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«Wir zwingen immer mehr Lebensbereiche unter das Diktat der Ökonomie»

Mathias Morgenthaler am Samstag den 16. April 2016
Pater Hermann-Josef Zoche, Theologe, Philosoph und Managementberater. © Adrian Moser

Pater Hermann-Josef Zoche, Theologe, Philosoph und Managementberater. © Adrian Moser

Augustinerpater Hermann-Josef Zoche predigt nicht nur in der Pfarrei Waldkirch bei Waldshut, sein Rat ist auch in Chefetagen sehr gefragt. Der 57-jährige Theologe, Philosoph und Managementberater relativiert auf humorvolle Weise die Bedeutung des wirtschaftlichen Erfolgs und empfiehlt, bei Kindern eher in Gewissensbildung als in Mathematik-Nachhilfestunden zu investieren. Er selber lernte als Kind, was es heisst, ausgegrenzt zu werden.

Interview: Mathias Morgenthaler

Pater Zoche, wie kommt es, dass Sie sich als Theologe und Philosoph regelmässig zu Fragen der Unternehmensführung äussern?

HERMANN-JOSEF ZOCHE: Warum nicht? Ich gehöre ja einem Betrieb an, der vor über 2000 Jahren in einem Stall mit zwei Angestellten begonnen und sich in der Folge zu einem weltweit prosperierenden Unternehmen entwickelt hat. Unsere Marke, das Kreuz, hat einen Bekanntheitsgrad, der seinesgleichen sucht. Und unser Produkt, die Erlösung, erfreut sich konstant hoher Nachfrage. Zudem bereitet es mir grosse Freude, mich mit Führungskräften aus der Wirtschaft auszutauschen. Das sind starke Persönlichkeiten, die haben was drauf, agieren schnell und absolvieren ein immenses Pensum. Das ist doch eine ganz andere Welt als dieser verkrustete, konservativ-klebrige Gemeindeapparat, mit dem man in der Kirche zu tun hat. Für mich als Pfarrer sind die Gespräche mit Managern immer eine Frischzellenkur.

Wie wurden Sie zum Brückenbauer zwischen Religion, Philosophie und Wirtschaft?

Prägend war sicher die Studienzeit beim Jesuitenpater Rupert Lay. Der war nicht nur ein brillanter Theologe und Philosoph, sondern auch ein gefragter Psychotherapeut und einflussreicher Vordenker der Wirtschaft. Lay sass in diversen Aufsichtsräten, veranstaltete Management-Seminare und stand einigen Weltkonzernen als Berater bei, Unilever zum Beispiel. Weil auch sein Tag nur 24 Stunden hatte, konnte ich mancherorts in seine Fussstapfen treten. Da kamen seine Kunden auf mich zu und baten mich: «Sagen Sie uns nochmals das Gleiche wie Rupert Lay, aber so, dass wir es verstehen.» So wurde ich zum Brückenbauer zwischen klösterlicher Ethik und profaner Wirtschaftspraxis. Interdisziplinarität bewahrt einen vor Kleinkariertheit. Bekanntlich wird auch ein kleines Karo zu einer grossen Sache, wenn man nah genug ran geht. Wer sich dagegen in verschiedenen Welten bewegt, kann besser relativieren.

Woher nahmen Sie die Überzeugung, überall mitreden zu können?

Das ist vermutlich aus der Not geboren worden. Meine Jugend war nicht leicht, ich war in der Schule in Bremen der einzige Katholik und wurde entsprechend ausgegrenzt. So lernte ich früh, in Kontakt zu kommen mit Menschen, die komplett anders denken und aus Sicht der Kirche weit draussen sind. Diese Prägung ist mir später bei der Arbeit mit Managern zugute gekommen. Aber ehrlich gesagt hatte ich keinen grossen Karriereplan. Ich glaube auch nicht, dass sich die berufliche Laufbahn im Detail planen lässt. Vieles hängt von mehr oder weniger glücklichen Zufällen und Begegnungen im richtigen Moment ab. Im Rückblick erkennen wir dann allenfalls einen roten Faden.

