren Alexander des Grossen gefolgt und weiter nach Indien, Sikkim, Sri Lanka.