Andreas Pasch begann seine Laufbahn als Banker, jobbte als Rettungssanitäter, studierte erst Jura und später Medizin. Nachdem er als Arzt Karriere gemacht hatte, wagte er den Sprung ins Unternehmertum. Mit dem Start-up Calciscon verfolgt der 48-Jährige ein hohes Ziel: Er will weltweit das Leben der Nierenpatienten verbessern und verlängern – «ein Abenteuer mit offenem Ausgang».
Interview: Mathias Morgenthaler
Herr Pasch, Sie haben eine Banklehre absolviert, später zunächst Jura und dann Medizin studiert und sind vor einigen Jahren zum Start-up-Unternehmer geworden. Hatten Sie keinen Plan für Ihre Karriere?
ANDREAS PASCH: Eine Banklehre zu absolvieren und Rechtswissenschaften zu studieren, schien mir eine vernünftige Sache zu sein. Die Deutsche Bank, bei der ich ausgebildet wurde, hatte damals einen sehr guten Ruf. Ihr Chef, Alfred Herrhausen, war eine eindrückliche Figur – mehr Philosoph als Banker. Er äusserte sich sehr pointiert zur Frage, wie viel Macht die Banken haben und wie sie damit umgehen sollten, forderte mehr Transparenz in der Finanzbranche und einen Schuldenerlass für hoch verschuldete Entwicklungsländer. Leider hat ihn ein RAF-Bombenattentat abrupt aus dem Leben gerissen.
Warum nahmen Sie noch ein Medizinstudium in Angriff, nachdem Sie auf der Bank gearbeitet und berufsbegleitend Jura studiert hatten?
Ich absolvierte meinen zweijährigen Zivildienst als Rettungssanitäter und übernahm auch danach trotz Bankjob und Studium noch Nachtschichten im Rettungsdienst. Das ging an die Substanz. Also fragte ich mich: Welche Tätigkeit ist sinnvoller? Es schien mir eindeutig reizvoller, Patienten zu helfen und Leben zu retten als mich um die Vermehrung des Geldes anderer Leute zu kümmern. Also nahm ich das Medizinstudium in Tübingen in Angriff.
Am Berner Inselspital haben Sie sich vom Assistenzarzt bis zum habilitierten Oberarzt in Nierenheilkunde emporgearbeitet. Wie wurden Sie zum Unternehmer?
Als Nierenspezialist hat man mit vielen sehr kranken Patienten zu tun. Ein Dialysepatient lebt im Durchschnitt noch fünf Jahre und hat damit eine ähnlich schlechte Prognose wie viele Krebskranke. Viele Nierenpatienten leiden zudem an zahlreichen anderen Krankheiten, im Schnitt sind das 12 bis 15 weitere Diagnosen und 30 bis 50 Tabletten pro Tag. Als Arzt habe ich diese schwer kranken Patienten begleitet, häufig ohne das Gefühl, etwas Entscheidendes verändern zu können. Als Unternehmer kann ich etwas grundlegend Neues schaffen, das im besten Fall Patienten auf der ganzen Welt zusätzliche Lebensjahre schenkt.
Wie sind Sie auf Ihre Geschäftsidee gekommen?
Nierenpatienten haben das Problem, dass sich das Calciumphosphat, das sie aufnehmen, nicht in den Knochen, sondern in den Gefässen ablagert. Die Knochen werden dünner, die Gefässe verkalken. Ich habe während eines Forschungsaufenthalts in Aachen ein verblüffend einfaches Testverfahren entwickelt, um die Verkalkungsneigung eines Patienten im Blut zu messen. Wir liessen das Verfahren sofort patentieren und ich entschied mich im Sommer 2013, gemeinsam mit dem Biologen Matthias Meier ein Unternehmen zu gründen.
War das nicht etwas riskant, eine Firma zu gründen mit einem Bluttest für Nierenkranke als einzigem Produkt?
Doch, das war der helle Wahnsinn. Es ist ein weiter Weg von einem Forschungsverfahren zu einem markttauglichen Produkt. Man muss nicht nur die Ärztekollegen davon überzeugen, sondern auch die Gesundheitsbehörden und Krankenkassen, wobei die Rahmenbedingungen in jedem Land anders sind. In Europa ist der Test zugelassen, die Kostenübernahme der Krankenkassen steht aber noch aus. Parallel dazu führen wir Gespräche mit der US-amerikanischen Behörde FDA. Die Resultate der klinischen Tests und die Anwendungserfahrungen hier im Inselspital sind sehr gut. Ob es uns aber gelingt, den Test weltweit als neuen Standard zu etablieren, ist ein Abenteuer mit offenem Ausgang.
Das heisst, Sie könnten in zwei Jahren ein schwer reicher Unternehmer oder arbeitslos sein. Immerhin überlebt nur jedes zweite Start-up die ersten fünf Jahre.
Als Arzt weiss ich, dass die Statistik keine Aussagekraft hat für den Einzelfall. Es bringt nichts, einem Patienten zu sagen, dass Menschen in seiner Situation durchschnittlich noch ein Jahr zu leben haben. Was soll er mit dieser Information anfangen? Als Unternehmer muss ich mich – im Wissen um das Risiko – darauf konzentrieren, das Richtige zu machen. Ich habe in diesen ersten drei Jahren enorm viel gelernt. Wir sind zuerst zu schnell gewachsen, ich habe mich teilweise nicht gut beraten gefühlt, musste mich von meinem Co-Gründer trennen und noch mehr selber machen.
Dachten Sie in dieser Zeit nie, dass Sie es sich unnötig schwer gemacht haben?