Sie argumentieren mal theologisch-pastoral, mal philosophisch-ethisch. Gibt es ein Grundanliegen, das Sie antreibt?

Kennen Sie die Geschichte von der Schülerin, die ihrem Lehrer sagt, sie erwäge, Wirtschaftsethik zu studieren? Der Lehrer antwortet ihr: «Wirtschaft oder Ethik? Da wirst du dich schon entscheiden müssen.» Ich beobachte mit grosser Sorge, wie stark Geld und Konsum unseren Alltag prägen und wie wenig wir uns Gedanken machen über unsere Werte und Ideale. Die Marktwirtschaft und ihr Mantra «Mehr, mehr, mehr!» sind omnipräsent in unserem Leben. Kürzlich war ich bei Freunden zum Nachtessen. Plötzlich stürmte die 9-jährige Tochter ins Esszimmer und rief entgeistert: «Papa, Papa, der DAX ist gefallen!» Das klang, als wäre jemand gestorben, dabei hatte die deutsche «Tagesschau» bloss wie jeden Abend den neusten Stand des Aktienindex‘ verkündet – als wäre der für viele Menschen relevant bei einer durchschnittlichen Haltezeit pro Aktie von 40 Millisekunden.

Die Kinder werden also von der Ökonomie verdorben?

Ja, das ist eindeutig so. Wir stellen das auch fest, wenn wir die Beichte abnehmen vor der Erstkommunion. Viel haben die Kleinen ja nicht zu beichten, weil sie noch kaum eine Gewissensbildung erfahren haben. Wenn ich dann frage, wo sie sich noch verbessern möchten, kommt meistens die Antwort: in Mathematik. Das passt zur Tatsache, dass es in neun von zehn Fällen nicht die schlechten Schüler sind, die Nachhilfeunterricht nehmen, sondern die guten, die noch besser werden wollen. Alle werden schon in jungen Jahren auf Erfolg getrimmt, aber kaum einer stellt die Frage, ob wirtschaftlicher Erfolg eigentlich ein guter Indikator ist für ein gelungenes Leben.

Sie sind da skeptisch?

Ich erinnere gerne an die Arbeiten des Psychologen Daniel Kahnemann, der als einziger Nicht-Wirtschaftswissenschaftler den Nobelpreis in Wirtschaft zugesprochen erhielt. Kahnemann wies in grossen Studien mit 13‘000 Probanden nach, dass eine starke Fixierung auf Geld unsere Hilfsbereitschaft beeinträchtigt. Er liess zum Beispiel den einen Teil der Probanden vor einem Bildschirm mit neutralem Bildschirmschoner warten, den anderen Teil vor einem Bildschirm, auf dem Dollar-Noten zu sehen waren. Dann trat jemand mit einem Stapel Bücher in den Raum und liess diesen auf den Boden fallen. Die Hilfsbereitschaft war unter den mit Dollars konfrontierten Probanden eklatant tiefer als bei der Vergleichsgruppe. Ich glaube, wir tun gut daran, uns wieder von der auf Effizienz und materiellen Wohlstand geprägten Handlungsweise der Marktwirtschaft zu distanzieren und uns mit der Frage auseinanderzusetzen, welches die echten Quellen des Glücks sind. Kennen Sie die Geschichte vom Buchhalter, der ins Konzert ging?

Nein.

Ein Konzernchef schenkte seinem Buchhalter zwei Karten für eine Aufführung von Schuberts Unvollendeter. Tags darauf fragte er ihn, wie es gewesen sei. Der Buchhalter berichtete, die Oboisten hätten über längere Zeit nichts zu tun gehabt, die Geiger über weite Strecken alle die gleichen Töne gespielt, die Hornisten zu allem Übel die Passagen der Geiger wiederholt. Zudem hätten viele Vierteltöne die Sache unnötig kompliziert. Würde man die ganze Symphonie restrukturieren, könnte sie auf 20 Minuten gekürzt werden, berichtete der Buchhalter und ergänzte: Wäre Schubert selber pragmatischer vorgegangen, hätte er seine Symphonie ohne Zweifel vollenden können. Das klingt absurd, nicht wahr? Aber wie verhält es sich denn in unserem Alltag? Erkennen wir da die Symphonie des Lebens, die Quellen der Freude? Oder zwingen wir immer mehr Lebensbereiche unter das Diktat der Ökonomie?

