Als Jugendlicher interessierte er sich für Spezialeffekte in Filmen, als Student für die Funktionsweise unseres Nervensystems. Als Unternehmer entwickelte Tej Tadi schliesslich ein Produkt an der Schnittstelle zwischen Neurologie und Virtual Reality, das die Therapie von Schlaganfall-Patienten beschleunigt. Gestern Abend wurde der 35-jährige Chef des Lausanner Start-ups Mindmaze von EY (Ernst & Young) zum Unternehmer des Jahres gekürt.
Interview: Mathias Morgenthaler
Herr Tadi, Ihre Firma Mindmaze ist gut vier Jahre nach der Gründung schon über eine Milliarde Dollar wert. Kann man bei einer solchen Entwicklung alles im Griff haben?
TEJ TADI: Nein. Das Tempo ist schwindelerregend und viele Dinge im Leben sind nicht voraussehbar. Es ist eine Illusion zu glauben, man könnte den Erfolg herbeiführen und kontrollieren. Derzeit geht es eher darum, mit den sehr erfreulichen Entwicklungen Schritt zu halten. Wir mussten viele Hürden überspringen, um den Eintritt in den stark reglementierten Gesundheitsmarkt zu schaffen. Das ist uns schon im dritten Jahr gelungen. Nun gilt es, kluge strategische Entscheidungen zu treffen bei der Wahl der Technologiepartner und Investoren.
Unser Interview war für den späten Nachmittag geplant, nun führen wir das Gespräch kurz vor 22 Uhr. Arbeiten Sie rund um die Uhr?
Wir hatten von Anfang an die Ambition, global Weltmarktführer zu werden. Der Nachteil dieser Ambition ist, dass man in unterschiedlichen Zeitzonen tätig ist und es deshalb praktisch rund um die Uhr Dinge zu entscheiden gibt. Meist sind es nicht die erfreulichen Dinge, sondern die Probleme, die beim CEO auf dem Tisch landen, und die müssen rasch gelöst werden. Das führt zu sehr langen Tagen und kurzen Nächten. In den letzten zwei Monaten ist mir aber bewusst geworden, dass ich mehr Pausen machen muss, Auszeiten zum Entspannen und für Sport. Das Ziel ist, zumindest den Samstag freizuhalten und noch mehr an mein Team zu delegieren.
Sie sind in der indischen Stadt Hyderabad aufgewachsen. Wie wurden Sie zum Unternehmer?
Das war wohl eine Mischung aus meinem Charakter und dem Interesse für Themen wie Neurowissenschaften und virtuelle Realität. Mir war Unabhängigkeit schon in jungen Jahren wichtiger als Sicherheit. So sammelte ich als Freelancer in der Filmindustrie Erfahrung, indem ich «Special Effects» für Filme produzierte. Später an der Universität ärgerte ich mich darüber, wie träge das Gesundheitssystem im Bereich Neurowissenschaften ist. Es gibt einige globale Player, die ihre Produkte schützen und Innovationen verhindern. Mir wurde bald klar: Ich kann das nicht ändern, ohne selber Risiken einzugehen. Und je grösser die Risiken, desto grösser das Potenzial, etwas Entscheidendes zu bewegen.
Warum kamen Sie als 19-Jähriger an die EPFL in Lausanne?
Ein Professor lud mich ein, weil er auf meine Forschung an einer Brennstoffzelle aufmerksam geworden war. Der Start in Lausanne war schwierig, weil ich kein Wort Französisch sprach. Ich erinnere mich noch gut, wie ich spät an einem Sonntag Abend dort ankam, vor dem menschenleeren Bahnhof stand und versuchte, einem Taxifahrer verständlich zu machen, er solle mich zum Studentenwohnheim «Maison des Falaises» bringen. Leider hatte ich den Namen nicht aufgeschrieben, sondern nur im Kopf, und für einen Inder gibt es einfachere Dinge, als «Maison des Falaises» auszusprechen. Inzwischen habe ich mich ganz gut eingelebt. Ich lernte als sechste Sprache Französisch, erwarb an der EPFL einen Master in Virtual Reality und Computer-Grafik und einen Doktortitel in kognitiver Neurowissenschaft. Durch meine Forschung wurde mir klar, wie sehr wir das Lernen beschleunigen können, wenn wir Erkenntnisse der Neurowissenschaften mit bildgebenden Verfahren und den Möglichkeiten der Virtual Reality kombinieren.
