Seit einem Jahr ist Klaus Wellershoff, langjähriger Chefökonom der UBS, als Unternehmer mit Wellershoff & Partners auf dem Markt. Den Schritt in die Selbständigkeit hat er nie bereut. Im Interview erzählt er, warum er die UBS verlassen hat und weshalb er die Anlageberatungspraxis vieler Banken für „ungeheuerlich und fahrlässig“ hält. Interview als PDF-Datei
Herr Wellershoff, Sie sind seit einem Jahr als Unternehmer mit Wellershoff & Partners unterwegs. War es die richtige Entscheidung, die UBS zugunsten der Selbständigkeit zu verlassen?
KLAUS WELLERSHOFF: Würde ich – wie man Bankern gemeinhin unterstellt – mit Blick auf mein Lohnkonto antworten, müsste ich klar verneinen. So viel wie bei einer Grossbank verdient man praktisch nirgendwo. Geld und Macht sind aber nicht Dinge, die für mich so wahnsinnig wichtig sind. Mir macht es Freude, mit erstklassigen Partnern die Entwicklung auf der Welt zu ergründen, Schlussfolgerungen zu ziehen und dann zu handeln. Wir sind ein kleines, sehr heterogenes Team – ein Physiker, eine Philosophin und zwei Ökonomen, die sich auf Augenhöhe begegnen. Wir sind nach knapp einem Jahr über Erwarten gut unterwegs und können es uns leisten, nur mit Kunden zusammen zu arbeiten, die wirklich etwas verändern wollen. Für mich war es der richtige Schritt – ich habe ihn aus Loyalität eher zu spät gewagt.
Was hat Sie veranlasst, die UBS zu verlassen?
So etwas hat immer viele Gründe. Die Trägheit von grossen Organisationen hat mir zum Beispiel zunehmend Mühe gemacht. Tendenziell beschäftigt man sich mehr mit sich selbst als mit den Kunden oder den Veränderungen in der Umwelt. Ein einschneidendes Erlebnis für mich war zum Beispiel, dass ich es im Jahr 2007 nicht schaffte, mein Umfeld davon zu überzeugen, dass eine Rezession vor uns lag. Es lag alles so klar auf dem Tisch und ich fragte mich: Was braucht es denn noch?
Dann muss man fragen: Warum gingen Sie nicht früher?
Das stimmt. Wenn die Wahrscheinlichkeit, dass man in einer Organisation in nützlicher Frist etwas Wichtiges verändern kann, kleiner ist als die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Gebilde zusammenbricht, dann muss man eigentlich gehen. Ich hätte es aber für unanständig gehalten, die UBS mitten in der Krise zu verlassen. Ich fühlte mich in der Pflicht gegenüber meinen Kollegen und den Kunden.
Was hätten Sie denn verändern wollen?
Die Finanzindustrie ignoriert zum Beispiel konsequent die Forschung und die praktische Erfahrung der letzten zwanzig Jahre, wenn es um die Grundlagen der Vermögensverwaltung geht. Das hat viele Facetten. Nehmen Sie die Wechselkursprognosen. Niemand kann sagen, wo der Euro am Ende des Jahres steht. Wir wissen aber, ob er teuer oder billig ist und was die Tendenz der nächsten zwei bis drei Jahre sein wird. Solche Erkenntnisse haben Implikationen. So ist es heute absolut unsinnig, einem Kunden, der das Risiko scheut und eine moderate Rendite erzielen will, einen Obligationenfonds zu verkaufen. 99 Prozent der Banken machen aber genau das.
Warum ist es unsinnig und warum tun es die Banken trotzdem?
Es ist nicht nur unsinnig, sondern ungeheuerlich und fahrlässig. Es gibt kein vernünftiges Szenario, wie ein Kunde beim zu erwartenden Zinsniveau mit Obligationen nach Steuern und Bankgebühren in den kommenden Jahren eine positive Rendite erzielen könnte. Trotzdem halten nicht nur Privatpersonen, sondern auch Pensionskassen und Lebensversicherungen wegen veralteter Anlagevorschriften einen viel zu hohen Anteil an Obligationen.
Wollen Sie damit sagen, dass Bankberater wissentlich ihren Kunden die falschen Produkte verkaufen?
Das glaube ich nicht. Berater müssten ja an langfristigen Beziehungen interessiert sein. Aber Bankberater sind konditioniert und risikoscheu. Würden sie das Risiko mögen, wären sie nicht Banker, sondern Unternehmer geworden. Das grösste Risiko im Banking ist aber nicht, dass der Kunde seine Ziele nicht erreicht, sondern dass man schlechter da steht als die Konkurrenz. Deswegen machen alle das Gleiche, auch wenn es noch so falsch ist. Diesbezüglich hat kein Umdenken stattgefunden, die Finanzindustrie schläft weiter.