Sie versuchen hier Gegensteuer zu geben, etwa mit Ihrem Buch «Die Zehn Gebote für Manager» und mit Referaten wie kürzlich an einer Ethik-Tagung in Thun. Ist die katholische Kirche mit ihren rigiden Moralvorstellungen da eine glaubwürdige Instanz?

Die 10 Gebote sind 4000 Jahre alt und sie haben in der Gesellschaft eine hohe Akzeptanz, auch bei Menschen, die sich als nicht religiös bezeichnen. Der Tanz um das goldene Kalb, die Stunde der Entscheidung, als die Israeliten vor der Wahl standen, nach Ägypten zurückzukehren zu Bohnen und Lammfleisch oder die unbekannte Freiheit im gelobten Land zu suchen… das sind sehr moderne Themen. Ich bin der Überzeugung, dass jeder Mensch einen Leitstern braucht, ein Ideal, an dem er sich ausrichten kann, ganz im Sinne von Wilhelm Busch: «Tugend will ermuntert sein, Bosheit kann man schon allein!» Ich bilde mir ein, dass da allmählich ein Umdenken stattfindet in unserer Gesellschaft, gerade bei den jungen Menschen, die bei der Arbeit vermehrt die Frage nach dem Sinn ihres Tuns stellen. Eine Welt, die nur dem kapitalistischen Imperativ gehorcht, ist ein kalter Ort. Erst wenn Qualitäten wie Gemeinsinn, Vertrauen und Liebe dazukommen, lohnt sich die ganze Anstrengung.

Information und Kontakt:

www.paterzoche.de oder kontakt@paterzoche.de

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4 Kommentare zu “«Wir zwingen immer mehr Lebensbereiche unter das Diktat der Ökonomie»”

  1. Ralf Schrader sagt:

    Umdenken bringt überhaupt nichts. Deshalb propagieren diejenigen, welche von Missständen profitieren, diese Strategie zur angeblichen Überwindung dieser.

    Missstände ändert man aktiv, im Handeln, nicht im Denken und von unten, indem man die Wurzeln abschlägt. Das geht selten ohne Gewalt.

  2. Gerda Schuurman sagt:

    Der Zeitgeist ändert sich. Das verpflichte Gewinner Image ist endlich am bröckeln.Gut so denn es hat für viele Burn Outs gesorgt. Frühere “Gewinner typen” hiessen einst Patriarchen welche ihre soziale Verantwortung als Selbstverständlich hinnahmen.. Ein Manager hat, und wenn er auch noch so intelligent ist, nun mal NIE die hohe Qualität eines früheren Patriarchen.

  3. peter dumling sagt:

    Ja, Herr Schrader. Wenn man auf´s Denken vor dem Handeln verzichten muss, bleibt einem nur die Gewalt. Und was Missstände sind, entscheiden sie?

  4. Sacha Maier sagt:

    Wir leben heute nun einmal im postindustriellen Neofeudalismus. Die Errungenschaften der Aufklärung und der Franz. Revolution werden vor unseren Augen rückabgewickelt. Wohlstand und Chancengleichheit für alle sind Schnee von gestern. Da lebt man um zu arbeiten – nicht umgekehrt. Das Stichworte sind Lohnwettbewerb und optimale Arbeitsmarktfähigkeit. Bald werden nur nur die Besten der Besten einen Job ergattern. Wie das ganz genau funktioniert, sieht man schon in China. Ohne rigides Ausbildungspensum mit einer 80h-Woche können sich chinesische Jugendliche gutbezahlte Jobs abschminken.