Teilzeitpensen sind in Chefetagen eine Rarität. Jacqueline Scheuner teilt sich die Geschäftsführung in der Personalberatung Careerplus mit einer jüngeren Kollegin. Die Mutter zweier Töchter setzt sich dafür ein, dass mehr Männer ihr Pensum reduzieren; und sie fordert Frauen auf, zu Hause weniger perfektionistisch zu sein.
Interview: Mathias Morgenthaler
Frau Scheuner, Sie sind Geschäftsführerin eines rasch wachsenden Personalvermittlungsunternehmens und Mutter zweier Töchter. Waren die Managerin und die Mutter nie im Clinch?
JACQUELINE SCHEUNER: Ich hatte nie das Gefühl, mich zwischen einer anspruchsvollen beruflichen Tätigkeit und der Familiengründung entscheiden zu müssen. Das hängt vermutlich auch damit zusammen, dass ich nie weniger als 80 Prozent gearbeitet habe. Als ich mit meiner ersten Tochter schwanger war, dachte ich, eine 60-Prozent-Stelle wäre ideal. Doch dann merkte ich, dass für mich drei Tage nicht ausreichen, um bei der Arbeit im Fluss zu sein und etwas zu bewegen. Nach fünf Monaten Mutterschaftsurlaub übernahm ich 2005 die Geschäftsführung bei Careerplus. In Bern haben wir das Team von 4 auf 40 Mitarbeiter ausgebaut in den letzten zwölf Jahren, insgesamt erarbeiten wir mit 130 Angestellten rund 30 Millionen Franken Umsatz.
Sie sind als Frau mit Teilzeitpensum in doppelter Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung – die meisten Geschäftsleitungen werden von Männern mit Vollzeitpensum geprägt. Ist es Ihnen wichtig, daran etwas zu ändern?
Ja, das ist ein wichtiges Anliegen für mich. Bei uns arbeiten auch die meisten Männer Teilzeit – ich wirke gezielt darauf hin, indem ich mit Mitarbeitern, die eine Familie gründen, das Gespräch suche und sie für Teilzeitarbeit sensibilisiere. Auch die Unternehmenskultur ist darauf ausgerichtet. Am Mittwoch finden bei uns keine wichtigen Sitzungen oder Absprachen statt, weil dann viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Hause bei ihren Kindern sind. Es gibt in meinen Augen kaum eine wichtigere Frauen-, oder besser: Gesellschaftsförderungsmassnahme, als wenn Väter vermehrt Teilzeit arbeiten. 90 Prozent der Männer möchten das grundsätzlich, aber nur 16 Prozent tun es. Bei der Geburt des ersten Kindes stellen sich die Weichen. Derzeit arbeiten danach nur 20 Prozent der Mütter, aber 90 Prozent der Väter Vollzeit. Dabei wäre es für beide Geschlechter ein grosser Gewinn, zu Hause und im Beruf echte Verantwortung zu übernehmen.
Wie haben Sie sich konkret organisiert?
Mein Partner hat vorübergehend auf 60 Prozent reduziert und danach 80 Prozent gearbeitet wie ich. Unsere Kinder waren teilweise in der Krippe, teilweise von meiner Mutter betreut, je einen Tag von uns Eltern. Und ich war sehr diszipliniert darin, am Abend früh zu Hause zu sein für den täglichen Kontakt. Wichtig ist nicht nur die Bereitschaft des Mannes, Verantwortung zu übernehmen in Haushalt und Erziehung, sondern auch jene der Frau, Kontrolle abzugeben. Manche Frauen können schlecht loslassen und machen es dem Mann und sich selber schwer mit übertriebenem Perfektionismus. Mir fiel es auch schwer, da Abstriche zu machen, aber ich habe gelernt, Kontrolle abzugeben, was mir auch beruflich sehr zugutegekommen ist. Auch in der Führung ist es wichtig, den Mitarbeitern Freiräume zu geben, sie in vielem eigenverantwortlich handeln zu lassen. Die meisten Führungskräfte schreiben das zwar ins Leitbild, erhöhen aber gleichzeitig die Reglementierungs- und Kontrolldichte.
Sie arbeiten nicht nur Teilzeit, sondern teilen sich seit letztem Sommer mit Jobsharing-Partnerin Jana Jutzi die Geschäftsführung. Was hat Sie dazu bewogen?
