
Michael Treina, Unternehmensberater
Für Michael Treina konnte es nicht schnell genug gehen: Er studierte Medizin, Geografie und Wirtschaft, erarbeitete in seiner Doktorarbeit die Grundlagen für den Espace Mittelland und absolvierte eine Blitzkarriere bei Ernst & Young in Zürich. Mit 36 Jahren führte er als Vizedirektor das Leben eines Business-Nomaden – und war trotz allem Erfolg extrem unglücklich. Download der PDF-Datei
Interview: Mathias Morgenthaler
Herr Treina, Sie haben Medizin, Geografie und Wirtschaft studiert, waren Hochseeskipper, Unternehmensberater, DJ und Lastwagenfahrer, praktizieren als Kinesiologe und bringen bald ein Kinderbuch heraus. Haben Sie so viele Talente oder so wenig Geduld?
MICHAEL TREINA: Vermutlich trifft beides zu. In der Schule fiel mir fast alles leicht. Ich mochte Zeichnen, Turnen und Rechnen, aber am liebsten waren mir die Sprachen. Mein Bubentraum war, Arzt zu werden. Später hätte mich auch die Kunstgewerbeschule sehr gereizt, aber da war meine Mutter strikt dagegen. Sie bestand darauf, dass ich etwas Rechtes lerne. Also nahm ich nach der Matur das Medizinstudium in Angriff. Das war damals eine prestigeträchtige Sache. Meine Mutter, die aus einfachen Verhältnissen stammt, war stolz auf ihren Sohn. Ich selber war mit falschen Vorstellungen eingestiegen und enttäuscht, dass das Grundstudium hauptsächlich aus Anatomie, Physik, Chemie und Auswendiglernen bestand, als wäre der Mensch hauptsächlich eine Maschine.
Nach drei Jahren hatten Sie genug?
Ja, ich brach das Studium bald nach dem Grundstudium ab. Damit ging mein erster Lebensentwurf in die Brüche, ich schlitterte in eine grosse Krise und musste mir eingestehen, dass ich keine Ahnung hatte, was ich im Leben eigentlich wollte. Heute verstehe ich, dass mich damals meine komplizierte Familiengeschichte einholte. Ich bin ohne Vater aufgewachsen und habe ihn mit 20 Jahren nur einmal kurz in Malaysia gesehen. Meine Mutter konnte sich zunächst auch nicht um mich kümmern, zehn Tage nach meiner Geburt kam ich in ein Säuglingsheim, als Einjähriger in eine Pflegefamilie, erst mit sieben Jahren kehrte ich zu meiner Mutter zurück. Ich kannte meine Wurzeln nicht richtig und blendete diese Frage aus.
Was waren die Folgen?
Ich litt sicher unter einem Defizit an elterlicher Wärme und Geborgenheit. So lernte ich früh, meine Gefühle auszublenden, mich anzupassen und mir durch überdurchschnittliche Leistungen Liebe oder zumindest Anerkennung zu verdienen. Das führte dazu, dass ich eine der besten Matura-Prüfungen meines Jahrgangs ablegte und später ein richtig guter Unternehmensberater wurde. Ich machte blitzartig Karriere in diesem Business, weil ich sehr schnell die Bedürfnisse meines Gegenübers erkenne, die Situation rasch analysieren und Strategien entwickeln kann. Zudem war ich immer ein extrem wissbegieriger Mensch. Schon als kleines Kind zerlegte ich den Föhn und den Toaster meiner Mutter und versuchte die Geräte – leider nicht immer mit Erfolg – wieder zusammenzubauen.
Als Sie vor der Frage standen, was aus Ihnen werden sollte, halfen all diese Talente vermutlich wenig.
Ja, da sass ich ratlos in der Berufsberatung und hatte vor lauter Interessen und Möglichkeiten keine Ahnung, was aus mir werden soll. In dieser Zeit hätte ich mir sehr stark einen Vater gewünscht, an den ich mich hätte anlehnen oder gegen den ich hätte aufbegehren können. Ich schwankte schliesslich zwischen Landschaftsgärtner, Künstler und Jurist und nahm nach einem Praktikum als Landschaftsgärtner das Geografie-Studium in Angriff. Nach den drei Jahren Medizin empfand ich dieses Studium als recht locker, ich war so schnell durch damit, dass ich noch ein halbes Jahr warten musste, bis ich die Abschlussprüfung absolvieren durfte. Und daneben sammelte ich viel Lebenserfahrung: Ich war als Jugendarbeiter im Berner Jugendkulturzentrum Gaskessel tätig, jobbte als Taxi- und Lastwagenfahrer, legte als DJ auf, wurde Hochseeskipper, fuhr ein schweres Motorrad. Es waren die glücklichsten Jahre meines Lebens, wozu auch die Liebe ihren Teil beigetragen hat.
