Elisabeth Mayer-Hofer begann ihre berufliche Laufbahn als Krankenschwester und bildete sich danach zur Telefon-Seelsorgerin und Gerontologin und schliesslich autodidaktisch zur Glaskünstlerin weiter. Sie staunt immer wieder, wie lebendig ältere Menschen werden, wenn sie den Zugang zu ihrer Kreativität wiederfinden.
Interview: Mathias Morgenthaler
Frau Mayer, wie haben Sie zu Ihrem Beruf gefunden?
ELISABETH MAYER: Ich wusste schon vor Schulbeginn, dass ich Krankenschwester werden wollte. Im Alter von fünf Jahren war ich schwer krank, lebte für mehr als ein Jahr im Spital und in einem Kurhaus, weit weg von meinem Zuhause. Das war eine schwierige, prägende Zeit. Danach war mir klar, dass ich mich später für kranke Menschen einsetzen wollte. Ich arbeitete dann einige Jahre auf dem Beruf, später – nach der Heirat – in der Gemeindepflege und in der Psychiatrie-Praxis meines Mannes und schliesslich in der anonymen Telefonseelsorge.
Ist das nicht seltsam, Menschen in Not am Telefon beizustehen?
Es war eine bewegende und befriedigende Arbeit, wobei am Ende immer die Ungewissheit blieb, was ich damit bewirken konnte. Ich erhielt in dieser Zeit einen Einblick in die tiefe Einsamkeit vieler Menschen, hatte den Eindruck, sie fürchteten sich voreinander, schämten sich für ihre Probleme und vertrauten sich in ihrem Umfeld niemandem an aus Angst vor Bewertung und Abwertung. Wir boten ein offenes Ohr an und bewerten nichts. Mich beschäftigte schon in dieser Zeit das Thema Einsamkeit respektive Sinnfindung im Alter. So nahm ich eine dreijährige Weiterbildung in Gerontologie in Angriff und begann, meine handwerklichen Erfahrungen an ältere Menschen weiterzugeben und mit ihnen zu werken, hauptsächlich mit Blumen und anderen Naturmaterialien und mit Glas. Ich staunte, wie lebendig diese älteren Menschen wurden, wenn sie schöpferisch tätig sein konnten. Und gleichzeitig merkte ich, wie beglückend es für mich war, mit anderen Menschen zusammen kreativ zu sein und mit ihnen den Werkstoff und die Arbeitsweise herauszufinden, die ihnen entsprachen.
Sie wurden selber in den letzten 15 Jahren von der Krankenpflegerin und Mitarbeiterin der Telefon-Seelsorge zur Künstlerin.
Ich sehe mich eher als Handwerkerin denn als Künstlerin, aber ja, ich habe begonnen, mit farbigem Echt-Antikglas zu arbeiten und daraus Kugeln, Bilder, Laternen und Säulen zu gestalten. Ich bin noch immer unsicher, ob das Kunst ist. Lange Zeit war es für mich unvorstellbar, etwas Ausstellungswürdiges zu schaffen. Nun weiss ich dank der vielen schönen Rückmeldungen, dass meine Werke nicht alltäglich sind und dass sie die Betrachter berühren – dieser Erlebniswert ist wichtig für mich. In einem ersten Schritt geht es mir stets um das Eintauchen ins Material, um die Auseinandersetzung mit dem Glas, den Farben, um die innere Notwendigkeit zu gestalten, die nicht auf Beifall abzielt. Aber vollendet wird das Werk erst, wenn andere sich von ihm berühren lassen, wenn es etwas auslöst.
Aktuell sind einige Ihrer Werke im Wohn- und Pflegeheim Schloss Utzigen ausgestellt. Ist es Ihnen besonders wichtig, ältere Menschen zu erreichen mit Ihrer Kunst?
Ich bin überzeugt, dass Kunst und Kreativität zentrale Ressourcen zur Sinnfindung im Alter sind. Im Rahmen meiner Gerontologie-Abschlussarbeit habe ich längere Gespräche mit älteren Menschen geführt. So lernte ich zum Beispiel einen 80-jährigen Mann kennen, der seine Frau mehrmals täglich im Heim besuchte. Er hatte früher Aquarelle gemalt, mit 80 aber seinen Malstil geändert und begonnen, Bach-Fugen durch geometrische Formen und Farben darzustellen. Er liebte die Musik von Bach, aber sein Gehör liess nach, und so malte er diese Bilder in der Hoffnung, auch bei vollständigem Verlust des Hörsinns noch in die Welt der Bach-Fugen eintauchen zu können. Mir wurde in dieser Zeit bewusst, wie wichtig es ist, älteren Menschen über verschiedene Kanäle ein Maximum an Sinneseindrücken zu ermöglichen. Das Schöne wirkt ganz tief ins Innere der Menschen, und wenn sie den Zugang zur Kunst und zu ihrer eigenen Kreativität wiederfinden, werden sie lebendig trotz allen Beeinträchtigungen. In Utzigen wird das gefördert, indem eine aus den Bewohnern zusammengesetzte Kreativgruppe bestimmt, welcher Künstler als nächstes bei ihnen ausstellen darf.
Sie waren die meiste Zeit Ihres Lebens in helfenden Berufen tätig. Was haben Sie gewonnen durch die künstlerische Tätigkeit?
Die Arbeit mit Glas gab mir die Möglichkeit, tief in meine eigene Welt einzutauchen und gleichzeitig viel Neues zu entdecken und mich mit Umbruchsituationen konstruktiv auseinanderzusetzen. Schön ist, dass in der Kunst gerade das, was man ohne Absicht tut, manchmal die grösste Freude bereitet. Da ich das farbige Glas mit einer Zange mehr zerbreche als zerschneide, werden die Kanten unregelmässig schräg. Das führt dazu, dass die Glasobjekte je nach Lichteinfall und Hintergrund ihre Farbe verändern und ein Eigenleben führen. Diese Farbeffekte verzaubern die Betrachter. Ich finde es wunderbar, dass diese Effekte nicht bewusst bewirkt werden können, sondern sich zufällig ergeben.
Verbinden Sie die künstlerische Arbeit und die gerontologische Tätigkeit?
Ich habe punktuell schon mit betagten Menschen gearbeitet und werde es sicher weiterhin tun. Es liegt mir viel daran, Menschen zu ermutigen, sich trotz Einschränkungen kreativ zu betätigen. So hat mich eine Frau, die mit Halbseitenlähmung im Rollstuhl sass, eines Tages gefragt, ob es schwierig sei, ein Glasbild herzustellen – sie würde das gerne versuchen. Ich liess sie die Glasscheiben auswählen, hielt die Scheiben, während sie sie mit der gesunden Hand zerschnitt, worauf sie die Glasscherben auf die Plexiglasscheibe geklebt, gefugt und geputzt hat. Ihre Augen leuchteten am Ende mindestens so sehr wie das fertige Glaswerk und ich war dankbar, ihr diese Freude bereitet zu haben. Die Kunst kann Kanäle öffnen und Menschen im letzten Lebensabschnitt mit einer Quelle verbinden. Das Schöne gibt Hoffnung und Geborgenheit auch in der schmerzhaften letzten Lebensphase. Deshalb ist es so wichtig, dass ältere Menschen nicht auf das Essen, Schlafen und ihre Beeinträchtigungen reduziert werden, sondern dass sich die schöpferische Kraft manchmal auch auf ungewöhnlichen Wegen bis zum Lebensende entfalten kann.
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