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«Unsere Bücher sollen die Leser nicht anschreien»

Mathias Morgenthaler am Samstag den 11. April 2015
Anne Rueffer, Verlegerin und Schriftstellerin. Foto: Julian Schleelein

Anne Rueffer, Verlegerin und Schriftstellerin. Foto: Julian Schleelein

Vor 15 Jahren hat die gelernte Krankenpflegerin Anne Rüffer ihren eigenen Verlag gegründet. Bereut hat sie es bis heute nicht, obwohl sie gegen Unterfinanzierung ankämpft und für ein wichtiges Buch auch Verluste in Kauf nimmt. «Bücher machen glücklich und stiften einen sozialen Nutzen», sagt die Verlegerin, die vor kurzem selber unter die Roman-Autorinnen gegangen ist.

Interview:
Mathias Morgenthaler

Frau Rüffer, Sie führen zwei Verlage und schreiben selber Romane – wie bringen Sie das alles unter einen Hut?

ANNE RÜFFER: Ich teile meine Tage nach Büchern ein, so geht es ganz gut. Wichtig war der Entscheid, dass wir uns auf ein Programm pro Jahr beschränken – beim Sachbuchverlag rüffer&rub und beim Römerhof Verlag, der ausschliesslich Biografien herausbringt. Gute Bücher brauchen Zeit und haben kein Verfallsdatum, also wollen wir grösstmögliche Sorgfalt walten lassen bei dem, was wir machen. Ich betreue mit unserem Cheflektor das gesamte Programm, also 10 bis 12 Bücher pro Jahr. Wir arbeiten immer an mehreren Büchern parallel, lektorieren die Texte, suchen die besten Illustrationsmöglichkeiten oder das perfekt passende Papier. Von der Idee bis zum fertigen Buch verstreichen rund 18 Monate. Jeder Text wird vier bis fünf Mal überarbeitet in Absprache mit den Autoren.

Lohnt sich dieser Aufwand?

Das fragen mich die Banker auch immer: Rentiert das eigentlich unter dem Strich? Rein ökonomisch betrachtet sicher nicht. Für mich geht die Rechnung aber auf, weil ich etwas bewegen kann mit den Büchern, die wir machen. Der soziale Nutzen ist für mich ein wichtiger Antrieb, auch wenn er nicht in Franken oder Euro zu beziffern ist. Deswegen trage ich auch das permanente Risiko der Unterfinanzierung. Meistens geht die Rechnung auch finanziell einigermassen auf, weil wir Fremdbeiträge von Stiftungen oder Privaten erhalten. Aber wenn uns ein Buch am Herzen liegt, weil es ein wichtiges gesellschaftliches Thema exemplarisch behandelt, bringen wir das auch heraus, wenn wir damit einen Verlust erleiden. Ich habe ja noch ein drittes kleines Unternehmen, die Manuskript-Oase, die Autoren berät und auch Ghostwriting anbietet; so kann ich quersubventionieren.

Wie wird man eigentlich Verlegerin?

Indem man einen Verlag gründet – eine Ausbildung dafür gibt es nicht. Ich habe mich durch journalistische Arbeiten angenähert. Ich war für die Weltwoche tätig und verfasste regelmässig vierseitige Beiträge zu Schwerpunktthemen. Obwohl ich 48’000 Anschläge zur Verfügung hatte, reichte der Platz nie aus und ich hatte immer viel zu viel Material. Schon damals dachte ich oft: Daraus müsste man eigentlich ein Buch machen. Ähnlich ging es mir bei manchen DOK-Filmen, die ich als Autorin mit einem Regisseur fürs Fernsehen realisierte. Schliesslich erhielt ich bei einem Verlag die Chance, das Handwerk von Grund auf zu lernen. Oder besser: Man gab mir einen Schreibtisch und liess mich machen – das war eine sehr experimentelle Phase. Als mein Arbeitgeber dann den Betrieb einstellen musste, gründete ich mit Dominique Rub, die als Lektorin mit mir gearbeitet hatte, den eigenen Verlag. Zu Beginn dienten zwei Zimmer meiner Vier-Zimmer-Wohnung als Büroräume.

Das war vor 15 Jahren. Haben Sie sich damals nicht gefragt, ob das Buch überhaupt eine Zukunft hat?

