Beruf + Berufung ist umgezogen. Neu finden Sie die wöchentlich erscheinenden Interviews hier. Viel Lesevergnügen!
Logo

«Das Leben ist keine Prüfung, sondern eine Entdeckungsreise»

Mathias Morgenthaler am Samstag den 11. Februar 2017
Jean-Philippe Hagmann, Innovationsberater und Innopunk.

Jean-Philippe Hagmann, Innovationsberater und Innopunk. Foto: Christoph Küenzi

Nichts schreiben sich Unternehmen lieber auf die Flagge als Innovationskraft – und mit kaum etwas tun sie sich schwerer als mit innovativen Köpfen. Bei Jean-Philippe Hagmann zieht sich die Lust auf Veränderung wie ein roter Faden durchs Leben. Sein Antrieb ist nicht die Expertise, sondern die Neugier aufs Unbekannte.

Interview: Mathias Morgenthaler

Herr Hagmann, Sie bezeichnen es als Ihre grosse Leidenschaft, den Status quo zu hinterfragen. Ist das nicht furchtbar anstrengend?

Nein, es ist vor allem furchtbar spannend! Das Leben ist in meinen Augen eine Entdeckungsreise, keine Prüfung. Ich gehöre nicht zu jenen, die dort verharren, wo sie sich auskennen, sondern ich liebe es, Neues auszuprobieren. Falsche Entscheidungen zu treffen, ist nicht schlimm, schlimm ist es, diese als unumkehrbar zu betrachten. Sie kennen vielleicht den Spruch: «Alle sagten: Das geht nicht. Dann kam einer, der wusste das nicht, und hats gemacht.» Das trifft mich ganz gut.

Haben Sie schon immer so funktioniert?

Ich habe mich schon als Kind immer für Spielsachen interessiert, die man sehr verschieden verwenden kann. Diese Transformer-Spielfiguren, die sich von einem Auto in einen Roboter verwandeln liessen, haben mich sehr fasziniert. Und mit Lego habe ich nicht primär nach Anleitung gebaut, sondern eigene Varianten entwickelt. In der Schule war ich bald darauf spezialisiert, auf Lehrerfragen Antworten zu geben, die inklusive Lehrer niemand erwartet hatte. Bei anderen Lehrern hätte es dafür wohl Strafen abgesetzt, meine Lehrer akzeptierten das, manche belohnten es sogar mit Bonusnoten. Ich war als Exot und Provokateur akzeptiert – so perfektionierte ich diese Rolle.

Dann haben Sie aber ganz ordentlich ein Maschinenbau-Studium an der ETH in Angriff genommen.

Das war ein Bauchentscheid; ich hatte Lust, mir eine solide Grundlage zu schaffen für meinen Erfindergeist. Das Studium war dann allerdings so trocken, dass ich nach 2 Jahren abbrach und danach Industrial Design studierte. Das passte perfekt, denn im Produktdesign darf man alles infrage stellen und anders denken, sogar die Aufgabenstellung. Im Rahmen meiner Bachelorarbeit entwickelte ich einen höhenverstellbaren Karton-Schultisch, den die Kinder selber zusammensetzen können, und stürzte mich damit in das Abenteuer Selbstständigkeit. Nach einiger Zeit verkaufte ich das Produkt und arbeitete danach für die Firma Denkmotor, die auf Ideenentwicklung spezialisiert ist.

Auch dort haben Sie den Status quo bald infrage gestellt…

Es war eine sehr lehrreiche, interessante Zeit. Aber ich merkte auch, dass es den meisten Firmen nicht primär an Ideen mangelt, sondern dass die Ideen zu oft auf der Strecke bleiben im Tagesgeschäft. Deshalb wollte ich in einem Unternehmen in diesem Bereich Verantwortung übernehmen – in einer Branche, die nicht für ihre Innovationskraft bekannt war. So kam ich als Innovationsmanager zur BKW. Ich genoss überraschend viele Freiheiten, konnte die Innovation abteilungsübergreifend voranbringen und nach einem Jahr die Leitung der Marketingkommunikation übernehmen. Und doch gab es viele Barrieren, viele Reportings, viele Dienstwege, auf die Rücksicht genommen werden musste. So entschloss ich mich, als Innovationsberater erneut den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen.

Und damit es Ihnen garantiert nicht langweilig wird, haben Sie die Firma Innopunk mit Ihrer Frau gegründet und gleich noch den Lebensmittelpunkt von Bern nach London verlegt.

