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«Morgenmuffel beginnen bei uns erst um 10 Uhr»

Mathias Morgenthaler am Samstag den 21. März 2015
Walter Weiler, Geschäftsführer der Quo AG.

Walter Weiler, Geschäftsführer der Quo AG.

In vielen Unternehmen fehlt der Freiraum für mutige Innovationen. Die Zürcher Firma Quo AG hat sich darauf spezialisiert, für andere kreativ zu sein und Prototypen zu entwickeln. Sie hat in 15 Jahren 350 Innovationsprojekte realisiert. «Ideen sprudeln nicht auf Knopfdruck», sagt Geschäftsführer Walter Weiler. «Es braucht geschützte Räume, Unvoreingenommenheit und stets genügend Schokolade.»

Interview:
Mathias Morgenthaler

Herr Weiler, Sie entwickeln in einer Firma mit 24 Mitarbeitern so unterschiedliche Dinge wie Salatverpackungen, wärmende Schuhsohlen, ein Milchschäumsystem und einen humanoiden Roboter. Was ist der gemeinsame Nenner all dieser Projekte?

WALTER WEILER: Im Zentrum steht für uns immer das Kundenbedürfnis. Die meisten Industrieunternehmen haben in den letzten Jahren viel Energie in die Effizienzsteigerung investiert. Sie führen zwar weiterhin Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, aber die Ressourcen und Kompetenzen für echte Innovation sind kaum mehr vorhanden. Im Vordergrund stehen die Pflege und Verbesserung bestehender Produkte. Wenn wir zum Beispiel für V-Zug arbeiten, dann geht es nicht um die Verbesserung einzelner Funktionen von Haushaltgeräten, sondern wir fragen: Wie könnte die Küchenwelt im Jahr 2020 aussehen? Welche Anforderungen gibt es dann in den Bereichen Technik und Design?

Ist es nicht ein Nachteil, dass Sie als Externer in jedem Projekt bei null beginnen?

Wussten Sie, dass Bertrand Piccard für sein Projekt Solar Impulse in der ersten Phase keinen Aviatikfachmann im Team haben wollte? Wer das Fliegen neu denken will, muss Bestehendes über Bord werfen. Die Hersteller von Kerzen waren nicht die Erfinder der Glühlampe! Wir sehen oft, dass Unvoreingenommenheit bei Innovationsprojekten ebenso wichtig ist wie Spezialistenwissen. Unsere Mitarbeiter sind hoch qualifiziert, die meisten haben an der ETH studiert; sie sind aber nie betriebsblind. Nehmen Sie das Beispiel der Salatverpackung. Coop gab uns den Auftrag, eine neue, nachhaltigere Verpackung für den Salat, den man unterwegs isst, zu entwickeln. Natürlich wussten wir zunächst weniger als der bisherige Lieferant – das war aber kein Nachteil, sondern unser Pluspunkt. Nur so konnten wir eine Innovation schaffen, die 30 Prozent Material- und Transporteinsparungen ermöglicht und eine bessere Benutzerfreundlichkeit aufweist. Zu Beginn waren wir keine Experten, am Ende hatte der Kunde ein Produkt, das sich besser verkauft als das bisherige Produkt und mit drei Innovationspreisen ausgezeichnet wurde.

Arbeiten Sie ausschliesslich für Grossfirmen?

Nein, wir unterstützen verschiedenste Kunden auf dem Weg von der Ideenfindung bis zum Machbarkeitsnachweis. In 15 Jahren haben wir über 350 Innovationsprojekte realisiert. Da war zum Beispiel der Einzelunternehmer, der eine Schuhsohle entwickeln wollte, welche die Füsse wärmt, aber ohne Batterie auskommt. Wir entwickelten in Zusammenarbeit mit einem Hersteller einen speziellen Schaum, mit dessen Hilfe die kinetische Energie beim Gehen in Wärme umgewandelt wird. Tests mit je 100 Schaum- und Placebo-Sohlen zeigten einen eindeutigen Wärmeffekt. Unser Auftraggeber hat schon im ersten Winter einige Tausend Paar seines Produkts Chili-Feet abgesetzt.

Die Innovation gehört also dem Auftraggeber, Sie stellen einfach die Arbeit in Rechnung und sind nicht am Erfolg beteiligt?

Ja, wir definieren mit jedem Auftraggeber Meilensteine für unsere Arbeit und werden nach Aufwand bezahlt. Die Innovation gehört dem Auftraggeber, auch allfällige Patente liegen in seiner Hand. Manchmal arbeiten wir zu reduzierten Stundensätzen und mit Erfolgsbeteiligung. So kam der Geschäftsführer des Raumduftsystems Supair auf uns zu, nachdem er sich einen neuen BMW gekauft hatte. Er brachte es nicht übers Herz, ein Duftbäumchen in sein schönes Auto zu hängen. Also haben wir für ihn einen eleganten schmalen Duftstick entwickelt, der in die Lüftung der BMW-Modelle eingepasst werden kann. Der Auftraggeber hat die Innovation zum Patent angemeldet, beim Autohersteller fand er damit Aufnahme ins Zubehörsortiment.