Nein, das stand und steht für mich ausser Frage. Bücher machen glücklich. Sie eröffnen dem Lesenden einen neuen Kosmos, den er halb entdeckt und halb selber schafft in seinem Kopf. Man kann sich in einem Buch geborgen fühlen, das beginnt schon mit dem Duft. Wenn ich ein Buch öffne und das Papier rieche, ist es, als würde ich ins Haus der Grossmutter zurückkehren, wo es riecht wie immer. Im besten Fall verrät mir ein Buch etwas über mich, von dem ich noch nichts wusste. Und es verändert meinen Blick auf die Welt – etwa wenn ich erfahre, wie unheilbar kranke Kinder die Welt sehen, welche Ängste und Wünsche sie haben; oder wie Migrantinnen durch soziale und berufliche Integration zu Unternehmerinnen werden können. Kein anderes Medium verschafft dem Menschen für so wenig Geld so viel Zufriedenheit; eigentlich müssten die Krankenkassen längst Prämienverbilligungen für Leserinnen und Leser anbieten.

Waren Sie schon in jungen Jahren eine Büchernärrin?

Ja, ich habe mich schon als Kind gerne hinter zwei Buchdeckeln verschanzt und bin jeweils auch mit Buch zum Essen erschienen. Das Unterhaltungsangebot war damals viel kleiner, es gab zwei Fernsehsender, Radio, Zeitung und fertig. Heute ist der Kampf um unsere Aufmerksamkeit gigantisch, im öffentlichen Verkehr, im Bahnhof, am Computer, auf dem Handy, überall werden wir umworben. Ich bilde mir ein, dass allmählich eine Gegenbewegung einsetzt zum Informations-Fastfood. Gerade junge Menschen wollen wieder eintauchen in wichtige Themen, sie entdecken die Bücher neu. Wir führen hier eine Warteliste, weil sich so viele junge Menschen für eine Stelle bei uns bewerben. Vorderhand bleibt es aber eine Herausforderung, anspruchsvolle Bücher zu verkaufen. Vor 15 Jahren druckten wir noch 3000 Exemplare als Startauflage, heute ist es ein schöner Erfolg, wenn wir in den vierstelligen Bereich kommen.

Ihre Bücher sind sehr anspruchsvoll – andere Verleger schaffen Bestseller mit einfacher gestrickten, lebensnahen Geschichten.

Eine Mitarbeiterin hat mir einmal gesagt: «Auch für Seichtes muss man ein gutes Händchen haben – und du hast das nicht.» Vermutlich trifft das zu. Es stört mich auch nicht, wenn andere das elitär finden. Nichts ist mir wichtiger, als die Menschen und Themen, mit denen wir zu tun haben, ernst zu nehmen und den Dingen wirklich auf den Grund zu gehen. Unsere Bücher sollen die Leser nicht anschreien oder anspringen, es sind Begleiter, keine Konsumartikel. Auf jedes Buch, das wir realisieren, kommen mindestens 100 Manuskripte, die wir zurückweisen. Manche davon werden danach bei anderen Verlagen zu Bestsellern.

Vor kurzem ist Ihr erster eigener Roman «Fräulein Franzen besucht das Glück» erschienen – nicht in Ihrem Verlag, sondern bei Langen Müller in München. War das ein banger Moment, selber als Autorin in Erscheinung zu treten?

Ja, das war mit einer gewissen Scheu verbunden. Ich habe schon immer geschrieben, aber ausser meiner besten Freundin wusste niemand davon. Ich sprach erst von meinem Buch, als der Verlagsprospekt gedruckt war – zu oft hatte ich im Kollegenkreis Buchankündigungen vernommen und dann nie ein Buch gesehen. Beim ersten Roman steht immer die bange Frage im Raum: Wird man von der Kritik ignoriert oder verrissen? Ich weiss noch genau, wie ich an einem trostlos verregneten Tag unterwegs war zu einer Lesung in einem Hamburger Vorort, als mich via SMS ein Glückwunsch zur Rezension meines Romans in der NZZ erreichte. Ich dachte erst, da sei eine Notiz im lokalen Kulturteil erschienen, fand dann aber eine wunderbare Besprechung in der internationalen Ausgabe der NZZ. Da bin ich selig die neun Stunden im Zug zurück nach Zürich gegondelt.

Sehen Sie sich nun in erster Linie als Schriftstellerin?

Wenn ich im Hotel ein Formular ausfülle, schreibe ich eher Verlegerin oder Unternehmerin hinein. Schreiben gehört für mich aber seit langem zum Leben, ich habe es vermisst, als ich mich fast ausschliesslich mit den Texten anderer Leute beschäftigte. Vor der Veröffentlichung meines Erstlings wusste ich allerdings nicht, ob ich in der Lage bin, einen eigenen Kosmos zu erschaffen und alle Fäden der Geschichte gut zu verknüpfen. Eigentlich ist das Buch, das nun vorliegt, mein dritter Roman. Bei einem der früheren habe ich ebenfalls ein gutes Gefühl. Beim dritten meinte mein Agent: «Vielleicht ist das brillant, aber ich verstehe die Geschichte nicht.» Beim vierten habe ich 140 Seiten geschafft, den fünften nach 80 Seiten beerdigt. Manche Dinge lassen sich nicht in die passende Form bringen – oder noch nicht.