Was macht einer wie Sie mit einem Abschluss in Geografie in der Tasche?
(Lacht) Ich trat guter Dinge als Raumplaner in die Berner Verwaltung ein. Da traf ich auf sehr sympathische Leute, aber… wie soll ich sagen… mit meinem Ehrgeiz und meinem Hunger etwas zu bewegen war ich dort nicht glücklich. Oft wurden zudem die Ideen der Raumplaner «aus ökonomischen Gründen» abgelehnt, meist mit Verweis auf nachteilige Folgen für Wirtschaft und Arbeitsplätze. Aus Rache an den Ökonomen, die fast immer das letzte Wort hatten – oder vielleicht auch aus Faszination –, entschloss ich mich, noch Wirtschaft zu studieren. Weil zu jener Zeit die Berner Volkswirtschaftsdirektorin Elisabeth Zölch jemanden mit Raumplanungserfahrung suchte, der die Idee des Wirtschaftsraums Espace Mittelland wissenschaftlich ausarbeitete, konnte ich gleich eine Doktorarbeit in Angriff nehmen.
Auch da waren Sie im Schnellzug unterwegs.
Ja, ich eignete mir im Selbststudium das erforderliche Wirtschaftswissen an und durfte als Quereinsteiger ein Forschungsprojekt mit über zehn Leuten an den Universitäten Bern, Neuenburg und Freiburg und über einer halben Million Franken Forschungsetat leiten. Für mich war es ein unbezahlbares Karrieresprungbrett. Täglich traf ich mich mit Bankdirektoren, Politikern, Unternehmern, Beratern, um über Vor- und Nachteile der Clusterbildung in der regionalen Wirtschaftsentwicklung zu diskutieren. Ich zog nach drei Jahren Forschungsarbeit ein kritisches Fazit: Der Espace Mittelland hat als Wirtschaftsraum nicht den notwendigen Zusammenhalt und funktioniert höchstens, wenn Bern als sachte Moderatorin auftritt. Leider verhielten sich die Berner dann eher so, als wären die umliegenden Kantone Bittsteller. Das Projekt Espace Mittelland erlitt bei der Umsetzung bedauerlicherweise tatsächlich Schiffbruch.
Sie waren danach dennoch ein gefragter Mann?
Ja, ich erhielt viele Stellenangebote von namhaften Unternehmen und wechselte schliesslich an den Paradeplatz in Zürich zu Ernst & Young in die Unternehmensberatung. Die ersten Tage in Zürich war ich in meinem jugendlichen Übermut wie betrunken vom Glanz und Tempo, so viel Macht und Status waren da auf engstem Raum versammelt. Der Parkplatz des Direktors kostete mehr als meine Studentenbude in Bern. Ich gewöhnte mich aber rasch an die neuen Verhältnisse und legte mich fortan bis zu 16 Stunden pro Tag ins Zeug. Nach einem halben Jahr war ich unterschriftsberechtigt, nach anderthalb Jahren Vizedirektor. Ich bereiste als Business-Nomade Europa und wunderte mich selber, wie ich es in so kurzer Zeit vom Werkstudenten zum Jetsetter gebracht hatte.
Waren Sie glücklich?
Ich war in hoch spannende Projekte involviert, durfte hinter die Kulissen der mächtigen Wirtschaft blicken, bekam jede Menge Anerkennung, verdiente sehr viel Geld – und war nach zwei Jahren extrem unglücklich, am Rande einer Depression. Das Schlimmste war, dass ich zu dieser Zeit keine Erklärung hatte für meine Niedergeschlagenheit. Es standen doch alle Zeichen auf Erfolg.
Teil 2 des Interviews erscheint in einer Woche an dieser Stelle.
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Als Erklärungsansatz für das Unglücklichsein könnte eine rhetorische Frage aus einer Episode der Simpsons helfen, die Homer Mister Burns stellt: “Does your money hug you when you come home in the evening?”
Das war aber diplomatisch: in der Berner Bauverwaltung hatte es sympathische Leute, aber es war langweilig. Leider kenne ich das auch: nach 20 Jahren Verwaltung muss ich sagen, dass das stimmt. Wenn man etwas mehr als durchschnittlich begabt ist, ist es eine Qual. Man will was ändern, eine SWOT-Analyse machen und der Chef sagt: SPOCK-was? Am Schlimmsten sind neben den Ökonomen, die wirklich immer das letzte Wort haben, die Bernische Fürsprecher. Vor allem, wenn Sie dank Schützenhilfe von Papi durch die Anwaltsprüfungen (dank Prüfungsfragen von Kollegen des Vaters) bugsiert wurden und dann sofort Kaderposten bekommen, aber keine Führungserfahrung haben. Solche Vetterlis sind dann wie Kutschen auf der Autobahn: immer irgendwie im Weg. Aber wenn Herr Treina wirklich IQ und EQ hat, wird er bald mal aus dieser “Durchschnittswelt” aussteigen und das machen, was am Besten ist: Familie, Kinder, Haus. Garten: das wahre leben.
