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«Ich werde nicht zuhause sitzen, ich will die Welt verändern»

Mathias Morgenthaler am Samstag den 12. März 2016
Lisa Chuma, Gründerin und Organisatorin der Women's Expo.

Lisa Chuma, Gründerin und Organisatorin der Women’s Expo.

Kann eine Mutter kleiner Kinder, welche die Schweiz nicht kennt und keine Landessprache spricht, eine Frauenmesse organisieren? Lisa Chuma hat es geschafft. Ihre Women’s Expo findet dieses Jahr bereits zum vierten Mal statt. Die 31-jährige Simbabwerin sagt, ihre Ahnungslosigkeit und ihr eigener Werdegang hätten ihr dabei geholfen. Ihr nächstes Ziel: Als erste farbige Frau ins Parlament einziehen.

Interview: Mathias Morgenthaler

Frau Chuma, wovon haben Sie als Kind in Simbabwe geträumt?

LISA CHUMA: Ich hatte keine Träume, aber ein loses Mundwerk und wenig Hemmungen. Ich befreundete mich leicht mit anderen Mädchen, war eine gute Netzwerkerin. Praktisch all meine Freundinnen träumten davon, als Flugbegleiterinnen die weite Welt zu sehen. Ich wusste als Kind nur: Ich will ein eigenes Business aufbauen, nicht von anderen abhängig sein. Und ich will später meiner Mutter etwas zurückgeben als Dank für alles, was sie für mich getan hat.

Als Sie 16 waren, zogen Sie mit Ihrer Mutter nach London. Was hat sich dadurch für Sie verändert?

Meine Mutter erhielt die Chance, als Krankenschwester in East London im Royal Hospital zu arbeiten. Wir lebten in einer Art Wohngemeinschaft mit anderen Frauen, teilten uns die Räume und die Rechnungen. Damals erlebte ich im Kleinen, wie kraftvoll Frauennetzwerke sein können. Ich studierte Betriebswirtschaft, machte mit 21 Jahren den Bachelor und lernte meinen Mann kennen, der ebenfalls aus Simbabwe nach London gekommen war. Ich sagte ihm sehr bald: «Hey, ich werde nicht zuhause sitzen und die Kinder erziehen, ich will die Welt verändern. Wenn wir Kinder wollen, dann sofort, ab 30 wird die Karriere im Vordergrund stehen.»

Hat er sich gefügt?

Ich bin jetzt 31, der ältere Sohn ist 10-jährig, der jüngere 18 Monate alt, die Tochter sechseinhalb. Es hat also alles geklappt wie geplant. Mein Mann ist im IT-Business tätig, er hat einen Teil der Hausarbeit und Kinderbetreuung übernommen.

Man hat tatsächlich Mühe, sich Sie als Angestellte vorzustellen.

Ich habe es versucht. Ein Jahr lang arbeitete ich im britischen Finanzministerium. Wie kann man dort sitzen und sich sagen lassen, was man zu tun hat? Für mich war es eine Qual. Ich kündigte bald und widmete mich nach der Geburt unseres ersten Sohnes einem Thema, das mich sehr beschäftigte. Ich will nicht von Rassismus reden, aber weisse und schwarze Frauen lebten in komplett getrennten Sphären. So lancierte ich die Online-Publikation «Inspirational Women Magazine», in der sich Frauen aus allen Kontinenten und allen Ethnien zu Wirtschafts- und Gesellschaftsthemen äusserten.

Vor fünf Jahren kamen Sie wegen der Arbeit Ihres Mannes in die Schweiz. Was hiess das beruflich für Sie?

Mein Magazin konnte ich von überall aus produzieren, aber sonst war das komplettes Neuland für mich. Ich wusste nichts von der Schweiz, beherrschte keine Landessprache, kannte niemanden. Um mich rascher zurechtzufinden, besuchte ich Networking-Events und lernte dort viele Frauen kennen, die wunderbaren Tätigkeiten nachgingen, aber praktisch unsichtbar blieben damit. Ich wunderte mich über diese Neigung, die Dinge klein zu belassen, im Verborgenen zu bleiben. Und ich stellte fest, dass es auch hier eine unsichtbare Linie gab, die Schweizerinnen und Expats trennte. So entschied ich mich 10 Monate nach meiner Ankunft in der Schweiz, eine Frauen-Expo zu machen, um alle zusammenzubringen: Unternehmerinnen, Managerinnen, Kundinnen.

Hatten Sie keine Bedenken, wie Sie das finanzieren und ob sich genug Ausstellerinnen und Besucherinnen finden lassen?