Konkret heisst das: Sie entwickelten ein Gerät und eine Software, welche Patienten nach einem Schlaganfall bei der Rehabilitation unterstützen?
Das ist lediglich ein wichtiges Anwendungsfeld. Im Kern ist Mindmaze ein Computerchip, der die Fähigkeit zum Lernen beschleunigt. Das ist nicht nur nach Schlaganfällen nützlich, sondern auch bei Parkinson-Erkrankungen oder nach Amputationen. Und es ist auch hilfreich beim Erlernen komplizierter Bewegungsabläufe wie etwa beim Golfspiel. Wir haben uns zu Beginn auf die medizinische Anwendung in Spitälern, bei Therapeuten und bei Patienten zuhause konzentriert. Da steht im Vordergrund, dass Patienten in der virtuellen Realität Bewegungen durchführen und so Nervenzellen stimulieren können. Diese Produkte sind in Europa und Asien auf dem Markt, in den USA steht der Zulassungsentscheid der Gesundheitsbehörde FDA noch aus, wir rechnen mit grünem Licht im ersten Quartal 2017. Wir haben aber auch grosse Pläne im Unterhaltungsbereich, wo in den nächsten Jahren unter dem Stichwort «Augmented Reality» viele Angebote an der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine entstehen werden.
War es ein bewusster Entscheid, vom Forscher zum Unternehmer zu werden?
Nein, ich war in dieser Hinsicht sehr naiv – Naivität ist vermutlich das beste Rezept für echte Innovation. Ich wollte meine Forschung vorantreiben und bemühte mich deshalb, genügend Mittel aufzutreiben, um Spitzentechnologie beschaffen zu können. So kamen über eine Million Franken an Stipendien zusammen. Vor fünf Jahren wurde mir aber klar, dass das kein akademisches Projekt bleiben darf, sondern ich mit der Innovation in die Spitäler will und einen internationalen Markt anpeile. In diesem Stadium hatte ich mich der Sache schon komplett mit Kopf, Herz und Körper verschrieben. Es gab keinen Platz für die Frage, wie aufwendig und riskant das wird, sondern nur das Ziel, möglichst rasch auf den Markt zu kommen mit den ersten Produkten.
Haben Sie in der Schweiz die erhoffte Unterstützung für Ihr ambitioniertes Vorhaben erhalten?
Für die erste Phase waren die Rahmenbedingungen in der Schweiz sehr gut. Die Forschung ist hochstehend, staatliche Gelder und Stiftungen ermöglichen eine erste Projektfinanzierung. Zudem findet man gut ausgebildete Mitarbeiter mit ausgeprägter Loyalität, die nicht primär den Bonus oder den Zahltag beim Börsengang im Auge haben. In einer zweiten, kapitalintensiven Phase wird es schwierig. Deshalb haben wir einen Standort in San Francisco eröffnet. Wenn du grosse Investoren gewinnen und Partnerschaften mit Apple, Microsoft oder Google eingehen willst, musst du im Silicon Valley präsent sein. Dort werden die Deals gemacht, die Gelder verteilt. So konnten wir bei der letzten Kapitalerhöhung Anfang Jahr 100 Millionen Dollar von der indischen Hinduja Group aufnehmen, was den Unternehmenswert auf über eine Milliarde Dollar erhöht hat. Die nächste Kapitalrunde steht nun unmittelbar bevor. Das Ziel ist, im nächsten Jahr schon Geld zu verdienen mit der Medizinischen Sparte und diesen Bereich in fünf Jahren an die Börse zu bringen.
