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Der Exorzist, der den Mitarbeitern das Denken zurückgeben will

Mathias Morgenthaler am Samstag den 24. Juni 2017
Niels Pfläging begann als Controller und wurde zum Vorkämpfer gegen unsinnige Management-Methoden.

Niels Pfläging begann als Controller und wurde zum Vorkämpfer gegen unsinnige Management-Methoden.

Warum regeln in den meisten Organisationen ein paar Wenige, wie die Mehrheit zu arbeiten hat? Berater und Buchautor Niels Pfläging rät dazu, die klassischen Managementtechniken wie Budgetierung und Zielvereinbarung über Bord zu werfen und statt neuen Methoden ein neues Menschenbild zu etablieren. So könnten die Angestellten im Sinne der Kunden handeln statt zuhanden der Vorgesetzten.

Interview: Mathias Morgenthaler

Herr Pfläging, Sie bezeichnen sich selber als Management-Exorzist. Welche Dämonen treiben Sie aus?

NIELS PFLÄGING: Ich helfe dabei, den bösen Geist der Sozialtechnologie Management an sich auszutreiben. Kaderleute leiden unter ihm ebenso wie normale Angestellte. Management bedeutet nämlich: Unterteilung in eine Gruppe von Denkenden und eine Gruppe von Handelnden. Das ist zu einer teuflisch schlechten Idee geworden, auch wenn sie bis heute fast überall praktiziert wird. Bis in die 1970er-Jahre hinein, in den Massenmärkten des Industriezeitalters, hat Management als Trennung von Denken und Handeln gut und effizient funktioniert. Nun sind wir längst im Wissenszeitalter angekommen, die Wettbewerbsdichte ist hoch, die Komplexität ebenfalls, die Märkte überraschen uns ständig, und standardisierbare Abläufe sind weitaus weniger erfolgsentscheidend als früher. Die Zeiten haben sich geändert. Da ist es fatal, wenn ein paar Wenige regeln, was und wie die Mehrheit zu arbeiten hat.

Und dennoch gibt es heute in Unternehmen mehr Regeln als vor 30 Jahren.

Es gab tatsächlich eine weit verbreitete Fehlreaktion auf die Zeitenwende in den 1970ern. Die Führungskräfte hätten vor 30 Jahren erkennen können, dass ihre Pläne, Steuerungsinstrumente und Vorgaben mehr Probleme schaffen als sie lösen – und sich nach schlauen Alternativen umsehen können. Doch sie entschieden sich mehrheitlich für eine andere Strategie: Sie versuchten, das Gleiche wie bisher zu machen – nur härter. Es wurde also mehr von oben herab gesteuert. Die Planung wurde intensiviert, es wurde noch mehr analysiert, man legte so genannte «Key Performance Indicators», also Schlüsselkennzahlen fest, die angeblich den Unternehmenserfolg abbilden und sicherstellen konnten. Ziel- und Leistungsvereinbarungen wurden bonusrelevant. In den 1990ern hatte dann «Shareholder Value» Hochkonjunktur, also die enge Ausrichtung auf Eigentümerinteressen. All dieser Steuerungsmist zeigt, wie sehr Manager weiterhin der Illusion huldigten, wenn man genug messe, plane und bewerte, könne die Organisation auch in unsicheren Zeiten gut gesteuert werden. Doch diese Anstrengungen änderten nichts am Grundfehler, dass die Sozialtechnologie Management in Komplexität grundsätzlich versagt, dass sie also dringend auf die Müllhalde der Geschichte gehört.

Was schlagen Sie als Alternative vor, wenn Management abgeschafft werden soll?

Der Bestseller-Autor empfiehlt, die Macht vom Zentrum an die Peripherie zu verlagern.

Der Bestseller-Autor empfiehlt, die Macht vom Zentrum an die Peripherie zu verlagern.

