Seine Kunstfiguren zierten Postkarten, Wasserflaschen, Swatch-Uhren und Event-Plakate. Doch im Moment des grössten Erfolgs erfand sich Matthias Winkler neu. Heute unterstützt er mit dem Musiker Daniel Küffer Unternehmen dabei, die richtigen Fragen zu stellen und Themen emotional aufzuladen. Und abends malt er blühende Blumenwiesen.
Interview: Mathias Morgenthaler
Herr Winkler, Sie wurden vom Kindergärtner zum Künstler und sind heute hauptsächlich als Unternehmensberater tätig. Ist das ein Aufstieg oder haben Sie Ihre Seele verkauft?
MATTHIAS WINKLER: Ich bin kein Unternehmensberater, sondern ein Künstler, der zum Werkzeug geworden ist. Wenn ich mit dem Musiker Daniel Küffer für Unternehmen tätig bin, dann geht es stets darum, ein Sachthema emotional aufzuladen mit den Mitteln der Kunst. Normalerweise gilt in Unternehmen ja: Je wichtiger ein Thema, desto trockener die Vermittlung. Da versammeln Chefs ihre Angestellten in einem Raum, vorne werden die Computer hochgefahren und Power-Point-Präsentationen abgefeuert, bei den Teilnehmern werden die Gehirne runtergefahren und die Emotionen ausgeschaltet. Wenn stattdessen Musik erklingt und jemand live auf der Bühne etwas malt, dann werden die Anwesenden neugierig und öffnen alle Kanäle. So gelingt es uns, Menschen in wenigen Minuten auf ein wichtiges Thema einzustimmen.
Welche Kunden machen sich das zunutze?
Der Detailhändler, der seine Angestellten für mehr Freundlichkeit im Umgang mit Kunden sensibilisieren will; die genossenschaftlich organisierte Bank, die über Geschäftsmodelle der Zukunft nachdenkt; der Industriebetrieb, der alle weltweit verstreuten Verkäufer an den Hauptsitz holt und über eine neue Rundschleifmaschine ins Bild setzt; ein Berner Anwaltsbüro, das im Tessin eine neue Filiale eröffnet und die Firmenkultur vermitteln will; ein Wirtschaftsverband, der an der Generalversammlung sein Leitbild erlebbar machen will; wir haben schon neue Spitalzentren eingeweiht, aber auch das Jubiläum eines Bestattungsinstituts begleitet oder einen Anlass am europäischen Kernforschungszentrum CERN gestaltet.
Da kann man wirklich vom instrumentalisierten Künstler sprechen. Was reizt Sie an dieser Arbeit?
Ich finde es extrem spannend, mich als Laie in ein neues Gebiet vorzuwagen und dort die elementaren Fragen zu stellen und diese sinnlich erfahrbar zu machen. Wir leben ja in einer Welt der Spezialisten, die pausenlos aktiv sind, um hier und dort Dinge zu optimieren. Gerade die Entscheidungsträger sind extrem eng getaktet, wenn man Glück hat, finden sie irgendwo noch ein 10-Minuten-Zeitfenster. Umgekehrt verbringen sie manchmal vier oder fünf Stunden am Stück in einem engen Sitzungszimmer und hoffen, da komme am Ende etwas Gescheites heraus. Unsere Aufgabe als Künstler ist es, Gewohnheiten aufzubrechen, neue Denkräume zu öffnen, die zu grösserem Handlungsspielraum führen. Handlungsspielraum – das ist derzeit mein Lieblingswort. Ein schöner Gegenpol zu all den Sachzwängen, die den Alltag vieler Leute prägen.
Stimmt es, dass Sie auch für den Eishockey-Klub SC Bern künstlerisch tätig sind?
Ja, ich durfte gemeinsam mit der Geschäftsleitung 3 Leitsätze gestalten, die mithelfen, alle Akteure auf und neben dem Eis auf einen gemeinsamen Geist und ein Ziel einzuschwören. Nach jeder Saison kreiere ich eine künstlerische Jahresbilanz, zudem malte ich für jeden Spieler ein persönliches Motivationsbild. Für Sportler ist es nichts Neues, ihre Ziele zu visualisieren, nun merken auch immer mehr Führungskräfte, wie viel sich verändert, wenn man ein gemeinsames Bild verinnerlicht hat und auf die gleiche Tonlage gestimmt ist.
Und wo bleibt da die künstlerische Freiheit?