Sie wurden innert vier Jahren vom Wissenschaftler zum Chef von 80 Angestellten. Was haben Sie dabei persönlich gelernt?
Zunächst musste ich lernen, Dinge loszulassen, zu delegieren, Vertrauen zu schenken. Ebenso wichtig war, die richtigen Leute anzustellen und Fehler in der Personalauswahl rasch zu korrigieren. Ich lernte, bei der Mittelbeschaffung besser zu kommunizieren. Es lohnt sich nicht zu bluffen, man soll die Dinge aber auch nicht klein reden, wenn man den Mut hat, gross zu denken. Und schliesslich bin ich viel wählerischer geworden beim Networking. Zeit ist eine sehr knappe Ressource, ich kann es mir deshalb nicht leisten, mich ohne klares Ziel mit allen möglichen Leuten auszutauschen.
Sie sind mit 35 Jahren bereits Unternehmer des Jahres und Chef einer Firma, die ebenso rasch zum Milliarden-Player geworden ist wie Uber oder Airbnb. Lässt sich das noch steigern?
Mir wird in den nächsten Jahren sicher nicht langweilig. Eine wichtige Frage ist, wie ich die Firma so aufbauen kann, dass ich körperlich und mental durchhalte die nächsten Jahre. Zudem sind Ehrungen, Kapitalerhöhungen und Umsatzsteigerungen zwar wertvoll, aber aus Distanz betrachtet nicht das Wichtigste. Entscheidend ist, dass ich am Ende des Lebens sagen kann: «Du hast etwas verändert und die Lebensqualität der Menschen verbessert.» Und ich will nicht weitere fünf Jahre rund um die Uhr arbeiten. Es fällt mir aber schwer, mir Auszeiten zu nehmen. Eltern wissen, wie ungern man ein Baby allein lässt. Ich habe hier gewissermassen 80 Babys, für deren Wohlergehen ich mich verantwortlich fühle. Hilfreich ist, dass meine Eltern mich oft in der Schweiz besuchen. Sie sorgen dafür, dass ich schön auf dem Boden bleibe und nicht vergesse, dass es noch andere wichtige Dinge gibt als Mindmaze.
Kontakt und Information:
www.mindmaze.com
Kurzfilm zur Anwendung im Spitälern hier.
Bei all den neuen Milliarden-StartUps fragt man sich, woher denn all das Geld stammen soll, um alle diese neuen, meistens zusätzlichen “Gadgets” zu bezahlen? Die Sozialstaaten im Westen versinken bereits in Schulden, haben aber noch die Verrentung der Baby-Boomer in den nächsten 15 Jahren zu “überleben”, gleichzeitig kommt die Wirtschaft trotz 0-Zinsen nicht in Gang. Ich fürchte, viele der Träume um alle diese Milliarden-StartUps lösen sich dereinst zwangsweise wegen fehlender BEZAHLBARER Nachfrage in Luft auf. Nur wir Schweizer kennen den 5er & s’Weggli, alle anderen müssen sich…
Rothacher: In solche Start-Ups mit Potential zu investieren ist doch vernünftiger als irgendwelche Staatsanleihen mit negativer Rendite sein Geld zu platzieren. Darum kaufen ja Draghi in Co all die Bonds vom Markt weg und es gibt keinen Zins mehr, damit das träge Kapital endlich wieder mal mit realer Wirtschaftsproduktion Geld verdienen muss und nicht mehr nur mit luschen Finanzwetten aller Art.
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PS Dieser CH 5erli und Weggli Mythos ist eben auch nur eine weitere SVP Lüge – auch wenn wir dies vielleicht gerne hätten, in der Realität gibt es das kaum – auch nicht in der CH!
Ein Milliarde: reell materiell oder virtuell börslich? Luftschloss oder Fabrik?
@ Rothacher. Seien Sie doch bitte kein neidischer Buenzli….