Organisationen fahren besser, wenn sie die Trennung in Denkende und Handelnde überwinden – wenn sie einerseits das Steuerungsinstrumentarium wie Budgets, Bonussysteme, Zielvereinbarungen und Mitarbeitergespräche entsorgen, und andererseits auf Matrix-Strukturen, Gremien und Zentralisierung von Entscheidungen verzichten. Die Alternative zur Zentralisierung und all den Steuerungsritualen, die alle Angestellten enorm ermüden, lautet Dezentralisierung von Entscheidung und Verantwortungen weg vom Zentrum unserer Organisationen und hin zu Teams in der Peripherie. Konkret: Die Teams, die mit Kunden und den täglich wechselnden Herausforderungen am Markt zu tun haben, sollten eigenständig denken und handeln dürfen und nicht darauf warten müssen, was ein Manager oder ein Gremium empfiehlt oder erlaubt. Mit Anarchie oder Basisdemokratie hat das nichts zu tun – im Gegenteil. Oft sind heute die Leute, die einen guten Job machen möchten, ja im Dilemma, ob sie im Sinne des Kunden handeln oder doch den Chef zufriedenstellen sollen. In der Finanzbranche hat sich eindrücklich gezeigt, dass zentrale Steuerung eigentlich immer zu Fehlsteuerung führt.

Und was würde Ihre Unterscheidung in Zentrum und Peripherie statt in oben und unten verbessern?

Wir können das ganz konkret am Beispiel von Handelsbanken ablesen, der schwedischen Bank, die seit unglaublichen 45 Jahren Europas erfolgreichste ist. Dort gibt es weder Jahresbudgets, noch ausgehandelte Zielvorgaben, noch Boni – weder Produktmanager noch eine Marketingabteilung. Und nur drei Hierarchieebenen. Dafür jede Menge motivierte und mitdenkende Angestellte, die im Erfolgsfall alle den gleichen Anteil am Unternehmensüberschuss erhalten – ausbezahlt wird dieses Geld nach der Pensionierung. Der wichtigste Wert bei Handelsbanken ist nicht der Bonus, sondern das Prinzip von Dezentralisierung und Eigenverantwortung, was auch den Kunden zugute kommt. Diese sitzen dank der starken Dezentralisierung nämlich Beratern gegenüber, die selber entscheiden können. Knapp ausgedrückt: Die Filialen sind in diesem Unternehmen die Bank, die Zentrale ist Dienstleisterin. Andere Unternehmen wie Southwest Airlines, Toyota oder W.L. Gore sind mit ganz ähnlichen Ansätzen erfolgreich.

Zentrale Steuerung abschaffen und kleine Teams schaffen, die selber entscheiden – ist das Erfolgsrezept wirklich so einfach?

Ich weiss, das klingt sehr einfach – und das ist es auch. Es gibt aber eine Hürde: Die Transformation gelingt nur, wenn sich alle Beteiligten auf ein bestimmtes Menschenbild einigen. Die heute gebräuchlichen Managementmethoden bauen alle auf die Prämisse auf, dass die meisten Mitarbeiter faule Trottel sind, die klare Anweisungen und enge Überwachung brauchen. Organisationen, die ihre Teams selber denken und handeln lassen, vertrauen hingegen darauf, dass Menschen intrinsisch motiviert sind, also von sich aus gute Arbeit abliefern und gemeinsam erfolgreich werden wollen. Dieses Menschenbild ist die geheime Zutat zum Erfolg bei Handelsbanken und Co. Denn angesichts der rasch wachsenden Komplexität inklusive aller Unsicherheiten ist es eminent wichtig, den Mitarbeitern das Denken zurückzugeben. Nur wenn wir Peripherie wieder an die Macht bringen, werden Organisationen agil und beweglich am Markt.

Dazu müssten allerdings jene den Anstoss geben, die sich in hohe Positionen emporgearbeitet haben und die Macht monopolisieren.

Ich bin als Berater und Business-Vordenker mit sehr vielen Managern im Austausch und gewinne aus all diesen Gesprächen nicht den Eindruck, dass sie sich sehr mächtig fühlen. Es gibt jene, die an der Macht hängen, aber das ist die Ausnahme, nicht die Regel. Die meisten Manager glauben selber nicht mehr recht an die Kontrollillusion, sie fühlen sich wie im Hamsterrad. Die Macht liegt heute beim Markt, nicht beim Manager, und darin liegt auch eine Entlastung: Es braucht nicht mehr den perfekten Manager, sondern perfekte Teams und geeignete Konstellationen, die es erlauben, rasch auf Kundenanliegen zu reagieren. Der einzelne Angestellte erhält dadurch mehr Spielraum, steht aber gegenüber dem Kunden und innerhalb des Teams auch stärker in der Verantwortung.