Ich fühle mich als Künstler total frei. Ich bin nie dem Geld hinterhergerannt, habe es nie darauf angelegt, in prestigeträchtigen Museen oder Galerien auszustellen oder an der Art Basel vertreten zu sein. Ich gehe mit offenen Augen durch die Welt, interessiere mich für das, was andere Menschen tun, und für Freiräume, wo ein neues Zusammenspiel möglich wird. Und wissen Sie, was das Befreiendste überhaupt ist? Dinge loszulassen und in etwas komplett Neues einzutauchen. Man wird ja leicht zum Gefangenen seines Erfolgs, und ist dann dazu verdammt, immer wieder das Gleiche zu tun.
Sprechen Sie aus Erfahrung?
Ja. Ich bin bekannt geworden als der rebellische Künstler, der Dinge bemalt, Kunstkarten, T-Shirts, Wasserflaschen, Uhren, alles Mögliche. 2011, als der Umsatz mit eigenen Produkten gerade seinen Höhepunkt erreicht hatte und wir 1,3 Millionen Kunstkarten produzierten, entschlossen sich meine Frau und ich, die Aktivität der eigenen Kunstprodukte-Kollektion auslaufen zu lassen. Das gab einer neuen Herzensangelegenheit Platz: ich begann, Blumen zu malen. Am Anfang war es mehr eine Spielart der Langeweile. Ich wollte ein Blatt prägen und dachte: Jetzt pflege ich noch meinen inneren Garten. Jeder hat ja seinen Ort, sein Stück Land, wo er gut handeln und aufblühen kann. Also zeichnete ich mit Lupe und Bleistift Blumen in einen Kreis, kolorierte sie später mit Aquarellfarbe, ohne zu wissen, was das soll. Die ersten zwei Jahre erfuhr kein Mensch davon, dann hörte ich auf, die Bilder zu verstecken. Eine Kundin war so berührt vom Anblick meiner blühenden Blumenwiese, dass sie mir das Bild unbedingt abkaufen wollte; und kürzlich hat ein Kunstsammler gar vier Blumen-Werke bestellt. Auch hier haben sich durch eine schwer erklärbare Leidenschaft neue Verbindungen ergeben.
Vor einigen Jahren sagten Sie, ausser der Gestaltung einer Briefmarke hätten Sie alle Ziele erreicht, die Sie sich in jungen Jahren gesteckt hatten. Träumen Sie noch von der eigenen Briefmarke oder vielleicht der Gestaltung einer Banknote?
Nein, das ist kein Thema mehr. Briefmarken sind ein Auslaufmodell, und seit ich öfter für Banken arbeite, bin ich mir bewusst, wie explosiv das Medium Geld ist. Man kann Gutes tun damit, es ist aber auch eine zerstörerische Kraft. Mir steht die Banknote zu sehr für Status, Sicherheit, technische Auflagen, als dass ich da künstlerische Ambitionen hätte. Heute träume ich eher davon, dass die wichtigsten Dinge in unserem Leben nichts mit Geld zu tun haben. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich mir vielleicht wünschen, einmal mit Barak Obama oder Kofi Annan auftreten zu dürfen und deren Anliegen in Bilder und Klänge zu transformieren. Aber oft werde ich dann am tiefsten berührt, wenn ich es am wenigsten erwarte, nicht im Kreis der klingenden Namen. Die erwähnte Jubiläumsfeier für das Bestattungsinstitut war so ein Moment. Oder neulich, als ich am Psychiatriekongress in Interlaken einen Affenforscher reden hörte. Die Worte und die Präsenz dieses weisen Mannes rührten mich zu Tränen. Und solche Momente sind mehr wert als jeder noch so prominente Name.
Das klingt jetzt sehr besinnlich für einen, der sich einmal als fröhlichen «Popsongschreiber mit dem Pinsel» bezeichnet hat.
Es gibt neben der Frohnatur auch die verletzliche Seite, die Zweifel, ob ich mit meinen Zeichnungen etwas Zählbares beisteuern kann, ob ich als Laie das Wesentliche erfasse. Deswegen male ich wohl jeden Abend meine Blumen. Wenn ich vor meiner Wiese sitze, habe ich die heile Welt vor mir, das beruhigt ungemein. Mein Vater sagt manchmal, er sei schon neugierig, was daraus entstehe – als wäre das eine Übergangsphase oder der Ausdruck einer Schaffenskrise. Ich sehe es ganz anders: in meinen traumhaften Blumengärten bin ich Zuhause und da gibt es nichts, was für mich vollkommener wäre.
Kontakt und Information:
matthias@zusammenspiel.ch oder www.zusammenspiel.ch
Super!