Einen stärkeren Weckruf als den Wirtschaftseinbruch, den wir erlebt haben, kann man sich kaum vorstellen.
Das hat seine innere Logik. Nach einer solchen Krise haben alle Angst. Wenn man Angst hat, schafft man nichts Neues, sondern man folgt seinen Abwehrreflexen. Also legten die angeschlagenen Banken Kostensparprogramme auf und fokussierten ganz auf die verbliebenen profitablen Dinge – sie brauchten ja auch dringend Geld, um ihr Eigenkapital zu stärken. Wenn man die Präsentation der Zahlen des zweiten Quartals anschaut, bekommt man als Kunde Angst. So hat zum Beispiel die UBS ihre Margen im Private Banking im letzten halben Jahr deutlich ausweiten können. Höhere Preise, mehr spekulative Kredite, mehr Trading. Das ist gut für die Aktionäre, aber nicht gut für den Kunden.
Und der einzelne Berater verkauft die Produkte mit guten Absichten?
Das Problem ist, dass die meisten Banken falsche Erwartungen geweckt haben und weiterhin wecken. Sie signalisieren: „Wir kennen uns aus auf den Märkten und haben daher für jede Situation die richtigen Produkte. Wenns raufgeht an der Börse, profitierst du als Kunde; wenns runtergeht, passiert dir nichts, dann schützt dich die Bank.“ Nun hat sich gezeigt, dass diese Versprechen nicht haltbar sind, dass „absolute return“ eben nicht heisst, dass alles Geld zurück kommt. Zu befürchten steht nun, dass der Vertrauensverlust der Anleger in die Banken weiter gehen wird. Nehmen Sie das Beispiel der Obligationenfonds. Wenn wie zu erwarten wiederum die Kunden enttäuscht werden, wird das für mehr Ärger sorgen als Lehman und Kaupthing zusammen. Dann hat nicht ein Produkt versagt, sondern das System.
Dann kommen die enttäuschten Kunden alle zu Ihnen?
Wir sind keine Anlageberater, sondern wir bieten fundierte Entscheidungsgrundlagen für Banken, Versicherungen oder Familiengesellschaften an. Ein Kunde ist zum Beispiel ein Industrieunternehmen, das wissen will, was sich in Sachen Strategie und Finanzierungsportfolio verändert, wenn der US-Dollar einmal nicht mehr die Leitwährung ist. Ein anderes Beispiel ist eine Bank, die zum Schluss gekommen ist, dass sie in Sachen Vermögensverwaltung grundsätzlich über die Bücher muss. Wir unterstützen sie dabei, sich am aktuellsten Wissensstand auszurichten statt an überholten Branchengewohnheiten.
Hatten Sie in all den Jahren nie Lust, etwas anderes zu tun, bei dem Sie nicht dauernd die Märkte beobachten müssen?
Ich bin Ökonom, mich interessieren primär die Entwicklung von Volkswirtschaften. Den Aktienmarkt finde ich spannend, aber ich liege nicht nächtelang wach und zerbreche mir darüber den Kopf, wo ich die nächsten paar tausend Franken verdienen will. Mein Zugang zur Ökonomie ist ein ganz anderer: Ich leistete meinen Militärdienst bei der Marine. Ich erinnere mich noch gut, wie wir in Freetown, Sierra Leone, eingelaufen sind. Da geht der 19-jährige Matrose Wellershoff in einer der ärmsten Regionen der Welt an Land und wird mit Bildern konfrontiert, die seine Vorstellungskraft übersteigen. Damals war mir klar: Ich will wissen, wie es sein kann, dass Menschen so leben müssen.
Und was treibt Sie heute an?
Ich liebe es, Seifenblasen platzen zu lassen. Das gilt für die New-Economy-Blase ebenso wie für die hahnebüchene Diskussion über das angeblich drohende Nullwachstum in der Schweiz oder die Eurokrise. Ich liebe die sorgfältige ökonomische Analyse und die Veränderungsmöglichkeiten, die sich ergeben, wenn man vernünftig und mutig ist.
Kontakt:
www.wellershoff.ch
Guten Tag, Herr Wellerhoff,
Ihr Artikel hat mein Interesse gefunden. Sie kritisieren, dass die Banken immer noch Obligationenfonds empfehlen für Kunden
welche eher risikoscheu sind.
Ich frage mich deshalb: welche Art Investitionen schlagen Sie solchen Kunden vor?
Beste Grüsse,
Peter Morf