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Sprachaufenthalt, mon amour

U25-Gastautor am Montag den 13. Oktober 2014

Normalerweise kommen hier gestandene Berufsleute zu Wort. In der Reihe «U25» berichten für einmal Berufs- und Studieneinsteiger über Erfahrungen, Erfolge und Elend. Heute schreibt unser Gastautor Reto Heimann*

Urlaub in der Provence 18. - 21. Maerz 2008

Doch, hier lässt es sich leben. Und lernen könnte man auch was: Esplanade de l’Europe in Montpellier. Foto: Wolfgang Staudt (Flickr)

Eine quirlige Geschäftigkeit umgibt den Gare Saint-Roch, als ich an einem Sonntagnachmittag mein Gepäck aus dem TGV hieve und das erste Mal den Boden der Stadt Montpellier betrete. Die Vorfreude auf den vierwöchigen Sprachaufenthalt an der Mittelmeerküste Südfrankreichs ist riesig.

Der erste Eindruck ist vielversprechend: Die Stadt wirkt belebt, die Leute sind gut gekleidet, versprühen Fröhlichkeit und den typisch französischen Esprit. Nur ich muss wie eine graue Maus inmitten einer Schar aufgeregt plappernder Papageien wirken, während ich umherirre auf der Suche nach meinem Gastvater.

Und plötzlich spüre ich turmhohen Respekt vor meinem Aufenthalt hier. An einem fremden Bahnhof in einer fremden Stadt ankommen, niemanden kennen: So muss sich ein Migrant fühlen, wenn er zum ersten Mal Schweizer Boden betritt. Allein. Verloren. Hilflos. Schnell zeigt sich, wie schwierig es ist, mich frei und flüssig in Französisch zu verständigen. Ohnmächtig ringe ich nach Worten, stammle, gebe unverständliche Silben und Wortfragmente von mir, bringe keinen geraden Satz zustande.

Umso mehr gilt es, sich an den kleinen Momenten des Glücks festzuhalten, wenn ich mich doch einmal ohne grössere Probleme verständigen kann. Es ist unter anderem die kindliche Freude ab jedem kleinen Fortschritt, die den Sprachaufenthalt unvergesslich macht. Auch die Geborgenheit, die ich in meiner rührend herzlichen Gastfamilie erlebe, trägt dazu bei, dass ich mich hier pudelwohl fühle. Je me sens comme un poisson dans l’eau.

Gleichzeitig muss ich aber eingestehen, dass ich zu wenig für die Schule mache. Zu viel rauche. Zu viel trinke. Mich überkommen Schuldgefühle, wenn ich mich ausserhalb des Unterrichts in Englisch unterhalte. Aber auch Stolz, ein Tischgespräch in einer wilden Mischung aus Französisch, Englisch und Italienisch führen zu können. Der Anflug von Selbstüberschätzung, sich gebildet zu fühlen.

Das Leben in Südfrankreich, es hat mich gepackt und lässt mich nicht mehr los: Die Innenstadt mit ihren verwinkelten Gassen im Abendlicht. Die stilisierte Romantik eines Sonnenuntergangs unter Palmen. Die aromatische Meeresbrise, die der Wind an guten Tagen bis in mein Zimmer trägt. Die Liebe für diese pulsierende Stadt und ihre Bewohner. Das Gefühl, nirgendwo sonst sein zu wollen. Das Gefühl, mit sich und der Welt im Reinen zu sein. Montpellier, je t’adore!

Bildung Reto Heimann *Reto Heimann (19) hat kürzlich die Matura abgeschlossen und macht nun ein Zwischenjahr, in dem er unter anderem einen Sprachaufenthalt in Frankreich verbringt.

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2 Kommentare zu “Sprachaufenthalt, mon amour”

  1. Irene feldmann sagt:

    Sehr gelungener Artikel, interessant und amüsant, weiter so!!!!!

  2. Herr Oester sagt:

    Hallo, herzliche Gratulation, toller Text. Macht Freude, zu sehen, dass junge Menschen nicht nur “20 Minuten” lesen und entsprechend schreiben, sondern sich differenziert und unterhaltsam ausdrücken. Zusätzlich die Ode an Montpellier und die französische Sprache, ganz toll, was anderes als die ewigen Global English-Preisungen… Französisch ist nicht nur Kommunikation, das ist ein Lebensgefühl. Und von mir aus ein klares Alleinstellungsmerkmal, um auf dem Arbeitsmarkt aus der Masse zu stechen…