Klar, ich könnte jetzt Chefarzt sein oder Professor, dann müsste ich mich nicht mit Fragen der Bilanzierung, Kontierung und Iso-Zertifizierung herumschlagen und hätte einen x-mal höheren Lohn bei geregelterer Arbeitsbelastung. Aber die Aussicht, etwas Neuartiges weltweit auf den Markt zu bringen, gibt mir sehr viel Energie. Wenn das gelingt, hat Calciscon in einigen Jahren 100 Mitarbeiter und Millionen von Patienten haben ein besseres Leben. Dazu kommt, dass ich als Unternehmer autonomer bin in der Zeiteinteilung. Ich arbeite zwar insgesamt noch mehr als vorher als Arzt, aber ich bin nicht mehr so gehetzt, trage keinen Piepser mehr, der 130-mal pro Schicht Alarm schlägt und kann problemlos meine Kinder zur Kita bringen und wieder abholen. Das Einzige, was ich sehr vermisse, ist die tägliche Patientenbetreuung.
Wie haben die Berufskollegen auf Ihre unternehmerischen Ambitionen reagiert?
Das ist ein schwieriges Thema. Wenn einer während Jahren am Stammtisch sitzt und mit allen Bier trinkt und dann plötzlich nicht mehr kommt, dann klopft ihm keiner auf die Schultern. Es gab ein paar unschöne Geschichten, geprägt von Neid und Unverständnis, aber ich habe in den letzten Jahren eine dickere Haut bekommen. Ich brauche keinen Applaus, das Entscheidende ist für mich die Unterstützung meiner Frau. Sie ist Ärztin und versteht, was ich tue. Manchmal sagt sie im Halbernst, sie habe einen Hippie geheiratet. Rein optisch passt der Vergleich schlecht, aber mein Antrieb, Dinge zu verändern und Neues zu schaffen statt im bestehenden System zu funktionieren, ist tatsächlich gross.
Wie finanzieren Sie die Firma, wenn derzeit nur das Inselspital auf der Kundenliste steht?
Wir leben derzeit vom Eigenkapital und von Wettbewerbs- und Förderpreisen mehrerer Stiftungen. Das Geld reicht noch eine Weile für das 3-köpfige Team, aber ich suche Investoren mit einem langfristigen Engagement. Es braucht Zeit, bis die Akzeptanz für ein neues Verfahren und ein neues Produkt gross genug ist. Ich bin aber überzeugt, dass wir gute Chancen haben, von Bern aus etwas Bahnbrechendes zu schaffen. Der Test soll ja wesentlich dazu beitragen, zum Beispiel das Herzinfarktrisiko von Nierenpatienten zu senken und die Lebensdauer um einige Jahre zu verlängern.
Bleibt es beim einen derzeit marktreifen Bluttest oder planen Sie weitere Produkte?
Der erste Test ermöglicht ein sehr exaktes Gesamtbild der Blutzusammensetzung und Verkalkungsneigung. Dadurch kann die Therapie viel genauer und wirkungsvoller erfolgen. Geplant ist, dass wir später auch Therapeutika entwickeln. Der Test kann nicht nur bei Nierenpatienten mit grossem Nutzen eingesetzt werden, sondern eventuell auch bei Herzpatienten. Meine Vision ist, dass er standardmässig bei Medizinchecks zum Einsatz kommt. Derzeit kostet er 95 Franken, aber die Kosten werden sicher sinken.
Sie haben Ihr Labor und Ihr Büro zwar im Inselspital, werden aber nur teilweise unterstützt von den früheren Kollegen. Fühlen Sie sich als Einzelkämpfer?
Wissen Sie, ich habe mit meiner Dissertation die Arbeiten von zwölf Vorgängern widerlegt, was mir eine Auszeichnung eingebracht, mich dort aber auch eher unbeliebt gemacht hat. Ich habe mir glücklicherweise gute Nerven antrainiert. Aber ich finde es tatsächlich wichtig, dass unternehmerische Initiative im medizinischen Bereich gefördert und begleitet wird. Mit dem neuen Zentrum für translationale Medizin und Unternehmertum (Sitem-Insel AG) macht Bern gerade einen wichtigen Schritt. Der administrative Aufwand für Kleinstunternehmen ist enorm und bindet enorm viele Ressourcen.
Kontakt und Information:
www.calciscon.com
Man kann nicht die angebliche Überbevölkerung beklagen und gleichzeitig Leben verlängern wollen. Das Wachstum der Weltbevölkerung beruht nur noch auf Lebensverlängerung, nicht mehr auf Geburtenüberschüsse
Während man über Lebensverlängerung noch diskutieren kann, über eines kann man es nicht: Wir brauchen in der Medizin kein Unternehmertum, keinen Fortschritt, der auf einem Geschäftsmodell beruh. Auch hier herrscht der offensichtliche Widerspruch. Man kann nicht die steigenden Kosten beklagen und gleichzeitig die Glücksritter der Medizin feiern.
Der Leserbriefschreiber Schrader hat natürlich nicht recht, seine ungebackenen Reflexe dienen bloss als Basis totalitärer Schlussfolgerungen und führen zu grossem Unglück. Verlängern wir ein Leben von 80 auf 90 Jahre, so werden gleichzeitig 100 von 70-80 länger als Grosseltern ihren Familien beistehen und 1000 von 60-70 länger arbeiten können. Der Gewinn für uns alle kann nicht genug geschätzt werden. Es sollte viel mehr solcher Paschs geben, und wenn sie erfolgreich sind, sollen sie auch reich für ihre eingegangenen Risiken belohnt werden.
eine interessante und wichtige Info. Ein Früherkennungstest?