Wann finden Sie Zeit zum Schreiben?

Ich versuche, jeden Tag eine Stunde zu schreiben, meistens nach Feierabend. Wenn mir nichts einfällt, verbessere ich den vorliegenden Text – ich kann endlos an einzelnen Sätzen feilen. Am allerliebsten schreibe und lese ich im Zug. Zugfahrten sind wunderbar. Sie erlauben es mir, den Alltag zu vergessen und tief in etwas einzutauchen. Nun fahre ich übermorgen wieder los, mein Buch, meine Notizen und eine Tüte Altpapier im Gepäck. Ich sammle immer viele Texte und warte auf Gelegenheiten, sie zu lesen. Bei der «Zeit» bin ich nun im Juli 2014 angelangt. Mit 10 Monaten Distanz sieht man leichter, welche Themen und Texte den Moment überdauern.

Kontakt und Information:

www.ruefferundrub.ch

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5 Kommentare zu “«Unsere Bücher sollen die Leser nicht anschreien»”

  1. Ben sagt:

    …leider haben mit dem sozialen Nutzen die neoliberalen Ideologen und die inzwischen hunderttausende voll überzeugte Mitläufer in den Reihen der Volksvertreter erhebliche Probleme… sowas weiches, menschliches, soziales verstehen die nicht weil kein direkter Zusammenhang zwischen Profit und Verlust noch Rendite zu erkennen ist. Wäre der Verlag Profitabel würden diese zutiefst neoliberal überzeugten Menschen die sozialen Aussagen für sich positiv verknüpfen und verständnisvoll nicken… Verstehen würden sie es aber nicht….

  2. Christa Rumpf sagt:

    gratuliere Frau Rueffer,ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg mit Ihrem Glauben an das Gute Buch.Ich teile voll und ganz Ihre Meinung. Bin seit meiner Kindheit eifrige und begeisterte Leserin! Bin jetzt bald 80 ! Und werde weiterhin fast jeden Tag lesen.

  3. Gabor Horvath sagt:

    Tolle Sache! Ich freue mich für mich alle Beteiligten.

  4. Liselotte Jost sagt:

    Danke für den sehr guten Bericht, wünsche Ihnen weiterhin viel Freude an guten Bücher, auch ich möchte nicht ohne Bücher
    Leben, wie sagt man Lesen begingt im Kopf.

  5. WETZEL, Jean-Claude sagt:

    “Kein anderes Medium verschafft dem Menschen für so wenig Geld so viel Zufriedenheit; eigentlich müssten die Krankenkassen längst Prämienverbilligungen für Leserinnen und Leser anbieten.” Ich finde dieses Zitat aus dem Interview von Frau Anne Rueffer höchst zutreffend… denn durch tiefgreifende, alltägliche Sorgen ansprechenden und aufwerfenden Büchern könnten wohl zehntausende von Franken gespart werden. Erwiesenermassen hält lesen fit, gehirnfit. Hingegen “fastfood-Media” Konsum macht nachweislich dumm. Also sind Bücher Fitness für das Gehirn und Balsam für die Seele. Wie es Frau Rueffer sagt, eine Einstiegshilfe für das Aufbauen seines ganz persönlichen und eigenen “Kosmos”.Deshalb verstehe ich bis heute nicht, warum nicht in gleichem Masse wie Theater, Film, Kunstmalen, Musik und andere künstlerische Bereiche auch Verleger speziell guter und Sinnbezogener Bücher von Staates wegen gefördert werden. Warum wurde dies bis heute von einem emanzipierten Staat mit direkter Demokratie nicht schon längst erkannt? So wie es am Beispiel des Schauspielhauses Zürich nur Dank Sponsoring und städtisch-kantonalen Subventionen überhaupt dazu kommen kann, dass Theaterstücke eines Autors/einer Autorin überhaupt zur Aufführung kommen und die Schauspieler/Schauspielerinnen ihre Kunst ausüben können, sollten in diesem Sinn wertvolle SchriftstellerInnen und deren Verleger ebenso gefördert werden.
    Denn wie aus dem Interview zu entnehmen ist, droht beiden aus Renditengründen der wichtige “Brennstoff” zur Erhaltung dieser Kunst auszugehen: das Geld mangels Rendite, leider trotz allem Idealismus!
    Herzlichen Glückwunsch, Frau Rueffer für die treffenden Antworten. Grossen Dank für den wichtigen Beitrag zur Unterstützung der Schreib- und Verlegerkunst!”