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Der Finanzchef mit einem Flair für unvernünftige Entscheidungen

Mathias Morgenthaler am Samstag den 25. November 2017
Patric Fuhrimann, Unternehmer mit einem guten Riecher für Superfoods.

Patric Fuhrimann, Unternehmer mit einem guten Riecher für Superfoods.

Der Betriebsökonom Patric Fuhrimann sorgte für solide Buchhaltung bei Non-Profit-Organisationen – bis er auf einer Bolivienreise unverhofft zum Unternehmer wurde. Einige Jahre war der Import von Quinoa und Chia-Samen ein aufwendiges Hobby, doch nun setzt er ganz auf seine Firma Swipala und will sich nie wieder um einen Job bewerben.

Interview: Mathias Morgenthaler

Herr Fuhrimann, Sie sind vermutlich der unvernünftigste Finanzchef der Schweiz. Vor 11 Jahren bereisten Sie mit Ihrer Partnerin Bolivien und liessen sich von den Bauern im Hochland dazu bewegen, ihnen 20 Tonnen Quinoa abzukaufen. Sie bezogen dafür das Geld aus Ihrer Pensionskasse und gründeten die Firma Swipala. Hat sich das Risiko gelohnt?

PATRIC FUHRIMANN: Aus damaliger Sicht war es wirklich eine verrückte Entscheidung. Quinoa, dieses hochwertige getreideähnliche Korn aus den Anden, war in der Schweiz 2006 noch praktisch unbekannt, manche verspotteten es als Vogelfutter. 10 Jahre später führt McDonalds einen Quinoa-Burger im Sortiment und jeder Grossverteiler hat mehrere Varianten in den Regalen. Wir waren der Zeit voraus, deshalb war der Anfang schwierig. Ganz zu schweigen von den praktischen Herausforderungen. Die 20 Tonnen Quinoa aus Bolivien trafen erst nach einer 55-tägigen Reise mit Camion, Schiff und Bahn in der Schweiz ein. Und von unserem Lager, das wir kurzfristig gemietet hatten, war es noch ein langer Weg in die Läden. Es war mit Sicherheit ein grosses Abenteuer, aber war es riskant? Wer in Bolivien mit dem Bus vom Hoch- ins Tiefland fährt, gewinnt ein anderes Risikoverständnis. Wir sind in der Schweiz extrem privilegiert. Da dürfen wir uns schon das eine oder andere unternehmerische Risiko leisten.

In den ersten Jahren war der Quinoa-Import und -Vertrieb eher ein Hobby für Sie, im Hauptberuf waren Sie Finanzchef. Was gab den Ausschlag, dass Sie ganz umstiegen?

Mitte 2012 kündigte ich meine Stelle bei Swissaid – mit der Absicht, nach einer dreimonatigen Tätigkeit als Senn auf einer Alp im Diemtigtal ganz für mein eigenes Unternehmen zu arbeiten. Dann gab es bei Max Havelaar, wo ich im Stiftungsrat war, eine Vakanz und ich half provisorisch als Finanzchef aus. Nach weiteren drei Jahren merkte ich, dass ich mich entscheiden musste zwischen Angestellten-Job und Unternehmertum. So setzte ich Mitte 2015 ganz auf die Karte Swipala. Zu der Zeit gab der Produzent, der für uns die Pasta und das Mehl auf Quinoa-Basis herstellte, seinen Betrieb auf, wodurch sieben unserer Produkte gefährdet waren. Wir wählten die Flucht nach vorne und gründeten mit einem befreundeten Unternehmer eine eigene Produktionsfirma, die es uns erlaubte, selber Produktinnovationen voranzutreiben.

Ist es nicht frustrierend für Kleinunternehmer, erst mühsam einen Markt aufzubauen und dann innert Kürze von den Grossverteilern verdrängt zu werden?

Das sind die Spielregeln des Marktes. Für uns ist es wichtig, einen guten Riecher für hochwertige Produkte aus Entwicklungsländern zu haben und dafür zu sorgen, dass möglichst viele Devisen wirklich in diesen Ländern eine Wertschöpfung erzielen. Bei den Chia-Samen war es extrem. Ich gab unseren Partnern in Bolivien den Auftrag, Guetzli auf Quinoa-Basis zu produzieren. Als ich die ersten davon erhielt, wunderte ich mich über seltsame schwarze Punkte im Gebäck. Auf Nachfrage erfuhr ich, das seien Chia-Samen, ein uraltes, sehr gesundes Lebensmittel aus Mexiko. 2011 importierten wir als Erste Chia-Samen in die Schweiz. Die Nachfrage war anfänglich sehr überschaubar, dann sagte die Schauspielerin Angelina Jolie 2013 in einem Interview, dank Chia fühle sie sich so gut und sei ihre Haut so rein, und 2014 rollte die grosse Chia-Welle über die Schweiz. Chia galt wie Quinoa als Superfood, unsere Absätze stiegen innert Kürze auf das Sechsfache an und stürzten dann nach dem Einstieg der Grossverteiler wieder auf das frühere Level ab. Da wirst du als Kleinunternehmer wie ein Fischerboot von einer grossen Welle hochgehoben und wieder runtergespült.