Genau – es gibt ja genug Berater, die sich nie an die eigenen Ratschläge halten. Wir sagten uns: Es kann nicht schaden, die Komfortzone gleich richtig zu verlassen und ohne dreifache Absicherung etwas zu wagen, sprich: nach London auszuwandern. Die Aufträge kamen aber hauptsächlich aus der Schweiz, weshalb wir nach 9 Monaten im September 2016 wieder hierher zurückkehrten.

Und nun leben Sie in Zürich als Innopunks. Warum Punk?

Punk symbolisiert für uns, dass wir den Mainstream nicht akzeptieren müssen, uns aber nicht mit Kritik zufriedengeben, sondern andere, auch provokative Lösungen suchen. Ich begleite Firmen, halte Referate, schreibe momentan ein Buch und gebe Seminare rund um das Thema Innovation.

Der Begriff hat gerade sehr Konjunktur. Alles und alle sind innovativ.

Ja, es ist ein sehr strapazierter Begriff. Jede Firma, die ihre Wände bunt bemalt, Begegnungszonen schafft, ein Brainstorming durchführt oder ein Reisli ins Silicon Valley organisiert, verbucht das unter Innovation. Ich halte solch isolierte Aktionen eher für Innovationstheater. Wichtig ist mir, dass Innovation nicht mit guten Ideen verwechselt wird. Innovation gelingt nur, wenn in einer ersten Phase, der Entdeckungsphase, die Probleme sorgfältig analysiert und viele Lösungen ausgetestet werden. Dann darf nicht direkt die Umsetzungsphase folgen, sondern zuvor braucht es eine Transferphase, in der die Innovation erklärt und verständlich gemacht wird. Nur so erreicht man die erforderliche Akzeptanz. Generell scheint mir wichtig, dass Innovation nicht in Randstunden neben dem Tagesgeschäft gelingen kann. Es braucht dafür Leute, die sich befreit von den Alltagspflichten damit auseinandersetzen können, was wir übermorgen brauchen.

Das klingt recht utopisch. Ist es nicht realistischer, dass sich Unternehmen die Innovation vermehrt von aussen ins Haus holen – etwa in der Kooperation mit Impact Hubs oder spezialisierten Firmen wie Quo?

Produktideen oder -entwicklungen kann man einkaufen, keine Frage. Echte, anhaltende Innovation braucht aber einen Nährboden im Unternehmen, sonst gelingt die Integration nicht. Das heisst zum Beispiel, dass Unternehmen Querdenker und Innovatoren ebenso fördern und honorieren müssten wie jene, welche die nächsten Quartalsergebnisse optimieren. Es gibt auch in der Schweiz Beispiele, die zeigen, dass Innovation in grossen Unternehmen möglich ist. Die Post etwa experimentiert mit Lieferrobotern, Drohnen und selbstgesteuerten Postautos, Postfinance hat ein Start-up ausgegliedert, um die mobile Bezahllösung Twint zu realisieren, und die UBS hat den Thinktank UBS Y lanciert, um die Zukunft der Vermögensverwaltung zu erforschen. Dort arbeiten keine alten Hasen, sondern junge Quereinsteiger. Viele erfolgreiche Firmen verlassen sich aber noch zu stark auf jene Produkte, die heute Geld einbringen, statt auch das Morgen und Übermorgen zu erkunden.

Information und Kontakt:

www.innopunk.com oder jeanphilippe@innopunk.com

« Zur Übersicht

2 Kommentare zu “«Das Leben ist keine Prüfung, sondern eine Entdeckungsreise»”

  1. Rolf Rothacher sagt:

    Habe ich richtige gelesen? Als Innovationsmanager zur BKW gelangt, wenig später die Marketingkommunikation übernommen (was hat das mit Innovation zu tun?) und nach kurzer Zeit den Bettel hingeworfen, weil wohl keine Innovationen möglich waren? Und nun berät er Unternehmen, wie man Innovation richtig vorantreibt?
    Scheint ein guter Verkäufer zu sein. Hut ab.

  2. Guy Hüsler sagt:

    @Rolf Rothacher: Nein, er ist kein Verkäufer. Habe mit Hagmann bei der BKW zusammengearbeitet und er hat abteilungsübergreifend ein Innovations-Think-Tank aufgebaut. Also Hut ab für seine Innovationsarbeit.