Doch, natürlich, ich zögerte, ob ich wirklich einen ganzen Raum im Kongresshaus Zürich mieten sollte. Nachdem ich ein Datum bestimmt, eine Website aufgeschaltet und zuhause simple Flyer ausgedruckt hatte, nahm die Geschichte rasch Fahrt auf. Es registrierten sich die ersten 20 Ausstellerinnen, bald waren es 40, dann ein Artikel mit Bild in der NZZ, wie mir eine Freundin aufgeregt berichtete. Ich fragte: «NZZ? Ist das eine grössere Zeitschrift?» Ich war in vielfacher Hinsicht ahnungslos – und das war gut so, denn wenn ich vorgängig genau analysiert hätte, ob es erfolgversprechend ist, als Ausländerin ohne Deutschkenntnisse und Netzwerk eine Frauenmesse zu lancieren, dann hätte ich es vielleicht nicht gewagt.

Die Ahnungslosigkeit war also Ihr Vorteil?

Einige Frauen haben mir gesagt: «Lisa, es brauchte eine wie dich für einen solchen Event, wir hätten diesen Schritt nie gewagt.» Oft braucht es einen besonderen Antrieb, einen Leidensdruck, damit etwas Neues entsteht. Wenn man komfortabel in seinem Umfeld lebt, fehlt die Kraft zur Veränderung. Bei mir ergab sich der Antrieb zur Vernetzung ganz natürlich. Für mich war es eine Überlebensstrategie, Türen zu öffnen, Grenzen zu überschreiten. Ich war 4-jährig, als sich meine Eltern trennten. Meine Mutter war Opfer häuslicher Gewalt geworden und wollte uns schützen. Das hat sicher einen Einfluss auf meine heutige Tätigkeit, die darauf abzielt, Brücken zu bauen, Menschen zusammenzubringen, eine grosse Familie aus Unternehmerinnen und Kundinnen zu schaffen. Wenn am 10. April wieder 160 Ausstellerinnen und 2000 Besucherinnen an der Women Expo zusammenfinden, ist das für mich ein sehr schöner Moment.

Wie schaffen Sie die Organisation eines solche Events als Mutter dreier kleiner Kinder?

In Simbabwe wachsen Kinder weniger behütet auf als in der Schweiz – wir werden vom Leben in jungen Jahren zur Unabhängigkeit und Selbständigkeit erzogen. Meine Erziehung steht unter dem Motto: Ich arbeite mit meinen Kindern, nicht für sie. Konkret stellt sich der Älteste den Wecker, geht duschen, weckt seine Schwester, diese weckt den Jüngsten, dann frühstücken sie gemeinsam. Die Kinder unterstützen sich gegenseitig und sagen mir, was sie brauchen. Wenn der 10-Jährige sein Schwimmzeug vergisst, renne ich ihm nicht damit in die Schule nach, dann geht er halt nicht schwimmen. Das heisst aber nicht, dass wir wenig Kontakt haben. Ich nehme sie manchmal zu Sitzungen mit. An der Expo wird meine Tochter Cupcakes verkaufen, ihr Bruder wird sie beim Einkassieren unterstützen. So lernen sie früh, was Unternehmertum bedeutet. Es ist niemanden gedient, wenn Eltern ihre Kinder zum Hauptprojekt ihres Lebens machen.

Welche Ziele haben Sie für die nächsten Jahre?

Das erste Ziel ist, die Women’s Expo weiter wachsen zu lassen und sie in der Messe Zürich zu etablieren. Damit das gelingt, muss ich starke Sponsoren finden, was mir bisher leider nicht genügend gelungen ist. Manche Entscheidungsträger haben Vorurteile, halten unsere Messe für irrelevant. Trotz dem Fakt, dass 80 Prozent der Kaufentscheide von Frauen gefällt werden und wir mit unserer PR Hunderttausende erreichen. Und ja, ich bin frech: ich will als erste farbige Frau ins Schweizer Parlament. Das ist ein Fernziel, denn im Moment habe ich noch keinen Schweizer Pass, aber ich will dorthin, wo die Entscheidungen gefällt werden, um etwas verändern zu können.

Was wollen Sie sich damit beweisen?

Es geht hier überhaupt nicht um mich. Das ist kein Ego-Trip, ich mache das wirklich nicht für mich, auch wenn das schräg klingen mag in Ihren Ohren. Ich glaube einfach, die Frauen brauchen jemanden wie mich, die sie repräsentiert, wenn nötig laut wird und sichtbar macht, was Frauen alles leisten. Der Job muss getan werden – warum sollte nicht ich das übernehmen, wenn ich schon Lust und genug Selbstvertrauen habe? Ich gehe meinen Weg, schöpfe Kraft daraus, wenn es andere Frauen ermutigt, will etwas wagen, auch wenn es nicht allen gefällt. Wissen Sie, es ist sehr befreiend, wenn man sich so zeigen darf, wie man ist, und eine Aufgabe übernehmen kann, die eng mit der eigenen Geschichte verknüpft ist. Worunter leiden denn all die Manager, die in ihren goldenen Käfigen den Eindruck erwecken müssen, alles im Griff zu haben? Vermutlich darunter, dass sie dauernd in Rollen schlüpfen müssen, nicht sich selber sein dürfen. Ich mache mein Ding und will damit andere Frauen inspirieren, aus dem Schatten herauszutreten und ihre Geschichte zu teilen.