Welches ist Ihre neuste Entdeckung?

Seit einiger Zeit investiere ich viel Zeit in den Import der afrikanischen Zwerghirse Teff. Ich sah auf BBC einen Beitrag über Teff und wurde neugierig. Teff hat einen enorm hohen Anteil an Eiweiss, Eisen und Magnesium und ist glutenfrei. Die Äthiopischen Wunderläufer ernähren sich von jungen Jahren an davon, schon das allein hat mich als Langstreckenläufer natürlich hellhörig werden lassen. Allerdings ist es eine komplizierte Geschichte, da aktuell noch kein Teff in Bio-Qualität angebaut wird in Äthiopien und die Regierung ein Verbot erlassen hat, dieses wichtige Nahrungsmittel zu exportieren. Aktuell ist nur Teff aus Holland und anderen europäischen Ländern mit starker Landwirtschafts-Subventionierung erhältlich, was aus der Perspektive der Entwicklungszusammenarbeit unbefriedigend ist. Mein Ziel ist, mit 15 lokalen Produzenten in Äthiopien einen zertifizierten Bio-Anbau aufzubauen und einen Teil der vor Ort verarbeiteten Ware in die Schweiz zu importieren. Diese Professionalisierung käme auch der Äthiopischen Bevölkerung zugute.

Nach Bolivien und Mexiko also ein Geschäftszweig in Äthiopien. Wie schaffen Sie sich in solchen Fällen ein neues Netzwerk?

Oft hilft der Zufall mit. Manchmal erhalten wir Mails von Menschen mit Bezug zu den entsprechenden Ländern, die gerne mitarbeiten möchten. Bei Teff war es so, dass ich im «NZZ-Folio» von einer Frau las, die in Äthiopien eine Teff-Produktion aufbauen will. Wir trafen uns in Heidelberg, danach besuchte ich die Produzenten in Äthiopien. Das Ziel ist aber, möglichst wenig zu reisen und den Partnern vor Ort viel Vertrauen zu geben. Wenn ich überborde bei den Spesen, klopft mir unsere Finanzchefin – meine Partnerin – auf die Finger. Ich habe also gute Gründe, da sparsam zu wirtschaften. (Lacht)

Ihre Marke Swipala ist in Bio-Läden und Reformhäusern mit zahlreichen Produkten etabliert. Verdienen Sie heute als Unternehmer ähnlich gut wie zuvor als Finanzchef in Non-Profit-Organisationen?

Nein, der Lohn ist nicht halb so gross – und wenn ich in der Privatwirtschaft anheuern würde, könnte ich sicher das Drei- bis Vierfache verdienen. Aber wäre ich dann glücklicher? Ich habe selber in Grossunternehmen gearbeitet und weiss von einigen Kollegen, die dort ihre Zeit absitzen für einen sehr guten Lohn und weitere Annehmlichkeiten, aber ohne wirklichen Gestaltungs- und Spielraum. Ich brauche weder ein eigenes Auto noch ein Vermögen, sondern ich will etwas Sinnvolles umsetzen können, ohne mir dreinreden zu lassen. Deshalb ist es mein Ziel, mich nie mehr bewerben, nie mehr einen Lebenslauf einreichen und bewerten lassen zu müssen. Wir entscheiden heute alles frei und tragen die Konsequenzen. Darauf kommt es mir an. Manchmal stelle ich mir mein Leben bildhaft als 80-Zentimeter-Messband vor. Ich habe die Hälfte überschritten, die letzten 10 Zentimeter werde ich vermutlich eingeschränkt sein. Angesichts der knappen Zeit orientiere ich mich an den drei Fragen: Was bewegst du mit wem? Welche Emotionen erlebst du? Wie viel lernst du täglich dazu?

Gibt es auch Schattenseiten im Unternehmeralltag?

Man findet keine Sündenböcke, wenn etwas nicht gut läuft – da bleibt nur, sich über sich selber zu ärgern und daraus zu lernen. Das ist eine ganz gute Lebensschule. Eine Herausforderung ist, dass man als Kleinunternehmer relativ viel alleine ist oder primär mit Kunden und Lieferanten zu tun hat. Man muss nicht mehr gegen träge Strukturen kämpfen, hat aber auch keinen Austausch in einem grösseren Team mehr. Deshalb ist es für mich wichtig, mich immer wieder mit anderen Unternehmern zu vernetzen.

Kontakt und Information:

patric.fuhrimann@swipala.com oder www.swipala.com

 

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2 Kommentare zu “Der Finanzchef mit einem Flair für unvernünftige Entscheidungen”

  1. Widmer sagt:

    Ich meine Mal gelesen zu haben, dass sich die Einheimischen Quinoa nicht mehr leisten können wegen des Exportes?
    Ist das nun gut oder schlecht, was Hr. Fuhrimann macht?

  2. Mathias Morgenthaler sagt:

    Es hängt meines Erachtens davon ab, wie viel Wertschöpfung im Produktionsland bleibt und wie stark die Einheimischen von der gestiegenen Nachfrage profitieren. So weit ich informiert bin werden viele der Quinoa-Produkte von Swipala in Bolivien verarbeitet, aber für Details können Sie sich gerne direkt bei Patric Fuhrimann informieren.