Die Arbeitswelt wurde zu lange von männlichen, pausenlos anwesenden Führungskräften geprägt. Es ist höchste Zeit, Führung weniger stark zu personifizieren, wichtige Entscheidungen weniger von einzelnen dominanten Figuren abhängig zu machen. Ich verstehe Führung als eine Rolle, die man temporär übernimmt. Meine Job-Sharing-Partnerin ist zehn Jahre jünger als ich, sie bringt andere Perspektiven ein und wird die Aufgabe vielleicht eines Tages ganz übernehmen. Dadurch, dass wir beide zu 80 Prozent tätig sind und neben der Geschäftsführung noch andere Aufgaben übernehmen, können wir flexibler auf Belastungsspitzen reagieren. Derzeit ist Jana Jutzi im Mutterschaftsurlaub, was dank der Job-Sharing-Lösung kein Problem ist für das Unternehmen. Zudem war es uns wichtig, vom weit verbreiteten Anwesenheitsdenken wegzukommen. Zwölf-Stunden-Tage im Büro sind für Mütter weder machbar noch erstrebenswert. Da braucht es mehr Flexibilität in der Arbeitseinteilung – was übrigens auch den Männern zugutekommt.
Aber eine doppelt besetzte Geschäftsführung mit zwei 80-Prozent-Pensen ist ein Luxus.
Auf den ersten Blick vielleicht, bei genauerem Hinsehen relativiert sich das. Wir sparen durch die Co-Geschäftsführung nicht nur externe Beratungskosten, sondern minimieren auch Risiken und gewinnen vor allem Kapazität für wichtige strategische Projekte und unternehmerische Überlegungen. Zudem sind wir als Firma sehr schlank aufgestellt, die meisten Mitarbeiter arbeiten operativ, es gibt wenig Führungskräfte, aber viele, die sich zuständig fühlen und Verantwortung übernehmen. Wichtig ist für mich, dass wir über Grundwerte führen und nicht über Hierarchie und Kontrolle. Dann muss auch nicht alles reglementiert und hierarchisch entschieden werden. Das setzt bei Mitarbeitenden enorme Energien frei.
Ihr Kerngeschäft, die Personalvermittlung, ist stark durch die Digitalisierung bedroht. Den Abgleich zwischen offenen Stellen und geeigneten Kandidaten leisten Computer schon heute schneller als die beste Personalberaterin.
Es stimmt, dass der technologische Fortschritt radikale Veränderungen bringt. Künstliche Intelligenz verarbeitet grosse Datenmengen effizienter als das menschliche Gehirn, entsprechend braucht es weniger Leute im Massengeschäft. Ich halte es für einen Segen, dass wir repetitive administrative Arbeiten an Algorithmen delegieren und das Potenzial der Mitarbeitenden besser nutzen können. Ein zweiter Megatrend ist die demografische Entwicklung: Der Nachschub an qualifizierten Arbeitskräften wird aufgrund der alternden Gesellschaft knapp. Umso wichtiger wird es sein, die Unternehmen und Kandidaten persönlich zu begleiten und sicherzustellen, dass die Persönlichkeit des Stellensuchenden und die Kultur des Unternehmens zusammenpassen. Diese Kernaufgabe kann kaum durch Algorithmen übernommen werden.
In der Praxis werden doch meistens Leute gesucht, die eine bestimmte Tätigkeit schon in den letzten fünf Jahren ausgeübt haben.
Ein Effekt der Automatisierung in unserer Branche ist, dass es Quereinsteiger und Kandidaten mit buntem Lebenslauf noch schwerer haben als zuvor, weil der Computer einfach Berufserfahrung und Anforderungsprofil abgleicht. Vielversprechender wäre die Haltung: «Hire for attitude and train for skills!» Wenn die Grundhaltung und die Einstellung stimmen, werden die Fertigkeiten leicht erlernt. Deswegen nimmt die Bedeutung der persönlichen Beratung zu. Es ist wichtig, dass wir uns mit guten Argumenten für interessante Kandidatenprofile einsetzen bei unseren Kunden und so echte Wertschöpfung ermöglichen. Aber wir fokussieren nicht nur auf die Personalberatung, sondern diversifizieren unser Geschäft: Hier in Bern haben wir mit Qualis Vita eine private Spitex-Unternehmung lanciert, und zurzeit machen wir uns Gedanken über Kundenbedürfnisse im Bereich der Kinderbetreuung.
Kontakt: j.scheuner@careerplus.ch oder www.careerplus.ch