Information und Kontakt (in Englisch):

www.womenexpo.ch oder info@womenexpo.ch

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14 Kommentare zu “«Ich werde nicht zuhause sitzen, ich will die Welt verändern»”

  1. Ralf Schrader sagt:

    Mit Geschäftstätigkeiten verändert man die Welt, wenn überhaupt nur zum Schlechten. Es gibt längst viel zu viel Geschäft, zu viel Geld und viel zu wenig Moral. Wenn die Dame etwas für die Welt tun will, hätte sie, wie ihre Mutter Krankenschwester werden sollen. Das braucht die Welt wirklich, aber keine ressourcenfressenden und ansonsten nutzlosen Bauchnabel- Shows.

    Wer vor allem Geld verdienen will, soll das tun, aber das nicht noch als Heldentat oder Engagement verkaufen. Es ist nur ordinäre Gier.

  2. Barbara Meier sagt:

    Ich würde Sie sofort wählen, wenn es denn ginge, Frau Chuma! Bravo und weiter so! Solche Frauen brauchen wir.

  3. Toni Aellen sagt:

    Geniale Frau! Weiter so!

  4. George Weiss sagt:

    Lisa Chuma for Bundesrat…yes! 🙂
    If we all did what we’re good at, the world would be a better place!

  5. Monique Schweizer sagt:

    An den Macho Schrader: Sie hätten sich mit ihrer Aversion gegen jegliche Geschäftstätigkeiten vermutlich in der Steinzeit am wohlsten gefühlt. Pech einfach für Sie, dass Sie 50’000 Jahre zu spät geboren wurden!
    .
    Und Lisa noch viel Glück mit ihren Projekten — one day you will rock the swiss parliament!

  6. SImone sagt:

    Chapo vor Frau Chuma !! Super toll wie Sie sich für die Gute Sache einsetzen. Danke für Ihren Einsatz 🙂 Ich bin begeistert!!

    @ Ralf Schrader: Eine Welt voller Krankenschwestern ist auch kein besserer Ort…

  7. Heinrich Meier sagt:

    Es braucht Menschen wie Frau Chuma die nicht in einer staatlich organisierten Wohlfühlgesellschaft aufgewachsen sind um uns zu zeigen wie die Welt tickt. Sie ist ein Weckruf! Herr Schrader sollte mal für ein Jahr auf eigenen Beinen in Simbwabe überleben müssen…

  8. Jana sagt:

    Es sollte eigentlich egal in der Schweiz sein, welche Hautfarbe potenzionelle Kandidatin für Schweizer Parlament hat. Hauptsache man ist Schweizer Staatsbürger und dazu gehört auch die Landessprache. Einen Tag wollen die Frauen Gerechtigkeit und gleich behandelt sein, zweiten Tag zeigt man -ich bin die Frau…ich bin die und die Nationalität…Einfach immer anders, wenn es passt.

  9. Bernhard sagt:

    Chuma in Swahili bedeutet Eisern.Haben wir hier eine neue Eiserne Lady?

  10. martine sagt:

    Was hätte die Frau bloss getan ohne Ehemann, der ihr das Haushaltsgeld verdient und noch Kinderbetreuung übernimmt. Keine Spur von Wertschätzung in ihren Worten. Würde sie sich nun scheiden lassen, wäre er nach schweizerischem Recht der lackierte, und dürfte richtig toll blechen, und die Kinder würde er auch verlieren. Diese allgemeine Lobhudelei seit einigen Jahren, nur weil ein Mensch das richtige Geschlecht hat (weiblich), und parallel die Geringschätzung, wenn ein Mensch das falsche Geschlecht hat (männlich), machen solche Artikel und die dahintersteckende Propaganda ungeniessbar.

  11. Liana ZaNIN sagt:

    Jede auf ihre Art und Weise – Frau Chuma zeigt, wie Frauen eben auch können. Und von Männern wie Ralf Schrader lassen wir uns schon gar nicht sagen, wie wir die Welt zu verändern haben.

  12. Ike Conix sagt:

    @Ralf Schrader: Ich hoffe sehr, dass Sie sich als Krankenpfleger betätigen, sonst verstossen Sie gegen Ihre Prinzipien.

  13. Linda sagt:

    Frau Chuma! Wow! Ich wünsche Ihnen viel Erfolg!!! Wow!

    Das Urteil von Herr Schrader ist keine Reaktion wert. (Zumindest nicht mehr als diese hier).

  14. a.richard sagt:

    @ R. Schrader – ohne solche Frauen wären “Krankenschwestern” nicht was sie heute sind. Wieder mit einer solch fröhlichen fähigen Frau an der Spitze könnten Dipl. Pflegepersonen HF nötige Visionen schneller umsetzen. Mehr tun für bedürftige Kranke – weniger für unfähige Kader und Profiteure.