Das scheint die Geschichte eines ewig Suchenden zu sein. Einmal im Leben Inne halten, in sich hinein hören und verstehen wer da spricht. Das ist mein Ratschlag. Niemand kann auf tausend Hochzeiten tanzen, überall meinen er sei unentbehrlich, ohne dass sein eigenes Ich Schaden nimmt. Leider ist diese Geschichte für unsere heutige Welt nicht unüblich. Und viele Menschen möchten genau das. Doch am Ende des Lebens steht nur eine Frage im Raum: Habe ich die Zeit auf dieser Erde sinnvoll genutzt? Nicht um anderen etwas zu beweisen, nein, für sich selbst.
Herr Treina braucht keinen Rat. Er wird seine ganz besondere Herausforderung selbst finden. Diese seine Herausforderung kann aber sehr subtil daherkommen. Bei mir war es so: als selbständiger IT-Unternehmensberater in den Anfängen der Netzwerke ärgerte ich mich, dass der Auftraggeber ein Projekt nie ganzheitlich verankern wollte, weil er den Sinn dafür nicht erkannte und weil es vordergründig zu teuer war. Aber es kam immer teurer heraus, als wenn er von Anfang an mehr investiert und das Umfeld miteinbezogen hätte. Ich suchte eine einfache, verständliche Checkliste, mit deren Hilfe ich jeden Auftraggeber schnell (weil sie hatten kaum Zeit zum Vorausdenken) davon überzeugen konnte, auch die weiteren Konsequenzen eines Projektes zu bedenken. Es kam alles auf den Tisch. Von der Maslow-Pyramide bis zum St. Galler Modell. Nichts aber taugte wirklich praktisch.
Die Suche wurde legendär. An den Partys sorgte es für Gelächter: “Na, hast du die Checkliste endlich gefunden?”. “Nein”, antwortete ich jeweils trocken. Bis jemand spasseshalber sagte: “Nimm doch einfach die Zehn Gebote!”. Doch niemand kannte sie vollständig – ich auch nicht und es wurde gelacht. Dennoch, die Zehn Gebote liessen mich seither nicht mehr los. Wie könnte man sie wissenschaftlich modernisieren und vom kirchlichen Dogma Müll und der Frömmigkeit befreien und in die Ökonomie einbringen – aber in deren authentischer Bedeutung? Das war für mich eine zwanzig jährige Herausforderung sondergleichen. Es hat mich das letzte Hemd gekostet und ich war dann einfach nur froh, dass ich ähnlich viel Multitalent wie Herr Treina besass. Ich bereue es überhaupt nicht, dass ich diese Mission Impossible annahm. Ein Multitalent besitzt einen besonderen Werkzeugkasten, damit er seine besondere, für sein Leben sinnvolle Herausforderung meistern kann. Er wird sie finden! Aus den Zehn Geboten wurde übrigens das Makro-Quantum-System. Und ich brauche heute noch einen Haufen Talent, um der Steinigung für diesen Frevel – in den Augen gewisser Kreisen – entgehen zu können.
Cooler Mann er ist sicher alles nur nicht Bünzli (von denen hat es in der Schweiz ja sonst schon zu viele!)
Eine sehr interessante Geschichte. Ich bin gespannt auf 2 Teil.
“Beginnen wir damit, dass wir ein Verständnis für die wahren Quellen des Glücks entwickeln, damit diese hinfort als Fundament für die Prioritäten unseres Lebens dienen können.” Dalai Lama
sehr luzide, dieser mix aus ratio&empathie.es ging und es geht mir noch immer nicht unähnlich..
michael treinas fall ist nicht ungewöhnlich…es zeigt einfach das, unausgewogenheit sich auf zeit zur engpass-situation zuspitzt..16std. tag und den drive zur ewigen weiterentwicklung ohne pause, ohne inne zu halten und auf die innere stimme zu hören, über jahre hinweg…das ist sehr natürlich das ein zusammenbruch an der türe steht, schlussendlich……wir sind keine maschinen, sondern sensible wesen welche die balance von allen elementen brauchen! ich weiss aber schon das, hr. treina seinen weg zur zufriedenheit und persönlicher erfüllung finden wird.