Ist es nicht manchmal schwierig, potenzielle Auftraggeber von den Vorzügen des Querdenkens zu überzeugen?

Doch, viele unserer Kunden hätten am liebsten einen Spezialisten als Ansprechpartner, der 20 Jahre Branchenerfahrung hat und trotzdem komplett unvoreingenommen und innovativ ist. Aber allmählich setzt sich die Erkenntnis durch, dass Querdenken sich auszahlt. Die Firma Franke etwa ist bekannt für ihre hochwertigen Gastronomie-Kaffeemaschinen. Im Bereich Milchverarbeitung gab es wenig Know-how. Wir erhielten den Auftrag, ein Konzept für einen Milchschäumer zu entwickeln, der variabel einstellbar ist und bei warmer und kalter Milch die gewünschte Konsistenz liefert. Meine Mitarbeiter haben sich von der Autoindustrie inspirieren lassen und die Motoreneinspritzung zum Vorbild für ein pulsierendes Ventil genommen. Dieses Out-of-the-Box-Denken war die Geburtsstunde des Foam Master von Franke.

Selbst vor dem Bau eines menschenähnlichen Roboters schrecken Sie nicht zurück.

Der Roboter ist in Zusammenarbeit mit dem mittlerweile emeritierten Professor Rolf Pfeifer vom Labor für künstliche Intelligenz der Universität Zürich entstanden. Wir haben den Roboter in nur neun Monaten entwickelt und gebaut gemeinsam mit 15 Partnern aus Industrie und Forschung. Die Herausforderung war, ihn möglichst menschenähnlich zu konzipieren. Dank Motoren im Brustkorb und einer der menschlichen Sehne nachempfundenen Kraftübertragung kann er dem Besucher die Hand geben, mit der Mimik offenbart er seinen Gemütszustand. Die Segmente der Arme und Beine sind je aus einem Stück gefertigt, alles mit 3-D-Druckern. Das grösste Manko ist derzeit, dass er nicht gehen kann – dafür reichte die Zeit einfach nicht aus. Aber er wird das sicher noch lernen.

Wie muss ein Unternehmen organisiert sein, das so verschiedene Projekte übernimmt?

Wir leben stärker als die meisten Unternehmen von der Innovationskraft unserer Mitarbeiter. Also müssen wir alles tun, damit sie für die kreative Arbeit optimale Rahmenbedingungen vorfinden und sich wohl fühlen. Das beginnt mit flexiblen Arbeitsformen. Viele arbeiten Teilzeit, Morgenmuffel beginnen erst um 10 Uhr, bleiben dafür länger. Bei der Ideensuche gibt es keine Tabus, verrückte Ideen werden grundsätzlich ernst genommen. Der Vorteil unseres kleinen Teams ist, dass wir alle auf einer Etage sitzen, uns austauschen, nicht in Abteilungen, sondern in Projekten denken. Und es ist offensichtlich, dass die Arbeit hier allen Spass macht, weil die intellektuelle Herausforderung gross ist und wir den Kunden helfen können, durch Innovation erfolgreich zu sein.

Setzen Sie auf spezielle Innovationstechniken?

Es gibt bewährte Kreativitätstechniken wie Brainstorming oder den Ideen-Marathon, bei dem eine Anzahl Mitarbeiter aufgefordert wird, während beispielsweise zehn Tagen täglich eine Idee zu Papier zu bringen. Wichtig ist eine gute Balance aus Struktur und Offenheit. Ideen sprudeln nicht auf Knopfdruck, es braucht geschützte Räume und eine gewisse Inkubationszeit. Ich lege grossen Wert darauf, dass wir eine eingeschworene Gemeinschaft sind. So gesehen sind das Freitagabendbier, das gemeinsame Marathontraining oder der zweitägige Mitarbeiterausflug wohl ebenso wichtig wie die Innovationstechniken. Und einen entscheidenden Faktor hätte ich fast vergessen: Unsere vielleicht wichtigste Mitarbeiterin ist die Schokolade, ohne sie geht gar nichts. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Schokolade einen positiven Einfluss auf kognitive Aktivitäten hat, ja es wurde sogar eine Korrelation zwischen dem Schokoladekonsum einer Nation und der Anzahl der Nobelpreisträger aus diesem Land festgestellt. Ich finde, das sind gute Gründe, sich den Arbeitsalltag regelmässig zu versüssen.

Kontakt und Information:

walter.weiler@quo.ch oder www.quo.ch

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2 Kommentare zu “«Morgenmuffel beginnen bei uns erst um 10 Uhr»”

  1. Fischer Martin sagt:

    Sehr schön. Jetzt habe ich sogar die Erklärung für meine verklärte Welt – bei soviel Schokolade…

  2. warum müssen Nachtaktive, meist kreative Menschen, Morgenmuffel genannt werden? Frühaufsteher tönt so positiv im Gegensatz zum Morgenmuffel. Wer sich nach der inneren Uhr richtet ist meist auch viel produktiver und zufriedener im Jop.