Wie wurden Sie vom Volkswirtschafter und Controller zum Kämpfer gegen überholte Managementmethoden?

Ich habe lange genug als Controller gearbeitet um herauszufinden, was für einen Verschwendung wir da produzieren und wie sehr Management die Menschen vom Arbeiten abhält und alle dazu einlädt, die Zahlen zu schönen. Wir haben gelernt, Leistung nur vorzutäuschen, statt an Wertschöpfung zu arbeiten. Deshalb kämpfe ich nun seit 14 Jahren für die Renaissance der Unternehmensführung – und die Abschaffung von Budgets und zentraler Steuerung. Zu Beginn wurde ich oft dafür angefeindet, inzwischen erhalte sind wohlwollende Reaktionen und Einladungen zum Austausch die Regel. Aber ich gebe zu: Als ich erstmals von Handelsbanken und der «Beyond Budgeting»-Bewegung hörte, dachte auch ich, das sei vollkommen verrückt und unrealistisch. Dann vertiefte ich mich in Wissenschaften wie Psychologie, Soziologie, Philosophie und auch Geschichte und kam zum Schluss, dass wir tatsächlich nicht mehr Steuerung brauchen, sondern ein besseres Bewusstsein für die Physik der Organisation und eine andere Sprache für Zusammenarbeit und Leistungsentstehung.

Als Co-Autor des Büchleins «Komplexithoden» boten Sie Werkzeuge zur Bewältigung komplexer Fragestellungen an. Wird ein Unternehmensberater ernst genommen, wenn er mit bunten Zeichnungen argumentiert?

Dieses kompakte Büchlein wurde rasch zum Bestseller – offenbar sind meine Co-Autorin Silke Hermann und ich nicht die Einzigen, die das klassische, textlastige Businessbuch unfassbar langweilig finden. Aber es ist gut, dass Sie die Ernsthaftigkeit ansprechen: Ich finde eben gerade nicht, dass das Wichtige so furchtbar ernst, trocken und bieder dargeboten werden muss, wie es die meisten Management-Ratgeber machen. Unternehmen sind die grössten Spielplätze und Experimentierfelder der Welt, also sollten wir uns der Materie Unternehmensführung mit lustvoll-kritischer Distanz und Freude an der cleveren Zuspitzung nähern. Sehr ernst ist es mir allerdings mit der Überzeugung, dass es viele Managementdisziplinen nicht mehr braucht. Risikomanagement, Qualitätsmanagement, Personalmanagement, Vertriebsmanagement – das ist alles institutionalisierte Hinderung am Nachdenken. Was es davon braucht, das können Teams in der Peripherie bestens selber erledigen.

Kontakt und Information:

[email protected] oder www.nielspflaeging.com

Literatur: Niels Pflaeging/Silke Hermann: Komplexithoden. Clevere Wege zur (Wieder-)Belebung von Unternehmen und Arbeit in Komplexität. Redline Verlag 2015.

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2 Kommentare zu “Der Exorzist, der den Mitarbeitern das Denken zurückgeben will”

  1. hans meier sagt:

    intrinsische motivation: darin liegt die naïvität und damit der scheiterpunkt der idee. ein guter teamlead ist nachwievor ein vertrauenswürdiger kollege der seine authorität verdient hat. und von denen trifft man in der ganzen karriere ein-zwei maximal.

  2. Corno Carlo sagt:

    ist das jetzt die Überwindung des Kapitalismus – oder nur eine Vorstufe davon? Und wer garantiert, dass in der Firma nun unternehmerisch gedacht wird? Ein gewagtes Experiment mit dem RAV (oder vergleichbares) als Rettungsnetz. Vielleicht hören wir in ein paar Monaten wieder davon.